ICHI
ASAKA
Kaze no Kuni. Freiheit überfordert mich.
Asaka hatte zuerst ihre Unterkunft inspiziert: ein Futon und ein schlicht eingerichtetes Badezimmer mit Badewanne. Das Gästezimmer bot für den Preis das Nötigste. Auf einer Tatamimatte kniend, entknotete sie das Kirigakure-Stirnband – kurz durchatmen. Der graublaue Stoff mit der metallenen Plakette fühlte sich irgendwie ... heimisch an. Dann löste sie ihren Flechtzopf und begann damit, das hüftlange dunkelbraune Haar zu kämmen. Strähne für Strähne. Damit wäre sie eine Weile beschäftigt. Eigentlich war die Kunoichi hergekommen, um eine Freundin zu besuchen, die sie auf einer B-Rank-Mission kennengelernt hatte, allerdings war Tamako kurzzeitig etwas dazwischengekommen, und so musste Asaka sich die Zeit irgendwie anders vertreiben. Die Straßen von Sunagakure würde sie erkunden, sobald sie sich von den Strapazen der Reise erholt hatte. Sie war das Wüstenklima nicht gewohnt. Auch hatte sie sich einem Risiko ausgesetzt, weil sie ohne Begleitung angereist war. Dass ihr Kreislauf noch nicht an sein Limit gekommen war, lag mitunter daran, dass sie regelmäßig ihren Vitamin- und Mineralienhaushalt überprüfte. Die ganze Aktion hätte theoretisch komplett nach hinten losgehen können, aber für solche Fälle sparte sich die junge Frau immer einen Teil ihrer Kraft auf. So auch für die Person, die sich ihrer Zimmertür näherte. Ein Shinobi?
Da Tamako abgesagt hatte, erwartete Asaka keinen Besuch. Sie blieb dennoch gelassen. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass es in Suna irgendwen gab, der eine ernsthafte Bedrohung für sie darstellte. Im ersten Moment verkörperte sie die natürliche Schönheit, die andere Menschen unbedingt besitzen wollten. Im zweiten Moment aber hielt sie diesen Menschen den Spiegel von hinten vor: Makyou Hakuhyou.
Ein Klopfen. Na gut. Eigentlich hätte die Person auch warten können, bis sie mit ihren Haaren fertig gewesen wäre. Gleichzeitig bestätigte das Klopfen ihre Vermutung, dass keine Gefahr drohte. Dann musste es wohl wichtig sein, oder?
»Herein?« Ganz hatte sie es nicht geschafft, den genervten Unterton aus ihrer Stimme zu verbannen.
»Yuki … Asaka?« Das Erste was ihr auffiel, war, dass der eingetretene Shinobi nicht in ihr Gesicht, sondern auf ihre Hände schaute. Auf beide Hände. Er hatte bei den Chunin-Auswahlprüfungen also aufgepasst. Was Anderes hätte sie von dem Marionettenspieler aus Sunagakure auch nicht erwartet. Nur, dass er sich immer noch an dieses kleine Detail erinnerte, war bemerkenswert. Seine lila Gesichtsbemalung war weniger verspielt, betonte aber nach wie vor Mund und Augen, verlieh seiner Mimik eine gewisse Dramatik. Die Schriftrollen, die er mit sich herumtrug, zeigten, dass er sein Arsenal erweitert hatte.
Ehrlichgesagt hatte sie nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet Kankuro bei ihr auftauchen würde. Der Punkt ging an ihn. Sie waren nicht mehr als flüchtige Bekannte. Wie hatte er davon mitbekommen, dass sie sich für ein paar Tage in Suna aufhielt? Er musste im Vorfeld recherchiert haben. Aber wozu?
»Was machst du hier?« Die Kunoichi richtete sich auf. Ihr Kopf stieß fast an die Decke. Sie hatte den Kamm beiseitegelegt. Da der Suna-Nin konstant auf ihre Hände schaute, lag ein Teil seines Gesichts im Schatten. Immerhin bewahrte er sich so selbst davor, sich den Kopf zu stoßen. Auch war er aus gutem Grund wachsam. Schließlich hatte er ihr hinterherspioniert. Er müsste mittlerweile ebenfalls Jonin sein.
»Ich wäre nicht hier, wenn's nicht wichtig wäre.« Eine kurze Pause. Dann sah er ihr das erste Mal richtig in die Augen. »Der Kazekage hat eine Morddrohung erhalten.« Sein stechender Blick konkurrierte mit Ihrem. Nach einer Pause: »Gaara wurde gedroht.« Kankuro ging auf keine weiteren Details ein. Nur betonte er Gaaras Namen ... anders. Sein Bruder scheint ihm wohl so wichtig zu sein, dass er jegliche Vorsicht außer Acht lässt. Er präsentiert mir seine größte Schwäche auf dem Silbertablett. In einer Kampfsituation wäre ihm das zum Verhängnis geworden. Ist er sich dessen überhaupt bewusst, oder passiert das ganz automatisch?
Die junge Frau schlussfolgerte daraus: »Du bist also hier, weil du Hilfe brauchst? Meine Hilfe?« Sie setzte sich und bot ihm an, ihrem Beispiel zu folgen. Der Suna-Nin nickte und nahm ihr gegenüber Platz. Seine Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln. Er trug die traditionelle Kleidung eines Puppenspielers aus Sunagakure und versteckte seine Haare unter der schwarzen Kopfbedeckung, trotzdem ging er nicht in der Masse unter. »Weiß Temari, dass du hier bist?« Asaka hatte gegen Kankuros ältere Schwester bei den Chunin-Auswahlprüfungen kämpfen müssen. Für sie war das ein leichtes Spiel gewesen. Wie Temari die Niederlage wohl verarbeitet hatte ...
Er winkte ab. »Sie wird's früh genug erfahren.« Ein schmales Lächeln. »Ist vielleicht auch besser so.« Hatte er insgeheim gehofft, dass sie für den Start mit einem leichteren Thema um die Ecke kommen würde?
»Hmm ... interessant. Ich frag mich, warum sie dir dann nicht helfen kann. Ich bleib nicht mehr als ein paar Tage in Suna.«
»Ich weiß. Ich hab darüber bereits mit meinem Bruder gesprochen. Temari wird in Suna die Stellung halten. Es kann nur einer von uns beiden auf diese Mission gehen. Und auf keinen Fall darf sich im Dorf herumsprechen, dass dem Kazekage gedroht wurde.« Kankuro hatte sich im Vorfeld einen Plan zurechtgelegt. Die Kunoichi musste schmunzeln, weil er sich seiner Sache jetzt schon so sicher war. Sie hatte eigentlich nichts dagegen, mit ihm auf diese Mission zu gehen, weil das gleichzeitig für sie bedeuten würde, dass sie eine Weile in Sunagakure bleiben könnte. Kein Heimweh. Das musste er aber nicht direkt erfahren. Wenn sie es sich spontan anders überlegte, wollte sie ihm nicht bereits ihr Wort gegeben haben. Außerdem wollte sie wissen, wie sicher er sich seiner Sache wirklich war. Ein Test quasi.
»Das verstehe ich. Aber wir sprechen hier von einer Morddrohung. Wäre es da nicht sinnvoller, jemanden für diese Mission auszuwählen, auf den du dich blind verlassen könntest?«
Der Marionettenspieler seufzte. »Klar. Aber wir haben einen ähnlichen Kampfstil. Temari kennt alle meine Tricks. Wenn es danach geht, hätte sie den Kampf nicht verlieren dürfen. Ich hab gesehen, dass du mit einer Hand Fingerzeichen ausführen kannst. Dumm wäre es von dir gewesen, wenn du diesen Trumpf direkt zu Beginn ausgespielt hättest ...« Wenn sie es aus dieser Perspektive betrachtete, dann hatte er recht. Sie waren beide Strategen, die ihre Kämpfe wie eine Show inszenierten. Man startete die Aufführung nicht mit dem Höhepunkt. Selbst wenn das bedeutete, dem Gegner vorzeitig ein gutes Gefühl geben zu müssen. Sie tat dies in der Regel, indem sie bewusst beide Hände verwendete, oder komplexe Techniken auf ihre Basics herunterbrach. Zudem optimierte sie so ihren Energiehaushalt. Ihre größte Schwäche war immer noch ihr Durchhaltevermögen, da ihre Chakravorräte schnell erschöpft waren, weswegen sie ihrem Gegner immer einen Schritt voraus sein musste.
»In einem Kampf gegen mich wären dir aber trotzdem irgendwann die Tricks ausgegangen.« Huh? Damit hat er mich jetzt aber kalt erwischt. Das glaubte er doch nicht selbst, oder? Wobei er bei den Prüfungen wahrscheinlich sogar einen entscheidenden Vorteil gehabt hätte. Aber jetzt?
Das Spiel konnte sie auch spielen: »Zum Glück hab ich mich verbessert. Du auch, oder?« Sie probierte gar nicht erst, die Frage nicht wie eine direkte Provokation klingen zu lassen.
»Ich hab keine Gelegenheit verstreichen lassen.« Das Kinn leicht in die Höhe gereckt. Ego mit Ego bekämpfen. Stolz symbolisierte auch die lila Farbe in seinem Gesicht. Er kam aber wieder zum eigentlichen Thema zurück: »Das bedeutet trotzdem, dass ich jemanden in meinem Team brauche, der mir Deckung geben kann. Bestenfalls jemand, der das Fundament meines Ninjutsus versteht. Außerdem ist so gut wie niemand auf dein Kekkei Genkai vorbereitet. Man erwartet nicht von einem Meister des Marionettenspiels, dass er sich mit jemandem zusammentut, der Fuuton und Suiton zu Hyouton verbindet.« Jetzt hatte er es ausgesprochen. Die junge Frau hatte nur darauf gewartet, dass der Begriff Kekkei Genkai fallen würde. Allerdings hatte Kankuro es geschickt angestellt, weil er sie nicht darauf reduziert hatte. Das zeigte, dass er sich mit dem Fundament ihres Ninjutsus beschäftigt hatte. »Ich würd' dich nicht fragen, wenn's für mich eine Alternative gäbe.« Asaka glaubte ihm. Es ging um seinen Bruder. Da würde er sich vermutlich auch im Alleingang auf den Feind stürzen. Sein ganz persönliches Selbstmordkommando.
Asaka musste eine endgültige Entscheidung treffen. Er hatte angedeutet, dass ich mir um den Bürokratie-Kram keinen Kopf machen müsste. Stimmt das? Der Blick fiel auf ihr Stirnband. Ihre Finger strichen über den Stoff, stießen gegen das Metall. Sie wurde diesen ekligen Beigeschmack nicht los. Trotzdem war sie ein Shinobi. Sie erfüllte ihre Pflicht. Nur würde es sich schön anfühlen, einmal nicht auf der falschen Seite zu stehen.
»Schau, ich hab nicht mit einem solchen Besuch gerechnet.« Asakas Lippen formten einen Strich. »Du siehst, ich war beschäftigt.« Sie nahm eine Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger. »Diesen Anblick bekommen sonst nur enge Vertraute zu sehen. Ich glaub nicht, dass das ein Zeichen ist, aber wenn es eines wäre, dann ein bestimmt Gutes, hmm ...«
Kankuro fiel erst jetzt auf, dass er einen ungünstigen Zeitpunkt für seinen Besuch gewählt hatte. Der Suna-Nin wandte schuldbewusst den Blick ab. Er hat sich wirklich nur auf meine Hände fokussiert – verdammt! Und selbst wenn er ihr in die Augen schaute, dann sah er nur das, was in dem Moment wirklich zählte. Er war gut. Ein bisschen weniger oberflächlich als der Rest. Eventuell.
»Also ich bin dabei. Wer hat dem Kazekage gedroht? Jetzt kannst du ja alles offenlegen.« Sie klang optimistisch. So optimistisch war sie aber gar nicht. Ob das wirklich eine gute Idee war? Sie hätte vermutlich jedes Angebot dieser Art angenommen. Eine Entscheidung aus ... aus dem Herzen heraus. Aber zählte nicht Kopf statt Herz?
Ihr plötzlicher Elan irritierte ihn: »Ähm, wir wissen nicht, von wem die Drohung stammt. Das ist das Problem.«
»Quasi verdeckte Ermittlungen?«
Ein Grinsen. Aber nur ganz kurz. Asakas Finger krallten sich in den Stoff des Stirnbands. Täglich musste sie sich entscheiden, ob sie diesen Gegenstand hasste oder liebte. Es gab nur diese zwei Extreme. Leg es beiseite! Sie wollte dem Hass keinen Raum geben. Aufrichtige Liebe war es aber auch nicht. Kankuro merkte, dass etwas nicht stimmte. Ein fragender Blick aus seinen fast schwarzen Augen. Die Kunoichi gab sich einen Ruck. Sie kappte vorübergehend die Verbindung zu ... zu was eigentlich? Ihrer Heimat? Ihrer Zugehörigkeit? Was jetzt zählte, war die Mission.
Hassliebe.
Sie schüttelte den Kopf. Der Gewissenskonflikt musste warten. Zum Glück lief er nicht einfach so davon.
Der Suna-Nin hatte die Stirn in Falten gelegt. Was er wohl dachte? »Jedenfalls, die Drohung lautet wie folgt: Wie haben 90 Tage Zeit, um den Unruhestifter zu finden, bevor dieser ein Attentat auf den Kazekage verübt. 90 Tage, weil er mit uns spielt, als wären wir seine Marionetten. Ein Gebiet, auf dem ich Experte bin.« Er holte Luft. »Du kannst dir bestimmt denken, warum man mich auf die Sache angesetzt hat ...« Die junge Frau nickte. »Es könnte jemand aus unseren eigenen Reihen sein, oder jemand von außerhalb. Wie auch immer. In den letzten Jahren gab es eine Reihe von leeren Drohungen, die am Ende nicht wahr gemacht wurden. Diesmal scheint aber mehr dahinter zu stecken.«
»Bist du dir da sicher?« An sich vertraute sie auf seine Intuition. Trotzdem war sie in diesem Team diejenige, die rationaler an die Sache herangehen konnte, weil der persönliche Bezug fehlte. Solang sie auf keinen Kiri-Nin traf, oder sich selbst daran erinnerte, dass sie ein Kiri-Nin war, war alles gut. Sie stellte also bewusst Fragen, die ihn dazu zwangen, mehr ins Detail zu gehen.
»Natürlich bin ich mir sicher. Der Vogel wurde nicht einfach nur getötet. Dieser Jemand hat mit fast schon erschreckender Präzision gearbeitet, hat die Anatomie des Tieres studiert.« Als er realisierte, dass sie den Kontext nicht kannte, fuhr er fort: »Am Eingang von Suna wurde gestern Abend eine Kiste gefunden. Darin die Drohung auf einem Kozo-Papier und die Überreste einer Feldlerche. Aktuell wird das Schriftstück von einem Experten untersucht. Der Vogel muss schon seit ein paar Tagen tot gewesen sein. Für einen Streich machst du dir nicht die Mühe.« Während er sprach, hatte sich immer mehr Verachtung in seine Stimme gemischt. Die eine Falte hatte sich so tief in seine Stirn gegraben, dass sein komplettes Gesicht an eine Fratze erinnerte. »Ich werd diesmal nicht tatenlos dabei zusehen, wie Gaara etwas passiert.« Er hatte sich aufgerichtet, seine linke Hand zur Faust geballt. Die Kunoichi blieb sitzen. Sie konnte seine Wut verstehen, was nicht hieß, dass sie nicht bereit war, weiter Öl ins Feuer zu gießen, wenn es der gemeinsamen Sache diente. Ihr war nämlich ein Gedanke gekommen.
»Willst du wissen, was ich denke?« Sie fragte lieber einmal nach, weil sie wusste, dass ihre Worte seine Laune nicht unbedingt verbessern würden.
»Was?«
»Dieser Jemand hätte auch ein Kind oder so töten können. So könnte er seiner Drohung noch einmal das gewisse Extra verleihen – wenn du verstehst, was ich mein. Er spielt ein Spiel mit uns. Warum tut er dann nicht ALLES für die Show?«
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