Kapitel 16 • Mauro •


Mein Vater ist und bleibt sturer als ein Esel. Wir sind das Ganze jetzt mehrmals durchgegangen und dennoch hält er es nicht für nötig, sofort einzugreifen. Er ist sich sicher, dass sein ehemals bester Freund einen Fehler begehen wird und er diesen dann zu unserem Vorteil nutzen kann. Dario mimt bis jetzt den treuen Schoßhund. Bejaht und belächelt, bis mir endgültig der Geduldsfaden reißt.

„Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht! Meine uomini d'onore sind bereit. Puoi nasconderti come un codardo!"

„Wenn du dieses Haus verlässt!", versucht er mir zu drohen, doch ich lasse es nicht zu. Nicht diesmal.

„Was dann? Du hast dieses Haus verlassen, um Capo dei Capi zu werden. Du hast die Entscheidungsgewalt in meine Hände gelegt!"

„Und ich kann es jederzeit rückgängig machen! Sieh dir Dario an, dann weißt du, was Loyalität bedeutet! Er ist ein Ehrenmann durch und durch!" Ich weiß, was er da versucht. Doch wie ich mir bereits in den Kopf gesetzt habe, wird er diesmal nachgeben müssen.

„Ehrenmann, dass gerade du dieses Wort in deinen Mund nimmst. Was verkörpert der Ehrenmann für dich? Loyalität? Aufopferung? Ehrlichkeit? Blindes Folgen?", zähle ich abgehakt auf.

„Rede nicht, wenn du von nichts eine Ahnung hast!", droht er aufbrausend.

„Ja, wenn wir schon bei Ehrlichkeit sind. Was ist damals vorgefallen, zwischen Gentile und dir? Ihr wart beste Freunde, euch ebenbürtig! Woher kommt dieser Hass?", fordere ich mein Schicksal heraus.

„Das ist eine Sache zwischen ihm und mir!", besteht er trotzig weiter. Die Mumie neben uns schnauft, das erste Lebenszeichen von Dario, seitdem er es sich neben uns bequem gemacht hat.

„Nein, Pa, das geht uns alle etwas an." Niemals hätte ich gedacht, dass Dario es wagen würde, Papá zu widersprechen. Doch er hat recht, die Drohung richtet sich gegen uns alle.

„Ich werde dir helfen. Lass mich ihn anrufen", lenkt mein Vater schlussendlich ein.

„Du möchtest uns helfen?", fragt mein Bruder erstaunt. Er mag es ihm vielleicht glauben, ich jedoch halte es für die feige Art, um der Antwort zu entgehen. Süffisant ziehe ich mein Handy hervor, tippe die Nummer von Saverio ein und reiche es ihm.

„Ich will sie wieder haben, dann bin ich bereit zu verhandeln", stelle ich eisern klar. Zustimmend nickt er mir zu, eher der Verbindungston läutet. Mein Vater wirkt angespannt, nicht wie sonst. Er schaltet auf laut, damit auch wir an dem Gespräch teilhaben können.

„Mauro", ertönt es aus dem Lautsprecher. „Nicht, Mauro."

„Goomba!", säuselt Saverio besonders aufgesetzt.

„Saverio."

„É, für die famiglia kommst du aus deinem Rattenloch, bravo. Meine Botschaft habt ihr erhalten, nehme ich an."

„Kommen wir doch gleich zur Sache. Du möchtest mit uns verhandeln? Dann lass die Kleine gehen, sie hat nichts damit zu tun", beginnt mein Vater, immer noch in einem schlichten Ton.

„Du meinst Emilia? Eine wunderschöne Frau und so lebhaft."

„Wenn du ihr etwas antust!", sprudelt es unaufhaltsam aus mir heraus.

„Na na na. Wir wollen hier doch keine Drohungen aussprechen." Der tadelnde Unterton und die dumpfen Schreie, die nun an mein Ohr dringen, lassen mich vor Wut schäumen.

„Ich lasse euch ein kleines Geschenk zukommen, damit ihr versteht, wie ernst es mir ist." Ich überschütte ihn mit Hasstiraden. Lasse ihn wissen, dass er und jedes seiner Familienmitglieder dem Tode geweiht ist. Ignorierend wendet er das Wort erneut an meinen Vater.

„Vincenzo, du weißt, was ich will und wir wissen beide, dass die Spitze der Kommission mir gebührt." Mein Vater ist gewillt zu antworten, doch das Tuten in der Leitung erklärt das Ende des Gesprächs.

Blanker Hass überkommt mich, lässt mich Stuhl und Schreibtisch zerlegen, während Dario versucht beruhigend auf mich einzureden. Kraftvoll packe ich meinen Vater am Kragen und donnere ihn an die nächste Wand. Ich werde ihm nicht die Chance geben, sich herausreden zu können. Dario zerrt an mir, ruft hilfesuchend nach Enea, während ich die ganze Aufmerksamkeit meinem Vater widme.

„Du wirst mir jetzt sagen, was damals wirklich passiert ist! Capito?" Meine Faust schlage ich neben seinen Kopf in die Wand. Keine anderen Umstände hätten mich dazu verleitet, meine Hand der Art meinem Vater gegenüber zu erheben.

„Dario, raus mit dir!", bellt mein Vater ungehalten, doch sein Erstgeborener rührt sich nicht.

„Dario, lass es dir nicht zweimal sagen!", fluche ich angespannt.

„Lass ihn los und ich verschwinde." Ich drücke nochmals kurz nach, ehe ich seinen Kragen freigebe. Ich atme einmal tief ein und aus, bevor ich mich meinem Bruder zuwende.

„Nehm zu L'ombra Kontakt auf. Ich will alles wissen, wenn ich hier fertig bin, möchte ich euch bereit wissen." Zögerlich nickt er mir zu und verlässt anschließend das Büro unseres Vaters. Sobald er außer Hörweite ist, zetere ich direkt weiter: „Du hast jetzt die Chance mir alles zu erzählen." Ein unleserlicher Ausdruck schleicht sich auf sein Gesicht. Besonnen richtet er sein Hemd und versetzt sein Sakko in den vorherigen makellosen Zustand, indem er es sorgfältig glatt streicht. Ich gebe ihm Zeit, auch wenn ich weiß, dass sie mir davon läuft.

„Setz dich", fordert er ruhig, während er die Stühle wieder aufrichtet. Ich komme seiner Bitte nach und setze mich ihm gegenüber. Wenn es eine Eigenschaft gibt, die nicht auf meinem Vater zutrifft, dann ist es Scham. Und genau das ist es, was mich gerade irritiert. Ich sollte Wut sehen, für das, was ich zu ihm sagte oder dafür, dass ich ihn am Kragen gepackt habe. Aber da ist nichts dergleichen, nur Scham.

„Was ist wirklich passiert? Das er dir Geld schuldet, kann nicht der einzige Grund sein?", frage ich nun etwas ruhiger.

„Mauro, dieses Gespräch, darf diesen Raum nicht verlassen. Es steht so vieles auf dem Spiel und vor allem der Zusammenhalt dieser Familie." Es fröstelt mich, zeige mich aber trotzdem geduldig.

„Saverio und ich waren uns lange Zeit eng verbunden. Wir waren damals jung und grün hinter den Ohren als wir Freundschaft schlossen. Zwei junge Burschen mit demselben Traum viel erreichen zu wollen." Nachdenklich macht er eine kurze Pause.

„Er war gut in dem, was er machte, schließlich war er ehrgeizig und wollte die Leiter immer höher klettern. Irgendwann veränderte er sich. Ich fand es nicht schlimm und ließ mich eine ganze Weile lang mitziehen. Ich lieh ihm sogar immer wieder Geld, viel Geld. Bewusst wurde mir vieles erst, als er anfing, mit Alfredo Pellegrini zu sympathisieren. Menschenhandel, Zwangsprostitution waren alles Dinge, die wir verteufelten und die Alfredo verkörperte. Er brauchte das Geld, um sich einzukaufen." Mein Vater streicht seine Hände durchs Gesicht, als würde er die Erinnerung damit ausgraben. Er fährt über seine Nasenwurzel und schließt kurzzeitig die Augen.

„Sie handelten einen Deal aus, wollten die Erstbemusterung und alles, was es mit sich bringt, nach Sizilien verlegen. Trotz des Verbotes, trotz dieses ungeschriebenen Gesetzes, an welches sich jedes Mitglied der Cosa Nostra zu halten hat." Wieder setzt er eine unnatürliche Pause, die er länger als nötig zieht.

„Was dann passierte, weißt du. Pellegrini endete mit einer Kugel zwischen den Augen. Ich hatte keine Wahl, also hinterging ich Saverio und wurde zum Capo dei Capi. Es war nie in meinem Interesse, der Erste der Kommission zu werden, das war Saverios Traum. Er hatte schon so viel Einfluss gesammelt, dass er mich ohne Probleme hätte dezimieren lassen können, aber er tat es aus irgendeinem Grund nicht. Stattdessen machte er mir ein Friedensangebot. Eine Heirat. Dario, mein Erstgeborener und Chiara, seine einzige Tochter. Natürlich sagte ich zu."

„Und dann kam Dario mit Isabella ...", vervollständige ich das Unausgesprochene.

„Ich versicherte Saverio, dass es nur eine unbedeutende Romanze war. Schlichtweg eine Frage der Zeit, bis Dario das Interesse verlieren würde. Die Beziehung wurde ernster und das konnte ich nicht zulassen. Aber dann war Dario bereit, uns den Rücken zu kehren, er wollte sie heiraten. Wie hätte ich mein Leben über das Glück meines Sohnes stellen können? Ich entschied mich um und stellte Saverio vor vollendete Tatsachen."

„Wie kannst du noch in den Spiegel gucken?", gifte ich ihn an. Die Abscheu, die ich gerade empfinde, ist nicht in Worte zu fassen.

„Er wollte mich wissen lassen, wer die Fäden wirklich zieht und gab den Auftrag frei, Isabella ", lässt er den Satz unbeendet. Unverständnis macht sich breit, auch wenn jemand anderes den Abzug drückte, war mein Vater genauso schuld am Tod von Isabella.

„Du bist für ihren Tod verantwortlich!"

„Mauro, bitte. Du musst mich verstehen."

„Wir werden hierüber nochmal spr-", verstumme ich, da die Tür unerwartet aufgeht. Ich erkenne es immer, wenn ihn etwas mitnimmt.

„Ich störe nur ungern, aber Mauro", bittet er mich, als wäre ich neuerdings aus Zucker. Seine Hand bedeutet mir, ihm zu folgen. Fluchtartig stehe ich auf und versuche, mit ihm Schritt zu halten. Papa habe ich zurückgelassen. Wir laufen in mein Büro. Davide und Dario sind ebenfalls anwesend und stehen besorgt, mit dem Blick auf den PC gerichtet. Es muss etwas sein, was L'ombra ausfindig machen konnte. Hastig gehe ich vorwärts, bis Enea mich zwingend zum Stoppen bringt.

„Warte."

„Enea", gebe ich im warnenden Ton von mir.

„Hör mir zu. L'ombra, weiß, wo sich Emilia aufhält."

„Dann weiß ich nicht, auf was wir warten", stelle ich ungläubig fest.

„Ich habe die Männer bereits losgeschickt, wir werden uns ihnen sofort anschließen. Mauro, ich weiß nicht, in welcher Verfassung wir sie vorfinden werden."

„Was willst du mir damit sagen?", möchte ich unverzüglich wissen.

„Lorenzo, er, es-gibt-ein-Video", stammelt er vor sich hin. Er muss nicht mehr sagen, um mir zu verstehen zu geben, dass er ihr mehr als ein Haar gekrümmt hat.

„Ich will es sehen!", gebe ich energisch zu verstehen, auch wenn beide anderer Meinung sind.

„Du solltest es dir nicht angucken", setzt Dario an.

„Lass uns sie da herausholen. Ich werde nicht zulassen, dass sich Isas Schicksal wiederholt." Seine Worte wiegen schwer, auf meinem Gewissen. Er hat die Wahrheit verdient, nur ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Davide, der weniger der Mann der großen Worte ist, ist mehr der Mann der großen Taten.

„Ich packe meinen Koffer und nehme mit ...", spornt er uns an, während die gefüllten Sporttaschen auf den Tisch plumpsen. Er hat sich in der Zeit am Waffenschrank zu schaffen gemacht. Pistolen, Maschinengewehre, Sturmgewehre, und Maschinenpistolen der Marke Beretta, zählen zu unserem Waffenarsenal. Ebenso wie Rauch und Handgranaten. Routiniert ziehe ich meine eigene Schusswaffe, eine Beretta 92FS aus meinem Schulterholster und kontrolliere das Magazin, bevor ich es mir umschnalle.

„Was ist das?", fragt Enea erstaunt und erzielt damit auch meine Aufmerksamkeit.

„Ein G82 Scharfschützengewehr, mein neues Schätzchen", erklärt Davide stolz.

„Ihr könnt euch auf dem Weg unterhalten", wettert Dario.

Bewaffnet und jederzeit bereit, jemanden Leben zu beenden, steigen wir in zwei Autos verteilt ein. Es kommt mir nur recht, dass Davide mich in seinen Wagen einsteigen lässt. So haben wir beide genug Zeit, um unser Vorgehen zu besprechen.

„Meinst du, du bist aus der Übung?", witzelt er und erntet damit einen strafenden Blick meinerseits. Mir ist bewusst, dass ich mir schon viel zu lange die Hände nicht mehr selbst beschmutzt habe. Es ist Zeit, dies zu ändern.

„Ich will ihn lebend!"

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