Kapitel 17 • Emilia •
Zurück in der Obhut von Lorenzo fühle ich mich hilflos. Souverän und ohne Reue stolziert er umher, gibt Anweisungen an das Personal, welches von A nach B hetzt. Ich stehe etwas abseits, was mich vollkommen deplatziert erscheinen lässt. Ich bin ruhig, in mich gekehrt und blende den Trubel, der minütlich größer wird, aus. Erst der feste Griff um meine Schulter lässt mich aus meiner Starre erwachen.
„Ich setze auf dein Benehmen!", sagt Lorenzo scharf. Im Widerspruch zu all meinen Emotionen, formt meine Zunge Worte, die ich vielleicht nochmal bereuen werde: „Wann hat die Farce ein Ende?"
„Schon bald, Cara Mia." Anders als zuvor, legt er seine Hand zart an mein Haar und öffnet die Spange, die es oben hält.
„Versteck sie nicht." Daraufhin nimmt er meine Hand und setzt sich mit mir im Schlepptau in Bewegung. Immer wieder betrachtet er mein Profil, bis er nachfolgend seine Hand an meinen unteren Rücken legt. Die große Flügeltür vor uns ist kein Hindernis. Mit seiner freien Hand öffnet er einen der Flügel und ein festlich hergerichteter Saal kommt zum Vorschein.
„Kannst du tanzen?" Irritiert über diese unpassende Frage, lasse ich meinen Blick durch den Saal schweifen.
„Nach meinem Wissen gehört Tanzen zu einer Verlobung dazu", fährt Lorenzo fort.
„Die Verlobung von Chiara", sinniere ich im Flüsterton vor mich hin.
„Du bist meine Begleitung und kannst einen schönen Abend mit mir verbringen, wenn du das möchtest."
„Einen schönen Abend?", wiederhole ich und versuche, nicht allzu lächerlich zu klingen.
„Du bist mir doch nicht nachtragend?", betont er nun scharf, was mich zum brodeln bringt.
„Nachtragend?", erwidere auch ich scharf, was zur Folge hat, dass seine Augen sich in Sekundenschnelle verdunkeln. Er beugt sich vor, sodass sein Mund meinem Ohr nahe genug ist, um zu flüstern.
„Komm schon, du stehst darauf. Wir wissen beide, dass du gerne hart rangenommen wirst, oder haben dich die Jahre im Kloster verweichlicht?", provoziert er mich weiter
„Der Unterschied ist, dass du mir damals gerade recht kamst. Jetzt widerst du mich nur noch an!"
„Ich könnte mich an dein Feuer gewöhnen. Es würde mir eine große Freude sein, es jederzeit wieder zu löschen", säuselt er mir ins Ohr.
„Lorenzo!" Signore Gentile betritt aufbrausend den Saal. Stimmt sich aber dann zufrieden, weil er seine Suche wohl beenden kann.
„Pa?"
„Erst das Geschäft, dann das Vergnügen. Lad' sie bei deiner Schwester ab." Ich verfolge das Gespräch aufmerksam und lasse mich daraufhin zu Chiara begleiten. Sie sieht nicht erfreut aus, als mich Lorenzo durch die Tür schiebt.
„Echt jetzt?", gibt sie genervt von sich.
„Ich hole sie ab, sobald wir fertig sind." Die Tür schließt sich wieder und ich stehe relativ unbeholfen, an derselben Stelle, an der Lorenzo mich abgestellt hat. Chiara ist meine Anwesenheit definitiv unangenehm. Nervös zieht sie ihre Lippen im Spiegel nach. Immer wieder driften ihre Augen in meine Richtung, bis sie endgültig auf mir liegen bleiben. Zögerlich dreht sie sich zu mir. Kommt sogar in meine Richtung gelaufen, bleibt aber auf angemessenen Abstand stehen.
„Es tut mir wirklich leid. Ich wusste nicht, was er", beginnt sie, bis ich ihr sofort über den Mund fahre.
„Was, dass er mich vergewaltigt?" Der Spott verfehlt seine Wirkung nicht. Beschämt schaut sie zu Boden. Die Naivität, die sich in ihr spiegelt, ist kaum zu ertragen.
„Ich hoffe für dich, dass dein Ehemann aus einem anderen Holz geschnitzt ist." Ruckartig schaut sie auf.
„Er wird gut für mich sorgen und jetzt steh nicht so blöd rum, schließ mir den Reißverschluss." Ohne zu rebellieren, helfe ich ihr beim Schließen des Reißverschlusses. Mit neuem Elan wirbelt sie herum. Sie öffnet eine kleine Tür, welche sich als eine kleine Bar entpuppt. Zwei Flöten und eine Flasche Champagner, dessen Name mir unbekannt ist. Sie hat es eilig, den Korken zu lösen und fuchtelt wie wild drauflos. Sobald der erlösende Knall ertönt, gießt sie großzügig ein.
„Ich bin mir sicher, du kannst auch einen vertragen", sichert sie mir zu. Ich faxe nicht lange herum und ein kurzes „auf deine Ehe" später, fließt der Alkohol meine Kehle hinab.
„Noch einen? Wenn wir schon dabei sind?" Ich reiche ihr mein leeres Glas und lasse meine Gedanken zu Mauro schweifen. Weiß er, wo ich bin? Hat Lorenzo ihm das Video zukommen lassen? Wird er mich meinem Schicksal überlassen? Ich verliere mich in einem Gedankenstrudel, der mich mental runterzieht. Chiara räuspert sich und reißt mich damit heraus.
„In einem anderen Leben, hätten wir vielleicht sowas wie Freundinnen werden können", sinniert sie, ohne Lorenzo, der mittlerweile zurückgekehrt ist und im Türrahmen lehnt, bemerkt zu haben.
„Ja, das hättet ihr vielleicht", antwortet er für mich. Er wirkt ausgeglichen und fast ebenso unbeschwert, wie ich ihn damals kennengelernt habe.
„Chiara, Papá ist stolz auf dich." Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen. Automatisch setze ich mich in Bewegung und bin bereit, den Schritt in die Höhle des Löwen zu wagen.
„Die Gäste erwarten uns bereits", sagt er neutral und in einer wohlgesinnten Geste bietet er mir seinen Arm an. Erst sträube ich mich, halte es dann aber für das Beste, dem Theaterstück beizuwohnen.
Draußen ist es bereits dunkel. Das stark gedimmte Licht und die violetten Spots leuchten das Ambiente perfekt aus. Frauen in eleganten bodenlangen Kleidern und Männer in exquisiten Anzügen füllen den Saal. Eine Menschentraube, hat sich um Signore Gentile versammelt und scheinen sich angeregt zu unterhalten. Lorenzo steuert auf sie zu und begrüßt sie selbstsicher.
„Elisa." Er lächelt sie an. Schmeichelnd, nimmt er ihre Hand, um ihr einen Kuss, darauf zu hauchen. Im Anschluss drückt er die Hand des Herren. Schnell liegt die Aufmerksamkeit bei mir. Auch dieser ergreift meine Hand und führt seine Lippen an diese.
„Buona sera." Die Augen weiter auf mich gerichtet, wendet er sein Wort Lorenzo.
„Und dieses Juwel ist?", fragt er ihn voller Neugierde.
„Emilia", antwortet Lorenzo kurz und knapp. Signore Gentile, lässt seinen Blick hin und her gleiten und reißt das Gespräch wieder an sich: „Lasst uns die Anderen begrüßen, sie werden bald eintreffen." Die Menschentraube löst sich auf, nachdem eine Servicekraft uns mit eisgekühlten Champagner versorgt hat.
„Ist er schon eingetroffen?", möchte Lorenzo vorsichtig in Erfahrung bringen. Sein Vater scheint nicht zu verstehen: „Wer?"
„Babatu." Signore Gentile unterbricht ihn direkt. Seine Verärgerung ist deutlich zu erkennen: „Stu zoticone! Er hat sich einlullen lassen." Lorenzos Nasenflügel beginnen zu beben, was ihn wahrscheinlich dazu bewegt, seine Nasenwurzel zu massieren.
„Dopo", lässt er seinen Vater wissen. Dieser wendet sich daraufhin ab und klatscht aus dem Nichts in die Hände.
Wo eben noch das Wispern der Gäste zu hören war, herrscht nun absolute Stille. Alle Augenpaare sind auf Gentile gerichtet, der kurzerhand, nachdem er ein weiteres Glas Champagner von einem der vorbeilaufenden Kellner stibitzt, zu reden beginnt.
„Signore e signori. Ich danke euch von Herzen, dass ihr heute gekommen seid, um mit uns zu feiern. Ich bin glücklich, heute die Hände meiner Tochter, in die eines fähigen Mannes legen zu können. Gleichzeitig bin ich traurig, dass sie nach der bald anstehenden Hochzeit den Schoß der Familie verlassen wird, um in einer neuen Familie Heimat zu finden. Signore e signori, un applauso per Chiara è Giona."
Mein Herz bleibt stehen und der folgende Applaus und die einsetzende Musik dringt nur dumpf durch meine Ohren. Wie in Zeitlupe öffnen sich die Flügeltüren und ich sehe, wie der Wolf im Schafkostüm lächelnd den Saal betritt. An der Hand des Teufels, eine überglückliche Chiara. Die ihn nichtsahnend anhimmelt. Ihre Hände sind verschränkt und je näher sie der Mitte des Saals kommen, desto mehr dränge ich mich hinter Lorenzo. Auf meinen Händen bildet sich kalter Schweiß und meine Atmung spielt verrückt. Ist es mir möglich, unbemerkt zu türmen?
„Lorenzo?", flüstere ich gegen seine Schulter.
„Nicht jetzt!", gibt er mir schroff zurück.
„Ich, ich müsste mal auf die Toilette."
„Halte es aus."
„Ich kann es auch laufen lassen." Mürrisch dreht er sich um und gibt letztlich nach. Die letzten Töne des Liedes setzen ein. Ich sollte mich beeilen. Ich versuche keine Aufmerksamkeit zu erregen, als Giona das Wort ergreift. Es ist nicht von belangen, was er zu sagen hat, dennoch schnappe ich das Ein oder Andere auf, bis ich den menschenleeren Korridor erreiche. Selbst dort sind seine Worte noch zu hören.
„Buona sera, wir sind glücklich, diesen besonderen Tag heute mit euch zu feiern. Eine junge Liebe, die es zu pflegen gilt und eine neue Entwicklung, die es zu verkünden gibt. Eine neue Ära hat heute begonnen, denn die Cosa Nostra und die Camorra sind ein Bündnis eingegangen. Vincenzo Caruso ist Geschichte. Die alte Ordnung ist wiederhergestellt." Die Stimme ist vollkommen verblasst, als ich das Bad erreiche. Ich verschließe die Tür und schaue, mit den Händen auf dem Waschbeckenrand abstützend in den Spiegel. Ich atme ein und aus und beginne, den unteren Teil meines Kleides senkrecht aufzureißen. Bevor ich das Fenster öffne, ziehe ich meine Schuhe aus. Zu meinem Glück befinde ich mich im Erdgeschoss und kann so ohne weiteres aus dem Fenster steigen. Wachsam bewege ich mich fort, im Schutze der Dunkelheit, bis mich eine Stimme, die mir bekannt vorkommt, zum Stoppen bringt.
„Wohin des Weges?", krächzt der Kerl aus Mauros Anwesen. Wie hieß er noch gleich? Pippo.
„Ich brauche etwas frische Luft", gebe ich überzeugt von mir.
„Wen willst du verarschen?" Grob packt er meinen Arm und drückt mich trotz meines Tobsuchtsanfalls zu Boden. Er zückt sein Handy und eine kurze Nachricht später zerrt er mich wieder auf meine Beine.
„Er wird dich bestrafen!", informiert er mich über mein Schicksal. Er schleift mich zur Hintertür, als Lorenzo mir äußerst wütend entgegenläuft.
„Grazie, Pippo." Unaufgefordert entfernt sich Pippo und Lorenzos Hand legt sich um meinen Hals.
„Du weißt, dass ich dich dafür maßregeln werde?"
„Machen dir die Frauen Ärger?", fragt eine vertraute Stimme belustigt. Mir gefriert das Blut in den Adern. Sämtliche Farbe verabschiedet sich aus meinem Gesicht. Ich versuche, den Blick von Lorenzo standzuhalten, damit er sich nicht weiter bewegt.
„Manchmal, aber ich weiß sie zu erziehen", erwidert Lorenzo amüsiert.
„Ich würde es liebend gerne sehen."
Wie um Himmels willen komme ich hier wieder raus? Lorenzo steht Giona mit dem Rücken zugewandt und verdeckt die Sicht auf mein Gesicht. Ein diabolisches Lächeln legt sich auf seine Lippen, ehe er beginnt, seinen Gürtel zu öffnen und ihn aus den Schlaufen zu ziehen.
„Auf die Knie!", gibt er mir streng zu verstehen. Ich bleibe wie paralysiert stehen und versuche, das, was jetzt kommt, auszublenden.
„Auf deine Knie!", schreit er nun, dass sogar Tropfen seines Speichels mein Gesicht erreichen. Er legt den losen Gürtel um meinen Hals und fädelt ihn in die Schlaufe ein. Mit einem harten Ruck, zieht sich der Gürtel stramm um meinen Hals. Die Luftzufuhr wird direkt unterbrochen und ich beginne zu röcheln. Ich bleibe standhaft, trotz dessen, dass meine Lunge schmerzt und mein Körper verzweifelt versucht zu atmen. Wenn er es darauf anlegen sollte, mich zu Tode zu würgen, dann wäre das ein weitaus besserer Tod, als wenn Giona wüsste, wen Lorenzo mit seiner breiten Statur verdeckt. Immer wieder lockert und verstärkt er den Druck um meinen Hals.
„Sie ist standhaft, das muss man ihr lassen", erläutert Giona fasziniert. Lorenzo verliert die Geduld, das Leder beißt sich in meine Haut und die Ränder meines Sichtfeldes beginnen schwarz zu werden. Ich freunde mich langsam, mit dem Gedanken von dieser Erde zu gehen an.
„Mauro wird dich nicht retten! Mein Schwager war so nett und hat ein paar Leute geschickt."
„Darf ich?", ertönt die dunkle Stimme von Giona. Er löst den Druck und prompt strömt Sauerstoff in meine Lungenflügel. Tränen schießen in meine Augen, während ich vor mich hin japse. Lorenzo genießt das Schauspiel und gibt lächelnd nach: „Nur zu." Mein Blick senkt sich automatisch, denn ich habe verloren.
„Das ist eine Überraschung", verkündet er euphorisch und nimmt das Ende des Gürtels in die Hand.
„Das ist die Kleine von Mauro?", fragt er, als wäre er vom Glauben abgefallen.
„Jetzt nicht mehr."
„Dann lass uns hineingehen, um sie kümmern wir uns später."
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