Kapitel 22 • Mauro •
Mein Wecker reißt mich aus meinem wohlverdienten Schlaf. Ich wusste schon als ich ins Bett ging, dass ich es heute bereuen werde, nicht gleich nach dem Besuch bei Giona schlafen gegangen zu sein. Mich zog es in mein Büro, an meinen Computer. Das Ergebnis davon war eine schlaflose Nacht. Niemals hätte ich danach einfach schlafen gehen können. Ich schaute mir das Video an, immer und immer wieder, bis sich schließlich das Bild von Emilia in meinen Kopf festgebrannt hat. Ich ging zurück zu Lorenzo, zertrümmerte seine Kniescheiben und verlagerte das Gewicht auf seine Beine. Davide war sicherlich schlauer gewesen und ging ohne weiteres nach Giona unter die Dusche und anschließend ins Bett. Ich habe mein Handy heute Nacht nicht mehr gecheckt, das muss ich nun gleich nachholen.
„Mamma ist aus dem OP. Die nächsten 24 Std. sind kritisch! Melde mich später."
Ich nehme mir vor, später zu antworten. Jetzt sollte ich zusehen, dass ich mich schnellstmöglich zu Lorenzo in die Zelle begebe. Ich massiere meine Stirn, versuche meine Ideen, die ich heute Nacht hatte, neu zu beleben.
„Düster, blutig, nein episch". Ich fahre mir durch die Haare und festige damit rein symbolisch mein Vorhaben. Etwas schneller als sonst suche ich mir sportliche Kleidung raus. Auch wenn die Dusche sich später als umsonst herausstellt, entscheide ich mich zuerst für die nötige Körperhygiene.
Frisch geduscht und umgezogen, laufe ich in einem strammen Tempo in die Küche. Ein doppelter Espresso, wird mein müdes Blut in Wallung bringen. Mein Geist hat es nicht nötig, denn dieser strotzt nur so vor Tatendrang. Ich drücke den Knopf und das vertraute Knacken des Mahlprozesses setzt ein. Um mein Gewissen zu erleichtern, versorge ich Enea mit dem Wissen, dass Giona für den Tod Papàs verantwortlich ist. Seltsam, dass Davide noch nicht wach ist. Ist er nicht der, der vor uns allen zuerst in den Tag startet? Ich würde ihn nicht wecken, denn wie jeder weiß sollte man einen schlafenden Bären nicht wecken. Die vorgestrige Nacht war für uns alle eine Herausforderung. Ich verzichte aufs Frühstück und zünde mir stattdessen eine Kippe an. Natürlich wäre ein Cornetto zum Espresso besser gewesen, aber ich will nicht, unnötig Zeit verlieren.
„Hey", begrüßt mich meine Schwester verschlafen.
„Du bist wach?", frage ich erstaunt, kommt es doch nur sehr selten vor, dass Giulia vor elf aus dem Bett kommt.
„Ich hab dich gestern nicht mehr gesehen. Dario hat angerufen, um mir zu sagen, dass die OP von Mamma länger dauert und dass es Komplikationen gibt."
„Ja, Enea hat sich gemeldet", schneide ich kurz an. Giulia ist den Tränen nahe. Es tut weh, sie so zu sehen. Ich drücke die Kippe aus und ziehe sie in eine feste Umarmung.
„Sie wird es schaffen. Mamma ist zäh", versuche ich sie zu beruhigen. Sie drückt sich leicht von mir, um mich genau anzuschauen.
„Er soll leiden! Papà ist tot, Mamma ..." Sie bricht ab, denn die Tränen gewinnen überhand.
„Er wird leiden, für das, was er unseren Eltern angetan hat", versichere ich ihr und gebe damit ein Versprechen.
„Und Emilia", korrigiert sie und fordert mich unwissend damit auf, darauf einzugehen.
„Lass Lorenzo meine Sorge sein", gebe ich ihr mit einem knurrenden Unterton zu verstehen. Ich habe nicht vor, ihr meine Pläne für Lorenzo zu offenbaren. Wir haben sie aus den blutigen Angelegenheiten der Familie stets rausgehalten und ich habe nicht vor, das zu ändern. Ihre Stimmung ändert sich schlagartig. Zweifelsohne gibt es etwas, das bis jetzt ungesagt blieb.
„Sag es mir!", fordere ich letztendlich ein, ohne zu wissen, welche Lawine ich damit in Gang setze. Ihre Nasenflügel beginnen sich aufzublähen und ihre Atmung wird schlagartig schwerer.
„Sag mir, was du weißt!", fordere ich lauter.
„Ich habe das Video gesehen, Mauro." Gibt sie zögerlich preis. Ich erkenne es an ihren angespannten Gesichtszügen, dass sie noch mehr zu sagen hat.
„Ich habe Ihre Verletzungen gesehen", erzählt sie weiter und lässt die gesehenen Bilder ungewollt aufblitzen.
„Diese Verletzungen können unmöglich so entstanden sein." Sie klingt besorgt, was mich in Alarmbereitschaft versetzt.
„Ihr Hals, das muss danach passiert sein", stelle ich wissend fest. Ihr Hals wies eindeutige Würge und Strangulierungsmale auf.
„Nein, Mauro, ihr gesamter Körper gleicht einem einzigen Bluterguss. Es ist mehr passiert, als auf dem Video zu sehen ist. Ich glaube nicht, dass es Lorenzo war."
„Sprich es nicht aus!", bitte ich, sie eine Spur zu forsch. Ich werde keine Minute mehr verstreichen lassen. Ich werde mir diesen Hurensohn holen, und zwar jetzt.
„Wo willst du hin?", ruft sie mir hinterher. Ich lasse sie allerdings ohne eine Erklärung zurück.
Zielstrebig laufe ich den Kellerkorridor entlang, bis mich eine vertraute Stimme zum Stocken bringt. Mein Cousin befindet sich nicht wie angenommen in seinem Bett. Er ist nicht allein. „Quel maledetto stronzo!" Meine Gangart wird strenger, ebenso wie mein Blick. Davide, der Gewissenhafteste unter uns, hat das Größte der Gebote gebrochen, die Omertà.
„Ich verspreche dir ..."
Ich platze in die Unterhaltung der beiden. Sie haben sich in einen separaten Raum zurückgezogen und bemerken mich erst, als ich die angelehnte Tür aufstoße. Reflexartig schiebt er sie schützend hinter sich, wohl wissend, dass das Ganze aus dem Ruder laufen könnte. Sie hält ihren Kopf gesenkt, dennoch kann ich erkennen, dass sie geweint haben muss. Was zum Teufel hatte Davide vor?
„Mauro", ermahnt er mich und hält meinen kalten Blick stand.
„Schaff sie hier raus. Sofort!", schreie ich tief und kehlig. Ich will keine Missverständnisse erwecken und funkle ihn drohend an. Er muss verstehen, dass ich es ernst meine und kein weiteres Wort dulden werde. Seine Körperhaltung ist vielsagend, vor allem, dass er damit keineswegs einverstanden ist. Er zieht Emilia vor, schiebt sie sanft Richtung Tür. Auf meiner Höhe packt er kurz nach meinem Kragen.
„Du machst einen Fehler", behaart er eisern und schubst mich am Kragen kraftvoll nach hinten. Flammender Zorn entzündet sich, nachdem er das Streichholz in den Brandbeschleuniger geworfen hat. Er geht durch die Tür und lässt mich in meiner eigenen Hölle schmoren. Erst als die Bunkertür fest verschlossen ist, gehe ich zu Lorenzos Zelle. Die flackernden Neonröhren sollten Ankündigung genug sein. Er schaut hoffend durch die Glasfront, obwohl er weiß, dass er diese Zelle nicht lebend verlassen wird. Ich schaue ihn genauer an. Seine Gestalt wirkt ausgelaugt und seine Augen sind eingesunken. Fakt ist, er ist dehydriert. Seit seiner gestrigen Ankunft habe ich ihm die Nahrung und Flüssigkeitszufuhr verweigert. Ich öffne die Tür hinter mir, um eine Art Speisewagen herauszuziehen und rolle ihn vorwärts in einen weiteren Raum. Davide nennt ihn seine „Schatzkammer". Ich hatte mir im Vorfeld bereits überlegt, was ich benötige, um weitere Zeit einzusparen. Verschiedene Hilfsmittel, wie ich sie nenne, finden ihren Weg in meine Hände. Fein säuberlich ordne ich sie auf der Ablagefläche des Speisewagens an und bedecke sie mit einem weißen Tuch. Den industriellen Spiritus, giftige Substanzen und die ätzenden Mittel lagern wir separat. Auch diese hole ich und rolle anschließend den Wagen vor Lorenzos Zellentür. Eine Kleinigkeit wollte ich dem Ganzen noch hinzufügen. Eine Flasche Wasser.
Die Zellentür öffnet sich, ebenso wie die Augen von Lorenzo, als er sieht, dass ich etwas in den Raum schiebe.
„Ohh, Mauro ist gekommen, um sich seine Hände schmutzig zu machen", sagt er und versucht, mich damit zu verspotten. Meine Reaktion bleibt aus, stattdessen gehe ich weiter auf ihn zu, bis ich einen halben Meter vor ihm stehen bleibe.
„Oder schickst du mir deinen Hund Davide vor?"
„Halt deine verdammte Fresse!
Lorenzo Gentile, du hast die Cosa Nostra verraten! Du trägst die Mitschuld an der Ermordung unseres Capo dei Capi. Ihr habt gewinnbringend Geschäfte abgeschlossen und der Kommission ihren Anteil unterschlagen und du hast eines unserer zehn Gebote gebrochen", kläre ich ihn auf. Im selben Atemzug ziehe ich den Stuhl, der in der hinteren Ecke steht, vor und positioniere ihn hinter ihm. Ich lockere die Kette um seine Handgelenke, sodass er auf dem Stuhl sitzen kann. Weitere Ketten nehme ich vom Tisch und befestigte seine Arme und Beine an der Stuhllehne und an den Stuhlbeinen.
„Hör zu, ich biete dir Chiara an. Sie ist jung, hübsch und unberührt. Du könntest sie formen", beginnt er zu verhandeln, als ich das Tuch ordentlich falte und die Folterinstrumente zum Vorschein kommen.
„Chiara ist bereits in ihrem neuen Zuhause angekommen", erwidere ich emotionslos und öffne die Wasserflasche. Ich setze die Flasche an, setze sie erst ab als ich die Hälfte getrunken habe. Ich strecke ihm die Wasserflasche entgegen.
„Du hast sie vergewaltigt!", presse ich angestrengt hervor und schütte das Wasser langsam aus.
„Sie hat es gewollt, diese kleine Schlampe."
Mein Handy klingelt, lenkt mich kurzzeitig ab. Der Anrufer hat Ausdauer, denn es vergeht eine Minute, bis mein Handy endlich Ruhe gibt. Ich öffne die kleine Box, in der wir unsere rostigen Nägel aufbewahren und nehme mir fünf heraus. Sie sind knapp zwei Zentimeter lang, nicht zu dünn und nicht zu dick. Genau richtig für das, was jetzt passieren wird. Lorenzo wird nervös, schafft es aber wegen seiner zertrümmerten Kniescheiben nicht, seine Position zu wechseln. Es zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, ihn so zu sehen. Ich greife nach dem kleinen Gummihammer, der mir besonders gut in der Hand liegt und einen der Nägel. Wieder klingelt mein Handy. Würde das jetzt so weitergehen? Ich lege Nagel und Hammer zur Seite und widme mich meinem Handy. Es ist Enea und er wird nicht aufhören, ehe er mich gesprochen hat.
„Wenn es nicht wichtig ist!", sprühe ich ihm giftig entgegen.
„Alter komm runter! Da keiner im Haus reagiert. Mamma ist wach. Dario bleibt bei ihr und ich komme heim!"
„Sag's Dario, er kann die Infos rausgeben." Ich lege auf, wollte das Gespräch nicht vor Lorenzo weiterführen, auch wenn er es keinem mehr erzählen kann.
„Dann wollen wir sehen, wie viel du aushältst."
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