ROKU
ASAKA
Die Eisprinzessin, die sich nach Wärme sehnt. Die Eisprinzessin, die ihren Schal weggibt.
»Meinst du, er wird noch einmal etwas von sich geben, was nicht ähm ... dumm ist?«, überlegte Asaka laut. Bisher war das schließlich nicht der Fall gewesen. Sie begutachtete den blutüberströmten Körper und erschauderte. Kammerwasser lief aus seinem rechten Auge. Dass er mittlerweile nur noch einige Fetzen am Leib trug, machte die Sache nicht besser. Sie wünschte sich, dass der Stoff zumindest sein bestes Stück bedecken würde.
Kankuro war in die Hocke gegangen. Ihm schien es zu gefallen, wie sehr der andere Mann litt. Ein gehässiges Lächeln hatte sich auf seinen Zügen breit gemacht. Die behandschuhte Hand nach dem Kerl ausgestreckt, tippte er gegen einen der Eissplitter. Als dieser verrutschte, kreischte ihr Verfolger auf und spuckte dem Suna-Nin ins Gesicht ... also er versuchte es, aber er bekam seinen Kopf nicht weit genug zu ihm herumgedreht. Sein Speichel traf stattdessen einen Grasbüschel. Er fluchte.
»Du wirst uns nicht von allein sagen, wer dein Auftraggeber ist, richtig?« Grimmig schaute der Marionettenspieler drein. Das hieß, dass sie es allerhöchstens mit Gewalt versuchen könnten.
»Warum sollt' ich mit ner geschminkten Schwuchtel sprechen? Die Scheiße ist nur was für Fra...« Er wurde jäh unterbrochen, als Kankuro etwas stärker gegen einen Splitter am Rücken klopfte, darauf bedacht, sich nicht selbst in den Finger zu schneiden. »FUCK! DANN BEHALT DOCH DEINE HÄSSLICHE PUTE ... SIE IST WERTLOS. ICH WILL SIE EH NICHT MEHR! ICH HÄTT' IHR MIT NEM FICK WAHRSCHEINLICH SOGAR NEN GEFALL'N GETAN!« Die Kunoichi sah, wie sich die Muskeln des Suna-Nins anspannten, die Zähne fest aufeinandergepresst. Eine Zornesfalte grub sich in seine Stirn. Er konnte dem Kerl nicht an die Gurgel gehen, weil da die Scherben waren. Aber es kostete ihn Kraft, es nicht doch einfach aus Prinzip zu tun.
Dann wandte er sich ab, sah zu seiner Teampartnerin hoch. »Ich glaub, wir kriegen nichts aus ihm heraus.« Wer sagt das? Ehrlich gesagt berührte es die junge Frau aber, dass er wegen ihr um seine Beherrschung rang. Weil der Typ den Großteil der Zeit über ekelhafte Sachen zu ihr sagte. Sie war Kankuro also nicht ... egal. Irgendwie. Trotzdem mussten sie vorrangig an die Mission denken.
»Denk' dran, wir sind Shinobi. Wir dürfen uns nicht von unseren Emotionen ablenken lassen.«
»Ja. Deshalb lebt er noch.« Diesen gereizten Tonfall legt er sonst nur an den Tag, wenn sein kleiner Bruder in Gefahr schwebt. An ihren Verfolger gerichtet: »Dich wird's sowieso demnächst erwischen. Ich mag dieses Möchtegern-Gehabe nicht. Ich kenn' auch keine Frau, die darauf steht.« Pause. »Ich erklär' es mir so: Dein Auftraggeber kann dir keine nützlichen Informationen anvertraut haben, weil du für ihn nichts weiter als ein Laufbursche bist. Wenn du aber doch, entgegen meiner Vermutung, etwas Brauchbares weißt, dann wurde diese Information mit einem Genjutsu versiegelt. Es wäre ein Test. Käme ich an diese Information heran, würde ich deinem Auftraggeber sogar in die Karten spielen. Er wüsste, dass ich einen Genjutsu-Experten im Team hab, oder selbst einer bin. Am Ende warten zwei Fallen auf mich. Ich wähl' die, die mir weniger mit ihrem Gerede auf die Nerven geht.«
»Höh ...«
»Asaka?« Eine als Frage getarnte Aufforderung. Es schien, als hätte der Marionettenspieler endgültig die Geduld verloren.
»Ich darf also?« Bisher hatte sie sich zurückgehalten. Sie hatte sich fast daran gewöhnt, dass sie sich öfter mit solchen Typen auseinandersetzen musste. Es war leichter, jemanden umzulegen, den man sowieso nicht mochte. Mit dem anderen Szenario war Asaka in ihrer Shinobi-Laufbahn zum Glück noch nicht konfrontiert worden.
»Es ist deine Show.« Was der Suna-Nin widerwillig zugeben musste. Er war wieder aufgestanden und hatte quasi das Feld für seine Teampartnerin geräumt.
Die Kunoichi schmunzelte. Vielleicht konnte sie Kankuro so etwas aufheitern. »Ganz schön großzügig von dir!« Auf ihre Vorführung bezogen: »Hat sie dir denn bisher gefallen?«
»Sehr sogar.« Sie hatte sein süffisantes Grinsen vermisst. Wie sehr sie es wohl vermissen würde, wenn sie erst einmal wieder Zuhause wäre ... Und nicht nur sein Grinsen würde ihr fehlen. Sie schloss Kankuro von Tag zu Tag mehr ins Herz. Mit ihm war irgendwie alles ... schön, oder zumindest weniger hässlich. Er hatte dieses gewisse Etwas. Würde sie hinfallen, dann war sie sich sicher, dass er ihr wieder aufhelfen würde. Und wenn nicht, dann würde sie ihn mit zu Boden reißen. Nicht, ohne ihm einen frechen Spruch an den Kopf zu werfen
Sie widmete sich wieder ihrer Aufgabe und formte mit ihren Fingern das letzte benötigte Zeichen. Dazu gesellte sich ein grässlicher Schrei, der noch weiter angehalten hätte, wenn nicht just in diesem Moment die Stimmbänder des Mannes durchtrennt worden wären. Aus dem panischen Laut wurde ein Gurgeln, als sich Blut in seinem Mundraum ansammelte. Ein Eissplitter schoss aus seinem Nacken hervor, den Asaka in beide Richtungen verlängerte. Das eine Ende bohrte sich in den Boden, während das Andere emporragte. Sie hatte den Mann von innen heraus aufgespießt — abstrakte Kunst.
Danach herrschte kurzzeitig Ruhe. Himmlische verdiente Ruhe. Ehe Asaka — einen großen Bogen um die Leiche nehmend — dorthin ging, wo sie ihre Vorräte ausgebreitet hatten. Es hätte zu viel Zeit gekostet, alles wieder einzupacken. Sie setzte sich in den Schneidersitz. Kankuro gesellte sich dazu. Seine Überlegung mit dem Genjutsu klang plausibel. Anders hätte sie sich die Situation auch nicht erklären können. Ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatten, war eine andere Frage. Der Suna-Nin besaß Temperament, aber er schien verschiedene Optionen in seinem Kopf durchgegangen zu sein.
»Mist, jetzt haben wir gar nicht herausgefunden, wie er uns nachgestellt hat.« Asaka trank einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche mit integriertem Filter. Diese war nur noch zur Hälfte gefüllt. Flasche 1 von 2 für den Tag. Außerhalb der Wüste musste sie sich häufiger ans Trinken erinnern.
»Er hat uns aus der Luft beobachtet. Eventuell mit Hilfe eines Kuchiyose no Jutsu. Aber krass, dass dir bei dem Anblick nicht der Appetit vergangen ist«, kommentierte er ihren Biss in eines der belegten Brote.
»Dir etwa? Ich könnte mir kein besseres Essen und auch keine bessere Aussicht vorstellen. Wirklich nicht.«
Er prustete los. »Deswegen starrst du die ganze Zeit zu ihm herüber ...«
»WAS, NEIN!« Entrüstet legte sie das Brot zur Seite. »Sag mir, wohin soll ich denn sonst schauen? Ich guck nicht gern auf den Boden.«
»Musst du auch gar nicht.« Seine Stimme war leiser geworden. Sein Blick haftete auf ihr. »... aber dein Brot wird nicht leckerer, wenn du es in den Dreck legst.« Ich verstehe.
Mittlerweile erwiderte sie seinen Blickkontakt. Er hatte wirklich schöne Augen. Dazu die wohlgeformten Augenbrauen ... und sie mochte ihn. Tatsächlich. In solchen verrückten Situationen eventuell sogar noch ein kleines bisschen mehr. Weil er ihr in egal was für einer Situation ein gutes Gefühl gab. Was würde passieren, wenn sie sich jetzt n-näher zu ihm heransetzten würde? Sie spürte, wie die Röte ihre Wangen emporkroch. Auch er war ein wenig rot geworden, aber keiner von ihnen überwand, den Sicherheitsabstand. Vielleicht war jetzt der richtige Moment gekommen, um nochmal richtig nach seiner Gesichtsbemalung zu fragen. »Weißt du, du hattest mich ja mit offenen Haaren gesehen und ich ...«, stammelte die Kunoichi so vor sich hin. Ein leichtes Kribbeln im Bauch. Lag es an seinen Augen? Seiner Präsenz? Seit wann war sie so schüchtern, wenn sie einem Mann eine einfache Frage stellte? »Ich bin mir sicher, dass du ein ganz tolles Gesicht hast — mit oder ohne Schminke.« Ihr Lachen war eine Spur zu laut. Nervös legte sie einen Finger an die Lippen, wippte auf ihrem Platz auf und ab.
Kankuro schminkte sich immer dann ab, wenn Asaka nichts davon mitbekam. Er ging wahrscheinlich ungeschminkt schlafen, aber beim Antritt seiner zwei Nachtschichten, saß das Make-up wieder perfekt an Ort und Stelle. Fast schon, als hätte er sich die Farbe in Wahrheit tätowiert. Zu der Theorie passten aber nicht die dutzenden Variationen seiner Gesichtsbemalung. Er hatte seine paar Favoriten, zwischen denen er regelmäßig wechselte. Asakas zwei Lieblinge waren mit dabei.
»Es ist noch nicht Zeit für's Finale«, war seine gelassene Antwort darauf, die von einem charmanten Grinsen begleitet wurde.
»Aber du wirst mich demnächst in dein Geheimnis einweihen, oder?«
»Da ist aber jemand ziemlich neugierig, huh?«
»Wärst du auch, wenn du nicht einfach in mein Zimmer hineingeplatzt wärst. Das Anklopfen hat's nicht besser gemacht.« Sie hielten immer noch den Blickkontakt aufrecht. Würde sie sich wehren, wenn er jetzt ...
»Die meisten Leute sagen, dass ich wie mein Vater aussehe.« Sein Tonfall war ernster geworden. »Der alte Mann hat vielleicht viel für Suna getan, wäre da nicht der ganze Mist, den meine Geschwister und ich — wegen ihm — hatten durchmachen müssen. Insbesondere Gaara. Weil ich in den schlimmsten Jahren mental nicht zu ihm durchdringen konnte, möchte ich ihm jetzt erst recht zeigen, dass seine Geschwister für ihn da sind. Dass Familie auch Zusammenhalt bedeuten kann, selbst wenn man sich vielleicht zwischendurch mal streitet ... Ich mein, Gaara hat mir auch schon den Tod angedroht und Temari macht das gefühlt ständig, aber das sind Dinge, die ich verzeihen kann, weil ich meine Geschwister liebe.« Er holte tief Luft. »Komisch oder? Ich erzähl' dir immer mehr, als ich dir eigentlich erzählen will.« Ein Schulterzucken. »Du machst wohl irgendwas mit mir.«
Im Herzen war er ein wirklich guter Mensch, der keine schlechten Absichten hatte. Das zeigte er ihr immer wieder. Fühlte sie sich deshalb so geborgen in seiner Nähe? Weil sie ihm vertrauen konnte? Und er vertraute ihr auch. Selbst, wenn es um solche intimen Gedanken ging. »Kankuro?« Sie wartete, bis sie sich soweit gefasst hatte, dass ihre Stimme wieder fest klang. »Für mich siehst du nicht aus, wie dein Vater. Selbst, wenn ich noch kein Foto von ihm gesehen hab. Du kannst als Mensch noch so schön sein, aber wenn du das nicht auch von innen heraus ausstrahlst ist es, als würd' man eine Pflanze nicht gießen, obwohl sie Wasser braucht.«
»Oh ...«
»Und die Leute, die dich mit deinem Vater vergleichen, würden Unterschiede erkennen, wenn sie einmal genauer hinschauen würden. Definitiv.«
»Asaka ... i-ich ...«
»Du bist ...«
»Du auch.«
»Ich weiß.«
»DEIN ERNST? Asaka!« In der ersten Sekunde befürchtete sie, dass er das belegte Brot nehmen würde, um es ihr mit aller Kraft ins Gesicht zu schleudern. Aber könnte er wirklich so grausam sein? Bis sie wieder baden konnte, würde viel zu viel Zeit vergehen und ihre Haare würden in der Zwischenzeit fürchterlich aussehen. Ein Anblick, der auch ihm nicht gefallen dürfte. Nur weiß er das noch nicht.
Für die junge Frau gab es eine einzige Chance, um das nahende Unheil noch rechtzeitig abzuwenden: sie musste das Gespräch irgendwie in Richtung gemeinsame Mission lenken. »Also wir essen jetzt noch was und dann hab ich den Blutgeruch aber wirklich satt.« Sie kicherte. Auf ein schlechtes Wortspiel musste er doch einsteigen. Das war DIE perfekte Vorlage. Außerdem stand er auf diese Art von Wortspiel. Komm schon, Kankuro!
»Netter Versuch.« Eingeschnappt hob er ihr Brot auf, drehte und wendete es im Sonnenschein. »Du kannst es essen. Sieht noch okay aus. Vorausgesetzt du stehst auf Schmutz und Parasiten.« Der Suna-Nin verzog das Gesicht.
»Hilfe, du ekelst mich an!« Wenn das stimmt, dann hat er es gerade angefasst ...
»Eben war ich noch du-weißt-schon.« Verdammt!
»Du darfst dich geehrt fühlen, dass eine Frau wie ich, dir was gegeben und nicht nur was von dir genommen hat.«
»Dann geb' ich dir was zurück.« Sie schloss die Augen und stellte sich ihrem Schicksal. Malte es sich aus, wie es sich anfühlen würde, wenn der Belag ihr Gesicht berühren und dann so daran herablaufen würde und ... Aber entgegen all ihrer Mutmaßungen, legte er ihr ganz vorsichtig ein frisches Brot in die Hand. Dabei berührten sich ihre Finger rein zufällig. Der Moment hielt viel zu kurz an, war dafür aber intensiv. Kankuro aß ihr altes Brot und verzog dabei keine Miene. »Ist wirklich noch okay«, meinte er dann.
Sie schenkte ihm ein aufrichtiges breites Lächeln. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein, dass das Essen jetzt besser schmeckte, weil er es ihr in die Hand gedrückt hatte. Mit sowas bekam man sie. Kleine Aufmerksamkeiten, die ihr kaltes Herz zum Schmelzen brachten. »Danke, dass du dich für mich opferst.«
»Kein Ding. Nur denk' nicht, dass das jetzt jedes Mal so läuft.« Er grinste. »Wir werden wohl eine Zeit lang unter einem Dach leben. Daran schon mal gedacht?« Tatsache. Sie würden sich bei ihrer Ankunft eine möglichst abgelegene Unterkunft suchen, damit sie in Ruhe planen konnten. In etwa, als würde man mit einem guten Freund das erste Mal gemeinsam in den Urlaub verreisen, nur war dies kein Urlaub, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit eine A-Rank-Mission. Sie müssten sich irgendwie miteinander arrangieren, da sie sich erst ein Bild von ihrer Umgebung machen wollten, bevor sie konkretere Ermittlungen anstellten. Wie verhielten sich die Dorfbewohner? Sollte es zu einem Kampf kommen, welche Vorteile könnten sie aus ihrer Umgebung ziehen? Wie sendeten sie — bei Komplikationen — ein Signal nach Sunagakure? Da die Angelegenheit hochbrisant war, durften sie sich keine Fehltritte erlauben. Sie hatten den Kerl nicht befragt. Eventuell war das schon ein Fehler gewesen, dann mussten sie aber erst recht aufpassen, dass keine Weiteren folgten. Und es gab Schlimmeres, als sich mit Kankuro eine Behausung zu teilen.
»Klar. Und dann kann ich mich endlich wieder richtig um meine Haare kümmern.« Um zu verdeutlichen, wie wichtig ihr das war, umarmte sie sich selbst. Dann nahm sie das Ende ihres Flechtzopfes zwischen zwei Finger. »Schau', die Spitzen sehen irgendwie traurig aus.«
»Ich seh' nichts.«
»Wart' ab, das kommt mit der Zeit!« Ihre Laune war schlagartig am Höhepunkt angekommen, als sie an ein sauberes Badezimmer dachte und frisch gewaschene Handtücher und ein bequemes Bett. Vielleicht gab's auch eine Sauna und ... Sie strahlte bis über beide Ohren und der Suna-Nin schaute sie an, als würde irgendwas nicht mit ihr stimmen. »Also ich bin jetzt absolut aufbruchsbereit und voller Motivation und die Sonne scheint. Das tut sie in Kirigakure eigentlich so gut wie nie, dabei ist Sonne so wohltuend.«
»Asaka?«
»Ja?«
Ein wenig verlegen schaute ihr Teampartner auf seine Hände. »Ich hätte irgendwie nicht damit gerechnet, dass du dich so sehr darüber freuen würdest. Also über das befristete Zusammenleben mit mir.«
»Warum nicht? Du lässt mich doch morgens zuerst ins Bad, oder?«
»DAS schauen wir vor Ort.« Er lachte. »Weil du brauchst bestimmt keine fünf Minuten.« Ertappt presste die Kunoichi die Lippen aufeinander. »Hab' ich recht?«
Asaka ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ja. Leider. Verdammt.«
»... unter einer Bedingung, lass' ich dir aber den Vortritt.«
»Und die wäre?«
»Verrat' ich dir später.«
»Das war so offensichtlich ...« Sie seufzte.
—
Auf ihrem weiteren Weg hatte sie niemand mehr verfolgt. Es war kälter geworden, was insbesondere Kankuro zu schaffen machte. Die Sonnenstrahlen wurden von dichten Nebelschwaden verschluckt, der Boden verlor immer mehr an Festigkeit, was das Vorankommen maßgeblich erschwerte. An Asakas Schuhen und Beinen klebte Schlamm, der beim Trocknen Klumpen bildete. Mit der Entfernung kam sie nicht hinterher. Sie würde warten müssen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Mehr als drei Stunden dürften es hoffentlich aber nicht mehr sein. Kamen sie an einem Rinnsal oder Bach vorbei, war das Wasser getrübt. Darin würde sie garantiert nicht baden. Desto weiter sie voranschritten, desto toter wirkte die Gegend. Die Bäume verloren ihre Blätter, alle Farben trug der Wind hinfort. Zwischendurch erklangen noch ein paar verhaltene Tiergeräusche. Krähen, die sich auf den kahlen Ästen niederließen und nach frischer Beute Ausschau hielten.
Die Kunoichi bemerkte, dass Kankuro zitterte. Auch war er die letzte Zeit über ziemlich still gewesen. Sie befürchtete, dass er sich erkälten würde, weswegen sie aus ihrem Gepäck einen Schal hervorkramte. »Hier. Der war eigentlich für mich gedacht gewesen, aber du kannst ihn im Moment — glaub' ich — besser gebrauchen.« Dankend nahm er das Stück Stoff entgegen. Immerhin stand ihm Moosgrün. Und selbst wenn nicht, bevor er krank wurde ...
»Jetzt weiß ich, warum du dich in Kirigakure nicht wohlfühlst. Da ist es doch mindestens genauso kalt.«
»Teilweise noch kälter. Einige Mitglieder des Yuki-Clans sollen sogar bedingte Kontrolle über's Wetter gehabt haben. Sei froh, dass ich keinen Schnee erschaffen kann und mein Eis sich mehr wie Glas verhält.« Sie war aber auch nicht der größte Fan von Schnee. Nur wäre es trotzdem schön, wenn sie zumindest einmal gesehen hätte, wie andere Mitglieder ihres Clans ...
»Und du hast wirklich gar keine Erinnerungen an deine leiblichen Eltern?« Er fragte und rechnete mit keiner Antwort. Sie brauchte ihm nicht extra erklären, dass das ein sensibles Thema war. Es war etwas Anderes, wenn man seine Eltern kannte, und dann realisierte, dass der Vater ein Schlechter gewesen war, als wenn man nicht einmal wusste, wie dieser überhaupt aussah. Es war dadurch nicht weniger schlimm, aber anders. Vielleicht wäre Asakas Vater ein guter Vater gewesen, was er aber nie hatte unter Beweis stellen können. Es gab nichts zum Vermissen, doch manchmal schmerzte genau DAS am Meisten.
»Nein. Ich weiß nur, dass ich die Haare und Augen von meiner Mutter geerbt haben soll und sie mich kurz vor ihrem Tod entbunden hat. Manchmal frag' ich mich, warum man ein Kind in die Welt setzt, wenn man doch weiß, dass es dieses nicht leicht haben wird und man es gegebenenfalls nicht ... zu Ende lieben kann. Verstehst du?« Sie schluckte. In ihre Stimme hatte sich Trauer gemischt. Ihre Pflegefamilie hatte sich gut um sie gekümmert und es ihr ermöglicht, dass sie mittlerweile halbwegs sicher leben konnte, doch sie hatte eine Zeit lang nur mit Begleitung auf die Straßen gedurft. Dabei war sie keine Prinzessin, die Personenschutz brauchte. Vor allem, musste sich eine Prinzessin selten vor ihren eigenen Leuten in Acht nehmen. Dass es für sie so laufen würde, hatten ihre leiblichen Eltern doch auf dem Schirm gehabt, oder? Eine Frage, über die sie als Shinobi nicht nachdenken durfte, weil sie niemals eine ehrliche Antwort auf sie bekommen würde. Vielleicht wurde sie aus tiefster Liebe gezeugt, vielleicht war es aber auch nur ein Unfall gewesen. Ihre Mutter hatte das Kekkei Genkai in sich getragen und eventuell ganz viel gebetet und gehofft. Zeiten änderten sich. Manchmal. Selten plötzlich.
»Das Leben eines Shinobi ist nicht einfach. Aber die Besten sind immer die, die in ihrem Leben am Meisten gelitten haben. Möglicherweise solltest du zu den Besten gehören, was aber niemals all das Leid rechtfertigen würde.«
»Kann schon sein. Ich weiß, ich sollte nicht so sentimen...«
»Asaka, es ist okay.«
Nicht, wenn sie damit die Mission gefährdete. Sie befanden sich in der Nähe von ... ein Ort, an dem die Menschen gefühlskalt sein konnten. Und sie war als Kiri-Nin ein Teil davon. Ein Teil der gefühlskalten Masse — die Eisprinzessin, die sich insgeheim nach Wärme sehnte und ihren Schal weggeben hatte. Die Eisprinzessin, die sich nicht übergeben wollte, auch wenn der Würgereiz mit jedem weiteren Schritt zunahm.
Anmerkungen:
Fragwürdige Aussagen: Ich distanziere mich als Mensch/Person ganz klar von homophoben und sexistischen Aussagen. Beides habe ich aber mit eingebaut, damit die Situation authentischer wirkt, weil man sich vor Augen führen muss, in was für einer Welt die Charaktere leben und man zusätzlich auch noch bedenken muss, dass nicht jeder Mensch über den gleichen Bildungshintergrund verfügt. Dass es diesmal für die Person Konsequenzen gibt, ist in der Realität leider nicht immer der Fall. Und wenn ich schon dabei bin, dann möchte ich ebenfalls erwähnen, dass Make-up plus theatralisches Verhalten keine eindeutigen Indizien sind, die auf die Sexualität einer Person schließen lassen. Zumindest nicht eindeutig. Es kann gut sein, aber gerade bei Kankuro haben Make-up und Attitüde vor allem einen traditionellen Hintergrund. Das merkt man, wenn man sich näher mit dem Hintergrund seines Charakters beschäftigt.
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