Kapitel 25 • Emilia •


Enea weiß mit seinen Worten umzugehen. Es ist angenehm, mit jemandem zu sprechen, der Ruhe und Verständnis ausstrahlt. Er setzt mich nicht unter Druck und hört auf nachzuhaken, wenn er den Eindruck hat, dass es zu viel sein könnte. Bei Mauro ist es anders, seine Aura ist dominanter und sein Wesen darauf bedacht, stets die Kontrolle zu behalten. Mauro ist stur und aufbrausend, was auf mich eine äußerst anziehende Wirkung hat. Grotesk, ich weiß. Und genauso grotesk ist es, dass mein Kopf und mein Bauch sich uneinig sind. Es war bis jetzt immer so, wenn beide nicht einer Meinung waren und ich dem Bauchgefühl nachgegeben habe, dass ich mich in einer Abwärtsspirale wiedergefunden habe. Wenn es wirklich stimmt, was Davide mir versprochen hat, habe ich nichts mehr zu befürchten. Ich könnte gehen.

Ich wäre frei ...

„Wie wird es weitergehen?", frage ich, bevor Enea die Tür erreicht. Er wird langsamer, bis er letztendlich zum Stehen kommt. Er hält kurz inne, ehe er sich zu mir dreht.

„Das liegt in deiner Hand." Das kurze Lächeln wirkt aufgesetzt und hinterlässt den Beigeschmack von Unaufrichtigkeit. Ich gehe auf ihn zu, versuche, hinter die Fassade zu schauen. Mit Bedacht lege ich meine Hand auf seine Brust. Seine braunen Augen ruhen auf meinem Gesicht, zum ersten Mal unleserlich.

„Ich meine es ernst, was ist, wenn ich mich entscheiden sollte zu gehen?" Ich frage diesmal genauer und versuche in seinen Augen die Wahrheit zu finden. Der Ausdruck seiner Augen ändert sich schlagartig. Es ist das Zusammenspiel seiner Pupillen und seiner Iris, welche mir darüber Aufschluss gibt, dass er mich nicht anlügt. Gleichzeitig führt er eine Hand an meine Wange, die andere auf die Hand auf seiner Brust.

„Wenn du gehen willst und woanders neu anfangen möchtest, werde ich dich bringen, egal wohin", flüstert er und küsst meine Stirn. Ich schließe meine Augen, lasse seine Worte auf mich wirken. Erst nachdem er sich von mir gelöst hat und ich die Türklinke höre, öffne ich meine Augen. Er schaut nicht zurück, sondern geht ohne ein weiteres Wort und schließt die Tür hinter sich.

Da bin ich nun, weiß nicht, wohin mit mir.

Glückwunsch, ich habe den Tag hinter mich gebracht, trotz des nie enden wollenden Gefühls. Seitdem Enea gegangen ist, habe ich mich ins Bett verkrochen und mir die Zeit mit Netflix vertrieben. Es ist spät, bereits nach Mitternacht, als ich notgedrungen aufs Bad zusteuere. Egal wie ausgelaugt ich bin, Zähneputzen muss sein. Der erste Blick in den Spiegel ist erschreckend. Mein malträtierter Hals ist für jedermann sichtbar gewesen. Ich fahre mit größter Vorsicht darüber, betrachte ihn von allen Seiten. Die Spuren des Gürtels, würden noch eine Weile brauchen, bis sie endgültig verschwinden. Mit sauberen Zähnen und frischen Oversize-Shirt kuschle ich mich zurück in das warme Bett. Nur das Licht von der Terrasse verhindert, dass der Raum von der Dunkelheit komplett eingenommen wird. Auf dem Rücken liegend starre ich an die Decke und verfolge die Schatten der Bäume, die im frühherbstlichen Wind umher tanzen. Die Nacht ist still, so still, dass es mir nicht möglich ist, meine Augen zu schließen.

Schweißgebadet schrecke ich hoch, der Anblick lässt meinen Puls in die Höhe schnellen, denn ich habe es nicht bemerkt, wie er sich in mein Zimmer schlich und an meinem Fußende Platz genommen hat.

„Ich musste dich sehen", flüstert er ungewöhnlich ruhig. Das fahle Licht lässt mich seine Gesichtszüge nur erahnen. Er sagt nichts weiter, lässt die Stille den Raum gänzlich ausfüllen. Ich rutsche zurück und suche halt am Kopfende des Bettes. Er stützt seine Ellenbogen auf seinen Knien ab und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Ein tiefer Seufzer seinerseits, lässt mich meine Stellung aufgeben. Ich krieche aus dem Bett und setze mich kniend vor ihn. Behutsam strecke ich meine Hand aus, möchte ihm zeigen, dass ich da bin.

„Nicht", wispert er heißer, als hätte die Berührung seine Haut verbrannt.

„Mauro?" Ich kann jetzt nicht locker lassen und packe seine Hände.

Das, was ich zu sehen bekomme, sollte mich vom Glauben abfallen lassen. Seine Augen sind rot und glasig. Sie kämpfen darum, die Tränen zurückzuhalten. Er schaut an mir vorbei und ist nicht in der Lage, meinen Blick zu erwidern. Ich lege meine Hände auf seine zitternden Knie und nehme eine aufrechte Haltung ein. Es bricht aus ihm heraus, als er letztendlich zu mir schaut.

„Ich konnte dich nicht beschützen", murmelt er leiser werdend, bis seine Stimme versagt. Er versucht sein Zittern unter Kontrolle zu bringen, indem er seine Hände zu Fäusten ballt. Ich versuche ihn zu beruhigen, lege meine Hände auf seine Wangen und dirigiere sein Gesicht zu mir.

„Ich bin hier." Ich lege meine ganzen Empfindungen in diese Worte, in der Hoffnung, ihn damit zu erreichen. Es ist seltsam ihn so verletzlich zu sehen, ist er nicht immer derjenige, der frei von Gefühlen zu sein scheint. Tränen bahnen sich einen Weg an die Oberfläche und ich kann nichts anderes tun, als meine Stirn gegen die Seine zu lehnen.

„Es ist nicht deine Schuld", spreche ich mit gedämpfter Stimme und lege meine Lippen auf die seinen. Es ist eine Kurzschlussreaktion. Mein Wunsch, ihn bei mir zu haben, ist größer, als von ihm getrennt zu sein. Er erwidert den Kuss zaghaft, mit Bedacht, als könnte ich jederzeit zerbrechen. Kurzzeitig löse ich mich von ihm.

„Bleib bei mir." Ich streife mir eine Haarsträhne zurück und steige anschließend ins Bett zurück. Die Decke schlage ich auf und beobachte ihn dabei, wie er aus seinen Schuhen schlüpft. Er entledigt sich seines T-Shirts und seiner Hose, bevor er zu mir unter die Decke kriecht. Wir liegen einander zugewandt und beobachten einander. Es ist nicht zu übersehen, dass seine Anspannung noch nicht abgefallen ist. Deswegen streichle ich über seine Wange, fahre über seinen Haaransatz und lasse meine Hand auf seiner Halsbeuge ruhen.

„Du bist alles für mich." Es ist kaum ein Flüstern, dennoch verstehe ich jedes einzelne Wort. Er nimmt meine freie Hand, küsst sie, um das Gesagte zu untermauern. Erwartungsvoll schaut er mich an, versucht in meinem Gesicht zu lesen, wie es um meine Gefühle aussieht. Was mich umso sprachloser macht. Zwischen uns ist etwas, was ich nicht erklären kann. Von Liebe kann ich nicht sprechen, nicht nach so einer kurzen Zeit. Ich kann es nicht erwidern, nicht jetzt und es ist ungewiss, ob ich dazu jemals in der Lage sein werde. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man, was keiner dabei erwähnt ist, dass Narben zurückbleiben. Bei Gott, wir werden lernen, damit zu leben.

„Gib mir Zeit." Es ist sicherlich nicht das, was er hören will, aber es ist die Wahrheit. Er versucht es sich nicht anmerken zu lassen, vorgebeugt küsst er meine Stirn und lässt seine Stirn mit geschlossenen Augen an meiner ruhen.

„Versuch zu schlafen."

Das sanfte Streicheln durch meine Haare weckt mich schneller als mir lieb ist. Ich rühre mich nicht, möchte nicht, dass sich an dem „jetzt" etwas ändert. Mit dem Kopf auf seiner Brust und meinen halben Körper auf ihm habe ich ihn gänzlich bewegungsunfähig gemacht. Sein Atmen kitzelt meinen Scheitel und seine Hände liebkosen meine Haare. Der regelmäßige Herzschlag und seine Körperwärme geben mir Geborgenheit.

„Wie lange möchtest du noch so tun, als würdest du schlafen?", neckt er mich liebevoll. Es zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht, dass er mich eiskalt erwischt hat.

„Ich möchte nicht aufstehen", verkünde ich und mache mich absichtlich schwer. Ihn amüsiert mein Verhalten so sehr, dass ich ihn sogar grinsen höre. Ich schaue zu ihm auf und seine warmen Augen erfassen sofort die meinen.

„Du musst aufstehen", stelle ich enttäuscht fest.

„Ich möchte, dass du mir heute nicht von der Seite weichst, das schließt ein, dass wir beide jetzt aufstehen müssen. Dario, hat eine Familiensitzung einberufen." Es überrascht mich, das zu hören.

„Ich glaube, das ist keine gute Idee." Die Bedenken sind berechtigt. Sein Bruder mag mich nicht sonderlich, abgesehen davon, bin ich kein Teil dieser Familie.

„Du bist ein Teil von mir, selbst wenn du dich damit schwertust. Komm, steh auf. Ich muss dich sonst küssen. Nur zur Info ich habe miesen Mundgulli." Er schaut provozierend auf meine Lippen. Mit einem dicken Lächeln schließt er seine Augen und formt einen Kussmund.

„Okay, ich steh' auf", gebe ich mich geschlagen. Ich stehe zuerst auf, gehe an den Schrank und suche mir etwas Frisches für den Tag raus. Er sitzt und beobachtet mich vom Bettrand aus. Er wartet, bis ich im Bad verschwunden bin, bis er dazustößt.

Ich verschlucke mich fast an der Zahnbürste, als ich realisiere, dass er vollkommen nackt ist. Er wirft mir einen unschuldigen Blick zu, während er die Glastür der Dusche öffnet und im nächsten Augenblick darin verschwindet. Wie versteinert, fixiere ich ihn durch den Spiegel. Einzig und allein meine Hand ist in Bewegung. Die Regendusche springt an und im nächsten Moment rieselt das Wasser auf ihn herab. Es fließt durch seine Haare, an seinen breiten Schultern entlang. Unaufhaltsam bahnt es sich einen Weg über die definierten Muskeln seines Rückens. Weiter traue ich mich gar nicht zu schauen. Er greift nach dem Duschgel und beginnt sich einzuschäumen.

Und ich? Ich spucke die restliche Zahnpasta aus und ergreife die Flucht. Es vergehen weitere zehn Minuten, bis er mit einem sehr tief sitzenden Handtuch um die Hüfte aus dem Bad kommt. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich abzutrocknen. Ich schlucke schwer und husche umgehend zurück ins Badezimmer.

„Ich hole mir etwas zum Anziehen." Lässt er mich durch die geschlossene Tür wissen. Ich warte, bis er gegangen ist, ehe ich ebenfalls unter die Dusche steige. Er mag ein Warmduscher sein, aber ich bevorzuge die Kälte.

„Sei pronta?", fragt er mich, so wie ich ins Schlafzimmer komme. Er ist schwarz gekleidet, bis oben hin zugeknöpft. Lediglich seine Ärmel sind hochgekrempelt und geben die Sicht auf seine Unterarme frei. Ich gehe auf ihn zu, möchte wissen, was es mit der Familiensitzung auf sich hat.

„Warum sagtest du gleich, ist meine Anwesenheit erforderlich?" Es wäre nur fair, wenn ich wüsste, was von mir erwartet wird.

„Ich möchte dir nichts vormachen, es geht um Giona." Er ist angespannt und presst seinen Kiefer zusammen.

„Er hat den Tod meines Vaters befohlen. Es wird entschieden, was mit ihm geschieht", fährt er nach einer kurzen Pause fort. Er weiß nicht, dass Enea mir bereits von Vincenzo erzählte, also nicke ich nur leicht.

„Ich möchte, dass du dabei bist."

„Er wird sterben", schlussfolgere ich.

„Er wird sterben, wie Lorenzo." Kälte liegt in seiner Stimme. Davide hat mir erzählt, dass beide ein bitteres Ende erwartet. Ich hätte nur nicht gedacht, dass Mauro es so schnell umsetzen würde.


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