Kapitel XXXVII

„Niemals." Ein hysterisches Lachen entfloh meiner Kehle und ich schüttelte heftig mit dem Kopf.

„Aber-"

„Nein."

„Es ist-"

„Dieser Klunker hat mir nur Ärger eingehandelt." Ich verschränkte die Arme vor der Brust, bereit mich der Diskussion zu stellen, doch stattdessen sagte er ruhig: „Wie du meinst. Dann gehe."

„Wirklich?" Ich konnte meine Verblüffung schwer verbergen. Er sah nicht aus wie ein Mann, der schnell aufgab.

„Ja, wirklich. Laufe davon und lasse dich von Argon einfangen wie ein ausgebüxter Hund."

Meine trotzige Maske fiel in sich zusammen und darunter glomm rohe Erschöpfung hervor. Als wäre irgendwo in mir die Flamme gestorben, die mich zum Weitermachen antrieb. „Ich habe keine Wahl, stimmt's?"

„Nein, das hatten wir nie." Alexej streckte mir die linke Hand entgegen. „Auf einen guten Handel. Mögen die heiligen Seher deine Wege erleuchten."

Ich wollte schreien, doch kein Ton verließ meinen Mund. Von einem Käfig zum nächsten, nur war dieser deutlich geräumiger. Ich wünschte, ich hätte das Kristallauge damals zerstört, als ich die Zeit dazu hatte. „Auf einen guten Handel", wiederholte ich leise.

Bevor er aufstehen konnte, packte ich ihm am Handgelenk. War es Einbildung oder flackerte kurz Panik in seinen Augen auf?

„Eins noch", sagte ich. „Ich will, dass auch der Rest vom Zirkus befreit wird und ein Heiler sich um Belle kümmert."

„Um dein Zirkusmädchen kümmern wir uns selbstverständlich, aber so viele Leute zu befreien, wird schwierig."

„Der Zirkus ist meine Familie. Und um meine Familie wolltest du dich sorgen." Ich versuchte, selbstbewusst zu klingen, doch meine zitternde Stimme ruinierte diese Bemühung.

Mit einer fast schon freundschaftlichen Geste legte er mir eine Hand auf die Schulter. „Dann komme mir auch entgegen. Wo hast du den Kristall versteckt?"

Ich schwieg für mehrere ewige Sekunden. „Er liegt in den stillgelegten Quarzminen von Nevel in einem Riss in der Wand." Meine Haut kribbelte unangenehm. Nach all den Lügen und Geheimnistuereien fühlte es sich wie ein großer Fehler an, ihm davon so leichtfertig zu erzählen.

Alexej erhob sich und kurz zuckte sein Mundwinkel hoch. „Ruhe dich aus und schrubbe die Asche ab. Wir haben einen langen Weg vor uns."

Nach dem Gespräch führte er mich zurück zu Killith, Miriam und Annabelle. Die Mädchen hockten im Schatten der Kamelkutsche - von unserem Kutscher keine Spur, dafür hatte sich der Sand neben den Kamelen rot verfärbt ...

„Soren, geht es dir gut?" Belle zog sich an den Rädern hoch. „Was ist hier los? Und wo bist du gewesen?"

„Später." Ich winkte kraftlos ab. „Er kann dir mehr erzählen."

„Wer?"

Ich deutete auf Alexej, aber mein Finger zeigte ins Leere. Er war bereits verschwunden, als hätte es ihn nur in meiner Einbildung gegeben.

Auf Killiths gefasster Miene bildeten sich Risse. „Es fehlt jemand in unserer Gruppe."

„Kennox?"

„Nein, nicht er. Der ist abgehauen, sobald er frei war", sagte sie und ihre Schlangenaugen glänzten nass. Selbst die redselige Miriam war still und blickte betreten zu ihren Füßen.

„Der Rotschopf ist verschwunden", sprach Annabelle das aus, was alle dachten.

Meine Kehle schnürte sich zu, beim Versuch, das Geschehene in Worte zu fassen. Ich streckte die Daumen aus, presste meine Fäuste aneinander und kippte die rechte nach vorne. Die Gebärde für Tod.

Killith vergrub ihre Hände im Gesicht und Miriam gab ein wehleidiges Krächzen von sich, selbst Belle schien so blass wie totes Geäst. Ich fühlte mich schlecht dafür, mich nicht schlecht zu fühlen. Sie hatte alles geopfert, was sie besaß, doch war sie ein Fremder. Ich hätte gerne geweint, eine Träne um ihr Opfer vergossen, aber es kam keine.

„Tut mir leid für euren Verlust", hauchte Annabelle. Killith zuckte zusammen und es schien, als hätten die Worte sie zurück in die reale Welt geschleudert. Sie rieb sich das nasse Glänzen aus den Augen und straffte die Schultern. „Wir sollten die Asche abwaschen."

„Keine Eile. Ich kann verstehen, wenn ..."

Killith stand bereits auf und Miriam folgte ihr wie ein Schatten. Belle zögerte, dann beschleunigten wir unsere Schritte, um die beiden einzuholen.

Sie führte uns zu einer Stadt, die aussah, als hätten seit Jahrtausenden niemand mehr hier gelebt. Nur Spinnenweben und Willenskraft hielten die Häuser noch zusammen. Einigen half selbst das nicht mehr. Sie hatten ihr Leben schon lange ausgehaucht, waren wie ein Knochenhaufen in sich gefallen und streckten ihre toten Trümmerarme über die Pfade.

Killith stoppte vor einem Gebäude, das einst eine Herberge gewesen sein muss, wenn ich das zersplitterte Schild am Eingang richtig entzifferte. Im Gegensatz zum Rest der Ruinenstadt standen noch alle vier Wände und selbst das Dach war bloß stellenweise durchlöchert.

Annabelle blickte forschend in die Runde. „Ist das sicher? Ich habe nicht den weiten Weg bestritten, um von einem antiken Wandschrank erschlagen zu werden."

„Wir nutzen das seit ein paar Jahren und leben alle noch." Killith blieb stehen, räusperte sich. „Du weißt, wie ich das meine."

Im Erdgeschoss stand ein kleiner Raum mit einer Wanne und einem klapprigen Abstelltisch. Lappen baumelten am Wannenrand und eine dumpfe Vorahnung verriet mir, dass diese nicht mehr lange weiß wären.

„Irgendwo hier stand Mal ein Kästchen Seife", sagte Killith und streifte durch die Räume. Sie fand es und holte einen Wassereimer. Mein erster Instinkt war es gewesen, zu trinken, doch Killith mahnte uns zu kleinen Schlucken und wollte mir nicht verraten, wo sie das Wasser herhatte. Jeder tauchte seinen Lappen in den Eimer, brach ein Stück Seife ab und suchte sich ein ungestörtes Plätzchen.

Mir war, als läge meine Vergangenheit in einem anderen Leben. Einem, in dem nicht Leute gestorben waren, damit ich mit einem Haufen Halbfremder aus Argon flieh, weil mir ein Scherzkeks das Kristallauge untergeschoben hatte.

Meine düsteren Gedanken erhellten sich, als es auch meine Haut tat. Dicke schwarze Tropfen rollten an Armen und Beinen herab und hinterließen elfenbeinfarbene Streifen. Schon bald floss die Asche zu meinen Zehen in einer dunklen Pfütze. Obwohl die Seife brannte und meine Haut sich rötete vom Schrubben, genoss ich es, wieder sauber zu sein. Rein und unschuldig, dieses Gefühl hatte ich seit Wochen nicht mehr gespürt.

Der Zirkusanzug triefte aus jeder Falte – den würde ich nicht nochmal anziehen. „Hat irgendjemand von euch an Kleidung gedacht oder Handtüchern?"

„Bis zum Entkleiden bin ich noch nicht gekommen", antwortete Annabelle. „Dieses Matschwasser ist widerlich. Gibt's hier keine richtige Zivilisation?"

„Näher an Zivilisation, kommen wir nicht ran, Prinzesschen." Miriam zwang sich zu ihrem frechen genervten Ton, doch es klang falsch.

Killith war es, die uns wortlos jeder ein Bündel Klamotten hinschob. Genauso wie beim Wasser, verriet sie nicht, woher sie diese herhatte. Das dehnbare jedoch robuste Material ähnelte dem Zirkusanzug, der zu einem dunklen Packen in der Ecke kauerte. Nur saß das Hemd lockerer und es fehlten die gepolsterten Stellen und Schoner.

„Das ist der Soren, den ich kenne", sagte Miriam.

Ich schreckte zusammen. „Sag doch was. Ich hätte nackt sein können."

„Bist du aber nicht. Oder?" Sie nickte hinter sich. „Komm mit. Ich soll dir die Wohnquartiere zeigen."

„Was ist mit Annabelle?"

„Die säubert jede Haarsträhne einzeln, also dauert das noch eine Weile. Sie wird später nachkommen. Nun?"

Nach einem kurzen Zögern nickte ich. „Geh du voraus."


[Anmerkung des Autors: Das Kapitel fühlt sich vielleicht noch nicht richtig „beendet" an, weil es das nicht ist. Doch ich wollte erstmal etwas hochladen."

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