Kapitel 5 • Emilia •
Anstatt irgendetwas zu sagen, gehe ich einen Schritt zurück und merke schnell, dass das geparkte Auto, welches ich eben noch im Rücken hatte, nicht einfach verschwunden ist.
„Wir sollten reingehen, um das zu besprechen", sagt er rau. Meine Hand sitzt gerade so locker, dass es ein Leichtes wäre, einfach auszuholen. Aber was hätte ich davon, außer meiner Wut und meinem Frust kurzzeitig ein Ventil zu geben?
„Camina."
Trotzig verschränke ich die Arme vor meiner Brust, bereit, jeden Widerstand zu leisten, den mir diese Misere abverlangt.
„Sehe ich aus wie dein Hund?", frage ich sarkastisch. Ein belustigtes Grinsen legt sich auf seine Lippen: „Ich kann dich auch tragen." Ich kräusle meine Lippen: „Das würdest du nicht wagen!" Er hebt kurz eine Augenbraue.
„Cazzo." Sein Grinsen ist mit einem Mal verschwunden und zurückbleibt nur noch seine Aura, die mir unmissverständlich signalisiert, dass er keine Scherze macht. Er umgreift schon fast grob mein Handgelenk und hievt mich ohne Probleme über seine Schulter. Falls er dachte, ich würde das einfach so über mich ergehen lassen, hat er sich getäuscht. Mit meiner freien Hand haue ich immer wieder auf seinen Rücken, während ich mit meinen Beinen wie eine Wahnsinnige strampele.
„Lass mich runter verdammt!", brülle ich angestrengt, dennoch macht er keine Anstalten meine Forderung zu erfüllen. Unter Fluchgesang trägt er mich durch die Tür.
„Ich werde dich jetzt absetzen, nur wenn du keine Dummheiten machst", fordert er unbeeindruckt.
„Lass mich runter", keife ich wieder.
„Ich sagte, keine Dummheiten!", warnt er erneut. An welchem Klebstoff hat er geschnüffelt?
„Sofort!", schlage ich weiter auf seinen Rücken ein. Wie ein Blitz trifft seine Hand meinen Arsch, mit so viel Druck, dass er sich wahrscheinlich gerade darauf verewigt hat. Mit einem Ruck stellt er mich auf meine Beine. Ich weiß nicht, was schneller ist. Ist es meine Hand oder der Satz, den ich ihm im selben Augenblick entgegenspeie:
„Geht dir da einer ab?" Seine Brust berührt meine. Seine Augen sind starr und kalt auf mich gerichtet. Für einen kurzen Moment konnte ich schwören, ein Knistern zwischen uns zu spüren.
„Du hättest auf mich hören sollen", presst Signore Arrogante angestrengt zwischen seinen mahlenden Zähnen hervor.
„Fick dich!", kontere ich bissig. Und da ist sie wieder. Meine Sturheit erreicht ein neues Level, denn ich weiß mir nicht anders zu helfen, als meine Arme erneut vor meiner Brust zu verschränken und meinen Kopf zur Seite zu drehen. Er beginnt zu lachen, nein, herzhaft zu lachen und er macht es mir schwer, an meiner Sturheit festzuhalten. Ich hätte echt nicht damit gerechnet, dass er mich so aus dem Konzept bringen würde.
„Komm, ich zeige dir dein Zimmer, dann kannst du dich duschen und umziehen", bittet Mauro und klingt dabei neutral. Zu welcher kranken Sorte Mensch gehört er? Habe ich ihm einmal das Gefühl vermittelt, dass ich vorhabe zu bleiben?
„Ähmmm. Nein!" Mauro wägt ab, wie groß meine Gegenwehr wohl ausfallen könnte, ehe er weiterspricht: „Ich könnte dich wieder tragen." Dies klingt allerdings nicht wie eine Drohung, sondern eher wie ein Versprechen. Trotz alledem bin ich nicht bereit, klein beizugeben: „Ich habe nicht vor zu bleiben!"
„Du denkst wirklich, du hättest eine Wahl?", funkelt er wütend, während eine Frauenstimme immer lauter wird.
„Chie stu Casino?", schimpft sie aufgebracht, was zur Folge hat, dass Mauro noch gereizter wirkt.
„Giulia nicht jetzt!"
„Che cazzo! Mi stai rompendo le palle!", wettert sie im selben Atemzug, als ich ihr ins Auge falle.
„Giulia", mahnt Mauro sie an. Keine Ahnung, wer sie ist, aber das wäre dann wohl mein Stichwort, sich zu verabschieden.
„Ich würde sagen, ich geh' dann jetzt besser." Die Frau, die er Giulia nennt, kommt nun aufgebracht näher. Sie hat ungefähr meine Körpergröße und somit ist Mauro etwas mehr als einen Kopf größer als sie. Ihr Blick liegt auf mir, als sie die Worte wieder an ihn richtet.
„Du bist ein Arschloch!" Ich lächle in mich hinein, denn sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Du gehst jetzt besser, Giulia. Ich habe hier noch etwas zu tun", zischt er, was wohl das Ende seiner Geduld ankündigt. Doch diese junge Frau hat Feuer.
„Jetzt bringst du deine Flittchen schon mit nach Hause, ja?" Okay, das war jetzt doch ein bisschen zu viel des Guten.
„Ein Flittchen im Nonnenkostüm, ja?", platzt mir der Kragen.
„Warum nicht? Er fickt alles, was ihm unter die Finger kommt!", fordert sie mich heraus. Fuchsteufelswild beginnt Mauro zu brüllen: „DARIO!" Es vergehen einige Augenblicke, bevor ein hochgewachsener Mann die Treppe nach unten steigt. Seine Stimme ist ruhig: „Mauro, è Mamma?"
„Wir reden später! Und jetzt, schaff sie mir endlich aus den Augen! Bevor ich mich vergesse", weist Mauro den Mann an. Er schnauft: „Giulia." Seine Aufmerksamkeit liegt auf mir, als wäre ich Mona Lisa höchstpersönlich.
„Und das ist?", fragt er mit einem leicht abwertenden Ton.
„Macht hier einer im Haus überhaupt noch, was ich ihm sage?", fährt er Dario an. Der weibliche Teufel beginnt zu grinsen: „Du bist eben nicht Papá!" Sie wendet sich ab und verschwindet mit Dario nach oben.
„Charmant." Ein gespieltes und geräuschvolles Lächeln verlässt meinen Mund.
„Scusa, meine Schwester", rechtfertigt er.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin mir sicher, jedes Wort was ihren Mund verlassen hat, ist die Wahrheit. Abgesehen von dem Flittchen, welches ich nicht bin." Glücklich darüber ausgeteilt zu haben, warte ich auf seine Reaktion. Er kräuselt seine Lippen: „Gut, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja richtig, du folgst mir jetzt auf dein Zimmer oder ich trage dich erneut." Ich atme geräuschvoll aus und gebe nach: „Ich gehe unter der Bedingung, dass du mich morgen zum Flughafen bringst."
„Uffff. Ich denke darüber nach." Widerwillig lasse ich mich vorwärts schieben. Das Zimmer scheint auch im oberen Stockwerk zu sein, allerdings führt er mich nach rechts. Nicht wie bei Dario und Giulia nach links.
„So, einmal hier durch." Er hält mir die Tür auf, damit ich problemlos hindurchschreiten kann.
„Gut, ich bin hier, was jetzt?", möchte ich wissen.
„Geh duschen und zieh dich um. Ich warte solange, falls du auf dumme Ideen kommen solltest." Es ist schwer, normal zu antworten: „Ich habe nichts zum Anziehen, sondern nur das, was ich trage."
„Mach dir keine Sorgen, du findest alles, was du brauchst. Den Habit wirst du nicht mehr benötigen."
„Gut, dann raus mit dir! Oder willst du zugucken?", pfeife ich zurück.
„Frag mich das nicht, wenn du es nicht ernst meinst!", schließt er die Konversation ab.
„Dann raus mit dir!", dränge ich ihn zu gehen. Mit einem unleserlichen Gesichtsausdruck verlässt er das Zimmer. Vorsichtig begutachtete ich den Raum und finde wirklich alles, was ich für eine Dusche benötige. Ich sollte überlegen, wie ich hier schnellstens wegkomme. Vielleicht, wenn alle schlafen. Schlecht gelaunt begebe ich mich ins Badezimmer. Es ist groß und luxuriös eingerichtet, passend zu dem, was ich bis jetzt vom Anwesen gesehen habe. Wenn das, das Gästezimmer ist, will ich nicht wissen, mit wie viel Luxus und Schnickschnack die anderen Zimmer ausgestattet sind. Zügig schäle ich mich aus meiner Tunika und steige nackt unter die Duschkabine. Ich stehe in letzter Zeit öfter in Flammen, weswegen ich mir angewöhnt habe, das Wasser immer auf die kälteste Stufe zu stellen. Fröstelnd wasche ich meine Haare und auch den Rest des Körpers. Nachdem auch mein Geist endlich runtergekühlt ist, greife ich nach dem Handtuch und steige aus der Dusche.
Vor dem bodenlangen Spiegel bleibe ich stehen. Ich drehe ihm den Rücken zu und schaue über meine Schulter. Langsam lasse ich das Handtuch zu Boden gleiten und fahre mit meiner Hand über das hässliche Brandzeichen, welches Giona mir nach seiner, wie nannte er es doch gleich? Ach ja, „Strafe" verpasste. Meine nassen Haare kleben an meinem Rücken. Um mir einen Turban zu wickeln, nehme ich ein weiteres Handtuch aus dem Regal. Wie in einen Kokon gewickelt, gehe ich zurück ins Schlafzimmer, um mich dem Kleiderschrank zu widmen. Mir stockt der Atem, als ich im Schrank einiges an Klamotten finde, die ich auch zweifelsohne in meinem alten Leben getragen hätte. Sogar genug Unterwäsche liegt bei. Völlig perplex greife ich nach einem BH und muss schlucken, als ich das Größenschild betrachte. Meine Größe. Ein Klopfen dringt durch die Tür, gefolgt von der Stimme desjenigen, der meinte, vor der Tür Wache stehen zu müssen.
„Ist alles in Ordnung da drin?", will er wissen. Augenblicklich erstarre ich in meiner Position und meckere direkt darauf los: „Du bleibst schön da, wo du bist!" Stille ist wieder eingekehrt. Zügig ziehe ich mich an. Kontrollierend stehe ich erneut vor dem Spiegel, wickle meine Haare aus und bürste sie mir einmal gründlich durch. Dann heißt es nun „Lebewohl Habit."
„Sembri una gattina selvaggia", summt er amüsiert, was mich aufschrecken lässt. Ohne zu Fragen hat er sich Zutritt zum Schlafbereich verschafft.
„E tu sei un stronzo arrogante!", pöble ich ihn an. Er reagiert scheinbar gelassen auf meine Beleidigung, denn es kommen keine Widerworte. Er tut nicht mehr, als seine Nasenwurzel zu massieren.
„Schön, dass wir wenigstens in dieser Hinsicht einer Meinung sind", setze ich lächelnd nach. Mein Ziel ist es, ihn im Türrahmen stehen zu lassen, also bewege ich mich auf die Zimmertür zu, um sie zu öffnen. Bevor ich aus seiner Reichweite verschwinden kann, greift er nach meinem Hals, um mich hart gegen die nächste Wand zu drücken. Er knurrt förmlich: „Es gibt Regeln!" Der Druck, den er im ersten Moment auf meinem Hals ausübt, lässt nach, reicht aber noch aus, um mich an Ort und Stelle zu halten.
„Nimm deine scheiß Hände von mir!", zische ich sauer.
„Erstens: Zügel dein loses Mundwerk."
„Das hättest du wohl gerne!"
„Zweitens: Der Zutritt zu den Kellerräumen ist untersagt."
Auch hier habe ich eine passende Antwort: „Als ob ich Interesse an deinen Folterpraktiken hätte."
„Drittens: Mein Büro ist tabu!" Hört dieser Mann mir überhaupt zu? Wie verschoben ist seine Realität?
„Ich will weder in deine Kellerräume, noch in dein Büro oder sonst wo hin in diesem Haus. Ich will hier weg!" Er lächelt: „Und als kleiner Rat, ich dulde keine Widerworte."
„Warum hast du mich überhaupt hierherbringen lassen? Ich hätte Italien längst verlassen können." Seine Augen sind unleserlich, doch er wirkt, als würde er über meine Frage nachdenken. Ohne auf sie weiter einzugehen, löst er seine Hand von meinem Hals.
„Nun?", erkundige ich mich.
„Das ist eine berechtigte Frage", sinniert er gespielt.
„Und das ist keine Antwort darauf." Ich nehme mir vor, nicht aufzugeben. Seine Hintergründe erscheinen mir so schleierhaft, dass ich das Gefühl habe, besser über seine Beweggründe Bescheid zu wissen, als weiter im Unklaren darüber zu sein.
„Die Antwort würde dich nicht zufriedenstellen", offenbart er mir.
„Das entscheide ich lieber selbst."
„Schlichtweg, weil ich's kann." Ich lache humorlos auf: „Definitiv, nicht zufriedenstellend."
„Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass ich lediglich wissen wollte, wie eine Frau wie du ins Kloster gestolpert ist?" Das kann doch nicht sein ernst sein.
„Was ist, wenn es mich neugierig gemacht hat, was dich Hals über Kopf zur Flucht veranlasst hat? Du musst mir nicht antworten, ich habe Zeit und du hast Zeit dich hier einzugewöhnen", er kommuniziert das so, als wäre es das normalste der Welt, eine Frau gegen ihren Willen festzuhalten.
„Du denkst wirklich, dass ich hier so lange bleibe, bis du es herausgefunden hast? Ich hätte nicht gedacht, dass dein Intelligenzquotient so niedrig ist", wettere ich herausfordernd.
„Denk an die erste Regel", versucht er mich einzuschüchtern.
„Ich scheiß' auf deine Regeln!"
„Gut, dann wirst du sehen, dass das ganze Konsequenzen hat", erwidert er kühl. Seine Körpersprache ist mehr als eindeutig. In dem Moment, in dem er einen Schritt auf mich zu macht, zucke ich zusammen. Der erwartete Schlag bleibt allerdings aus. Zögerlich schaue ich auf und erkenne sofort die tiefe Falte, die sich auf seiner Stirn gebildet hat.
„Du dachtest, ich wollte dich schlagen?", seine Stimme hat einen überraschenden Unterton.
„Warum solltest du anders sein, als die anderen Männer mit Macht?", frage ich ungläubig.
„Ich schlage keine Frauen, nicht auf diese Weise", erklärt er ernst.
„Was erwartet mich dann für eine Konsequenz?"
„Du wirst mit mir zu Abend essen. Ich denke, das wäre Strafe genug, wenn du meine Anwesenheit weiter ertragen musst." Vielleicht sollte ich aufhören, in jedem Mann Giona zu sehen.
„Ich habe einiges zu erledigen. Wenn du dich etwas umsehen möchtest, werde ich Giulia bitten, dich herumzuführen." Er wendet sich gerade ab, als ich beschließe, das Gespräch weiterzuführen.
„Mauro?"
„Emilia?" Ich nehme meinen Mut zusammen und stelle die Fragen der Fragen: „Warum sind im Schrank alle Klamotten in meiner Größe?" Sein Gesichtsausdruck wird wieder härter: „Das erzähle ich dir vielleicht beim Abendessen." Mutig gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu.
„Hast du sie ausgesucht?", dränge ich weiter auf eine Antwort.
„Vielleicht", seine Miene heitert leicht auf. Sprachlos bleibe ich vor ihm stehen und weiß nicht, was ich sonst tun soll.
„Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?", erkundigt Mauro sich.
„Nein", antworte ich frei von jeglicher Emotion.
„Gut." Er öffnet die Tür und lässt mich alleine zurück. Ich würde mich am liebsten aufs Bett schmeißen und schlafen. Vielleicht sollte ich das auch tun, wenn ich wirklich mit dem Gedanken spiele, heute Nacht mit meiner Flucht zu beginnen.
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