Sobald ich das Zimmer verlassen habe, zieht es mich förmlich in mein privates Gym. Die Anstauung, wovon auch immer, sucht verbittert eine Möglichkeit, um nach draußen zu gelangen. Die letzten Tage waren nicht unbedingt leicht für mich. Wenn Dario davon Wind bekommt, dass meine Obsession die Oberhand gewonnen hat und dafür verantwortlich ist, dass Mamma ein paar Wochen in einem Alten- und Pflegeheim verbringt, wird es nicht lange dauern, bis der wahre Capo der Cosa Nostra nach Hause kehrt.
„Ufff." Ich tape meine Hände, ehe ich damit beginne, mich am Boxsack, der von der Decke hängt, aufzuwärmen. Es ist der optimale Einstieg, um mein Blut in Wallung zu bringen. Mein Kopf ist zwar nicht ganz bei der Sache, er ist aber auch nicht notwendig bei einem Training dieser Art. Stetig steigere ich mein Tempo und meine Schläge werden härter. Der Schweiß, der langsam einen Weg aus meinen Poren findet, benetzt meine Haut.
„Mauro?" Die Stimme meines Bruders erreicht mich zwar, sehe es aber nicht erforderlich, mein Training deswegen zu unterbrechen. Erst als er den Boxsack zum Stoppen bringt, wende ich mich ihm zu.
„Was zum Teufel soll das?", fauche ich in Streitlaune.
„Du wolltest mir sagen, wo Mamma ist?", erklärt mein Bruder pissig.
„Ach, wollte ich das?" Dario lächelt, ohne dass seine Augen erreicht: „Sag mir einfach wo sie ist und ich lass' dich in Ruhe."
„Sie hat mich begleitet und wollte dort noch ein paar Tage genießen, fernab von dem Stress, dem sie hier täglich ausgesetzt ist", biete ich ihm an und hoffe, dass er mich in Ruhe lässt.
„Das reicht mir nicht!", verharrt er verhemmt.
„Dario, fatti i cazzi tuoi!", sage ich nun schärfer.
„Das wird Papá nicht gefallen, wenn er davon erfährt." Ich muss mir das Lachen verkneifen:
„Wenn du nicht so tief in seinem Arsch stecken würdest, würde er auch nichts erfahren." Dieser Pisser lässt einfach nicht locker.
„Weißt du eigentlich, wie verantwortungslos du bist?"
„Weißt du eigentlich, wie sehr du mir auf den Sack gehst?", erwidere ich harsch und warte auf den Gegenwind, der nur Sekunden später über mich hereinbricht: „Wenn nicht ich, dann Giulia und wenn nicht Giulia, dann ist es Enea."
„Erzähl mir lieber, wie die Woche lief", versuche ich abzulenken.
„Es verlief alles reibungslos. Die Waffen kamen pünktlich an und konnten rechtzeitig verladen werden."
„Die Schutzgelder?", hake ich nach.
„Sind bis auf ein Restaurant bezahlt."
„Wer kümmert sich darum?"
„Enea und Davide. Ich denke, sie sollten bald zurück sein", erläutert Dario.
„Davide?"
„Ja", antwortet mein Bruder knapp.
„Gut, dann schick Davide zu mir, sobald er zurück ist." Es ist klar, dieses Gespräch ist beendet, dennoch bleibt Dario regungslos stehen.
„Verrätst du mir, was es mit der Nonne in unserem Haus auf sich hat?", fragt er leicht angesäuert.
„Emilia' und sie ist keine Nonne." Mehr muss er nicht wissen.
„Sag mir nicht, du hast sie bekehrt", hängt er amüsiert nach. Mein Bruder schafft es immer wieder mich runterzuholen, auch wenn er gerade nicht viel getan hat.
„Nein, aber sie steht unter meinem Schutz."
„Aha, sind wir jetzt unter die Samariter gegangen?", lacht er ungehalten.
„Dario, ich meine es Ernst!"
„Und vor was beschützt du sie?", will er wissen. Er versucht mich gekonnt mit dieser Art von Frage zu sticheln.
„Ich weiß, dass sie Probleme hat. Was ich aber nicht weiß, ist, wie ich sie dazu bekomme, sich mir anzuvertrauen", offenbare ich zähneknirschend. Es wäre nicht Dario, wenn er sich keine Sorgen machen würde.
„Hast du nicht schon genug Probleme? Dir da noch eine Frau aufzuladen." Er beendet den Satz.
„Ich meine es Ernst. Sie wird hier wohnen und ihr werdet euch zusammenreißen und benehmen!" Von wegen Sorgen, kaum habe ich ihn über meine Pläne in Kenntnis gesetzt, erhebt er seine Stimme: „Eine Außenstehende? Hier bei uns zu Hause?" Und was tue ich? Ich versuche mich zu rechtfertigen:
„Die Omertà wird dadurch nicht verletzt."
„Du weißt, wie eine Verletzung dieses ungeschriebenen Gesetzes geahndet wird?"
„Sie wird von unseren Geschäften nichts mitbekommen", beruhige ich ihn weiter.
„Dein Wort in Gottes Ohr." Was sage ich da eigentlich? Das muss ich klarstellen.
„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!", warne ich ihn, bevor dieses Gespräch andere Ausmaße annimmt.
„Du bist mein Bruder!" Ich verstehe, was er mir damit sagen will, aber ich hasse es, wenn er recht hat.
„Ja, und mir unterstellt!", erinnere ich ihn an seinen Platz.
„Jetzt geh und kümmere dich um deinen Club." In einer lächerlichen Geste macht Dario einen angedeuteten Knicks.
„Wie ihr wünscht, eure Majestät." Sein gekünsteltes Lächeln würde ich ihm am liebsten austreiben. Viel zu schnell ist die Tür hinter Dario verschlossen. Mein Entschluss, mich heute ewig im Büro aufzuhalten und einige Dinge abzuarbeiten, habe ich verworfen. Es wird wohl dabei bleiben, die E-Mails zu checken und nur die wichtigsten zu beantworten. Dem Personal müsste ich auch noch Bescheid geben, dass die Yacht entsprechend vorbereitet werden soll. Es wäre wünschenswert, wenn alles rechtzeitig fertig ist, sodass wir beide ohne Einbußen rausfahren können. Ich schnappe mir mein Handtuch und begebe mich unter die Dusche. Das Tape lässt sich einfach lösen und die wohltuende Abkühlung stimmt mich zufrieden.
Frisch geduscht und nur mit einem Handtuch bekleidet, steige ich die Treppen nach oben. Mein Zimmer befindet sich ebenfalls im oberen Stockwerk, allerdings muss ich als einziger die Küche passieren. Das Mädel, das seit kurzem für uns arbeitet, ist gerade dabei den Wischmopp zu schwingen, als sie mich mit einem knappen
„Buona Sera."
„Chiara, die Yacht müsste bis 19 Uhr für zwei Personen vorbereitet sein. Ich möchte rausfahren. Ihr könnt uns morgen Mittag zurück erwarten. Lass auch bitte für meinen Gast alles Weitere ordern."
Sie ist noch nicht lange bei uns und dementsprechend scheint sie noch eingeschüchtert zu sein. Wer weiß, was Saverio ihr über uns erzählt hat. Ihr Vater und ehemals engster Freund meines Vaters häufte Unmengen an Schulden an und konnte sie nicht zurückzahlen. Zum Leid seiner Tochter. Sie ist nun hier, um sie abzuarbeiten. Ja, man mag über uns behaupten, wir seien Monster, die nicht die geringste Empathie besitzen. So ganz stimmt dieses Vorurteil aber auch nicht.
„Chiara?", frage ich nach, ob sie auch verstanden hat, was ich von ihr erwarte.
„Ja, Don Caruso", antwortet sie vorsichtig.
„Nenn mich nicht so. Mein Name ist Mauro."
„Ich werde mich darum kümmern, Mauro", verbessert sie sich. Eine Spur zu schüchtern blickt sie mir entgegen.
„Dann weiß ich auch, an wen ich mich wende, wenn etwas fehlen sollte!", erwidere ich scharf. Eingeschüchtert von meiner Aussage, bricht sie die Arbeit ab und beginnt mit den Aufgaben, die ich ihr aufgetragen habe. Ein leichtes Grinsen setzt sich auf meine Lippen, als ich an mir herunterschaue und nochmals bemerke, dass ich nur mit einem Handtuch bekleidet bin. Wenn doch alle hier im Haus etwas mehr spurten würden.
In meinem Zimmer angekommen, greife ich zu etwas Legerem, um vor dem Computer eine etwas komfortablere Haltung einnehmen zu können. Auf dem Weg zu meinem Büro, überlege ich kurz, Emilia einen kleinen Besuch abzustatten. Komme aber nicht dazu, weil die Rückkehr von Enea und Davide meine Anwesenheit verlangt.
„Frate, hast du es auch für nötig gehalten, dich daheim blicken zu lassen?", fragt er spielerisch. Er erntet damit einen warnenden Blick meinerseits.
„Deine Launen hättest du da lassen können", ergänzt er mit einem breiten gekünstelten Lächeln.
„In mein Büro, alle beide!" Ohne Vorbehalt gehe ich voran und trete mit verschränkten Armen durch die Tür. Davide und Enea nehmen auf den Sesseln Platz, während ich meinen Schreibtisch umrunde und ich mich in meinen Chefsessel setze.
„Und...? Lasst hören." Mein Cousin Davide ist der professionellste von uns und fackelt nicht lange rum
„Kurzfassung?" Das hört sich nach Komplikationen an.
„Ja, Kurzfassung", nicke ich ihm zu und fahre meine Hand durch die Haare.
„Er wollte nicht zahlen. Enea und ich haben den Druck etwas erhöht und dann fielen Schüsse. Er liegt nun zwei Meter unter der Erde." Puhh, wie ich Komplikationen hasse.
„Dann lege ich Wert darauf, dass ihr die Frau davon in Kenntnis setzt", sage ich einen Ton zu barsch.
„Sollen wir eine Karte schreiben oder was?", zischt Davide genervt.
„Ich denke, ihr beide seid kreativ genug. Lasst euch was einfallen." Enea ist bereits dabei, zur Tür zu laufen, als ich ihm von meinem Vorhaben erzähle: „Ich werde morgen Mittag wieder zu Hause sein. Ich fahre später raus."
„Gut, dann viel Spaß, bei was auch immer." Mit einem kurzen Nicken entlasse ich die beiden aus dem schnellen Meeting. In Ruhe gehe ich meine E-Mails durch und favorisiere die, welche die höchste Priorität haben. Den Zuschlag für das geplante Krankenhaus in der Innenstadt haben wir erhalten. Eine kurze Nachricht, mit vorgeschlagenen Terminen zur Erstbesprechung, hatte ich mir bereits im Entwurfsordner gespeichert. Es ist einfach, wenn eigene Männer in gewissen Kreisen infiltriert sind. Die Zeit vergeht rasend und ich habe jetzt genau noch Zeit, um mich umzuziehen und Emilia einzusammeln.
Prompt greife ich nach der Türklinke, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, zu klopfen.
„Hast du noch nie etwas von Anklopfen gehört?", zickt sie mich direkt an. Meine Augen finden sie schließlich im Bett. Der Anblick, wie sie sich vor mir räkelt, bevor sie eine sitzende Haltung einnimmt, erweckt in mir das Bedürfnis, sie mit ihren Händen über Kopf in die Matratze zu drücken. Im richtigen Moment weckt sie mich aus meinem Tagtraum. „Ich hatte vor zu schlafen, falls es dich interessiert."
„Nein, nicht wirklich", entgegne ich ihr und gehe weiter auf sie zu.
„Interessierst du dich überhaupt für jemanden außer dir selbst?", fragt sie schnippisch. Diese freche Zunge.
„Ich gebe dir zehn Minuten. Bleib so oder zieh dich um. Ich warte vor der Tür", informiere ich sie und will mich gerade der Tür zuwenden.
„Redest du immer so mit anderen Menschen?" Ohh, sie will streiten.
„Gibst du mir eine andere Möglichkeit?", frage ich sie provokant. Mit einem Satz springt sie vom Bett und kommt mir näher als ich erwartet hätte.
„Du gehörst zu den arrogantesten Menschen, die mir jemals begegnet sind", funkelt sie mich an. Um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, bohrt sie ihren Zeigefinger in meine Brust. Ich seufze kurz auf und umgreife ihre Hand etwas fester als nötig.
„Du spielst mit dem Feuer, Gattina", erinnere ich sie. Kraftvoll versucht sie, mir ihre Hand zu entreißen und lässt mir so keine Wahl, sie noch fester zu halten.
„Du tust mir weh!", giftet sie direkt. Unverzüglich lockere ich meinen Griff und ziehe sie so weit zu mir, dass sie nach oben schauen muss, um mir in die Augen zu sehen. Ihr Körper ist angespannt und ihre Atmung beschleunigt.
„Verzeih mir, ich wollte dir nicht wehtun", rutscht es mir raus. Ihre wunderschönen grauen Augen, die von langen Wimpern umrandet sind, starren mich ungläubig an.
„Ist dir klar, dass du dich gerade bei mir entschuldigt hast?", fragt sie leicht verträumt.
„Wir sollten gehen, wir sind spät dran." Mit ihrer Hand, die immer noch von meiner verschlossen wird, führe ich sie aus dem Zimmer nach unten zum Lamborghini Urus, der für uns bereitsteht. Sie verkrampft sich kurz.
„Wir essen nicht hier?"
„Nein, wir machen einen kleinen Ausflug." Ich öffne ihr die Tür, um sie einsteigen zu lassen, umrunde das Auto und steige ebenfalls ein. Der Motor heult auf und ich fahre mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt. Keine Sekunde später fragt sie: „Wo fahren wir hin?"
„Wir sind in zwanzig Minuten da", erkläre ich knapp. Die restliche Fahrt über ist sie eher in sich gekehrt. Der Zustand hält nur so lange an, bis sie erkennt, dass wir auf den Hafen zufahren.
„Wo bringst du mich hin?" Fast panisch klammert sie sich an den Türgriff, jederzeit bereit, aus dem noch fahrenden Auto zu springen. Unauffällig betätige ich die Kindersicherung, bevor ich ihr mit Bedacht antworte: „Dir wird nichts geschehen. Ich werde jetzt parken und aussteigen und du bleibst sitzen, bis ich deine Tür öffne." Das Zittern ihrer Hände nimmt Überhand. In einer schützenden Geste lege ich eine Hand kurzzeitig auf ihre Schulter. Ich steige aus dem Auto, gehe herum und öffne die Beifahrertür. Ängstlich steigt sie aus und schaut sich um, als könnte die Gefahr jederzeit aus dem Schatten springen, um sie zu verschlingen. Ich greife ihre Hand erneut und führe sie zu unserer Anlegestelle.
„Du bist in Sicherheit. Dafür sorge ich", versichere ich ihr im ruhigen Ton, ehe ich sie über die Rampe führe.
„Komm, ich werde das Tau lösen und dann starten wir den Autopiloten. Sobald die Yacht abgelegt hat, zeige ich dir deine Kabine." Von kurzer Dauer begebe ich mich auf den Steg, um das Tau zu lösen. Auf der Yacht zurück, ziehe ich das Tau ein und verstaue es an der dafür vorgesehenen Stelle. Die Rampe lasse ich per Knopfdruck einfahren. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ihr Blick auf mir ruht. Ich verbinde mein Handy direkt mit der Steuerzentrale und setze das Schiff auf Autopilot.
„Komm, ich zeig' dir die Kabine." Unsicher folgt sie mir, während ich selbstsicher vorangehe. Sie ist nervös.
„Wie lange bleiben wir?"
„Ich wusste nicht, dass du noch einen Termin hast", erwidere ich sarkastisch.
„Nein, das ist es nicht", bricht sie mitten im Satz ab, auf der Stille folgt.
Mittlerweile sind wir vor ihrer Kabine zum Stehen gekommen, ich öffne die Tür und lasse sie eintreten.
„Wir fahren morgen Mittag zurück. Ich war so frei und habe dir alles, was du brauchst, herbringen lassen", unterbreche ich letztendlich unser Schweigen.
„Du sagtest ein Abendessen!" Kleine Kratzbürste, aber ich werde sie mindestens genauso wütend stehen lassen, wie sie mich im Kloster hat stehen lassen.
„Ich gehe in die Kombüse. Falls du dich in der Zeit umsehen möchtest, nur zu. Ich werde dich finden, sobald es deine Anwesenheit erfordert."
Bevor ich es mir anders überlege, begebe ich mich zur Kombüse. Prüfend werfe ich einen Blick in den Kühlschrank und in die Schränke, in denen üblicherweise die Lebensmittel verstaut sind. Es kommt nicht oft vor, aber ich hatte vor zu kochen. Die Auswahl bereitet mir zwar etwas Kopfschmerzen, aber trotzdem habe ich mich schnell entschieden. Ein Drei-Gänge-Menü soll es werden, um ihren Gaumen zu verwöhnen und mit der ein oder anderen Flasche Wein, im besten Fall, ihre Zunge etwas zu lockern. Ich öffne erneut den Kühlschrank und beginne durch die Küche zu rotieren.
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