NI
ASAKA
Wäre ich ein Vogel, würde ich danach fragen, ob ich meinen Käfig wie ein Zimmer wechseln kann.
»Soll das ein Witz sein?« Entgeistert starrte Kankuro sie an.
»Das frag ich dich. Meinst du, der Kazekage bekommt Angst, wenn ihm jemand mit einem toten Vogel und einem Blatt Papier droht? Nicht einmal eine Taube, oder irgendwas in die Richtung. Kein Symbol.«
»Nein, aber ...«
»Dann gibst du mir also recht?« Musik in Asakas Ohren.
Daraufhin ballte er auch die andere Hand zur Faust. »Verdammt!« Eine konkrete Antwort auf ihre Frage sah anders aus. Er schielte zur Tür. Eine Option war, sie einzutreten, um den Frust abzubauen. Blöd war nur, dass der Frust ein Wiedergänger war. Das hatte er wohl auch kapiert. Zumindest blieb die Tür intakt. Die Zähne fest aufeinandergepresst, wandte er sich der jungen Frau zu. Widerwillig. »Wahrscheinlich hast du recht.«
»Einer besonders mächtigen Person wird nicht auf so primitive Art gedroht, außer die Leute sollen genau das denken –, o wie primitiv!« Asaka hatte wieder nach dem Kamm gegriffen. »Stört es dich eigentlich, wenn ich ... ähm ... hier weitermache?« Für einen Augenblick war sie verlegen. Warum auch immer. Vielleicht, weil es nach wie vor für ihn ein sensibles Thema war. Auf der anderen Seite war es komisch für sie, dass er die ganze Zeit über sie und nicht die Kunoichi aus Kirigakure sah. Und gleichzeitig sah er quasi durch sie hindurch, weil was wusste er schon über sie?
Er weiß nicht Nichts. Er weiß aber auch nicht Etwas. Eine komplizierte Angelegenheit. Irgendwie.
Der Marionettenspieler, hatte realisiert, dass Stehen auf Dauer keine Option war. Irgendwann würde er sich doch den Kopf stoßen. Er setzte sich wieder zu Asaka auf den mit Tatamimatten ausgelegten Boden. »Ne, warum?« Nach einer Pause: »Ich wusste gar nicht, dass ich dich so sehr gestört habe. Deswegen warst du so fixiert auf das Stirnband gewesen.« Erneut dieses überhebliche Lächeln. Obwohl ihn die Situation offensichtlich belastete, ließ er wirklich keine Gelegenheit verstreichen. Und er hatte das verdammte Stirnband erwähnt. War das die Retourkutsche dafür, dass sie ihn zuvor mit unangenehmen Fragen gelöchert hatte? Ich wollte meinen Gewissenskonflikt noch eine Weile warten lassen ... Die Kunoichi hatte sich fälschlicherweise temporär in Sicherheit gewägt. Natürlich war Kankuro dieses Detail nicht entgangen. Trotz dessen war es beachtenswert, wie geduldig er auf diese Gelegenheit hingefiebert hatte, obwohl sein Temperament ihm auf halbem Weg in die Quere gekommen war. Er hatte sich in Teilen ihren Respekt verdient.
Asaka erwiderte das Lächeln und fügte ihm eine berechnende Note hinzu. Sie bekam seine Aufmerksamkeit. Wenn er sie in Bedrängnis brachte, dann würde sie noch einen oben drauf setzen müssen. Schließlich sollte er sich seiner Sache nicht zu sicher sein. Und er sollte auch nicht denken, dass sein Bruder das Einzige war, was sie gegen ihn in der Hand hatte. Der Status quo war, dass er in ihr Gesicht schaute. Auf ihre Lippen, um genau zu sein. Mit Glück sagte sie ja was zu dem Stirnband ... Ihre Philosophie war aber nicht, kampflos aufzugeben. Sie packte ihr Ass aus: Zwei Finger ihrer linken Hand klappten ein. Daumen, Zeige- und Mittelfinger zeigten mit der Spitze in die entgegengesetzte Richtung. Tairitsu no In: Siegel der Konfrontation. »In einem Kampf würdest du mich besiegen, huh? Dafür darfst du dich aber nicht so schnell ablenken lassen.«
Das Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht. »Hast du noch weitere Tricks auf Lager? Ein guter Shinobi erkennt, wenn sein Gegenüber blufft. Dafür mach ich mir nicht die Mühe.« Er zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer ...«
»Ja?« Wahrscheinlich lenkte er gleich wieder auf das eigentliche Thema zurück. Da Asaka im Begriff gewesen war, das Wortgefecht zu verlieren, kam ihr der Wechsel ganz gelegen. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis er erneut das Stirnband ansprechen würde. Und wenn er es nicht von selbst tat, dann würde sie ihm eine weitere Gelegenheit dafür geben. Rein rational betrachtet, tat sie sich mit der Geheimniskrämerei also keinen Gefallen. Jedes Ablenkungsmanöver war leicht zu durchschauen, wenn man erst einmal wusste, dass jemand von etwas ablenken wollte. Sie kannte seine Schwäche. Bald würde er ihre kennenlernen.
»Wie bereits erwähnt: Wir haben 90 Tage Zeit und wissen nicht, was genau danach passieren wird. Kann sein, dass der Täter die Tat erst ein Jahr später verübt. Oder er schlägt direkt am 90. Tag zu. Ich will auf jedes dieser Szenarien vorbereitet sein. Verstehst du, ich MUSS! Ziel dieser Mission ist es, den Unbekannten vorher zu identifizieren und dafür sind wir auf jeden noch so kleinen Hinweis angewiesen. Wir haben drei zu untersuchende Objekte: die Box, den Vogel und das Papier. Die Herkunft des Holzes und der Papierfasern wird ermittelt. Eine Übereinstimmung könnte ein erstes Indiz sein, ein Anhaltspunkt. Der Autopsiebericht für den Vogel ist zwar schon da, aber ich bin aufgebrochen, bevor ich einen Blick drauf werfen konnte. Ich bin dafür, dass wir uns den Bericht morgen gemeinsam anschauen.«
»Die Frage ist, was der Bericht uns sagen soll.«
Der Marionettenspieler fasste sich an die Stirn: »Würde in dem Bericht irgendwas Interessantes drin stehen, hätte man mich schon darüber aufgeklärt. Aber einen Versuch ist's wert. Viele andere Möglichkeiten gibt es im Moment nicht. Ach, und noch etwas ...« Er suchte offenbar nach den richtigen Worten.
»Hmm?«
»Der Rat von Sunagakure wird nicht gerade positiv darauf reagieren, wenn ans Licht kommt, dass du ein Kiri-Nin bist. Ich hab bisher nur mit meinem Bruder und ein, zwei anderen Personen darüber gesprochen.«
Die junge Frau verdrehte die Augen. Naiv von mir! Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht so einfach ein Teil von etwas sein kann, von dem ich kein Teil bin. »Hätte mich auch gewundert, wenn der Rat mich mit offenen Armen empfangen würde. Ich bin's gewohnt, nur geduldet zu werden.« Sie versuchte, locker zu klingen, ihn täuschte sie aber nicht. Fragend hob er eine Augenbraue. Asaka war sich darüber bewusst, dass jetzt der Augenblick der Wahrheit gekommen war. Es war das Beste fürs Team, wenn sie kurz auspackte. Außerdem war Kankuro nicht das Problem. Er hatte sie aufgesucht, obwohl sie ein Kiri-Nin war. Weil sie Asaka war.
»Ich bin in einer Pflegefamilie aufgewachsen und hab Privatunterricht bekommen. Für mich gab es keine Gelegenheit von jemanden zu lernen, der ebenfalls das Kekkei Genkai besitzt. Ich weiß nicht, was mit den restlichen Mitgliedern meines Clans passiert ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden sie von den Leuten getötet, die ich als Kiri-Nin beschütze. Weil ich mich als Shinobi dazu verpflichtet habe, diese Menschen zu beschützen. Ich stehe hinter meiner Entscheidung, aber ein bitterer Beigeschmack bleibt. Die Chunin-Auswahlprüfungen waren mein erster richtiger Kontakt mit anderen Genin gewesen.« Fragend blickte sie in sein markantes Gesicht. Suchte darin nach Verachtung, oder irgendwas in die Richtung. Schließlich hatte sie gerade preisgegeben, dass sie ihr Dorf eben nicht bedingungslos liebte. Dass sie nicht unbedingt stolz darauf war, ein Kiri-Nin zu sein. Sie fand aber nichts. Keine Verachtung. Das machte ihr Mut, mehr ins Detail zu gehen: »Über meine Teilnahme an den Prüfungen wurde zu Beginn viel diskutiert. Auf der anderen Seite hatte ich Potential. Selbst wenn sich die Lage mittlerweile soweit beruhigt hat, dass ich mich nicht mehr verstecken muss, spüre ich, dass ich nicht wirklich willkommen bin. Ich werde eben geduldet, weil ich nützlich bin.«
Das war sie also. Die Story, in der Hassliebe eine große Rolle spielte. Sie heulte deswegen nicht jeden Tag rum. Sie hätte jederzeit den Weg eines Nuke-Nin einschlagen können. Natürlich passte es ihr nicht, dass sie jetzt schon wieder mit dem Thema konfrontiert wurde, aber was hatte sie auch Anderes erwartet? Sie war kein Suna-Nin. Das Stirnband war ihr Zeuge, den sie unfreiwillig jedes Mal, wenn es zu Diskussionen kam, in den Zeugenstand berief.
Kankuro hatte ihr die ganze Zeit über aufmerksam zugehört. Als Bruder des Kazekage wird er solche Erfahrungen nicht gemacht haben. Was nicht hieß, dass er nicht andere Dinge erlebt hatte. Asaka hoffte, dass er ihren Konflikt irgendwie verstehen konnte. Wir sind jetzt ein Team. Seine Meinung ist mir nicht egal.
Stille. Die Kunoichi hatte sich weiter um ihre Haare kümmern wollen, aber sie saß wie paralysiert da. Nicht in der Lage dazu, ihren Arm zu heben. Die Strähnen rutschten zwischen ihren Fingern hindurch. Ihr Körper hatte sich also entschieden, nicht auf die Befehle ihres Kopfes zu hören. Dabei kannte sie die Geschichte doch schon in- und auswendig. Was sollte das? Ihre Gedanken überschlugen sich: Waren das zu viele Informationen gewesen? Hatte sie irgendeine Grenze überschritten? Oder irgendwas kaputtgemacht? Aber was hätte sie denn kaputtmachen sollen, wenn es noch gar kein richtiges Fundament für irgendwas gab?
Sein Blick hatte sich verfinstert. Warum gefiel Asaka dieser Ausdruck nicht? Klar, er war der Bruder des Kazekage. Bedingungslose Loyalität seinem Dorf gegenüber stand an der Tagesordnung. Kein Hinterfragen. Kein Zweifeln. Kein Beigeschmack. Wie es sich für einen guten Shinobi gehörte.
»Wenn das so ist, dann werd ich zuerst mit dem Rat sprechen. Für dich wird es hier in Suna keine Probleme geben.«
Pause. Ein Atemzug.
»... Das verspreche ich dir.«
»Oh ...«
»Ich hab das nicht gewusst. Sonst hätte ich das schon längst geklärt.«
Asaka glaubte, sich zuerst verhört zu haben. Mehr als ein vorsichtiges »D... Danke?«, brachte sie nicht zustande. Die Frau, die eigentlich nicht auf den Mund gefallen war, wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Damit hatte er indirekt klar gemacht, dass ihm etwas daran lag, dass sie sich hier in Suna wohlfühlte. Warum auch immer. Vermutlich nur eine nette Geste, weil sie ihn bei der Mission unterstützte und er ein Repräsentant Sunagakures war. Aber vorher hatte er sich doch auch keine großartigen Gedanken darüber gemacht, wie die Konfrontation mit dem Ältestenrat ablaufen würde. Dass es zu einer Konfrontation kommen würde, war für ihn ja absehbar gewesen. Ach ... keine Ahnung. Sie wollte nicht sentimental werden. Immerhin hatte sie sich für diesen Weg entschieden, obwohl es eine Alternative gegeben hätte. Fest stand: Er wusste nun Etwas.
»Wo wollen wir uns morgen überhaupt treffen? Auf dem Plan steht ja der Autopsiebericht und dann ... Ich wollte eigentlich nochmal ein wenig das Dorf erkunden. Vor allem jetzt, wo ich für eine Weile bleiben werde.« Der nächste Themenwechsel ging an Asaka. Realistisch betrachtet, würden sie erst dann Suna verlassen, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen waren und es für sie ein klares Ziel gab. Die Kunoichi musste sich rechtzeitig um eine Folgeunterkunft kümmern. Auf Dauer wäre ihr das Nötigste nicht genug. Dabei konnte sie Hilfe gebrauchen. Es schadete auch nicht, wenn sie vor der möglichen Abreise ihre Kampfstile aufeinander abstimmten. Sie nutzten unterschiedliche Werkzeuge und waren auf dieser Ebene kein eingespieltes Team, was sie im Extremfall aber sein mussten. Sie hatte ihm geraten, jemanden für diese Mission auszuwählen, auf den er sich blind verlassen konnte. Da er sie ausgewählt hatte, bedeutete das Arbeit.
Der Suna-Nin war sich darüber im Bilde. Er schlug vor, dass sie sich in der Früh wieder an der gleichen Stelle treffen könnten. Auf dem Weg zum Haus des Kazekage würde er ihr ein paar Orte im Dorf zeigen. Asaka hatte zwar nicht explizit darum gebeten, aber sie nahm das Angebot dankend an. Als hätte er ihre Gedanken gelesen: »Die Tage, die wir auf die Ergebnisse warten, sollten wir zusammen trainieren.«
»Mein Vorschlag.« Er war mittlerweile auf Schriftrollen angewiesen. Das war bei ihrer ersten Begegnung anders gewesen. Dagegen hatte sie auf den ersten Blick keine Fortschritte gemacht. Was nicht stimmte. Das Jutsu, mit dem sie Temari zur Aufgabe gezwungen hatte, war imperfekt gewesen. Ihre Geschwindigkeit hatte auch zu Wünschen übrig gelassen.
Kankuro grinste. »Ich zeig dir aber nicht direkt alle Tricks.« Nichts Anderes hatte sie von dem Shinobi mit der lila Gesichtsbemalung erwartet. »Eine gute Show lebt von Steigerungsmöglichkeiten.« Leider! Aber sie würde seinem Beispiel folgen.
Dann war es also abgemacht. Asaka hatte eine Mission. Fühlt sich irgendwie irreal an. Vielleicht, wenn sie eine Nacht darüber schlief ... Schlaf war allgemein ein gutes Stichwort. Es war immer noch der Tag der Anreise. Wenn sie ihre Abendroutine nicht einhielt, würde sie morgen nur schlecht aus dem Bett kommen. Ihrem Körper musste sie mindestens eine Woche geben, bis dieser sich richtig an das Klima gewöhnt hatte. Eine Woche war schon optimistisch. Vielleicht würden der Marionettenspieler und sie aber auch früher abreisen. Oder gar nicht. Je nachdem, wohin sie der erste Hinweis führen würde. Aber zuerst würde sie sich was zu Essen machen. Zum Glück war noch etwas von der Anreise übrig geblieben. Da Kankuro und sie alles Wichtige besprochen hatten, wurde es langsam Zeit für die Verabschiedung. So hatte sie sich ihren Aufenthalt in Kaze no Kuni nicht vorgestellt, aber sie konnte gut damit leben. Der Suna-Nin schien in Ordnung zu sein. Etwas, was sie über ihre ehemaligen Teampartner nicht sagen konnte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top