Kapitel 27 • Emilia •
Ich bin erstaunt, dass Rosa ein Gespräch unter vier Augen anstrebt und gleichzeitig macht sich Unbehagen breit. Ich trete ein und registriere die unzähligen Maschinen, die an Rosa angeschlossen sind. Neben der Tür steht ein Servierwagen, mit frischen Gläsern und ausreichend Wasser. Mit einem Glas und einer Flasche Wasser bewaffnet, trete ich näher ans Bett. Rosa erfasst meine Anwesenheit sofort und deutet, so gut es ihr möglich ist, auf den Stuhl neben ihrem Bett.
„Möchtest du etwas trinken?", möchte ich in Erfahrung bringen und halte die Flasche gut sichtbar in die Höhe.
„Ein Strohhalm wäre gut. Sei so gut, unter den Gläsern sind welche." Am Nachtschränkchen fülle ich das Glas mit Wasser und führe es mit dem Strohhalm an ihren Mund. Es fällt ihr schwer zu trinken und sie nimmt nur kleine Schlücke zu sich. Sie nickt ab und ich stelle das Glas zurück auf die Ablage.
„Setz dich Liebes." Ihre Stimme ist schwach.
„Kann ich dir noch etwas Gutes tun?", frage ich sie lächelnd.
„Nein, schon gut. Ich möchte wissen, wie es dir geht." Unbewusst greife ich an meinen Hals und versuche die Flecken, die immer noch nicht abgeklungen sind, zu bedecken.
„Es geht mir besser", entgegne ich wahrheitsgemäß. Es geht mir besser, heißt trotzdem nicht das es mir gut geht.
„Emilia, ich muss dich etwas fragen. Ich glaube die Antwort zwar schon zu kennen, aber ich möchte sie von dir hören." Es jagt mir eine Heidenangst ein, nicht zu wissen, in welche Richtung ihre Gedanken gehen. Ich nicke ihr leicht zu und gebe damit grünes Licht, um fortzufahren.
„Ich bin mir sicher, dass dir nicht entgangen ist, für was der Name Caruso steht. Dafür bist du schon zu lange bei uns. Mauro liebt dich, auch wenn er vielleicht niemals dazu in der Lage sein wird, es auszusprechen. Aber ich weiß es, er wollte dich, seitdem er dich das erste Mal gesehen hat, auf der Beerdigung von Isabella." Meine geweiteten Augen sollten Aufschluss genug sein. Sie lässt sich davon nicht beirren und spricht weiter: „Er wird Grenzen für dich überschreiten und ich muss wissen, ob du fähig bist ihn zu verraten." Ich verstehe ihre Anspielung, aber dass ich Giona verraten habe, hatte andere Gründe. Gründe, die Mauro mir niemals liefern wird.
„Ich schulde ihm so viel, ich würde niemals." Doch sie unterbricht mich.
„Es tut mir leid, was dir passiert ist. Wirklich, aber ich muss meine Familie in Sicherheit wissen. Ich habe meinen Mann verloren, wenn meinen Kindern etwas passieren würde ..." Ich kann zwischen den Zeilen lesen und verstehe die indirekte Drohung dahinter.
„Warum stellt sich Dario gegen Mauro?" Die Frage geht schneller über meine Lippen, als mir lieb ist. Ich wünschte, ich hätte nichts gesagt, es könnte einen falschen Eindruck vermitteln, aber ich verstehe es nicht.
„Kleines, du weißt nichts über unsere Welt. Dario hatte das Anrecht auf Mauros Position, er hätte sie auch bekommen, wenn er sich nicht im Sog der Trauer verloren hätte." Sie ist sachlich und dennoch verstehe ich den Zusammenhang nicht.
„Er verdient eine zweite Chance und die erhält er, wenn er Capo dei Capi wird. Es ist eine Ehre, der Anker der Cosa Nostra zu sein." Sie spricht mit einer Selbstverständlichkeit, die mich fasziniert.
„Sie wollen Giona, als eine Art Vertrauensvorschuss", schlussfolgere ich. Sie beginnt zu husten, es muss ihr Schmerzen bereiten, denn sie stöhnt leicht auf.
„Wasser", krächzt sie.
„Natürlich." Ich setze mich schnell in Bewegung und führe das Glas zu ihrem Mund. Sie trinkt und das Husten verschwindet.
„Mach dir keine Sorgen um Giona, er wird zwar der Kommission übergeben, aber das heißt nicht, dass er weiterleben darf." Sie versucht den Druck rauszunehmen, ebenso versucht sie mich zu überzeugen.
„Du wirst ihn nie wieder sehen müssen, er wird für das bezahlen, was er dir angetan hat, uns angetan hat", stellt sie klar. Es beruhigt mich einerseits, aber ob das meine Narben heilen wird, wage ich zu bezweifeln.
Einige Zeit später sind wir zurück im Anwesen, auf dem Rückweg haben wir an einer Pizzeria gehalten, um Essen zu holen. Keiner hatte heute wirklich Zeit, um zwischendurch zu kochen.
„A mangiare!" Enea hat für Pizza gestimmt, da Mauro und ich uns nicht entscheiden konnten.
Davide gesellt sich zu uns.
„Wie geht es Rosa?" Er öffnet den Karton, ohne auf jemanden zu warten, und schnappt sich ein Stück, der noch dampfenden Pizza.
„Sie ist noch schwach, aber sie macht Fortschritte", erklärt Enea und deckt den Tisch provisorisch. Im Endeffekt stellt er nur eine Küchenrolle und ein paar Plastikbecher auf den Tisch.
„Pizzzzaa!" Giulia tritt in die Küche und freut sich über unser Mitbringsel. Sie stellt einen der Kartons auf die Anrichte und setzt sich lieber dorthin, statt zu uns an den Tisch.
„Du solltest was essen." Mauro legt die Hand an meinen unteren Rücken und schiebt mich regelrecht zum Tisch.
„Okay, okay." Ich gebe mich geschlagen und nehme Platz. Mauro greift über mich nach dem Karton und zieht ihn regelrecht von den anderen weg.
„Es wird kalt." Seine Art hat sich mir gegenüber verändert. Er ist sanfter geworden, hat seinen befehlenden Ton abgelegt und setzt öfter auf gutes Zureden. Ich schaue zu ihm auf und kann sogar ein kleines Lächeln entbehren. Eine Mahlzeit ist genau das, was ich jetzt brauche.
Alle sind ins Essen vertieft und eine angenehme Stille hat sich über uns gelegt. Ich lasse das Gespräch mit Rosa Revue passieren und komme zu dem Entschluss, dass ich Mauro niemals etwas Schlechtes wünschen könnte. Selbst am Anfang, als er mich gegen meinen Willen hier festhielt. Auch nicht, als er mich in meinem Zimmer einsperrte. Mein Unterbewusstsein sagte mir, ich solle ihm vertrauen und das tat ich, ganz gleich, wie unerträglich er teilweise war. Die Erinnerung an seine vollen Lippen lassen mein Herz erwärmen. Ob ich eines Tages wieder dazu in der Lage bin, körperliche Nähe zuzulassen?
Mit 29 Jahren so beschädigt zu sein, ist einfach nur traurig.
„Ich muss los, Dario und ich treffen uns mit Babatunde", klatscht Davide in seine Hände, bevor er sich auf und davon macht. Giulia räuspert sich: „Ich würde euch ja weiter mit meiner Anwesenheit beehren, aber ich muss in den Club. Die Übergabe ist in einer Woche und ich muss mich noch einfinden." Sie sieht glücklich aus, als hätte sie endlich eine Aufgabe gefunden.
„Gut, und was treiben wir schönes?" Enea, blickt fragend zu uns rüber. Mir blitzt eine Idee auf, die ich vielleicht bereuen werde, aber das hält mich nicht davon ab, es vorzuschlagen.
„Ich könnte einen Drink gebrauchen." Ja, ich könnte wirklich einen gebrauchen. Eine kleine Ablenkung, ein Versuch kurz zu vergessen, bevor ich morgen das letzte Mal in die Augen des Teufels blicke. Ich werde Giona hinter mir lassen. Er wird sterben, während ich überlebt habe.
„Wenn du das willst." Schulterzuckend zieht Enea eine Grimasse und wartet auf Mauros Zustimmung.
„Dann trinken wir was." Ich habe mit mehr Gegenwind gerechnet, aber so ist es mir ganz recht. Ich hake mich bei beiden ein und lasse mich führen. Wir gehen ins Obergeschoss, die linke Seite, die ich bis jetzt nur einmal betreten habe. Die meisten Zimmer waren abgeschlossen, weswegen ich sicher war, dass es sich um Schlafzimmer handelt. Enea stößt die Tür auf und ich falle vom Glauben ab. Ernsthaft? Warum durfte ich das nicht sehen?
„Okayyy." Ich schlucke schwer und lege meine Stirn in Falten.
„Ich durfte das nicht sehen, weil?" Verblüfft trete ich ein. Das Zimmer hat die Größe einer Wohnung. Es ist beige gehalten, Holz und naturbelassene Steine verleihen dem Raum einen besonderen Flair. Ich gehe weiter rein, fahre im Vorbeigehen über den Tresen, der aus weißem Marmor besteht. Die Bar ist für mindestens fünf Jahre, mit ausreichend Alkohol bestückt.
„Naja, das ist unser Herzstück", wirft Enea erklärend ein und lehnt sich gegen den Billardtisch. Es ist, gelinde gesagt, ein beachtlicher Blickfang und gibt dem Ambiente im Zusammenspiel mit dem Kamin eine gemütliche Note. Neugierig versuche ich zu erspähen, was hinter dem Kamin liegt, erkenne aber nur eine Gruppe von Sesseln.
„Das ist Eneas und Davides Zone. Stehst du auf Spielkonsolen?" Ich habe nicht bemerkt, dass Mauro hinter der Bar sich bereits zu schaffen gemacht hat.
„Ähm 'ne, nicht wirklich." Er wäscht Zitrusfrüchte und schneidet sie anschließend in Scheiben, die er wiederum halbiert.
„Frate, Tequila? Ich bin dabei." Enea, geht Mauro zur Hand und holt zwei Flaschen aus dem Regal.
„Gold oder Silber?" Er hält sie kurz hoch und beginnt beide aufzuschrauben.
„Gold, bitte." Ich schmunzele leicht, während ich den Barhocker rausziehe und ihnen gegenüber Platz nehme. Enea verzieht das Gesicht.
„Gold? Du hast keine Ahnung." Er schüttelt belustigt seinen Kopf und schenkt drei Gläser ein. Er nimmt den Tequila Silver vor sich und schiebt die beiden Goldenen zu Mauro und mir.
„Zimt?" Mauro schiebt die Orangenscheiben zu mir und den Zimt aufrecht in meine Richtung. Ich nehme es dankend an, schütte eine Prise Zimt auf die Orangenscheibe.
„Hast du dein Salz?", vergewissere ich mich.
„Pronto?
„Auf die Vorzüge von Alkohol." Ich kippe es runter, ohne großartig auf die Anderen zu achten. Das brennende Gefühl ist mehr als befriedigend.
„Ich dachte eigentlich, du wartest auf uns", spielt Enea leicht beleidigt. Er zieht mein Glas zurück und schenkt mir ein weiteres ein.
„So, jetzt richtig. Salute." Wir heben die Gläser und trinken. Das Zweite brennt genauso wie das Erste, aber es ist definitiv nicht das Letzte. Ich werde nicht schlafen gehen, bis wir diese Flasche geköpft haben. Wir lassen den Tag, ohne viel zu reden ausklingen und dafür bin ich dankbar. Nach der halben Flasche Silver, die Enea wohlgemerkt alleine gelehrt hat, klettert er auf den Billardtisch und zückt sein Handy. Musik dröhnt aus den Boxen und bei Gott, er spielt Tarantella. Zu unserem Bedauern kann er sogar den Text. „A matina nun c'è suli ca mi sconza stu duluri e la sira nun c'è friscu ca m'astuta stu disiu.."
Mauro, erhebt sich mehr belustigt als genervt und nimmt das Handy an sich. Die Musik übertönt Mauro, aber ich bin sicher, er möchte die kleine Tanzeinlage schnellstmöglich beenden.
Ne, falsch gedacht, er wechselt. Sobald das Lied ertönt, springt Enea vom Tisch. Er schnappt sich Mauro und beide beginnen zu singen. Die kleine Einlage bringt mich zum Lachen.
„Osteria numero 1 Para ponsi ponsi po, con le donne n c'è fortuna Para ponsi ponsi po."
Ausgepowert, aber glücklich, stellen sie die Musik leiser, bevor sie wieder hinter die Bar wandern.
„Tarantella also?" Ich muss schmunzeln, sie haben mich eiskalt erwischt. Viele Musikrichtungen, würde ich ihnen zumuten, aber Folklore?
„Sind wir dir zu uncool?" Mauro schaut zu Enea, beide brechen in Gelächter aus, was echt ansteckend ist.
„Wir sind ihr zu uncool", er schaut wissend zu Mauro, ehe beide wieder zu lachen beginnen. Mauros echtes Lachen ist wunderschön. Es fällt mir schwer, den Blick abzuwenden. Er merkt, dass ich ihn beobachte und hält meinem Blick intensiv stand. Enea ist das nicht entgangen. Er verabschiedet sich und lässt uns beide alleine.
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