Kapitel 19 • Emilia •


... vor dem Angriff ...


Ich habe dieses Funkeln gesehen, welches Besitz von Giona nahm, als er realisierte, wen Lorenzo, da versucht zu züchtigen. Das Lächeln auf seinen Lippen war wie damals, das nichts Gutes verheißen sollte. Giona ein Sadist, wie aus dem Buche. Bereit, sich an meiner Angst zu nähren und sich an meinem Schmerz zu laben. Mit einem kräftigen Zug am Gürtel, der ihm als Leine dient, setzt er sich in Bewegung.

„Lass uns hineingehen, um sie kümmern wir uns später!" Ich schicke ein Stoßgebet in den Himmel und lasse mich ohne jegliche Gegenwehr hinterher ziehen. Er zieht mich über die Schwelle des Hintereingangs und bewegt sich weiter vor. Sein Ziel ist das obere Stockwerk, in dem ich mich bereits zuvor in Chiaras Räumlichkeiten befunden habe. Wir gehen weiter, bis wir vor einer Tür halten. Lorenzo öffnet diese und Giona packt mit seiner freien Hand meinen Oberarm. Bestimmend drängt er mich durch den Türrahmen und folgt mir ins Innere. Lorenzo steht immer noch vor der Tür und wirkt etwas konfus, als Giona keine Anstalten macht, sich ihm anzuschließen.

„Gibst du uns einen Moment?", fragt Giona ihn stattdessen.

„Ich halte das für keine gute Idee." Flehend schaue ich zu Lorenzo, die Panik steigt mir zu Kopf. Für einen kurzen Moment glaube ich, ihn sogar zu erreichen.

„Ich sollte vor der Hochzeit etwas Dampf ablassen." Doch Gionas Argumentation lässt ihn schnell zurückrudern.

„Du wirst zu meiner Schwester gut sein", gibt er ihm argwöhnisch zu verstehen.

„Gewiss, wenn ich ein Ventil habe."

„Dann werde ich dir nicht im Weg stehen." Meine letzte Rettung greift nach der Türklinke, um Giona die nötige Privatsphäre zuteil kommen zu lassen.

„Lorenzo, bitte", flehe ich in Panik. Aus einer fließenden Bewegung heraus schießt Gionas Handrücken gegen meine Wange. Die geballte Kraft schickt mich, ohne etwas dagegen machen zu können, zu Boden. Mein Ohr pfeift und ein brennender Schmerz veranlasst meine Lunge dazu, scharf einzuatmen.

„Schließ die verfickte Tür!", brüllt er aus tiefster Kehle. Lorenzo schließt sie, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

Eine unheimliche Stille liegt über uns. Unfähig etwas zu sagen, starre ich ihn an, den Mann, der mir damals versprach, alles Unheil dieser Welt von mir fernzuhalten. Er hat sich verändert. Die Haare und den Bart trägt er länger. Seine Statur ist um einiges breiter als je zuvor. Ich bin immer noch auf meinen Knien, immer noch unfähig mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Seine dunklen Augen mustern mich und wie ein Hai beginnt er, Kreise um mich zu ziehen. Ob er mich sofort attackieren wird, mag ich zu bezweifeln. Es ist ein Vorurteil. Haie kreisen nicht, um später zu attackieren, sondern sich ein Bild davon zu machen, was sich vor ihnen befindet. Quälend langsam bewegt er sich fort. Fährt nachdenkend die Finger über sein Kinn, bis er abrupt stehen bleibt. Mit Leichtigkeit öffnet er den Knoten seiner Krawatte. Den Blick haltend und lässt sie achtlos zu Boden fallen.

„Giona", entweicht es meinen Lippen.

„Psssssst." Er schließt seine Augen und verstummt augenblicklich. Meine Atmung ist außer Rand und Band, selbst ein Marathon hätte nicht diese Wirkung auf mich und ich weiß, dass es ihn amüsiert. Es vergehen einige Sekunden, bis er seine Augen wieder öffnet.

„Ich habe mir Hunderte von Szenarien vorgestellt, wie meine Männer oder ich dich aufspüren." Seine Stimme ist kalt und berechnet. Er erwartet keine Widerworte und zerrt mich zunächst auf meine Beine zurück.

„Ohh Rosa, diese fünf Jahre. Ich hatte viel Zeit zum Fantasieren." Ängstlich schaue ich zu Boden, möchte den Augenkontakt vermeiden, was ihn aus der Haut fahren lässt.

„Schau mich gefälligst an!", fletscht er die Zähne. Ich zucke kurz zusammen und schaue ihn augenblicklich an.

„Mein Vater hat die Kugel verdient", sagt er schließlich ruhiger und legt eine kurze Pause ein. Wahrscheinlich, um auf meine Reaktion zu warten. Welche weitaus kleiner ausfällt, als er sich erhofft hat. Ich starre durch ihn hindurch und versuche, das Zittern meines Körpers im Zaum zu halten. Auf seiner Stirn bildet sich eine tiefe Falte. Er wirbelt herum, wendet mir den Rücken zu und öffnet ein Schränkchen. Wie in Chiaras Zimmer kommt eine kleine Bar zum Vorschein. Anders als bei Chiara ist sie allerdings mit verschiedenen Whiskeysorten ausgestattet. Er zückt zwei Gläser, füllt diese mit Eis und schenkt anschließend ausreichend flüssiges Gold ein. Er reicht mir ein Glas und prostet mir zu. Er schweigt weiter und geht zielstrebig auf die Ledercouch zu, auf die er sich niederlässt. Die Ärmel seines Hemdes krempelt er akribisch hoch und entblößt somit seine Unterarme, die von Tattoos übersät sind.

„Weißt du, ich hätte dir verziehen", sinniert er und führt sein Glas an seine Lippen. Ich erhebe mich und tue es ihm gleich, denn dieses Mustern seinerseits ist kaum auszuhalten.

„Wäre da nicht eine klitzekleine Kleinigkeit!"

Da ist es, seine Fassade beginnt zu bröckeln und seine gespielte Zurückhaltung ebenfalls. „Pentito!", verflucht er mich und gibt damit preis, warum es ihm nach Rache dürstet.

Er hatte es verdient, alles, was ich tat und ich würde es wieder tun. Er, der es zuließ, dass meine Eltern ihr Leben lassen mussten. Er, der den Befehl gab, mir unser ungeborenes Kind auf die grausamste Weise zu entreißen. Er, der mich mehr tot als lebendig, wie Müll am Straßenrand entsorgen ließ. Ich koche innerlich, finde aber nicht den Mut, es auszusprechen.

„Als hätte es nicht gereicht, gegen mich auszusagen. Fickst du mit dem Feind!", setzt er auf die Liste meiner Schandtaten hinzu und bringt damit bei mir das Fass zum Überlaufen.

„Fahr zur Hölle!" Man könnte es fast als einen kläglichen Versuch des Lachens bezeichnen.

„Da war ich und siehe da, sie wollten mich nicht haben." Ich leere das Glas in einem Zug und nehme meinen Mut zusammen.

„Wenn du mich töten willst, dann tu es! Erspar mir das Drama."

„Töten?" Hellhörig steht er auf und kommt auf mich zu. Er hebt seine Hände, was zur Folge hat, dass ich in derselben Mikrosekunde zusammenzucke. Unerwartet legt er seine Hände sanft an den Gürtel und löst ihn von meinem Hals. Die Würge Male der vorherigen Strangulation müssten bereits in allen Farben zu sehen sein.

„Töten ist so ein hartes Wort, findest du nicht?"

„Nenn es, wie du willst."

„Ich möchte, dass es dir leid tut!" Seine Augen bohren sich in die meinen.

„Niemals!"

„Rosa." Mein Name klingt wie eine Warnung. Er denkt doch nicht im Ernst, dass ich mich dafür entschuldigen werde?

„Du hast unser Kind auf dem Gewissen! Eher sterbe ich, als dass ich mich für deinen viel zu kurzen Aufenthalt im Knast bei dir entschuldige!" Er ist mir so verdammt nah, dass es mir großes Unbehagen bereitet.

„Wir können andere haben", raunt er mir entgegen und ich verspüre nur noch Ekel, gefolgt von einem einnehmenden Schwindelgefühl. Er streift mir eine Strähne aus dem Gesicht, was ihn zum Lächeln bringt.

„Wir werden nach Neapel zurückkehren." Die Fähigkeit, einen klaren Gedanken zu fassen, schwindet zunehmend. Schmierige Spuren hinterlassen seine Küsse auf meinem Hals und selbst seine Worte, die er gegen meine Haut raunt, werden undeutlich.

„... nes Geheimnis ... alle tot ..." Es fühlt sich falsch an. Seine Hände auf mir zu spüren, wie sie mich halten, wie sie meine Schultern entblößen. Ich fühle mich schwach auf den Beinen, zu schwach, ihn von mir zu stoßen.

„... Aufhör- ...!"

„Maur ... tot.... klein ... weste ... ................!" Er muss mir etwas in den Drink gemischt haben. Ich drifte vollkommen weg. Unfähig, etwas zu sehen, zu hören oder zu spüren.

Es ist so viel Druck, der mich fast um den Verstand bringt, als mein Bewusstsein wieder seine Funktionen aufnimmt. Das Licht, das meine Augen reizt, die bis eben noch in totaler Finsternis verweilt haben, dringt durch meine geschlossenen Lider. Kleine Bruchstücke an Erinnerungsfetzen ziehen an mir vorbei und lassen keinen Zweifel offen. Er muss mir ein Schlafmittel oder K.-o.-Tropfen verabreicht haben. Wahrscheinlich, um mich nach Neapel zu verschiffen. Schützend lege ich meine Hände auf meine Augen, öffne sie dann leicht, um sie langsam an die Helligkeit zu gewöhnen.

„Sie wird wach", höre ich eine weibliche Stimme rufen. Das flaue Gefühl im Magen hat schnell eine Rebellion entfacht und ehe ich was dagegen tun kann, muss ich kapitulieren. Ein Schwall Galle kommt hoch. Gerade rechtzeitig reiße ich meinen Oberkörper zur Seite, um es geschehen zu lassen. Aber wie ist das möglich, denke ich mir, als Giulia meine Haare sanft nach hinten schiebt. Ich möchte sie fragen, doch der Brechreiz ist noch nicht verflogen.

„Giona er." Giulias Worte sterben, als die Tür aufgestoßen wird. Ich versteife. Darauf war ich nicht vorbereitet. Hilfesuchend schaue ich zu Giulia, die immer noch wie angewurzelt vor mir steht. Ihr Blick huscht hin und her, nicht genau wissend, wie sie sich verhalten soll. Letzten Endes scheint ihr meine innerliche Spannung dann doch aufzufallen und versperrt den dunklen Augen, aus denen nicht mehr Wut triefen könnte, die Sicht auf meine jämmerliche Gestalt.

„Gib ihr Zeit, sie ist noch nicht so weit." Ich kann ihn nicht sehen, nur seine Atmung hören. Ein tollwütiger Stier, der vor sich hin schnaubt und noch kein einziges Wort verloren hat, seitdem er das Zimmer betreten hat. Es könnte ein gutes Zeichen sein, er könnte wortlos gehen und ich mich in mein Schneckenhaus zurückziehen.

„Das entscheidest nicht du!", wettert Mauro seiner Schwester entgegen. Bittere Tränen rinnen meine Wangen entlang. Der Wunsch, mich kleinzumachen oder besser noch, mich in Luft aufzulösen, kreist mir im Kopf. Ist aber im realen Leben einfach nicht umsetzbar.

„Du auch nicht! Also hör auf mit dem Scheiß!", verteidigt sie mich wütend.

„Ich will es von ihr hören!", zischt er, als würde er am längeren Hebel sitzen.

„Geh." Es ist kaum hörbar, da ich es vor mich hin flüstere. Giulia dreht sich zu mir, sie hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich mich dazu äußere. Rückversichernd nickt sie mir zu.

„Geh, bitte", sage ich nun etwas lauter.

„Du hast sie gehört, jetzt geh!" Das Knallen der Tür hallt durch den Raum und verursacht clusterartige Kopfschmerzen. Ich bin müde.

„Komm, ich helfe dir ins Bad", sagt sie abschließend und greift mir unter die Arme. Woher ihre Stärke kommt, frage ich mich, äußere mich aber nicht dazu. Im Badezimmer angekommen, lässt sie mich am Beckenrand nieder.

„Wo ist Giona?", frage ich vorsichtig, als hätte sie die Macht, ihn heraufzubeschwören. Sie lässt vom Wasserhahn ab und schenkt ihm keine weitere Beachtung.

„Er wird dir keine Probleme mehr machen."

„Ist er tot?" Ich muss es wissen. Eine nach hinten gerichtete kurze Kopfbewegung und das Schnalzen, deute ich als Antwort auf meine Frage.

„Soll ich dir beim Ausziehen helfen?"

„Ich, ich mache das schon." Unsicher öffne ich den Reißverschluss, nicht wissend, was das zu Boden sinkende Kleid preisgeben könnte. Ich versuche zu ignorieren, dass ich darunter vollkommen nackt bin. Ohne meinen Körper weiter in Augenschein zu nehmen, steige ich in die Wanne und lasse meinen Rücken am Badewannenrand ruhen.

„Ich hol' dir was zu trinken. Kommst du zurecht?"

„Warum bist du so nett zu mir?", möchte ich wissen. Im Türrahmen bleibt sie kurz stehen. Ich merke sofort, dass sich was geändert hat.

„Ich weiß, was du durchgemacht hast." Ich öffne meinen Mund. Möchte sie fragen, was sie weiß, doch ich bin zu langsam. Sie ist durch die Badezimmertür verschwunden und kurz darauf auch aus der Schlafzimmertür.

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