Kapitel 18 • Mauro •


Ich könnte schwören, den Verstand zu verlieren, wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen sollten, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Viel zu lange hat Papá geschwiegen und das Worst Case damit heraufbeschworen. Nur L'ombra war es möglich, den geheimen Aufenthaltsort der Gentile's ausfindig zu machen. Gute vierzig Minuten dauert die Fahrt. Einmal quer durch Palermo und das an einem Samstagabend. Die Masse an Touristen und Einheimischen, die durch die Stadt flanieren, um den Flair Palermos zu genießen, könnten die Ankunft verzögern. Kostbare Minuten.

„Hast du es gesehen?", will ich von Davide wissen. Er ist einer der wenigen von uns, für den das Blutvergießen zum täglichen Alltagsgeschäft gehört. Nur selten wenden wir brutale Techniken der Folter an und wenn es nicht anders geht, dann ist Davide unser Mann.

„Ja."

Ich dachte eigentlich, er würde mehr erzählen, muss mich aber dann mit seinem Schweigen zufriedengeben. Ein vibrierendes Geräusch lässt ihn kurz aufschrecken.

„Echt jetzt?" Er fummelt wie wild in seiner Hosentasche und versucht sein Handy zu befreien.

„Pronto?" Ich erkenne den Anrufer nicht und Davides kurze Antworten machen mich auch nicht schlauer.

„Verstehe, wie viele? Zwanzig Minuten. Wartet."

Er beendet den Anruf und schmeißt unachtsam sein Handy auf die Ablage.

„Sie haben Stellung bezogen. Auf dem Anwesen stehen mindestens sechsundzwanzig Wagen", setzt er mich in Kenntnis.

„Wenn du einen Feind eingekreist hast, lass ihm einen Fluchtweg."

„Schlag dir die Idee aus dem Kopf! Du wirst das definitiv nicht alleine machen!"

„Deswegen hast du auch dein neues Spielzeug dabei", sage ich leicht grinsend.

„Soll ich ganz vorfahren?", will er von mir wissen.

„Nein, sie sollen nicht wissen, dass wir kommen."

Die Stadt haben wir bereits hinter uns gelassen. Die Straßen werden kleiner und der Zustand dieser wird immer desolater. Eine reine Schlaglöcher-Landschaft, die sich über mehrere Kilometer erstreckt.

„Wir sollten gleich da sein."

„Stell dich zu den anderen", weiße ich ihn an. Langsam sind die Umrisse der Autos zu erkennen, die unsere Männer auf sicheren Abstand abgestellt haben. Das Überraschungsmoment sollte uns von Vorteil sein. Davide stellt den Motor ab und lässt das Auto ausrollen. Perfekt an die anderen Fahrzeuge aufgereiht, kommt er letztendlich zum Stehen. Dario und Enea kommen nur kurz nach uns an.

„Ich bereite mein Spielzeug vor", gibt er mir nonchalant zu verstehen. Mit einem knappen Nicken gebe ich ihm meine Zustimmung und steige aus. Dario steht bereits am Heck.

„Das wird euch jetzt nicht passen, aber im Kofferraum liegen schusssichere Westen." Wissend über unseren Widerstand, öffnet er diesen und hält sie uns entgegen. Ich versuche noch zu protestieren, verwerfe den Gedanken aber, um ihnen etwas anderes auf den Weg mitzugeben.

„Ich habe heute vor, nur drei Gefangene zu machen!

„Ich werde kein Kind ermorden!" Enea ist aufgebracht. Zu Recht, denn soweit habe ich nicht gedacht.

„Selbstverständlich wird kein Kind angerührt", beruhige ich ihn.

„Sie wachsen heran und sind dann durchaus in der Lage, ihre Eltern zu rächen", sagt Dario, Einspruch erhebend.

„Keine Kinder!", erwidere ich entscheidend.

„Ich bin so weit", verkündet Davide und gesellt sich zu uns.

„Gut, Dario und Enea, ihr sucht die Anderen. Davide, du suchst dir fürs Erste ein ruhiges Plätzchen mit guter Schusslinie. Hol dir so viele, du kannst", verteile ich die Aufgaben.

„Chaos wird ausbrechen", schlussfolgert Enea ohne weiteres.

„Die, die Eier besitzen, werden versuchen, das Feuer zu erwidern."

„Sie werden nach draußen kommen", leitet Dario mein Gesagtes ab. Enea ist immer noch nicht ganz überzeugt: „Die, die weniger Eier besitzen, könnten uns zum Problem werden."

„Lass sie Davide und meine Sorge sein."

„Wenn draußen alles klar ist, kommen wir rein", beschließt Dario.

„Was ist mit Gentile?", möchte Davide wissen, bevor wir starten.

„Ich will sie lebend, alle drei!", sage ich abschließend und ziehe meine Beretta. Die Reserve Magazine verstaue ich in meiner Hosentasche.

„Dann lasst uns Spaß haben", grinst Davide.

„Eine Sache noch. Sobald ihr Emilia gefunden habt, holt sie da raus!" Ich wende mich ab und lasse die Anderen hinter mir. Leise und vorsichtig bewege ich mich durch das letzte Waldstück, welches uns, vom außerhalb gelegenen Anwesen trennt. Die Dunkelheit kommt uns zugute und gibt uns die Möglichkeit, unerkannt vorzudringen. Ich schreite weiter voran, lasse meine Männer hinter mir, dabei suche ich mir Schutz hinter den Autos. Laute Musik dringt von innen heraus und beschallt alles Umliegende. Tanzende Silhouetten, kann ich aus der Entfernung ausmachen, ebenso einige, die sich zu einem netten Plausch an die frische Luft verzogen haben. Es sollte für Davide leicht sein, sie als erste über den Jordan zu schicken. Wachsam schleiche ich weiter und lasse auch den Parkplatz hinter mir. Ich entsichere meine Beretta und husche unerkannt hinter diesem gottverdammten Palast. Der Schalldämpfer sollte die ersten Schüsse nicht so schnell verraten.

Natürlich finde ich zwei Turteltäubchen, die für etwas Privatsphäre und einen kurzen Quickie ein stilles Plätzchen gefunden haben. Mit gesenkter Hose und seinem Schwanz in ihr sieht er mich nicht kommen. Ebenso wie sie, die mit jedem Stoß an die Wand, näher an ihren Orgasmus getrieben wird. Erst als ich hinter ihm zu stehen komme und die Waffe auf seinen Hinterkopf richte, reißt sie die Augen vor Schreck auf. Innerhalb einer Sekunde bin ich zwei Patronen ärmer und die Beiden ihre Leben los. Fast hätte ich den ersten Schuss überhört, da ich mir sicher war, Emilias Stimme vernommen zu haben. Doch es war nur ein verzweifelter Versuch meines Verstandes, mich bei Laune zu halten. Neun Schüsse kann Davide landen, bis das Chaos ausbricht.

Frauen, deren Schreie sich mit der immer noch laufenden Musik vermischen. Männer, die im inneren Anweisungen bellen.

Mit gestreckter Waffe ziele ich auf den Hintereingang. Die Schreie nähern sich, bis die Tür schwungvoll geöffnet wird und die erste Kugel an mir vorbeifliegt.

„Auf was wartest du?", höre ich noch, kurz bevor das Feuer auf uns eröffnet wird. Davide blüht regelrecht auf, denn von den fünf Männern ließ er mir genau einen übrig. Nickend tritt er vor mich und bewegt sich über die Türschwelle.

„Tick tack, tick tack", ruft er immer wieder. Er sichert den Weg und ich beginne damit, die Türen zu öffnen. Die Abstellkammer ist leer, doch in den Toilettenkabinen kauern drei Frauen.

Der Anblick ist mehr als verstörend, Blut, das den Boden tränkt und Schreie, die nach der Reihe verstummen. Im Saal, ein Minenfeld von Leichen und mittendrin eine Szenerie, die meine absolute Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dario und Saverio, die jeweils in den Lauf ihrer Knarren des anderen gucken.

„Wie hieß die Kleine noch gleich? Isabell? Nein, Isabella?" Der kleine Bruchteil dieses Wortgefecht reicht aus, um zu wissen, was in Dario vorgeht. Es ist absehbar, was Saverio damit bezwecken möchte. Dario würde einknicken und damit seine Deckung aufgeben.

„Pezzo di merda, non osare parlare di lei!"

Dieses selbstgefällige Lachen würde Dario in den Abgrund reißen.

„Ich kann dir die Wahrheit erzählen." Mein Bruder sollte die Wahrheit wissen, aber nicht so.

„Dein Va-" Der Schuss löst sich und seine Lippen verstummen – für immer. Die Beretta raucht noch, als Dario fassungslos zu uns rüberschaut.

„Wieso zum Teufel, hast du das getan?", brüllt er mich an.

„Er hätte dich erschossen!", versuche ich ihn zu beruhigen.

„Bullshit!" Dario ist wütend und das zu Recht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es für beide schlecht ausgegangen wäre, war zu hoch.

„Ich werde dir alles erklären, aber bitte, wenn wir nicht als Schweizer Käse enden wollen ..." Darios Gesichtszüge erkalten: „Fünf Männer sind im Wald und spielen Räuber und Gendarm. Sieben liegen unter den Leichen und der Rest ist auf der Suche nach Emilia, Chiara und Lorenzo." Davide musste kurzzeitig verschwunden sein, jetzt kommt er doch zusammen mit Enea und Geschenken zurück.

„Aua, du Biest!"

„Fass mich nicht an!", fletscht Chiara die Zähne.

„Uffff", stöhnt Enea kurz auf, bis er es letztendlich schafft, sie ruhigzustellen. Lorenzo kriecht unerwartet aus seinem Versteck, als hätte er gesehen, was passiert ist, läuft er auf den leblosen Körper Saverios zu.

„Euer Vater ist gefallen! Es ist keiner mehr da, hinter dem ihr euch verstecken könnt." Lorenzo ist seltsam unbeeindruckt. Schnell wendet er sich von der Leiche seines Vaters ab und gibt sich weiterhin überlegen.

„Zwei großartige Männer, deren Platz in der Hölle sicher sind." Es hört sich nicht wie eine Drohung an, denn die Betonung lässt vermuten, dass er über nichts spricht, was in der Zukunft liegt. Ich tippe auf Taktik, Taktik, um Zeit zu schinden.

„Wo ist sie?", frage ich ungeduldig. Immer noch unbeeindruckt schlendert er auf und ab und lässt keinen von uns aus den Augen. Schmunzelt fährt er seine Finger über seine Lippen.

„Wer, Emilia?", stellt er sich dumm.

„Ich werde nicht noch einmal fragen!"

„Natürlich, Emilia. Hast du das nette Video gesehen?" Meine freie Hand balle ich zur Faust und es wird zum inneren Kampf, ihm nicht wie seinem Vater eine Kugel zu verpassen.

„Nicht?", fragt er provokant.

„Lass sie gehen!"

„Ach Mauro, wenn ich dir sage, wie blind du all die Jahre warst. Dich wie ein gottverdammter Stalker benommen hast ..."

„Hör nicht auf ihn!", schreit Enea dazwischen. „... Und ich sie trotzdem zuerst gefickt habe", fährt Lorenzo überlegen fort.

Dieses Gesicht schreit nach einer Kugel.

„Übrigens ist sie in guten Händen. Mein Freund kümmert sich gerade um sie." Ich nicke den Jungs zu und in Windeseile zerstreuen sie sich.

„Du wirst sterben, für das, was du ihr angetan hast", verspreche ich ihm.

„Nicht heute. Nicht heute", wiederholt er trocken.

„Pass auf!", brüllt Enea, während ich aus dem Augenwinkel einen Gegenstand auf dem Boden aufprallen sehe. Ich realisiere es sofort. Meine Hände eilen an meine Ohren und meine Augen kneife ich zusammen, als die Blendgranate mit ca. hundertsiebzig dB explodiert. Ich öffne meine Augen wieder, doch mein Seh- und Hörvermögen ist stark beeinträchtigt. Orientierungslos schwanke ich hin und her, bis meine Beine nachgeben und mein Sichtfeld letztendlich vollkommen schwarz ist.

Ich dürfte nicht lange weg gewesen sein, bis ich wieder zu mir komme. Vielleicht fünf Minuten? Oder vielleicht doch länger? Wie kann es sein, dass eine Blendgranate mich kurzzeitig ausknockt und ich kurz darauf in einem fahrenden Auto wach werde. Meine Hände schnellen nach vorn und mir wird sehr schnell klar, dass etwas von meinen Knien rollt. „Ni idakẹjẹ." Ich erkenne diese markante Stimme sofort, Babatunde.

Ich schaue auf meinen Schoß herab und atme erleichtert aus.


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