Die letzte Niete

Die nachfolgende Kurzgeschichte widme ich meiner geliebten Freundin.
Du bist die Quelle meiner Inspiration, mein Rückhalt, meine Zuflucht. In der Lotterie meines Lebens bist du der Jackpot! Und ich bin ein verdammter Glückspilz weil ich dich gefunden habe.


Tim lebte ein ruhiges Leben. Er liebte es Wandern zu gehen, er ging gerne ins Kino, er spielte gerne Videospiele und auch das Angeln bereitete ihm viel Freude. Er arbeitete an einer Universität, wo er die Arbeit verschiedener Professoren unterstützte. Oft war er hier nur der Laufbursche, aber er liebte seinen Job, da ihn die Wissenschaft jeden Tag aufs Neue faszinierte. Er hatte auch immer insgeheim die Hoffnung eines Tages bei einer bahnbrechenden Entdeckung dabei zu sein, doch dieser Tag ließ bislang noch auf sich warten.
Einen Makel, wenn man das überhaupt so sagen konnte, hatte sein Leben aber dann doch: Ihm fehlte die Frau an seiner Seite! Eine Frau, die seine Hobbies mit ihm teilte, mit der er über alles reden konnte, die ihm stets zur Seite stand. Eine Frau, die ihn so akzeptierte, wie er war.

Während es anderen Männern leicht fiel mit Frauen in Kontakt zu kommen, hatte Tim da so seine Schwierigkeiten.
Als die Sehnsucht einmal so groß geworden war, hatte er es mit Online Dating probiert. Viele Stunden sah er sich die Profile zahlloser Junggesellinnen an, schrieb etliche Nachrichten und überlegte angestrengt, wie sie in sein Leben passen könnten und wie er sie von sich überzeugen konnte. Letzteres bereitete ihm die meisten Schwierigkeiten. Wie sehr er es auch versuchte, den Damen zu gefallen, es endete letztlich immer mit Zurückweisung. Mal sehr schonend, mal ganz direkt. Früher hätte man sich vielleicht jetzt aus den Augen verloren, doch in Zeiten von sozialen Medien, hielt man noch losen Kontakt, oder bekam zumindest noch grob mit, wie sich das Leben des anderen entwickelte und so entdeckte Tim schon bald, dass er etwas ganz besonderes zu sein schien. Er hat die Gabe, dass alle Frauen, die ihn abblitzen ließen, nur kurze Zeit später ihre große Liebe fanden. In der mit Singlemännern vollgespickten Lostrommel war er die letzte Niete, bevor die Frauen ihren Hauptgewinn zogen.

Das war bei Franziska so. Er traf sie ganz zwanglos auf einen Kaffee. Sie war Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis und liebte es zu Tanzen. Sie tanzte Hip Hop, gab Standard-Tanzkurse und sogar Garde tanzte sie. Sie hatte es nicht offen gezeigt, aber sie hatte auch nicht verbergen können, dass sie Tim und seine Freizeitaktivitäten nicht sonderlich spannend fand. Geduldig hatte sie auf das Ende ihres Dates gewartet. Per Textnachricht hatte sie dann verlauten lassen, dass es für sie nicht gepasst hatte. Tim war nicht besonders überrascht. Ein paar Wochen später, sah er, dass Franziska nun einen Mann gefunden hatte, der offenbar besser zu ihr gepasst haben musste. Das Profilbild in ihrer Messenger-App zeigte sie knutschend mit ihm. Tim war verletzt, löschte ihre Nummer aus seinem Telefon und versuchte sie zu vergessen.

Bei Luisa war es ähnlich. Sie arbeitete in einer kleinen Boutique und manchmal auch als Fotomodell. Sie liebte es zu reisen und wollte noch sämtliche Länder bereisen. Ihm beeindruckte ihre Abenteuerlust und ihm gefielen ihre Haare. Ihr gefiel an Tim dagegen leider nur wenig. Nach einem kleinen Spaziergang, hörte sie gleich ganz auf mit Tim zu schreiben und ignorierte seine Nachrichten. Offensichtlich fehlte ihr der Mut ihm ganz offen zu sagen, dass sie das Interesse an ihm verloren hatte. Zwei Monate später sah Tim in einem sozialen Netzwerk, dass sie ihren Traummann gefunden hatte. Sie hatte Fotos hochgeladen, welche die beiden zusammen an einem Strand irgendwo in der Südsee zeigten.

Verena war Erzieherin und arbeitete in einem Kindergarten. Er mochte ihre Lebenslust, ihren Humor und ihr bezauberndes Lächeln. Als sie sich in einem Café trafen, sagte sie ihm, er sei nicht ihr Typ. An Weihnachten stellte sie Fotos ins Netz, die sie mit ihrem neuen Freund vor dem Christbaum zeigten.

Denise hatte sich erst vor Kurzem von ihrem Freund getrennt und war dann doch noch nicht bereit für eine neue Beziehung. Es dauerte nicht mal ein Jahr, dann war sie verheiratet und hatte ein Kind. Sie wirkte so glücklich. Das Familienleben stand ihr gut. Sie ging total auf in ihrer neuen Rolle als Mutter und Ehefrau.

Es folgten noch einige weitere. Umso verbissener er nach einer passenden Freundin suchte, desto harscher wurden die Abfuhren. Mit jeder Zurückweisung schrumpfte Tims Selbstwertgefühl mehr und mehr und seine Frustration stieg. Aber er wollte nicht aufgeben. Das Glück muss man jagen, sagte er sich immer wieder.

Jasmin, war wohl die schmerzhafteste Erfahrung, die Tim machen musste. Mit ihr hatte er drei Dates. Er mochte ihre blauen Augen, in denen er sich nur allzu leicht verlieren konnte. Sie hatten sich stundenlang unterhalten können. Mal über tiefgründige Themen, mal über absolut belanglose. Am Ende ihrer dritten Verabredung, hatte Tim sie schon etwas lieb gewonnen und hatte riskiert ihr einen Abschiedskuss zu geben. Sie war darauf eingegangen und sie hatten sich leidenschaftlich geküsst. So hatte zumindest Tim diesen Moment interpretiert. Er schien kein besonders guter Küsser zu sein, denn Jasmin hatte dann doch gemerkt, dass sie auf Frauen steht. Jasmin und ihre Freundin wollen bald ein Kind adoptieren.

Mittlerweile war seine Frustration erschreckend groß geworden. Er gönnte den Frauen ja ihr Liebesglück und freute auch sich für sie, aber er selbst blieb stets alleine. Seine Gabe anderen ungewollt zu ihrem Happy End zu verhelfen war gleichzeitig ein Fluch niemals selbst die große Liebe zu finden! Infolge dessen, gab er sich auch immer weniger Mühe, Gespräche verliefen nun oft im Sand und über Smalltalk kam es kaum noch heraus.

Dann, eines Tages, schrieb ihm Saskia.
Ein schlichtes Hi von ihr weckte Tim aus seiner Lethargie.
Aufgeregt studierte er ihr Profil. Sie war Hauswirtschafterin in einem Pflegeheim und las gerne Bücher. Kochen und Backen machte ihr Spaß. Ihre Nase war ein wenig zu groß und sie hatte ein paar Kilos zu viel auf ihren Hüften für seinen Geschmack. Sie war nicht hässlich, absolut nicht, doch ihr fehlte das gewisse Etwas.
Tim war überrascht und beeindruckt wie sie die Initiative übernahm. Sie stellte ihm viele Fragen und hielt ihr Gespräch stets am Laufen. Eine erfrischende Abwechslung, da er den Frauen üblicherweise immer alles aus der Nase ziehen musste.
Sie wollte jedes noch so kleine Detail über seine Arbeit wissen und machte ihm einige Komplimente. Ihr Interesse schmeichelte ihm enorm.
Die beiden schrieben eine ganze Weile Nachrichten hin und her, dann fragte sie ihn irgendwann ganz offen nach einem persönlichen Kennenlernen.
Sie wollte ein Date mit ihm!
Wenn er so darüber nachdachte, dann wollte er eigentlich keine Rendezvous mit ihr, aber er kannte ihre Situation nur zu gut. Sie hatte all ihren Mut zusammen genommen und nach einem Date gefragt, sie wartete nun verunsichert auf seine Antwort, eine Ablehnung würde sie sicher verletzen.
Also stimmte er einer Verabredung zu. Es wurden gar drei daraus. Sie hatten einen schönen Spaziergang miteinander, sie waren zusammen essen gegangen und sie waren im Kino gewesen.
Tim erkannte, dass sie einige Gemeinsamkeiten hatten und er sich gut mit Saskia unterhalten konnte.
Kurze Zeit später lud sie ihn zu ihr nach Hause ein. Sie wollte etwas kochen und anschließend würden sie noch zusammen einen Film schauen. Wieder sagte Tim zu, auch wenn er nicht gänzlich von ihr überzeugt war.
Als sie ihm die Tür öffnete, strahlte sie Tim regelrecht entgegen. Sie hatte ihre Haare aufwändig zurecht gemacht, das sah er sofort. Sie hatte sich zahlreiche Locken eingedreht.
Er trat ein. Der Tisch war bereits gedeckt.
Zur Vorspeise gab es ein Weißweinsüppchen, darauf folgte ein schmackhafter Zwiebelrostbraten und ein grüner Salat mit einem perfekt abgestimmten Dressing. Den Abschluss machte ein köstliches Schokomouse als Dessert. Tim hatte schon lange nicht mehr so köstlich gesessen und ihm wurde klar, dass Saskia sicher einige Stunden in der Küche gestanden haben musste um diese leckeren Speisen zu zaubern.

Anschließend verlagerte sich das Geschehen auf ihre bequeme Couch. Sie schaltete eine romantische Komödie ein und nahm neben Tim Platz. Er bemerkte wie sie immer wieder ihren Blick vom TV-Gerät zu ihm schweifen ließ. Er tat so, als würde er es nicht bemerken und konzentrierte sich ganz auf den Film.

Irgendwann rutschte sie näher zu ihm und griff nach seiner Hand. Tim war zu perplex um sie wegzuziehen und eigentlich wusste er auch gar nicht, ob er die Berührung nun angenehm finden sollte oder nicht.

Saskia schloss die Augen und näherte sich mit dem Kopf und spitzte die Lippen. Es war offensichtlich, dass sie von Tim geküsst werden wollte.
Sollte er sie küssen? Sie hatte sich so ins Zeug gelegt und es schien als würde sie sich nichts sehnlicher wünschen. Es war das, was man von ihm erwarten würde, nachdem sie das alles für ihn getan hatte.
In diesem Moment sah Tim ihre gemeinsame Zukunft. Sie tat alles für ihn, himmelte ihn unentwegt an, während er alles wie selbstverständlich hinnahm. Er kaufte ihr einen billigen Blumenstrauß von der Tankstelle und schenkte ihn ihr zum Geburtstag, wenn er denn überhaupt daran gedacht hatte. Sie freute sich riesig über diese Geste.
Er sah sie gemeinsam in einem großen Ehebett liegen. Sie hatte sich von der Seite an ihn herangekuschelt und ihren Kopf auf seiner Brust abgelegt. Sie schlief friedlich während Tim wach lag und die Raufasertapete an der Decke anstarrte. Er dachte an all die Frauen, denen er so vergeblich nachgejagt hatte. Wieso hatte es nie mit den Franziskas, Luisas, Verenas und Denises geklappt? Wieso lag er hier mit Saskia anstatt mit Jasmin?
Saskia war ein Trostpreis, ein Kompromiss weil es einfach nicht für den Hauptgewinn gereicht hatte. Sie war Feuer und Flamme für ihn, doch er verspürte lediglich ein kleines Fünkchen Interesse an ihr.
Es war nicht fair! Die Interessen waren nicht ausgeglichen. Sie war ein guter Mensch. Sie hatte es nicht verdient der Trostpreis zu sein! Sie verdiente einen Mann, der sie ebenso verliebt ansah, wie sie ihn ansah. Sie verdiente es auf Händen getragen zu werden.
Tim konnte das nicht, er würde es auch niemals können!

„Es tut mir leid, aber ich kann das nicht", sagte er zu ihr, „Du bist eine tolle Frau, aber ich hege keine romantischen Gefühle für dich. Ehrlich, ich wünschte es wäre so. Ich wünschte ich könnte dir bieten, was du verdienst!"

In ihren kleinen Augen spiegelte sich Enttäuschung und Frustration. Sie hatte sich so sehr bemüht. Eine Träne kullerte über ihre Wange. Ihr trauriger Blick zeugte davon, dass sie sich große Hoffnungen gemacht hatte und Tim diese eben zerstört hatte.
Er wusste wie sie sich gerade fühlte. Er kannte das miese Gefühl der Zurückweisung nur zu gut, denn für gewöhnlich war er es, der diese Worte zu hören bekam. Der andere zu sein war ungewohnt für ihn, doch es fühlte sich mindestens genauso schrecklich an!

„Es ist okay", antwortete Saskia leise und mit zittriger Stimme, „Man kann es eben nicht erzwingen. Es tut mir leid, ich hätte dich nicht in so eine unangenehme Situation bringen dürfen!"

„Ich sollte jetzt besser gehen. Danke für den Abend! Ich weiß wie viel Mühe du dir gemacht hast und weiß das alles zu schätzen. Mach's gut!" Tim wollte nur noch weg, weg von dieser unangenehmen Situation. Saskia hatte es durchaus richtig benannt. Er stand auf und ging. Er ergriff die Flucht und ließ Saskia mit einem gebrochenen Herzen zurück.

Dieser Abend blieb ihm noch lange Zeit im Kopf. Er hatte ihn verändert. Tim hatte erstmal genug vom Dating. In der Liebe gab es nur Verlierer! Er ließ es bleiben und löschte alle Datingapps.

Kurz darauf fing eine neue Doktorandin am Institut an. Ihr Name war Melanie. Man hatte Tim die Aufgabe zugeteilt ihre Forschung zu betreuen und zu unterstützen. Sie hatten von Beginn an einen Draht zueinander. Es machte ihm Spaß mit ihr zusammenzuarbeiten. Auch privat schwammen sie auf einer Wellenlänge. Sie redeten stundenlang über die belanglosesten Dinge und lachten viel. Tim bemerkte wie Melanie einen immer größer werdenden Teil in seinem Leben einnahm. Er fühlte sich wohl bei ihr und genoss jede Sekunde mit ihr. Die Art wie sie ihn ansah, verzauberte ihn. Melanie faszinierte ihn auf eine Weise, die er weder verstand noch begreifen konnte. Sie unterlag keinen wissenschaftlichen Gesetzen.

Als sie sich schließlich das erste Mal küssten, wusste Tim, dass er mit Melanie nun endlich seine große Liebe gefunden hatte. Es passte einfach mit ihr, so als seien sie wie füreinander geschaffen. Sie war seine Seelenverwandte! Sie war die Frau, nach der er so lange verzweifelt gesucht hatte. Erst als er aufgehört hatte nach ihr zu suchen, hatte er sie gefunden. Paradox, nicht wahr?

Tim bemerkte, dass nicht er die letzte Niete gewesen war, sondern Saskia. Er wüsste nur zu gerne, was aus ihr geworden war, doch er hatte ihr das Herz gebrochen und sie hatte ihn anschließend auf allen Kanälen geblockt, sodass eine Kontaktaufnahme unmöglich geworden war.

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