Kapitel 13 • Emilia •


Ich konnte gerade noch etwas von einer Explosion auffassen, als die Tür ins Schloss fiel. Gerädert schnappe ich mir meine Shorts, meinen Hoodie, sehe zu, dass ich mich schnell anziehe und das Büro, welches ich eigentlich nicht betreten durfte, verlasse. Die Villa wirkt wie leergefegt, denn es ist niemand zu hören. Ich wünschte, ich wüsste, welches dieser Zimmer Mauros ist. Da ich aber keinen blassen Schimmer habe, muss ich wohl oder übel nach jemandem suchen. Ungern würde ich mich in das falsche Zimmer verirren und á la Schneewittchen in einem fremden Bettchen schlafen. Wenn ich schon in den einmaligen Genuss komme, unbeaufsichtigt durchs Anwesen spazieren zu können, sollte ich es auch ausnutzen. Am Anfang eher zurückhaltend und später dann etwas mutiger. Tür für Tür wird geöffnet, ich trete ein, schaue mich um, schließe die Tür hinter mir und gehe zum nächsten Raum. Im oberen Stockwerk gibt es nicht viel zu erkunden, da die meisten Zimmer abgeschlossen sind. Ich nehme an, dass es sich dabei um die Schlafzimmer handelt. Unten müsste mindestens genau so viel Fläche zur Verfügung stehen.

Ich sollte auch nicht enttäuscht werden, direkt hinter der Küche befindet sich wahrscheinlich das Schmuckstück dieses Hauses. Deckenhohe Regale, die womöglich die feinsten Tropfen der Welt beherbergen. Auch wenn ich nicht zu den Weinkennern gehöre, kann ich zweifelsohne erkennen, dass die Flaschen wohl ein Vermögen gekostet haben müssen. Ein Räuspern hinter mir lässt mich kurz aufschrecken.

„Kann ich dir helfen?", fragt Chiara freundlich.

„Oh tut mir leid, ich wollte nicht", entschuldige ich mich, da ich höchstwahrscheinlich gar nicht hier sein dürfte.

„Schon in Ordnung. Ich denke nicht, dass sie was dagegen hätten", beruhigt sie mich schnell.

„Ich suche das Schlafzimmer von Mauro." Sofort wirkt sie wie versteinert.

„Mauros Zimmer?", vergewissert sie sich, ob sie mich wirklich verstanden hat.

„Ja, ich soll dort auf ihn warten."

„Na dann werde ich dir zeigen, wo es ist. Für gewöhnlich ist es abgeschlossen."

„Grazie", bedanke ich mich knapp. Sie führt mich weiter, bis wir eine weitere Treppe erreichen, die auch ins obere Stockwerk führt.

„Er hat zu seinem Reich einen eigenen Zugang. Also: Treppe hoch, Flur entlang und die schwarze Tür." Mechanisch nicke ich ihr zu. Neugierig schaue ich auf und lasse den Stil, der sich vom Rest des Hauses abhebt, auf mich wirken. Wo das Haus doch in hellen freundlichen Tönen gehalten ist, scheint das Muster sich hier nicht wieder zu spiegeln. Schwarzer Marmor schmückt die Treppe. Ein edler Handlauf aus Kirschholz rundet das Bild ab. Die Wand ist aus Naturstein und wird von unzähligen gedimmten Spots beleuchtet. Ehrfürchtig gehe ich die Stufen hinauf und erblicke am Ende des schmalen Flurs die schwarze Tür, von der Chiara sprach. Allerdings ist diese nicht verschlossen, wie von ihr angenommen. Vorsichtig, als würde ich etwas Illegales tun, öffne ich sie und trete hinein. Zu meiner Überraschung erwarten mich zwei weitere Türen auf der anderen Seite. Die schwere Holzschiebetür ist auf jeden Fall ein Blickfang, während die zweite wieder im schlichten schwarz gehalten ist. Ich zimpere nicht lange herum und schiebe die Holztür, die leichter als gedacht ist, zur Seite. Er hat wohl ein Faible für Schwarz, ist das Erste, was ich denke, als ich das Zimmer betrete. Ein schwarzes Kingsize-Bett thront in der Mitte. Ich realisiere auch schnell, wohin die zweite Tür geführt hätte. Eine moderne Glasfront gibt den genauesten Einblick in das Badezimmer. Es gibt nicht viel zu erkunden, nichts, was mich Mauro näher kennenlernen lässt. Persönliche Gegenstände scheinen hier Mangelware zu sein. Ein offener Durchgang gibt sein Ankleidezimmer frei. Endlose Reihen an maßgeschneiderten Anzügen, Lederschuhen und Gürtel hängen und liegen in Reih und Glied. Fasziniert von der Ordnung, lasse ich meine Hände durch die nach Farben sortierten Sakkos streifen. Öffne Schubladen der Reihe nach, um einen Blick hineinzuwerfen. Socken, Boxershorts, Trainingsanzüge. Und dann finde ich eine Schublade, deren Inhalt mich aus allen Wolken fallen lässt. Eine Sammlung bestehend aus persönlichen Gegenständen, die ich über die Jahre dachte, verlegt oder verloren zu haben. Ein Arsenal an Unterwäsche, Nachtwäsche und Pflegeprodukten. Selbst meine zuletzt vermisste Zahnbürste befindet sich darunter. Doch das ist noch nicht der Gipfel des Eisbergs. Ein ganzer Satz Bettwäsche samt dem Spannbetttuch liegt darunter verborgen. Das aufgestickte Logo lässt keinen Zweifel daran, dass er es dem Kloster entwendet haben muss. Instinktiv schrecke ich hoch. Die Tür, die eben noch leise ins Schloss fiel, gibt mir das Gefühl, auf ganzer Linie ertappt worden zu sein. Zügig schließe ich die Schublade und mime die Unschuldige, während ich ins Schlafzimmer zurückkehre. Anspannung jagt durch meinen Körper, als ein Fremder mich in Mauros Zimmer willkommen heißt.

„Sie haben hier drin nichts verloren!", keife ich ihm entgegen.

„Signora."

„Emilia." Die Narbe, die sich über sein gesamtes Gesicht erstreckt, erweckt nicht unbedingt Vertrauen.

„Emilia, ich muss sie bitten, die Räumlichkeiten von Signore Caruso umgehend zu verlassen", mault er mich an, sodass es sich keinesfalls wie eine Bitte anhört.

„Was? Nein, ich", protestiere ich und werde prompt zusammengestaucht.

„Ich sagte, raus! Oder ich muss nachhelfen", erwidert er aufbrausend. Es muss so laut gewesen sein, dass Chiara die lautstarke Diskussion mitbekommen hat.

„Was ist denn hier los?"

„Der Herr hier, sollte sich zügeln!", gebe ich finster von mir.

„Pippo ernsthaft?", rügt Chiara ihn.

„Ich habe strikte Anweisung, dass niemand diese Räumlichkeiten betreten darf", verteidigt er seinen Standpunkt.

„Komm Emilia, wir klären das mit Mauro. Ich lass' ihn wissen, wie unfähig."

„Unverschämt", korrigiere ich sie. Sichtlich angepisst, gehe ich an Chiara vorbei und stolziere an diesem aufgeblasenen Vollidioten vorbei.

„Cretino! Muss ich alles selbst machen?", höre ich Chiara blaffen, gefolgt von einem Piks, den ich nicht erwartet habe. Geschockt reiße ich meinen Körper um und sehe, wie Chiara eine Spritze in der Hand hält. Die Ränder meines Blickfeldes beginnen sich umgehend zu verdunkeln. Und meine Gliedmaßen werden schwer.

„Buona Notte, Cara Mia." Ich habe keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen. Es wird alles Schwarz. Die Bewusstlosigkeit hat gewonnen.

Es ist mein Schädel, der zu platzen droht, während ich allmählich zu mir komme. Meine Augen sind schwer und mein Mund trockener als die Atacamawüste. Etappenweise schlucke ich den bitteren Speichel runter und versuche, wieder Herr meiner Sinne zu werden.

„Sie wird wach", höre ich eine männliche Stimme sagen.

„Stai zitto è vai a pigiare un bicchiere d'acqua", ordert eine andere Stimme.

Wasser ist das, nach dem mein Körper jetzt verlangt. Unfähig mich zu bewegen, warte ich auf das, was als nächstes passiert.

„Ich weiß, dass du mich hören kannst. Das Ganze wird wie folgt ablaufen; Du wirst mir alles über dieses Stück Scheiße Mauro Caruso erzählen! Er wird dich schließlich wieder haben wollen", äußert er spitz. Ich versuche mit aller Kraft meine Augen geöffnet zu halten, um seinem Blick Stand zu halten.

„Vielleicht lass' ich dich sogar gehen, wenn ich ihn habe", setzt er erneut an. Ich öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, doch meine Stimme versagt augenblicklich. Der Wichser, der in Mauros Zimmer war, betritt soeben den Verhörraum und überreicht diesem aufgeblasenen Modefuzzi, der definitiv schon einige Jahre auf dem Buckel hat, ein Glas Wasser. Ich möchte nicht wie ein Fisch an Land wirken, also lasse ich meinen Blick nicht abschweifen.

„Du musst Durst haben?" Gemächlich steht er auf und kommt in sicheren Schritten auf mich zu. Erst jetzt registriere ich, dass meine Hände hinter meinen Rücken gebunden sind und ich mich nicht weiter bewegen kann.

„Du hast nichts zu sagen?"

„Wasser bitte", krächzte ich.

„Was denkst du, wie lange er brauchen wird, um herauszufinden, wo sein kleiner Vogel geblieben ist?", fragt der Mann, dessen Name ich immer noch nicht kenne. Er legt eine Hand unter mein Kinn und dirigiert mit seinen Daumen und Zeigefinger meinen Kopf so, dass er ihn von allen Seiten betrachten kann.

„Du möchtest Wasser?" Um seiner Frage Nachdruck zu verleihen, bohrt er seine Finger in meine Wangen. Gerade so bekomme ich ein weiteres

„Bitte" heraus.

„Vielleicht sollte ich dir meinen Sohn schicken, er weiß wie man verspannte Zungen lockert." Er erhöht den Druck erneut und wirft meinen Kopf anschließend leicht zurück. Meine Wangen pochen und die Wut in mir beginnt zu wachsen. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage wäre, zu rennen, gar zu laufen, falls sich mir die Chance einer Flucht bieten würde. Aber für eine Beleidigung bin ich definitiv fit genug.

„Vaffancu!" Es trifft ihn wie ein Peitschenhieb, denn bevor ich das Wort vollends ausgesprochen habe, macht er eine hundertachtzig Grad Drehung und im nächsten Moment macht meine Wange Bekanntschaft mit seinem Handrücken. Der Geschmack von Eisen weckt bittere Erinnerungen wieder.

„Non osare, piccola puttana!" Er macht direkt vom Absatz kehrt, wirft das Glas um und öffnet die Tür. Chiara steht dort etwas unbeholfen.

„Pa?"

„Hol deinen Bruder! Ich will seine Schwachstellen wissen. Alle!" Die Tür fällt ins Schloss und ich gestatte mir einen kurzen Moment der Panik, ehe ich mich wieder fasse und den Raum genauestens betrachte, um mögliche Gegenstände ausfindig zu machen, die mir behilflich sein könnten. Nebenbei versuche ich, meine Hände zu lösen. Die Fesseln sind strammgezogen, was ein einfaches Lösen unmöglich macht. Der Raum ist spärlich eingerichtet, der Stuhl, auf dem ich sitze, eine Kamera an der Ecke der Decke, ein Schreibtisch und ...

Kaum erfassen meine Augen einen Funken Hoffnung, setze ich mich mit dem Stuhl in Bewegung. Das umgeschmissene Glas liegt noch am Rand des Tisches. Vorsichtig drehe ich mich und versuche mit der Rückenlehne an die Tischkante zu rutschen. Es ist schwer, das Glas zu fassen zu bekommen, denn sobald ich es berühre, rollt es davon.

„Fuck!" Einen kurzen Moment kann ich mein Glück kaum fassen und da gleitet es mir auch schon aus den Händen. Unsanft landet es auf dem Boden und zerspringt in kleine Teile. Ich muss den Stuhl kippen und mich fallen lassen, anders werde ich an die Scherben nicht drankommen. Ich versuche mich auf den Schmerz, der mich gleich ereilen wird, einzustellen und lasse mich so schonend es geht fallen. Die ersten Scherben, die sich durch meine Haut bohren, verweilen an Ort und Stelle. Mit Bedacht lasse mich meine Hände so weit es geht über den Boden wandern und greife nach der erstbesten Scherbe, die meine Freiheit bedeuten könnte. Zügig setze ich sie an dem Seil an und fahre immer wieder über dieselbe Stelle. Ich kann nicht sehen, wie lange es dauern wird, bis ich mich mühsam durch das Seil gearbeitet habe. Vom Gefühl her sind es einige Minuten bis das Band nachgibt und meine Hände endlich frei sind. Ich richte mich auf und mein Kreislauf macht mir direkt einen Strich durch die Rechnung. Mit Ach und Krach schaffe ich es zur Tür, doch genau als ich meine Hand hebe, um nach der Türklinke zu greifen, wird diese betätigt. Ich erstarre beim Anblick meines Gegenübers. Wie konnte das sein? Das Intermezzo, dessen Anfänge auf der Beerdigung einer jungen Frau vor etwas mehr als drei Jahren fand, steht live und in Farbe vor mir. Er hebt seine Hand, seinen Zeigefinger und in tadelnder Gestik und Akustik tritt er näher an mich heran.

„Emilia." Grob packt er mich im Nacken und schiebt mich durch die Tür voran.

„Wir werden uns jetzt unterhalten", erklärt er mir aufgebracht.

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