HACHI

ASAKA

Nach dem Höhenflug,

mit dir Tiefgang.

Asaka stand da. Sprachlos. Paralysiert. Durcheinander. Sie stand dem Marionettenspieler gegenüber. Fast nackt – hatte keine Sekunde darüber nachgedacht, ob das nicht vielleicht irgendwie falsch rüberkommen könnte. Kankuro starrte konsequent in ihr Gesicht. Nicht weiter runter. Weil er wusste, dass sie das nur noch mehr aufwühlen würde? Oder aus Respekt? Wahrscheinlich beides. Dabei hätte sie nicht einmal zwangsläufig ein Problem damit gehabt, wenn er sie komplett von Kopf bis Fuß gemustert hätte. Seit wann denk' ich so? Schließlich wusste sie, wie schön sie war. Es gab an ihrem Körper nichts, wofür sie sich schämte. Ihre Einstellung unterstrich sie damit, dass sie gänzlich auf reizende Unterwäsche verzichtete, denn für sie machte Simplizität den eigentlichen Reiz aus. Asaka brauchte keine Hilfsmittel, um sich schöner zu fühlen, zu inszenieren, denn sie war bereits ... Und ja, sie verlor sich in Oberflächlichkeiten, weil sie schlichtweg nicht wusste, was sie erwidern sollte. Wie gesagt: Sie war sprachlos, paralysiert und durcheinander.

... Ich will nicht, dass du noch einmal an diesen schrecklichen Ort zurückmusst.

»K-Kankuro ...« Und weiter? Was willst du sagen? Erst denken, dann reden.

»Ja? Sag, wenn es zu viel war.« War es das? Zu viel ... Die Kunoichi hatte ihm Signale gesendet, aber möglicherweise missinterpretierten sie sie beide. Allerdings könnten sie eventuelle Missverständnisse nur mithilfe eines klärenden Gespräches aus dem Weg räumen. Wie erwachsene Menschen das eben taten. Der Suna-Nin hatte den Anfang gemacht. Hatte sich danach erkundigt, ob er nicht zu weit gegangen war, denn indirekt hatte er ihr gerade offenbart, dass er in ihr vielleicht nicht nur eine gute Freundin sah. Nichts daran war falsch. Wenn sie in sich hineinhorchte, dann wollte sie auch etwas anderes von ihm als Freundschaft. Was genau das war, müsste sie herausfinden. Jetzt musste sie es nur schaffen, das irgendwie auszusprechen.

»Es ist nicht z-zu viel.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich hab gesagt, dass ich gern in Suna bleiben würde. Aber eigentlich hab ich nicht ganz die Wahrheit gesagt ...« Die junge Frau schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »I-ich will nicht weg von d-dir

Was tust du da?

Was. Tust. Du. Da. Fragezeichen.

Zaghaft streckte sie eine Hand nach seinem Gesicht aus, zog sie aber rasch zurück, als wäre sie unterwegs vom Blitz getroffen worden. Selbst an diesem grässlichen Ort fühlte sie sich wohl, wenn Kankuro bei ihr war. Es war also nicht der Ort, der für sie zu einem Zuhause geworden war. Dabei wusste sie nicht einmal, was sich unter seiner Schminke verbarg und entwickelte ... Gefühle. Das sah ihr ganz und gar nicht ähnlich. Aber wenn es so ist, dann sollte ich meinem Herz vertrauen, oder?

Er war noch näher an sie herangetreten. »Dann denkst du also auch, dass da eventuell ... mehr ist?« Seine Stimme klang ruhig. Es war ihm ernst und er vermittelte ihr den Eindruck, dass er jede Antwort von ihr akzeptieren würde, ohne dass sie ein schlechtes Gewissen deswegen haben müsste. Und er hatte ihr ehrlich mitgeteilt, was er fühlte. Das, was Asaka auch fühlte. Sie versuchte es noch einmal mit der Hand. Seine kam ihr in die Quere und diesmal verschränkte er ihre Finger ineinander. Daraufhin verringerte die junge Frau den Abstand. Es fehlte nicht mehr viel für ...

»Ich glaub schon. A-aber geht das überhaupt m-mit der ähm Mission?«

»Meinst du, wir wären dann ein schlechteres Team?« Er suchte nach einem Zweifel in ihrem Gesicht. Neugierig, nicht verurteilend.

»Nein, aber ... es geht um deinen Bruder. Bei so einer wichtigen Sache könnte ich verstehen, wenn du dich nicht ablenken lassen möchtest.« Schuldbewusst senkte sie den Blick.

»Asaka, ich will wissen, was da zwischen uns ist, und auch Gaara hätte nicht gewollt, dass ich mir eine solche Gelegenheit entgehen lasse. Nicht, wenn es sie nur einmal gibt.«

Oh ...

Mit jedem weiteren Wort klang seine Stimme fester. Es schien ihm bewusst geworden zu sein, was er wollte. Keine halben Sachen. Zwar ging alles so schnell, aber musste man deswegen etwas direkt verteufeln? Nicht, wenn es einfach passte. Irgendwie. Oder? Genaugenommen war sie schon seit ihrer allerersten Begegnung fasziniert von diesem Mann gewesen. Bei den Chunin-Prüfungen hätte sie ihn unheimlich gern angesprochen, aber da es ihr erster richtiger Kontakt mit anderen Genin gewesen war, hatte sie nicht gewusst, wie man das macht. Also Leute in ihrem Alter ansprechen. Hinzu kam, dass sie seine Schwester geschlagen und die Prüfung wortwörtlich über ihre Zukunft entschieden hatte. Da hätte sie sich womöglich selbst ein Bein gestellt, wenn sie versucht hätte, sich mit ihm anzufreunden. Oder wenn sie – so wie jetzt – erste Schmetterlinge im Bauch gehabt hätte.

Beim Gedanken an erste Schmetterlinge fühlte sich seine Schminke auf ihrer Haut direkt noch schöner an. Sie fand es fast schon schade, dass sie sich vor dem Badengehen abschminken müsste. Die Kunoichi wollte ihm nah sein, und mit dem Abschminken würde sie sich unfreiwillig von ihm distanzieren. Doch was bedeutete all das für die Zukunft? Verletzte es sie dann nicht noch mehr, wenn sie wieder zu... Er will nicht, dass ich wieder zurückmuss. Aber was will er dagegen tun?

Es machte Klick in ihrem Kopf und sie verstand, was das eigentliche Problem war: Als Bruder des Kazekage könnte er dafür sorgen, dass ich in Suna bleiben kann. Realistischerweise geht das aber nur, wenn er mir einen Antrag macht. Die Allgemeinheit würde sich auch mit einer arrangierten Ehe zufriedengeben, hauptsache er heiratet überhaupt irgendwann eine gebärfähige Frau. Das ist aber nicht Kankuros Stil. Er wird mir also nichts versprechen können. Ich will nicht wissen, was das für ein Druck sein muss. Zudem hatte Asaka noch gar nicht darüber nachgedacht, ob sie heiraten wollte. Ein möglicher Kinderwunsch würde mit ihrem Lebensstil kollidieren. Klar, als Shinobi lief ihnen die Zeit davon, was aber nichts daran änderte, dass sie verdammt jung war und niemals die Standards des Suna-Ältestenrats erfüllen würde. Hinzu kam, dass sie möglicherweise die Basis, die sie sich gemeinsam aufgebaut hatten, kaputtmachten, wenn sie einen Schritt weiter gingen. Gleichzeitig war das, was sie sich gemeinsam aufgebaut hatten, aber zu schön, um es nicht zumindest einmal zu probieren. Wenn man es nicht miteinander versucht, wird man nie erfahren, was daraus noch hätte werden können. Verletzen kann auch ein Was-wäre-wenn.

»W-wir können schauen, was passiert«, schlug Asaka vor. Wohlwissend, dass er der erste Mann war, auf den sie sich einließ. Ausgerechnet einer, bei dem sie nicht wusste, was unter der Maske steckte. »Du solltest aber wissen, dass ich bisher nur Frauen kennengelernt hab. Du bist also wirklich der Erste.« Sie kicherte. Es war, als würde eine große Last von ihren Schultern abfallen, von der sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie den ganzen Weg über getragen hatte. Jetzt, wo sich jeder Schritt federleicht anfühlte, gab es keinen Grund mehr, alle Empfindungen hinter verschlossenen Türen einzusperren. Sie kannte sein Gesicht nicht, aber die Schmetterlinge störte das nicht. Warum auch? Das, was die Kunoichi sehen konnte, zog sie an. Also vielleicht doch keine Schmetterlinge, sondern eher Motten. Und Kankuro war das Licht.

»Ich garantier' dir: Einen Besseren wirds nicht geben.« Sein selbstbewusstes Lächeln brachte sie fast zum Schmelzen. Auch weil sie die Aufrichtigkeit darin sah. In ihrem Inneren war ein Hebel umgelegt worden und sie würde komplett auf ihr Herz hören. Vielleicht war es kälter als das anderer Menschen, da sie ein Kiri-Nin war, aber sie war sich sicher, dass es mit der Zeit weiter auftauen könnte, wenn sie offen an die Sache heranging.

Nun war es offiziell. Sie lernten sich kennen. Davor hatte es noch unbewusste Zurückhaltung gegeben, weil man nicht wusste, wie die andere Person zu dem Thema stand. Weil sie als Shinobi eigentlich einen Job zu erledigen hatten, bei dem Ablenkung mit dem Tod gestraft wurde. Doch waren alle Berührungen mit der Zeit immer vertrauter geworden, und hätten sie nicht miteinander gesprochen, wäre es erst recht irgendwann komisch zwischen ihnen geworden. Asaka erwiderte sein Lächeln. Bei ihr war es aber mehr ein freudiges Strahlen, wie man es sonst nur von einem kleinen Kind erwarten würde. Sie müsste sich nur noch ein paar Zentimeter nach vorn beugen, damit ihr Oberkörper gegen seine Brust stieß. Den Kopf könnte sie leider nicht dagegen lehnen, da sie dafür im Stehen zu groß war, obwohl sie schon die Schuhe ausgezogen hatte. Aber sie traute sich nicht. Das war alles noch so frisch und sie musste erst einmal verarbeiten, dass sie diesem Mann gerade ihre Gefühle anvertraut hatte. Es ist jetzt einfach offiziell ...

»Magst du mir eigentlich nach dem Baden die Schminke wieder auftragen?« Ein unschuldiges Klimpern mit den Augen. Sie könnte sich zwar auch selbst schminken und sie würden sowieso dann irgendwann schlafen gehen, aber ...

»Bist du etwa auf den Geschmack gekommen?«

»Möglicherweise ...« Sie setzte ihren anständigsten Gesichtsausdruck auf. »Aber nur die Gesichtsbemalung. Beim Rest bricht mir womöglich noch ein Nagel ab.«

»Stimmt. Sie sind etwas ... lang dafür. Aber irgendwie kommst du ja zurecht.« Er sollte nichts gegen ihre Nägel sagen. Notfalls taugten diese als Mordwaffe. Doch ihr war bewusst, dass sie sich zumindest mit dem Spinnen von Chakrafäden auseinandersetzen musste, damit sie weiter an ihrer ultimativen Falle arbeiten könnten. Die Entwicklung eines neuen Jutsus erforderte viel Geduld und oft, kam man zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis und musste den Entwicklungsprozess einstellen, aber sie würden sich die Tage wieder an die Arbeit machen. Nur in die Werkstatt würden sie keine 10 Pferde bekommen. »Anderes Thema: Ist das eigentlich viel Schimmel im Bad?« Er verzog das Gesicht. Mist, den Schimmel hab ich fast vergessen!

»Öhm. Also ... Für mich ist das viel.« Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren nackten Armen aus. Sie machte sich ganz klein. Es gab fast nichts Ekligeres. Ungeziefer vielleicht. Aber das konnte man bei überschaubarer Anzahl leicht töten. Wozu hatte sie denn ihr Kekkei Genkai?

»Gut, ich schau nach. Wir haben ja heute noch recht viel vor, weil wir morgen zu diesem Papiergeschäft aufbrechen.«

»Einfach schon morgen ... Aber wahrscheinlich ist das am sinnvollsten. So können wir schnell wieder abreisen.«

Er grinste. »Genau. Das war der Plan.«

Die Kunoichi führte ihn ins Badezimmer, welches lediglich aus einer Badewanne, Toilette und Waschbecken bestand. In dem Raum gab es keine Fenster und der Luftabzug schien defekt zu sein. Der Schimmel wuchs an der Wand – gegenüber vom Eingang – in der oberen linken Ecke. An der Wand befand sich bis auf den Lüfter nichts Weiteres, trotzdem hatte Asaka von der Wanne aus Blick auf das grünlichschwarze Ungetüm, was die Freude auf ihr wohlverdientes Bad stark schmälerte. »Meinst du, du kannst da was tun? Gibt es Hoffnung?«

Dramatische Pause. »Müsstest du als Kiri-Nin nicht wissen, was bei hoher Luftfeuchtigkeit zu tun ist?« Will er mir etwa sagen, dass es in der Wüste keinen Schimmel gibt? Und ihn soll ich später heiraten? Wobei, wenn es in der Wüste keinen Schimmel gibt ...

»Und betonst du nicht dauernd, wie gut du Sachen sauber machen kannst?«

»Das da ist keine Leiche. Das da lebt.« JA!

»Erinner' mich doch nicht daran!«

Als Notlösung hatten sie mindestens eine Minute lang gemeinsam geschmollt und dann alle Oberflächen im Bad desinfiziert. Als würde das helfen ... Immerhin hatte es etwas Placebomäßiges. Asaka hatte sich ihr Bad eingelassen. Der Geruch ihres Badesalzes vermischte sich mit dem des Desinfektionsmittels. Es war nicht das, was sie sich gewünscht hatte, aber es war besser als nichts. Sie ließ die letzten Stunden noch einmal Revue passieren und konnte nicht anders als bei dem Gedanken an den Marionettenspieler selig in sich hineinzulächeln. Sie lernten sich jetzt offiziell kennen. Eine unerwartete Wendung. Er war all das, was sie sich von einem Partner wünschte. Also bisher. Und sie konnte nicht leugnen, dass seine Berührungen etwas mit ihr anstellten. Da sie wusste, dass sie ihn gleich wieder sehen könnte, beeilte sie sich im Bad. Etwas, was für sie eigentlich undenkbar wäre. Kankuro würde den Zeitunterschied nicht einmal bemerken. Außerdem müsste sie eventuell irgendwann nicht mehr allein ... ähm ... O GOTT! Verlegen fuhr sie mit ihrer Pflegeroutine fort.

Als die Kunoichi – in ihren Yukata gehüllt – aus dem Bad getreten war, fand sie sich im Wohnzimmer ein, wo Kankuro bereits am Schreibtisch saß und sie in Empfang nahm. Er drehte den Stuhl zur Seite und hielt ihr stolz die Sandalen hin. Sie sahen aus wie neu. Asaka konnte ihr Glück kaum fassen und stieß einen kleinen verzückten Schrei aus. Wie hat er das gemacht? Dann konnte sie nicht mehr an sich halten und fiel ihm um den Hals, löste sich aber direkt wieder aus der Umarmung, weil ihre nassen Haare noch immer leicht tropften. Normalerweise föhnte sie sie, doch das hätte viel zu lang gedauert. Aber der Suna-Nin hatte tatsächlich ihre Schuhe gerettet. Er reichte sie ihr und sie presste sie fest gegen ihre Brust. Sah dabei in seine dunklen Augen. Seine schwarze Kleidung war an einigen Stellen nass geworden, doch das schien ihn nicht zu stören. Hätte sie ihn also theoretisch noch länger umarmen können? Sodass sie sich vielleicht mehr Details hätte einprägen können ... Er ist kein schmächtiger Typ. Er ist aber auch nicht so breit gebaut, dass ich mir daneben lächerlich vorkomme. Halt irgendwie genau richtig. Für mich.

»Beeindruckend, oder?« Er grinste selbstzufrieden. »Nun, damit lässt sich doch gut in unsere Ermittlungen starten. Man könnte sagen, die Einleitung ins heutige Programm ist mir gelungen.« Kankuro lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ein Bein über das andere geschlagen, sodass in der Mitte ein Dreieck entstand. Die Ellenbogen auf den Lehnen abgestützt. Eine Hand ruhte am Kinn. Die Kunoichi kniete sich auf den Teppich, machte ihren Rücken gerade. »Also, die Sugiyamas ...«

»... sind tot«, beendete sie seinen Satz trocken.

»Genau. Das muss um die 2 Jahre vor dem Ausbruch des dritten Shinobi-Krieges passiert sein.«

»Was bedeutet, dass wir uns auf jeden Fall mit einem Mordanschlag beschäftigen. Um das Kind endlich beim Namen zu nennen.« Asaka war noch einmal aufgestanden, um alle Utensilien zusammenzusuchen, die sie für eine gründliche Maniküre brauchte. Multitasking – war da das Stichwort. »Kurze Zwischenfrage: welche Farbe?«

»Purpur«, schallte es von Kankuros Stuhl aus zu ihr herüber.

Die Farbe hatte sie sogar dabei. »Der Mörder muss die Sugiyamas alle an einem Ort versammelt haben. Zumindest wär das der effektivste Weg«, murmelte die junge Frau, während sie ausgerüstet mit Nagellackentferner und Wattepad den alten Lack entfernte. »Er muss dafür aber nicht zwangsläufig Beziehungen zur Familie gehabt haben. Ein Genjutsu reicht, damit eines der Mitglieder die Versammlung einberuft und die anderen Mitglieder dazu überredet, ihr Testament neu aufsetzten zu lassen.«

»Ich glaub, es ist noch verstrickter. Wenn es zwei sich inhaltlich widersprechende Versionen eines Testaments gibt, zählt stets das Jüngste. Nun kann eine Person aber nicht für die ganze Familie ein solches Schriftstück aufsetzen, außer ...«

»Der Inhalt aller anderen Dokumente wurde unkenntlich gemacht. Zufällig ist dann aber das jüngste Nachlassdokument das Einzige, das tatsächlich lesbar ist. Würde irgendwie zu unserem Gegner passen, oder was meinst du?«

»Würde es.« Der Marionettenspieler hatte die Stirn in Falten gelegt. »Warum hätte man uns auch sonst hierhergelotst? Ich tipp' bei der Tötungsmethode übrigens auf Gift.«

»Wie kommst du darauf?«

»So kannst du alle Familienmitglieder auf einen Schlag töten. Außerdem bleibt dir mehr Zeit für die Flucht und um letzte Spuren zu verwischen. Das Gift kann bereits einen Tag vorher ins Essen gemischt worden sein. Gegessen hätte der Mörder sowieso nichts, also kann er auch direkt dem Tisch fernbleiben.«

»Und welches Gift könnte es sein? Du kennst dich damit aus.«

»Ich hätte jetzt auf ein Gift auf Arsenikbasis getippt, weil es schon fast ein Klassiker ist. Dazu müsste aber auf jeden Fall etwas im Autopsiebericht stehen, da man vor allem in den Haaren und Nägeln – hoher Keratingehalt – Spuren des Toxins nachweisen kann. Unschlüssig ist für mich, dass Megumi gesagt hatte, dass sie auf einen Schlag getötet worden waren. Sind sie dann auch auf einen Schlag gestorben? Natürlich könnten die Personen auch mit einem Jutsu ermordet worden sein, dann würde man aber eine Personengruppe direkt von der Liste der möglichen Verdächtigen streichen können: Menschen ohne Chakra.«

»Waren es nicht angeblich Nukenin gewesen?«

»Ja. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass das gesagt wurde, weil die Dorfbewohner nach einer Erklärung verlangt hatten. Und da alle sich in einer Ausnahmesituation befanden, wurde möglicherweise diese Erklärung herbeigezogen, damit kein Misstrauen unter den Bewohnern entstand. Das hätte nur zu noch mehr Chaos geführt. Was für meine Theorie spricht, ist, dass die Todesursache nicht bekannt gegeben wurde. Dabei hätte man ganz einfach erwähnen können, dass es ein Jutsu gewesen war. Das wäre nichts Konkretes. Und sonderlich skandalös wäre das auch nicht.« Er beendete seine Ausführungen mit einem Nicken in Richtung Teppich.

»Gut ...«, begann Asaka, »Vorausgesetzt du hast recht, dann könnte die Ermordung wie folgt abgelaufen sein: Zuerst wird es wahrscheinlich eine Tätergruppe gewesen sein. Aus dem einfachen Grund, dass irgendwer alle Testamente ausfindig und unkenntlich gemacht haben muss, während parallel dazu das eigentliche Attentat in die Wege geleitet wurde. Ich geh' mal davon aus, dass die Dokumente an unterschiedlichen Orten aufbewahrt wurden. Ein zeitintensives Unterfangen. Da kann nicht nur eine Person dahinterstecken.«

Weiter im Text: »Diese Gruppe hat also jemanden im Team, der auf Genjutsus spezialisiert ist. Schließlich müssen sich alle Sugiyamas irgendwie an einem Ort versammelt haben und das passiert nicht ohne größeren Anlass. Wenn es keinen Anlass gibt, dann denkt man sich halt einen aus ... Außerdem wird der Genjutsu-Experte noch einmal gebraucht, weil es neben den ungültigen Nachlassdokumenten auch eines geben muss, dass das Abreißen der Manufaktur in Auftrag gibt. Entweder war dies wirklich der letzte Wille der Sugiyamas gewesen oder man hat durch gezielte Manipulation etwas nachgeholfen. Warum die Manufaktur abgerissen werden sollte? Eventuell weil jemand das Dorf in den Ruin treiben wollte ... Würde auch zu deiner Vermutung mit dem Gift passen, da Angst und Beschuldigungen untereinander dazu beitragen. Was mich aber nach wie vor verwirrt: Das Dorf soll stark verschuldet gewesen sein. Warum wurde aus den Schulden erst nach dem Ableben der Sugiyamas ein Thema gemacht? Als hätte sich jemand diese spontan aus dem Ärmel gezogen, damit das Dorf ihre Infrastruktur nicht wiederherstellen könnte. Der Krieg – 2 Jahre später – hat ebenfalls seinen Teil dazu beigesteuert.«

»Stimmt. Meinst du, man hat den Daimyō ebenfalls kontrolliert?«

»Wir können diese Option nicht ausschließen. Das macht die Sache aber umso gefährlicher. Wer den Daimyō kontrollieren kann, kann sich auch ein Attentat auf den Kazekage erlauben.« Mit der Nagelfeile hatte die Kunoichi ihre Nägel in eine ästhetische Form gebracht. Sorgsam trug sie die erste Schicht Lack auf. Vorausgesetzt es stecken überhaupt die gleichen Leute hinter der Morddrohung, die auch die Sugiyamas auf dem Gewissen haben.

»Es sind zwar nur Theorien, aber ich befürchte, dass da etwas dran sein könnte.« Kankuro beobachtete, wie sie die Arbeit an der ersten Hand beendete und mit der Zweiten fortfuhr. »Wenn wir morgen zu dieser Papeterie aufbrechen, sollten wir mit allem rechnen.« Ein angespannter Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht geschlichen. »Es ist besser, wenn wir zuerst nur auf 25 % unseres Arsenals zurückgreifen und uns ein Bild vom Feind machen, sollte es zum Kontakt kommen. Wenn das nicht klappt, dann Rückzug. Ich vermute, dass der Gegner – oder die Gegner – ähnlich vorgehen werden. Zudem besitzen sie den Heimvorteil. Und ... sie haben eventuell die Leiche des Spions gefunden. Sprich: Er könnte über dein Kekkei Genkai Bescheid wissen. Ich denk' zwar nicht, aber ich hab auch felsenfest daran geglaubt, dass ich es allein mit zwei Akatsuki-Mitgliedern aufnehmen könnte, wovon einer meinen Bruder außer Gefecht gesetzt hat, und gegen den hab ich nicht einmal gekämpft.«

Zerknirscht wandte er den Blick ab. Asaka musste deswegen etwas schmunzeln. »... aber jetzt hast du ja mich.« Sie hielt die zweite frisch lackierte Hand ins Licht. »Ich blend' die Gegner allein schon mit meiner Schönheit. Vertrau' mir, mein Aussehen lässt niemanden kalt. Und du hast eine gute Wahl mit der Farbe getroffen.« Aus dem Schmunzeln wurde ein schmales zufriedenes Lächeln.

»Huh?«

»Wenn du nur eine Marionette benutzt, dann werd' ich hauptsächlich auf normale Spiegel setzen. Sollte ein Kompromiss sein und dem Feind nicht allzu viel Neues verraten, selbst wenn er die Leiche entdeckt hat. Da hab ich schließlich auch nur 10 % meines Potenzials genutzt, plus 15 % Schönheitsbonus obendrauf.« Natürlich hatte der Schönheitsbonus den größten Einfluss aufs Kampfgeschehen gehabt.

»Klingt gut. Aber Asaka, egal was passiert, deine Sicherheit geht vor. Selbst, wenn wir dafür eine Niederlage einstecken müssen. Das ist mir zehntausendmal lieber, als dass dir etwas zustößt.« Er sprach schnell. Als müsste er das jetzt sagen, weil er befürchtete, dass es sonst irgendwann zu spät wäre. Am Liebsten hätte die Kunoichi den Marionettenspieler deswegen umarmt, da es nicht selbstverständlich war, dass er ihr Wohl über den Ausgang der Mission stellte, aber ihre Nägel waren noch nicht ganz trocken. Trotzdem brannte sich das, was er sagte, tief in ihr Herz ein.

Stattdessen kam aus ihrem Mund: »Das gilt übrigens auch für dich.« Und dann: »Kankuro ... ich mag dich. Du bist mir wichtig. Von uns beiden bist du nur so gut wie jedes Mal besser mit ... den richtigen Worten.«

Alarmiert schob er den Stuhl zurück und eilte zu ihr. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Dann waren da seine behandschuhten Hände, mit welchen er ihr Gesicht leicht anhob. »Du bist mir auch wichtig. Sehr sogar.« Jetzt könnte sie ... Wenn sie mit den Nägeln aufpasste ... Sie wollte doch ... Kankuro war ihr so nah ... Was befand sich unter der Schminke? Theoretisch waren sie für heute fertig mit der Arbeit, oder? Sie könnten also ... Bestünde nicht akute Suchtgefahr.

Aber dieses Voreinandersitzen sorgte für so viel Unruhe, dass sie merkte, wie sie es langsam nicht mehr aushielt. Ihre Hände zitterten. Ihre Knie waren zu Gelee geworden. Ihr Herz schlug so laut, dass er es hören müsste. Ihr war warm. Bestimmt gab es Möglichkeiten, wie ihr noch wärmer werden würde, aber ... Was würde dann passieren, da er jetzt schon mehr als ihre Oberfläche berührte? Asaka betete inständig, dass ihre Nägel es ihr verzeihen könnten, wenn sie ... Warum bewegt sich mein Körper keinen Millimeter? Was soll ich tun? Seine Finger auf meiner Haut ... selbstbewusst aber achtsam. Er hat unfassbar schöne Hände.

»K-kann i-ich die Nacht b...« Hab ich das gerade tatsächlich ge...

»Keine Sorge. Du kriegst das größere Zimmer.«

»D-das meinte ich doch ...« Aber was dann? Liebevoll strich er ihr durchs Haar und sie zerfloss förmlich. Genießerisch schloss sie ihre Augen. Er wusste wirklich, was er tat. Bereits mit solchen kleinen Gesten brachte er sie teilweise um den Verstand. Als würde er indirekt an ihren Fäden ziehen. Ein zarter Laut verließ ihre Lippen.

Und dann kam er ihrem Gesicht ganz nah.

So nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Dass sie die einzelnen Farbpigmente in seinem Gesicht sah. Sein Blick, der einzig und allein auf ihr ruhte, als wäre sie die schönste Frau auf der Welt, was sie auch irgendwo war. Es war intensiv. Kurzzeitig dachte sie darüber nach ... doch er kam ihr wieder mal zuvor. Senkte seine Lippen auf ...

... auf ihre Stirn.

Ein verdammter Stirnkuss!

Keiner auf den Mund. Aber in diesem Kuss steckte Gefühl. Ehrlichkeit. Hingabe. Seine Gesichtsbemalung war an der Stelle verschmiert und dieser Anblick war schon ... verlockend. Leicht beflügelt von dem, was da gerade geschehen war, musste sie erst einmal wieder im Hier und Jetzt ankommen.

»Asaka, wir müssen wirklich aufpassen ...«, wisperte er, während sie Stirn gegen Stirn gelehnt hatten.

»W-worauf?«

»Dass wir nicht direkt das ganze Pulver verschießen.« Er war knallrot im Gesicht geworden. Hilfe!

»Sind wir etwa noch nicht beim Höhepunkt angelangt?«, fragte sie keck. Merkte aber ebenfalls, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und sie nervös anfing zu lachen. Ein fürchterliches Wortspiel!

»Hmm. Ich denk', dass das erst der Anfang war ...«

»Also auf die Stirn küssen kannst du jedenfalls ziemlich gut.« Das wird ja immer schlimmer!

»Ich weiß.«

Asaka hatte verdrängt, wie heruntergekommen die Gegend wirklich war. Selbst wenn ihre Unterkunft den Umständen entsprechend luxuriös war, wollte sie sich damit nicht zufriedengeben. Dennoch begann sie den Schimmel an der Badezimmerwand zu vermissen, wenn sie sich umsah und angewidert realisierte, wie es sie auch hätte treffen können. Widerlich! Da gruselte es sie wirklich. Es kostete sie viel Selbstbeherrschung, sich nicht bei jedem Schritt lauthals zu empören.

Der Suna-Nin und sie waren zur Papeterie aufgebrochen, nachdem sie die erste Nacht in getrennten Zimmern verbracht hatten. Er hatte direkt nach dem Frühstück ihr Gesicht bemalt. Diesmal hatte sich der Prozess noch wohliger angefühlt. Dann aber war es ernst geworden. Sie hatten ein weiteres Mal ihr Vorgehen besprochen. Vorrangig ging es darum, dass sie sich vorsichtig vorantasten mussten, solang sie nichts über die Fähigkeiten ihres Gegners wussten. Vergleichbar war das mit einem Minenfeld. Dass es regnete, unterstrich noch einmal dieses beklemmende Bauchgefühl, das die Kunoichi hatte. Wenigstens war das Make-up wasserfest. Wir brechen einfach so auf. Ob das wirklich so klug ist? Aber was sollen wir stattdessen tun? Irgendwann müssen wir einem der Hinweise nachgehen. Wir sind nicht gänzlich unvorbereitet, aber natürlich hätten uns ein paar Tage mehr Training gutgetan. Die Operation erfordert, dass wir als eingespieltes Team agieren. Zu 99 % erfüllen wir diese Bedingung, doch das letzte Bisschen fehlt.

Mit Megumis Ortsbeschreibung fanden sie schnell ans Ziel. Unterwegs sprachen sie nicht viel miteinander, da sie sich alles andere als unbeobachtet fühlten. Die Kunoichi sorgte sich mit der Schminke zwar etwas weniger, aber ganz los wurde sie die Angst nicht. Kankuro zitterte mal wieder wegen der Kälte. Sie tat es aus anderen Gründen.

Das kleine Papiergeschäft hob sich vom restlichen Dorf allein durch die gut erhaltene Außenfassade ab. Ein mit poliertem Kupfer veredelter Türgriff und Schaufenster, durch die man ins aufgeräumte saubere Ladeninnere blicken konnte – wenn man die Regentropfen außer Acht ließ. Ein ganz normaler Laden eben. An einem nicht ganz so normalen Ort. Scheinbar traute sich auch niemand, seinen Müll vor dem Geschäft abzuladen. Eventuell würden sie zur Abwechslung einmal auf einen netten Menschen treffen, der nicht irgendein dummes Zeug von sich gab.

Bisher war innen niemand zu sehen, aber die Tür war nicht verschlossen. Demnach hatte der Laden wohl geöffnet. Sie waren zur Mittagszeit gekommen, weil das weniger verdächtig wirkte. Dann traten sie ein. Der Suna-Nin lief voraus. Drinnen waren auf einem großen hell lackierten Holztisch Papierproben ausgebreitet worden – mit entsprechendem Kennzeichnungsetikett, was auf Grammatur, Format, Herstellungsverfahren, Zusammensetzung, Preis und Herkunft verwies. Flankiert wurde der Weg zum ebenfalls weiß lackierten Bezahltresen – gegenüber vom Eingang – von einigen Grußkarten-Aufstellern und Containern, in denen bestimmt weiteres Papier verstaut wurde. An den Wänden hingen Papierrollen, die erst auf Anfrage hin, zugeschnitten wurden. Zudem wurden Federhalter, Pinsel und Tinte angeboten. In allen Größen und Farben. Doch weit und breit war kein Verkäufer zu sehen. Weder die eine Tür links vom Tresen noch die dahinter waren angelehnt worden. Was seltsam war, wenn man einmal bedachte, zu welchen Preisen die Ware gehandhabt wurde.

Ein kurzer Blickaustausch mit dem Marionettenspieler genügte. Sie könnten zwar warten, ob vielleicht doch noch jemand um die Ecke käme, aber das würde nichts daran ändern, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Immerhin lagen sie richtig mit der Vermutung, dass man sie in eine Falle locken wollte, und sie waren dem korrekten Hinweis nachgegangen. Kankuro hatte die Sasori-Schriftrolle griffbereit. »Knackst du das Schloss?«, fragte die Kunoichi mit einem Wink zur ersten Tür. Die hinter dem Tresen würden sie sich danach vorknöpfen. In der Zwischenzeit würde sie einige Tracker im Raum verstecken. Die junge Frau würde darauf aufpassen, dass sie niemand durch das Schaufenster hindurch sehen konnte. Sie mussten sich auf jede erdenkliche Weise absichern.

Kankuro hatte keine Schwierigkeiten damit gehabt, die Tür aufzubekommen, und Asaka hatte schnell geeignete Plätze für ihre Tracker gefunden. Sie hatte noch einmal nachgeschaut, ob nicht hinter dem Tresen etwas hinterlegt worden war, was die Abwesenheit des Ladenpersonals erklären würde. Fehlanzeige. Der Marionettenspieler hielt ihr die schwere Eisentür auf und diesmal lief die Kunoichi voraus. Sie kamen in eine Art Durchgang. Eine weitere geheimnisvolle Tür und eine, die die Bezeichnung Notausgang trug und nach draußen führte. Der Suna-Nin betätigte den Lichtschalter. Den Gang selbst zeichneten kahle hässliche Wände, grelle Decken-LEDs und sonst nichts aus. Hier würden sie keinen Anhaltspunkt finden. Vielleicht hinter der nächsten Tür.

Also gleiches Prozedere. Kankuro kümmerte sich um das Schloss, Asaka platzierte ihre Tracker. Er war noch mal so zuvorkommend und hielt ihr die Tür auf. Sie gelangte in eine Art Aufenthaltsraum. Eine Reihe von Spinden – hinten links. Eine zerfledderte Couch mit einem klapprigen Plastiktisch davor, auf dem wohl jemand sein Mittagessen vergessen hatte. Auf dem Boden verteilte beschriebene und unbeschriebene Blätter und Cornflakes. Kein Teppich, auch wenn ein solcher den Raum freundlicher hätte erscheinen lassen. Ein Rucksack in der Ecke und ein Bücherregal, welches nicht ganz an die Spindreihe angrenzte. Und zwischen Spind und Regal, da lag ...

Asaka machte ein paar Schritte nach vorn. Die Glühbirne müsste dringend gewechselt werden, da das Licht permanent flackerte. Etwas lag zwischen Spind und Regal. Darauf lief sie zu. Es war ...

BUMM!

Die Tür fiel mit einem Krachen ins Schloss. Rasch drehte Asaka sich um. Wo war Kankuro? Und vor allem: Wo war die Tür? Anstelle dieser erblickte die Kunoichi nichts als Baumaterial. Als hätte es sie nie gegeben. Außerdem lagen da der Geruch von Blut und einer ihr unbekannten Substanz in der Luft. Der Blutgeruch kam von dort, wo sich auch die dazugehörige Leiche befand; zwischen Spind und Regal. Rote Schlieren führten das Auge zu besagter Position. Was sie sehen konnte, war, dass es sich um eine Frau handelte. Mittelalt, schulterlanges blondes Haar. In eine weiße Bluse gekleidet. Krümel vom Essen um den Mund herum verteilt. Cornflakes, Milch und Blut. Asaka würde näher herantreten müssen, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass das keine gute Idee wäre. Nicht, solang sie nicht herausgefunden hätte, was hier eigentlich vor sich ging.

Eine fremde Präsenz hätte die junge Frau sofort spüren müssen. Das Blut war noch nicht ganz getrocknet. Irgendwer hatte also höchstwahrscheinlich das richtige Timing abgepasst und sie schon aus der Ferne heraus beobachtet. Da Asaka keine Tracker auf den Straßen aufstellen konnte, ohne etwas über ihr Kekkei Genkai preiszugeben, konnte sie sich allerhöchstens auf ihr Gespür verlassen und dieses war wie alle menschlichen Dinge fehleranfällig. Wurde die Person – sie vermutete, dass sie die Verkäuferin war – getötet, weil sie im Weg stand? Oder wurde sie getötet, um die Kunoichi in die Falle tappen zu lassen? Sie wäre auch so hineingetappt, aber ... Nein, das ist es nicht. Zumindest ist das noch nicht ALLES. Es hat einen Grund, warum wir separiert wurden.

Dies bestätigte der zweite Geruch. Dieser war ... hatte zugenommen. Zur Vorsicht erschuf Asaka einen Spiegel und stieg hinein. Hier drin konnte sie alles scharf erkennen, doch außerhalb des Spiegels verschwammen Stück für Stück die Konturen, als ... Gas! Von woher? Kniff sie die Augen zusammen, hatte sie noch Blick auf die Tote, doch immer mehr von der Substanz verteilte sich im Raum. Es kam nicht von der Leiche selbst, aber für die Falle musste es einen Auslöser mit zeitlicher Verzögerung gegeben haben, da Asaka zuvor nichts von dem Gas wahrgenommen hatte. Kankuro könnte bestimmt sagen, ob dieses giftig wäre, aber da er nicht hier war, ging die Kunoichi aus Prinzip davon aus. Verdammt!

Statt durchzudrehen, ging sie die Sache logisch an: Mit hoher Wahrscheinlichkeit stand sie unter einem Genjutsu, oder was war mit der Tür geschehen? War das Gas dann überhaupt echt? Sie könnte es ja am eigenen Leib testen ... Ein bitteres Lachen. Was ihr aktuell aber am meisten Sorgen bereitete, war nicht ihre Situation, sondern die Leiche. Die Verkäuferin könnte unsere wichtigste Spur sein, weil der Gegner nicht will, dass ich an sie herankomme. Die Tötung musste offenbar schnell und spontan vonstattengehen. Deswegen könnte dem Täter ein ungewollter Fehler unterlaufen sein. Um den Leichnam zu bergen, muss ich mein Jutsu nutzen. Und um Kankuro zu helfen. Rechnet der Gegner damit, dass ich hier so einfach wieder herauskomme? Ich geb dann zwar mehr als die 25 %, aber wenn ich uns dafür einen brauchbaren Hinweis verschaffen kann ... Außerdem kann ich den Spiegel nicht verlassen. Ich MUSS also von dieser Position heraus agieren. Meine Möglichkeiten sind limitiert.

Bevor sie aber über irgendeine weitere Option nachdenken konnte, vernahm sie ein leises Zischen, das konstant anstieg. Sie horchte. Woran erinnerte sie dieses Geräusch? Es klang, als würde sich etwas auflösen. Auflösen, nicht zerfallen. Zwei Sekunden später wusste die Kunoichi, was es war. Ätzender Nebel. Einzig und allein Asakas Eis würde standhalten. Nicht aber die Tote. Sie atmete tief durch und kanalisierte ihr Chakra. Gerade in einer solchen Ausnahmesituation durfte ein Shinobi niemals kopflos handeln. Ich seh nichts, doch ich hör, dass das Zischen immer lauter wird. Der Körper hat wahrscheinlich schon Schaden genommen. Es wird schwer sein, die Todesursache festzustellen, wenn am Ende nur noch ein paar Fetzen Haut übrig bleiben. Wär ich mein Gegner, würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen. Meine Theorie: Bestimmte Materialien werden weniger stark von dem Nebel angegriffen. Darunter fallen vermutlich die Wände, damit das Gefängnis nicht vorzeitig in sich zusammenfällt. Clever! Der Feind testet so auch meine Verteidigung. Hinzu kommt mein Partner. Wenn der Gegner ebenfalls einen Konter gegen ihn auf Lager hat, sieht es schlecht aus. Ich MUSS Kankuro helfen. Er hätte gesagt, dass ich lieber auf Nummer sicher gehen soll, das kann ich aber nicht, wenn wir die Leiche für unsere Ermittlungen brauchen. Und jetzt steh' ich hier und muss eine Entscheidung fürs ganze Team treffen. Eine, die Konsequenzen haben wird.

Es wird zu lang dauern, wenn ich mein Eis nutze, um ein Loch in die Wand zu schneiden. Zudem wird der Radius zu klein sein. Das Gas wird nicht schnell genug an die frische Luft entweichen. Außerdem kann ich erst aus dem Spiegel treten, wenn ich mir um eine Vergiftung oder dergleichen keine Gedanken mehr machen muss. Ich hab auf dem Schirm, dass ich mich in jedem Fall selbst abschwächen werde, wenn ich einen Ausweg finden will. Will ich die Leiche schützen, muss ich zwei Jutsus zur gleichen Zeit anwenden. Beide werden viel Chakra verbrauchen und zählen zu meinen stärksten Techniken. Ein Nachteil fürs Team.

Fürs Team wäre es also besser, wenn ich das Loch in die Wand schneide und warte. Dann entginge uns aber die Spur. Das ist die Krux. Und der Gegner weiß darüber Bescheid. Kankuro könnte in ernsthafter Gefahr schweben. Damit wurde mir die Entscheidung eigentlich abgenommen. Was ist schlechter fürs Team? Wenn ich meinen Partner eventuell sterben lasse, oder uns einen Nachteil verschaffe, den wir aber vielleicht durch die Bergung der Leiche wieder ausgleichen könnten? Kankuro wird das Feld nicht von selbst räumen, solang er nicht weiß, was mit mir passiert ist. Auch wenn es wahrscheinlich die beste Lösung wäre.

Wenn ich dieses Jutsu nutze, werd ich die Erschöpfung nicht ganz kaschieren können. Der Feind wird wissen, dass ich diese Technik nicht beliebig oft hintereinander anwenden kann. Er lernt daraus und wird dann schlauerweise die Flucht ergreifen, weil er bekommen hat, was er wollte. Oder er wird einen Versuch starten, mich zu töten. Das könnte meine Chance sein, um mich in dem Kampf noch einmal nützlich zu machen. Ich muss ihm nicht vorgaukeln, wie geschwächt ich bin. Das wird man mir definitiv ansehen können. Wenn er nah genug an mich herantritt, könnte ich ihn mit meinem Eis durchbohren. Sobald ich also auf den Feind treff', muss ich Kankuro irgendwie das Zeichen geben, dass wir den Kampf in die Kurzdistanz verlagern sollten. Normalerweise bewegen wir uns auf mittlerer Distanz.

Das war ihr Plan. Alles andere als wasserdicht. Aber was sollte sie tun? Es würde keine Verstärkung eintreffen. Und selbst wenn es das Problem mit der Leiche nicht gäbe ... sie würde ihren Partner nicht links liegen lassen.

Asaka sammelte ihre ganze Kraft. In der Zukunft gäbe es definitiv ein Nachspiel. Im Hier und Jetzt musste sie hoffen, dass alles gut ging.

Ein Fingerzeichen.

Dann noch eins.

Die andere Hand kam dazu und die Energie durchströmte ihren Körper. Forderte Freiheit, Freilassung. So wie ihr Wirt. Hissatsu Hyōsō und Hyōton: Hyōgan Dōmu.

Sie schloss ihren Spiegel und den Leichnam – dessen Position sie nur grob erraten konnte – in einer eisigen Kuppel ein, während drumherum eine Reihe von Eisspeeren mit einem Mindestdurchmesser von 1 Meter aus dem Boden emporschossen. Sie durchbohrten alles, was ihnen in die Quere kam. Änderte Asaka kurzerhand die Richtung, wurde ein Teil der Gebäudedecke durch die Krafteinwirkung mitgerissen. Sie arbeitete sich vom Zentrum zum Außenbereich hin vor, damit sie das herunterfallende Gestein zu den Seiten hin auslagern konnte und möglichst nicht sich selbst und den Leichnam dadrunter begrub, da sie den Durchmesser der Kuppel so klein wie möglich gehalten hatte, um ihr Chakra zu sparen. Sonst hätte sie den toten Körper völlig umsonst mit abgeschirmt. Notfalls müsste sie die Kuppel gewaltsam sprengen, um die Überreste abzuschütteln, wovon sie aber nicht ausging, da sie auch unter Druck präzise agierte. Von der Decke regnete es Wassertropfen, Putz und Mauerwerk. Doch mit der Zeit klärte sich ihr Blickfeld. Sie hatte etwas Gas in die Kuppel mit eingeschlossen, welches durch Öffnungen im unteren Segment ausströmte. Deswegen konnte sie auch nicht direkt ausmachen, was mit der Leiche geschehen war. Ob dieser Teil der Operation ein Erfolg gewesen war.

Sie wartete also. Beobachtete konzentriert das Spektakel um sie herum. Chaos und Zerstörung. Herabfallende Trümmer. Was sie getan hatte, würde garantiert auffallen. Man könnte ihr einen Strick daraus drehen, aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Vielleicht war das ein Teil des Nachbebens.

In dem Moment war das aber Nebensache, da draußen ein Kampf tobte, der für eine Sekunde pausiert wurde, weil Asaka nach einer Weile aus dem Spiegel trat, die Kuppel auflöste. Umringt von Eispfeilern und Bruchstücken. Keuchend. Am Oberschenkel blutend, weil sie beim Aus-dem-Spiegel-treten doch irgendwie etwas abbekommen hatte. Asaka blutete nicht oft. Und wenn sie blutete, dann starben immer Leute um sie herum. 

Anmerkungen: 

Noch einmal geht ganz viel Liebe an @FallenPlanet raus. Mir fehlen für Asaka die Worte, Bin nur minimal ausgerastet. Wobei, vielleicht auch etwas mehr ... Ich mein ... IHR BLICK!

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