Kapitel 2 • Emilia •
Der Nachmittag zog sich zum Glück nicht in die Länge wie sonst. Es war auch noch recht spaßig mit Frau Fossi, da sie einen klaren Moment hatte.
Signore Arrogante, ja ich meine das arrogante Arschloch von vorhin, wollte sich heute anscheinend noch die Zeit mit seiner Mutter vertreiben, bevor er sie morgen alleine zurücklässt. Daher blieb es nicht aus, dass er mich das ein oder andere Mal zu Gesicht bekam.
Ich spürte seine Blicke und jedes Mal, wenn ich ihn ansah, musste ich feststellen, dass seine Gesichtszüge nicht weicher wurden.
Er strahlt eine gewisse Dominanz aus, wenn ich mich nicht ganz täusche, würde ich sogar behaupten, dass sich einige Leute von der Strenge, die von ihm ausgeht, eingeschüchtert fühlen.
Ich machte mir ein Spiel daraus und schaute ihn so lange an, bis seine Augen in meine Richtung wanderten. So hatte ich genug Zeit ihn genauer zu betrachten, denn hässlich ist er nun wirklich nicht. In meinem vorherigen Leben hätte ich sogar zugegeben, dass er Sexappeal hat und das nicht zu wenig.
Seine dunklen Haare, sein markantes Gesicht und sein gepflegter Bart lassen mich keine Sekunde daran zweifeln, dass die Frauen bei ihm in kilometerlangen Schlangen anstehen.
Sein Anzug ist maßgeschneidert, also scheint es ihm an Geld nicht zu mangeln. Doch welche Frage mich am meisten beschäftigt ist, warum ein wohlhabender Mann seine Mutter ins Altenheim abschiebt, statt ihr eine Pflegekraft und eine Putzfrau zu stellen?
„Emilia, ich bin dabei, mich zu verabschieden. Komm, lass uns gehen", ruft Suora Lucia.
Ich verabschiede mich von Signora Fossi und hole Suora Lucia schnell ein.
Ich gerate ins Stocken, als mich jemand ruft: „Novizin Emilia?" Ich drehe mich prompt um und erkenne die Mutter von Signore Arrogante.
„Ich möchte mich bei ihnen für das Verhalten meines Sohnes entschuldigen", sagt Rosa knapp.
„Ich war auch nicht gerade freundlich. Ich sollte mich bei ihnen entschuldigen", erwidere ich reumütig.
„Nein, denken sie gar nicht erst daran. Mein Sohn kann manchmal echt, ein echtes ... Na ja, é un vero stronzo", widerspricht sie mir. Bei den Worten flattern meine Ohren. Sie sieht, dass ich über ihre Wortwahl leicht schockiert bin.
„Verzeihen sie mir meine Ausdrucksweise. Er ist momentan geschäftlich sehr eingespannt, das ist aber lange kein Grund einer jungen Frau gegenüber respektlos zu werden", fährt sie fort.
„Sie müssen sich wirklich nicht bei mir entschuldigen, ich bin nicht nachtragend oder dergleichen", versichere ich und versuche damit, das Gespräch zum Abschluss zu führen.
„Dann wünsche ich ihnen einen schönen Abend. Wir werden uns die nächsten Wochen wohl öfter sehen", bemerkt sie abschließend.
„Ich hoffe, sie fühlen sich hier wohl. Wenn ich ihnen bei etwas behilflich sein kann, lassen sie es mich wissen", verabschiede ich mich höflich.
„Danke Liebes", ruft sie mir im Weggehen zu.
Überrascht von dem kurzen Gespräch, kehre ich zu Suora Lucia zurück und gemeinsam begeben wir uns wieder in die heiligen Hallen des Klosters.
Nach dem Abendessen und dem Abendgebet haben wir uns unseren Feierabend wirklich verdient. Ich verbringe die meiste Zeit eigentlich in meinem Zimmer. Es kommt selten vor, dass ich meine freie Zeit im Garten verbringe, aber noch seltener kommt es vor, dass ich die Bibliothek aufsuche.
In den ersten vier Jahren, die ich hier verbracht habe, war das mein tägliches Brot. Lernen, lernen und wieder lernen und zwischendurch die gefühlt 100 Gebete, die vollkommen in den Alltag integriert sind, abhalten. Heute aber zieht es mich in die Kapelle, denn ich habe das Bedürfnis, ein Gebet zu sprechen und eine Kerze anzuzünden. Für diejenigen, die ich verloren habe.
Es ist sieben Jahre her. Sieben Jahre, als ich dem Teufel auf Erden, Alfredo Pelligrini, das Oberhaupt eines Camorra Clans, in die Augen sah und miterleben musste, wie meine Welt zerbrach. Ja, ich würde sagen, es war der schwärzeste Tag in meinem Leben.
... Rückblick ...
„Du denkst, er wird dich immer noch lieben, jetzt wo er die Wahrheit kennt?", spottet Alfredo rau. Ich sehe, wie sich Gionas Körperhaltung ändert und kann nichts Weiteres tun, als zu verzweifeln.
„Ich glaube Dir kein Wort!", erwidere ich gebrochen.
„Tu sei una puttana, una puttana come la tua madre!", vertritt er seine Meinung weiter. Giona, der die ganze Zeit den Worten seines Vaters lauscht, hat seine Seite bereits gewählt.
„Du wusstest es?", zischt er nun abfällig und tritt mir in einer Art und Weise entgegen, wie ich sie niemals für möglich gehalten habe.
„Giona, du musst mir glauben", versuche ich ihn zu erreichen, doch ich bin fest davon überzeugt, dass er mich nie wieder mit denselben Augen sehen wird. Mit bebenden Nasenflügeln schließt er die kurze Distanz zwischen uns und packt meinen Hals, um mich im nächsten Moment gegen die Wand zu donnern. Sein Atem trifft auf meinen Nacken, als er sich nach unten beugt, um mir ins Ohr zu flüstern: „Sag es! Ich will es aus deinem Mund hören!"
„G..i..o..n...a b..i.tte", Panik steigt in mir auf, weil er mir die Luft weiterhin abschnürt und jeder Versuch zu atmen einfach nur schmerzt.
„Sag es!", wiederholt er nun brüllend.
„Er ... sagte ... es ...mir", versuche ich trotz fehlendem Sauerstoff zu formulieren. Mühelos hält er meinen Körper an die Wand gepresst, meine Füße so weit in der Luft, dass ich den Boden nur noch kaum mit meinen Zehenspitzen berühre.
„Sag es!", zischt er mit Nachdruck und lässt mich ohne Vorwarnung los. Ich knalle auf den Boden, komme mit den Knien auf und beuge mich vornüber, mit einer Hand abstützend, sodass ich die andere gegen meinen Brustkorb pressen kann. Luft strömt in meine Lunge, aber so schmerzhaft, dass die Tränen unkontrolliert über meine Wangen fließen. Panisch atme ich ein und aus, versuche den Schmerz in meiner Brust zu kontrollieren, aber es fühlt sich immer noch an, als würde ich sterben. Mit großer Mühe versuche ich mich zu erklären: „Ich habe ihm nicht geglaubt."
Dieser Ekel in seinen Augen ändert alles.
„Du empfandest es nicht als notwendig, mit dieser Information zu mir zu kommen?", will er wissen.
„Es wäre niemals so weit gekommen, wenn ich ihm geglaubt hätte!" Ich weine ein Meer aus Tränen, weil es nichts gibt, was ich noch sagen könnte.
„Ich werde Dich von der Blutsünde befreien!", giftet Alfredo weiter. Liebevoll lege ich eine Hand auf meinen Bauch, bereit, das unschuldige Leben zu beschützen. Giona erzürnt diese Erkenntnis und dann sehe ich, wie er die Liebe, die er einst für mich empfand, durch Hass ersetzt. Er überschreitet eine Linie, er überquert eine Barriere, von der es kein Zurück mehr gibt.
„Bring sie rein!", befiehlt er einem seiner Picciotti. Seine Stimme ist kalt, so kalt, dass es mich fröstelt. Ich weiß nicht, was er vorhat. Ich weiß nur, dass wenn ihn die Rage überwältigt, er unberechenbar wird. Sein Laufbursche verschwindet kurz und pöbelt beim Zurückkehren. Mit einem dumpfen Stoß öffnet sich die Tür und der Anblick lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Es sind meine Eltern, die in den Lauf einer Pistole schauen. Ich bin entsetzt.
„Giona, bitte ... Lass sie gehen!" Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages auf allen Vieren zu Boden krieche, aber es ist nicht richtig, nach dem, was meine Eltern bereits erleiden mussten, so ein Ende zu finden. Mein Vater ist zu unserem Bedauern nicht in der Lage, etwas auszurichten. Ich sehe, dass er eine Behandlung besonderer Art erhalten haben muss, denn sein Körper ist übersät von Hämatomen. Seine Kleidung hängt in Fetzen und gibt Wunden frei, die doch lieber im Verborgenen geblieben wären. Gionas Stimme ist grausam: „Es ist zu spät, um auf meine Vergebung zu hoffen!"
„Tu es!", fordert Alfredo seinen Sohn auf. Verzweiflung setzt ein und ich versuche, mit all meiner Kraft, zu meinen Eltern zu gelangen, um unserem Schicksal gemeinsam entgegenzutreten.
„Dove vai?", presst Alfredo durch seinen Kiefer, ehe er meine Haare packt und mich ohne weiteres zurückzieht. Er dirigiert mich in eine unterwürfige Position und verschafft mir so einen Platz in der ersten Reihe. Die Angst ist vor allem meiner Mutter ins Gesicht geschrieben.
„Buon viaggio", verkündet der Mann, von dem ich dachte, dass er mich liebt, während er den Abzug tätigt und der Körper meines Vaters leblos zu Boden geht. Eine simple Bewegung mit dem Finger, keine große Anstrengung, um das Leben eines Menschen zu beenden. Eine kurze Geste genügt, um Knochen, Weichgewebe und das Gehirn, welches eben noch seine Aufgaben erfüllt hatte, zu zerfetzen.
Ich schreie mir die Seele aus dem Leib, auch wenn ich nur noch das Rauschen in meinen Ohren hören kann.
Nur schwer höre ich die Worte meiner Mutter sagen: „Es ist okay. Ti Am ..." Peng.
Er hat sie nicht aussprechen lassen. Er hat meiner Mutter verweigert, mir zu sagen, dass sie mich liebt. Der Schmerz, der mich plagt, ist unbeschreiblich. Ich schreie und weine. Mein Herz endgültig zerbrochen, in tausende kleine Teile, verschluckt von der Dunkelheit. Verschluckt von der Familie Pelligrini, verschluckt von dem Mann, von dem ich dachte, dass er nichts zwischen uns kommen lassen würde.
... Rückblick Ende ...
Ein Räuspern reißt mich aus meiner Erinnerung. Irritiert wende ich mich in die Richtung, aus der es kam.
„Vertieft in ein Gebet?", raunt Signore Arrogante leise.
Es muss mein Augenrollen sein, welches ihn zum Zurückrudern bewegt.
„Es war ein berechenbares Risiko, Dich aufzusuchen, aber ich konnte das so nicht stehen lassen", legt er ungeniert offen. Er macht es mir wirklich einfach, mit einer passenden Antwort zu kontern: „Gut, Ihre Mutter hat sich bereits bei mir für Ihr Benehmen entschuldigt!" Er grinst arrogant.
„Ich würde sagen, eine Entschuldigung ist immer besser, wenn sie selbst ausgesprochen wird."
„Entschuldigung angenommen", kürze ich ab. Ein süffisantes Lächeln umspielt seine Lippen.
„Ti devo deludere, falls du dachtest, ich gehöre zu der Sorte Mann, die um Verzeihung bittet."
„Warum haben sie sich dann die Mühe gemacht?", frage ich in einem empörten Ton.
„Ich wollte Dir die Möglichkeit geben", grinst er nun noch breiter. Ich versteife mich leicht, denn ich bin mir nicht sicher, was er damit sagen will. Ihm so nah zu sein, ist mir unangenehm. Meinem Körper jedoch scheint es auf eine gewisse Art und Weise zu gefallen. Meine Nase empfängt freudig seinen moschusartigen Geruch. Meine Ohren spitzen sich, um jedes Geräusch, welches von ihm ausgeht, zu erhaschen. Meine Hand würde nur zu gerne, über seine Arme fahren und aus nächster Nähe Bekanntschaft mit seinen wohldefinierten Muskeln machen. Mein Gehirn macht sich selbstständig und versucht sich das, was sich unter dem maßgeschneiderten Anzug verbirgt, vorzustellen. Wer ist er überhaupt, dass er sich erlaubt, meine Aufmerksamkeit derart für sich zu beanspruchen?
„Verrate mir eine Sache", unterbricht er meinen Gedankengang. Bestimmend beugt er sich vor, dass die Nähe zwischen uns mehr als unangebracht ist. Aus einem mir unbekannten Grund lasse ich ihn gewähren. Ich schlucke hart, als seine Lippen vor den meinen schweben.
„Was treibt eine Frau wie dich dazu, den Weg der Keuschheit zu gehen?", raunt er und entlockt mir damit einen Schauder, der bis zu jeder kleinsten Pore meiner Haut vordringt. Ich versuche mich zu konzentrieren und schließe meine Augen. Das veranlasst ihn prompt dazu, aufzustehen und sich zu verabschieden.
„Dachte ich's mir doch", betont er, als würde er mich kennen. Mit den Worten, die wohl etwas über mich aussagen sollen, verlässt er die Kapelle und lässt mich verdutzt alleine zurück.
„Merda",denke ich mir, als ich aufstehe und mich überstürzt in das Gemeinschaftsbadbegebe. Er hat bei mir Eindruck hinterlassen und das nicht zu wenig. Ich ziehemich aus, um unter die Dusche zu hüpfen. Entschlossen stelle ich das Wasser aufkalt und geißele mich mit Gedanken, die an diesem Ort nichts verloren haben.Ich zische kurz auf, als meine empfindliche Haut mit dem kalten Wasser inBerührung kommt und bringe die dringend erforderliche Abkühlung schnell hintermich. Ich greife nach einem meiner Nachthemden, die in meinem persönlichenRegal ordentlich gestapelt liegen, ziehe mich an und beschließe meine Zähne inmeinem Zimmer zu putzen. In meinem privaten Reich angekommen, beginne ich mitmeiner abendlichen Routine; Zähne putzen, Haare bürsten, eincremen, schließen desFensterklappenladens und des Fensters, ehe ich das Licht ausschalte und michanschließend ins Bett begebe.
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