Kapitel 14 • Mauro •
Ich schäume vor Wut. Das Timing hätte nicht beschissener sein können. In Blutrauschlaune verlassen wir gemeinsam das Anwesen, um uns auf den Weg zur Lagerhalle zu machen. Die Fahrt über verläuft still, nicht wissend, was uns genau erwartet. Mein Instinkt sagt mir, dass das keine defekte Gasleitung war. Man wollte uns treffen, man wollte uns erheblichen Schaden zufügen. Und das schafft man, wenn wir nicht rechtzeitig liefern können. Nicht nur der finanzielle Verlust, sondern auch eine verärgerte Black Axe beziehungsweise eine verärgerte Cosa Nera wären das Resultat davon. Abgesehen davon, dass es eine Menge Zeit und vor allem Geld kostet, wenn Feuerwehr und Polizei bereits vor Ort sind.
„Abooo." Enea reißt mich aus meinen Gedanken. Ein kurzer Blick aus dem Fenster genügt, um das Ausmaß der Zerstörung einzuschätzen. Dario bringt das Auto direkt vor den Wagen der Einsatzkräfte zum Stehen. Mechanisch steigen wir aus und verteilen uns routiniert auf. Das Absperrband, das schaulustige Gaffer davon abhalten soll, den Trümmern zu nahe zu kommen überwinden wir schnell. Ich nehme mir direkt einen der Polizisten vor, der seit Jahren von uns korrumpiert wird und bringe in Erfahrung, was die Ermittlungen bis jetzt ergeben haben. Wie ich mir dachte, wurden Brandbeschleuniger und C4 Ladungen Sprengstoff gesichert. Wer auch immer das war, wollte sichergehen, dass sein Vorhaben auch gelingt.
„Das solltest du dir ansehen." Darios Gesichtszüge wirken besorgt, als er das Gespräch mit dem Polizisten unterbricht.
„Was hast du gefunden?", möchte ich wissen. Eilig geht er weiter, bis er prompt zum Stehen kommt. Er geht einen Schritt zur Seite und lässt mir den Vortritt. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren, denn die Drohung ist mehr als ernst zu nehmen. Ein weißer Hai, aufgeschlitzt, weitere sechs tote Fische liegen in den blutgetränkten Gedärmen, die dem Hai entrissen worden sind. Der Hai, der für meinen Vater Capo dei Capi steht und jeder einzelne Fisch, der für den Tod eines unserer Familienmitglieder steht.
„Das ist Ernst, wir müssen ihn informieren", beschließt Dario umgehend. Zustimmend nicke ich ihm zu, denn die Drohung nicht ernst zu nehmen, wäre fatal.
„Enea, soll Giulia und Mamma nach Hause eskortieren. Davide, will ich bei Emilia wissen."
„Und du?", hakt Dario neugierig nach.
„Schadensbegrenzung."
„Viel Glück." Dario verschwendet keine Zeit. Er zückt sein Handy, wählt die Nummer unseres Höchsten, unseres Vaters, und entfernt sich. Ich tue es ihm gleich und wähle die Nummer unseres Abnehmers, dessen Pseudonym mir nur bekannt ist. Babatunde. Auch er war einer der vielen Migranten, die mit einem Boot den sicheren Hafen Palermos erreichten. Nicht, dass ich ein Problem damit gehabt hätte, Menschen in unserer Stadt aufzunehmen. Schließlich leiden viele in Nigeria unter dem Terror der „Boko Haram" und unter den Menschenrechtsverletzungen durch das nigerianische Militär. Hungersnöte, Massaker, Militärputsche und nochmals Militärputsche treiben die Massenfluchten voran. Unter ihnen Männer, wie Babatunde, die vor nichts zurückschrecken. Männer, die vor einigen Jahren damit begonnen haben, uns das Leben zu erschweren. Die Zeit, in der wir Kriege mit ihnen auf offener Straße ausgefochten haben, ist vorbei. Mein Vater setzte sich ein, verhandelte mit eiserner Faust. Mit dem Ergebnis eines Waffenstillstands. Wir sprachen ihnen eigene Reviere zu, damit wir uns nicht weiter in die Quere kamen. Es gibt einen Vertrag, der bis heute Bestand hat. Wir liefern ihnen Waffen zu fairen Preisen, während sie Sizilien aus dem Geschäft der Zwangsprostitution raushalten. Diesen Vertrag zu schützen, gilt als oberste Priorität.
Mit dem Ergebnis „es hätte besser laufen können", lasse ich mein Handy in die Sakko-Innentasche gleiten. Es war mir von Anfang an bewusst, dass Babatunde ein harter Brocken sein wird. Die Verhandlung war schwierig. Vorschläge meinerseits wurden verworfen. Ich musste ihm Honig ums Maul schmieren, denn ich konnte ihm unmöglich alles zu sichern. Genervt öffne ich die Tür meines Wagens und lasse mich auf den Sitz nieder. Erschöpft lasse ich den Kopf auf dem Lenker ruhen. Die Auszeit hält in diesem Fall nicht lange an, denn mir fällt ein, dass während des Telefonats weitere Anrufe reinkamen. Das Display zeigt sechs verpasste Anrufe von Davide, ebenso wie eine Sprachnotiz an. Ich vergeude keine Zeit damit, zuerst die Sprachnotiz anzuhören, sondern rufe direkt zurück. Nach dem ersten Klingeln habe ich ihn bereits in der Leitung.
„Sie ist weg!", platzt es aus ihm heraus.
„Ich nehme an, du hast sie nicht bei mir gesucht?"
„Du hast sie nach oben gelassen?", fragt Davide unglaublich.
„Ich denke nicht, dass es dich etwas angeht", warne ich ihn barsch.
„Ich geh' schon."
„Sag ihr, ich bin auf dem Weg."
„Annácati, er ist unterwegs!"
Ich verbinde mein Handy mit der Freisprechanlage und lasse den Motor aufheulen. Wenn ich sämtliche Verkehrsregeln breche, wäre es ein Leichtes, vor meinem Vater anzukommen. Ich habe mit den Jahren gelernt, dass es eine Sache gibt, die ihn besonders reizt und das ist das Warten. Seit er Capo dei Capi ist und den Platz der Spitze der Kommission eingenommen hat, veränderte sich sein Wesen. Ich könnte es dem Druck, der seit diesem Tag auf seinen Schultern liegt, zuschreiben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es andere Gründe hat. Keine fünf Minuten später klingelt mein Handy erneut. Wieder ist es Davide. Warum sollte er es erneut für nötig halten, meine Nummer zu wählen, wenn sie im besten Fall nackt, in meinen Laken räkelnd, auf mich wartet? Mit einem schlechten Gefühl hebe ich ab.
„Wie schnell kannst du hier sein?"
Er lässt mir keine Möglichkeit, zu antworten. Bevor ich meinen Mund öffnen kann, läutet der Ton für das Ende des Gesprächs. Ich könnte meiner Tobsucht jetzt freien Lauf lassen oder ich werde mich zumindest für den Heimweg beherrschen. „Cornuto!", fluche ich vor mich hin. Gefolgt von weiteren Fluchtriaden, die allesamt an Davide gerichtet sind. Ich nehme schon gar nicht mehr wahr, dass ich mich auf dem Sandweg zu unserer Zufahrt befinde. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, mir das Schlimmste auszumalen. Das Tor steht bereits offen und ich mache mir keine Mühe, auf den Parkplatz zu fahren. Ich fahre bis an die Eingangstür und lasse das Auto unbeachtet stehen. Meine Mutter ist, wie es aussieht, auch wieder zurück, denn sie empfängt mich alleine an der Eingangstür.
„Wo ist er?", zische ich durch meinen zusammengepressten Kiefer hervor.
„Mauro." Etwas gröber als beabsichtigt, dränge ich mich an meiner Mutter vorbei.
„Cazzo, Mauro!", versucht sie es ein zweites Mal. Beide laufen wir an der Küche vorbei, auf direktem Weg in meine Räumlichkeiten. Am Fuße der Treppe warten sie bereits auf mich. Besonders in Eneas Gesicht kann ich es sehen. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht. „Davide?", werfe ich in die Runde. Selbst Dario wirkt beunruhigt.
„Er ist oben." Ich laufe durch sie hindurch, nehme zwei Stufen auf einmal. Was hat das zu bedeuten? Meine Mutter ruft wieder: „Mauro." Einen kurzen Moment schenke ich ihr meine Aufmerksamkeit und überspiele meine Gereiztheit. Ich lasse meine Mutter im Glauben, ich könnte mich kontrollieren. Ein kurzes Nicken reicht mir als Bestätigung, um meinen Gang fortzusetzen. Meine Schiebetür steht sperrangelweit offen, inmitten meines Schlafzimmers befindet sich Davide.
„Wo ist sie?", grolle ich ihm entgegen. Davide hingegen gibt sich für meinen Geschmack zu ruhig. Meine Augen schießen zu dem Blatt Papier, das er fest in seiner Hand hält.
„Ich denke, das wird deine Frage beantworten." Unaufgefordert reicht er mir den Zettel. Und da ist sie wieder, meine Raserei und Tobsucht, die ich erfolgreich zurückgeschoben habe. Die Wörter lesen sich wie pures Gift. Tödlich für mein rationales Denken. Mein Gesicht müsste mittlerweile tiefrot angelaufen sein. Wieder und wieder lese ich die Botschaft, die dieser Hurensohn für mich hinterlassen hat:
„Ich nehme an, du willst sie wieder haben? Saverio Gentile 0 78 4168719"
„Chiara?", will ich wissen.
„Wahrscheinlich im Schoß ihrer Familie", erwidert Davide.
„Mach unsere Leute klar", befehle ich ihm. Er schnauft, was einem Widersprechen gleichkommt: „Dein Vater."
„Wird bald hier sein. Alle Infos an L'ombra!", ordere ich verbissen an. Mein Blut, was sich inzwischen wie Säure anfühlt, rauscht durch meine Adern. Bilder, von denen ich dachte, sie nicht ausmalen zu können, trüben meinen Verstand.
„Enea hat alles weitergegeben."
„Dann verschwende keine Zeit!" Ich würde mich sofort mit Gentile in Verbindung setzen. Ich weiß nicht, was er insgeheim damit bezwecken möchte, aber es ist unumgänglich, Vater mit einzubeziehen, denn es ist seine Vergangenheit, die uns droht, zu verschlingen. Saverio wird mit Blut bezahlen müssen, für den Verrat an meiner Familie und viel mehr für die Entführung von Emilia. Dieses Mal würde ich mich höchstpersönlich darum kümmern, jemanden Schmerzen zuzufügen. Nicht Davide, der den Titel des Metzgers unserer Familie gebührt.
Gemeinsam kehren wir nach unten zurück. Ich hatte meine Mutter unter ihnen erwartet, stattdessen nehmen mich meine Geschwister in Empfang.
„Sie ist in deinem Büro", unterrichtet mich Dario, als hätte er den Gedanken mitverfolgt. Flüchtig schaue ich zu ihm auf. Eine kleine Geste, die ihm zeigen soll, dass ich verstanden habe, was er mir damit sagen wollte.
Nasenwurzel massierend, trete ich in mein Büro. Obwohl meine Mutter mir ihren Rücken zugewandt hat, bemerkt sie mein Eintreten sofort. Mit verschränkten Armen dreht sie sich zu mir. Ihre Mimik verrät, dass sie auf der Suche nach einem Hinweis ist, der etwas über meine mentale Verfassung verrät. Sie kommt näher, bis sie schließlich vor mir innehält. Ich wünschte, sie würde nichts sagen. Nichts, was meine Mauer einreißen könnte, die ich über die Jahre mühsam errichtet habe.
„Du weißt, dass für deinen Vater die Familie an erster Stelle kommt", sind die ersten Worte, die sie an mich richtet.
„Sie zählt nicht zur Familie, nicht für ihn", setze ich sie in Kenntnis.
„Dein Vater ist kein Unmensch! Du musst es ihm sagen, welche Bedeutung sie für dich hat", belehrt sie mich und belügt sich selbst. Was mich echt rasend macht.
„Ich habe gesehen, zu was es bei Dario geführt hat."
„Du kennst nicht die wahre Geschichte!", versucht sie mich mundtot zu machen.
„Isabella ist tot! Reicht das Endergebnis nicht?", werfe ich meiner Mutter vor.
„Rede mit deinem Vater!" Ich entziehe mich dem Einfluss, den sie versucht, über mich auszuüben und lasse sie zurück.
Die Lichter, die dem Anwesen näher kommen, verraten Papás Ankunft. Fast gleichzeitig erreichen wir die Eingangstür. Die Stimmung im Haus ändert sich schlagartig, mit dem Betreten meines Vaters. „Ci cumminaste?" Sind die ersten Worte, die er an mich richtet. Kein „guten Abend", geschweige denn ein, „wie geht es dir".
„Buona sera."
„Buona sera? Denkst du, ich bin hierhergekommen, um dir einen guten Abend zu wünschen?", bellt mein Vater zynisch.
„Pa, die Lage ist ernst." Er reibt sich die Schläfen, um mir wahrscheinlich zu demonstrieren, wie viel Nerven ich ihn koste.
„Beweg deinen Arsch in mein Büro. Jetzt!" Innerlich fluchend, folge ich ihm. Dario blieb die Ankunft nicht verborgen. Selbstbewusst nähert er sich unserem Vater und begrüßt ihn mit einem Kuss auf den Ring, der mit den Initialen unseres Vaters aufwändig verziert ist. Schnell zieht Papa ihn in eine herzliche Umarmung.
„Ich möchte dich bei dem Gespräch dabeihaben." Ich sollte mir dringend überlegen, wie ich meinen Vater davon überzeuge, Emilia schnellstmöglich aus den Fängen von Gentile zu befreien.
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