Kapitel XXXIII
Ich stellte mich unter das Loch in der Decke, das zum Schornstein führte. Die Öffnung reichte aus für einen schmalen Erwachsenen oder ein wohl genährtes Kind. Die Höhe und Beschaffenheit jedoch schafften mir einen dicken Kloß im Hals, der nicht nur von der Schwellung stammte. Ich strich über die Innenwand und Asche haftete an meiner Fingerkuppen, schleimig und rutschig.
Der Schornstein bietet kaum Halt, verkündete ich.
Killith drängelte sich wortlos vorbei, fuhr die Innenseite nach und bekam das gleiche Ergebnis. Schwarzverklebte Hände. Sie rubbelte kräftiger an der Ascheschicht. Es verursachte ein matschendes Geräusch und verwandelte sich langsam in ein Schaben, dass den drunterliegenden rauen Stein freigab. Schau.
Soll ich das alles mit der Hand freikratzen? Auf diesem Wege säßen wir bis zum Abend fest und wer weiß, ob es dann nicht schon zu spät war. Belle, hast du eine Idee?
Ich werde dieser Aktion nicht helfen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich inspizierte den Schornstein erneut und wandte mich unserer bunten Truppe zu. Wir brauchen Lappen. Oder Lappen-Ähnliches. Damit kann ich die Asche wegwischen.
Was du nicht sagst, spottete Kennox.
Miriam legte grübelnd den Kopf schräg. Wo willst du die herbekommen?
Unsere Klamotten. Der Stoff reicht für unseren Zweck aus.
Alle vier sahen sich an, bis auf Annabelle.
Meins ist ungeeignet. Viel zu viel Leder und Schonpolster. Was ist mit dir Killith?
Äußerlich blieb ihre Miene unverändert, als hätte sie nicht zugehört, aber dann antwortete sie. Nein.
Warum?
Nein. Anstatt einer Erläuterung schritt sie auf Kennox zu und drückte ihm ihren Zeigefinger auf die Brust. Er und Soren.
Soren, deine Kleidung wird eh schmutzig werden beim Aufstieg, fügte Miriam hinzu.
Meinetwegen. Der Gedanke, mich vor einem Fremden und drei Bekannten halb-nackt zu zeigen, löste keine Freude in mir aus, aber ich beschwerte mich nicht. Nur dieses eine Opfer noch für unsere Freiheit.
Miriam knufft mir in die Seite. Los.
Hört auf, mich so anzustarren. Das ist unangenehm.
Alle drehten den Kopf weg und schauten auffällig unauffällig woanders hin. Killith formte eine Gebärde, die nach unnötig oder dramatisch aussah.
Ich pellte den Anzug ab, der eng wie eine zweite Haut saß, und fröstelte. Neben der Dehnbarkeit schien er auch die Kälte der Kellergänge abgehalten zu haben.
Frierst du, fragte Miriam.
Ich habe gesagt, nicht hingucken!
Schmunzelnd kehrte sie mir wieder den Rücken zu.
Kennox. Dein Hemd.
Es entstand eine angespannte Stille. Ich bezweifelte, dass es einen unpeinlichen Weg gab, jemanden nicht-romantischen zu bitten, sein Oberteil auszuziehen. Außer man tat es so ungerührt, wie Killith in meinem Traum. Ich linste zu ihr rüber, aber die schenkte mir keine Beachtung.
Kennox stopfte mir das Zirkus-Hemd in die Hand, nutzloses Glitzern von außen, leichter und fusselnder Stoff von innen. Vermassel das nicht, Mondgesicht. Selbst über seine Brust zog sich eine hellrote Halbkreis-Narbe.
Danke. Das sieht gut aus. Das Hemd meine ich.
Kennox schnaubte und hockte sich hin, ebenso zitternd.
Ich wischte die erste Schicht Asche weg und wie schwarzer Regen rieselte es zu Boden. Mit dem Rücken gegen den Stein gepresst zog ich die Beine nach und drückte die Knie an die entgegengesetzte Stelle, sodass mein Körper quer im Schornstein lag. Abgesehen vom unerträglichen Stechen auf der Haut hielt es.
„Dieser Ausbruchplan ist infantil und unintelligent", sagte Annabelle.
„Hinterher wirst du uns danken", sagte Miriam ruhig.
Ich schob mich höher, säuberte den nächsten Abschnitt und dankte einmal mehr dem Zirkustraining, ohne das ich nie so dehnbar geworden wäre. Mein Oberschenkel prickelte und bequem war eine gewagte Beschreibung, doch es wirkte. Stück für Stück kam ich voran. Kennox' Hemd war unter einer schwarzen Schicht begraben, also ließ ich es fallen und nahm mein eigenes.
Auf halber Strecke eröffneten sich zwei Probleme. Zum einen war nun auch das zweite Hemd so durchtränkt, dass es mehr verschmutzte als reinigte. Zum anderen rutschte ich im Schweiß herab, wobei ein widerlicher Mix aus der Kombination mit Asche entstanden war, dessen Gestank mir die Feigen vom gestrigen Abend aufstoßen ließ. Schnaufend hielt ich an, die Knie blutig geschrammt und an den Händen blätterten schon Hautfetzen ab. Ein Blick nach oben und mir sank der Mut. Die graue Scheibe über mir schien unerreichbar.
„Kommst du klar?", schallte Miriams Wispern zu mir rauf.
Ich klopfte einmal und hoffte, sie verstand das Zeichen als Ja. Ich glitt ein Stück höher, roch meinen eigenen Schweiß und die eingeatmete Asche setzte sich schwer in meiner Lunge ab und mir drehte es den Magen um. Mit mehr Speichel als Inhalt erbrach ich mich. Es schmeckte sauer. Dann noch einmal.
„Soren?" Annabelle klang unschlüssig. Etwas, das man selten bei ihr erlebte. „Komm wieder runter. Die Aschepartikel schaden deiner Lunge und ein Sturz kann zu irreversiblen Verletzungen führen." Ihr sanfter Ton täuschte nicht über den mitschwingenden Zorn mit. Die Bedeutung von irreversible brauchte ich nicht zu kennen, um zu wissen, dass der Fall mir das Genick zerschmettern könnte. Die häufigste Todesart daheim in Tallaj.
Ich kletterte höher, trotz zitternder Glieder.
„Soren, klopf einmal, wenn du runterkommen willst. Zweimal wenn nicht."
Klopfen kostete Kraft, die ich nicht hatte, also zwängte ich mich weiter. Runterkommen? Hochklettern war schwer genug.
Ich atmete einen Schwall aschige Luft ein und kletterte einen halben Meter höher. Zuhause hatten viele in Kohlewerken gearbeitet, aber selbst der Geruch dort reichte diesem nicht das Wasser. Ach Wasser ... Ich war durstig, hungrig, müde und alles auf einmal. Der graue Fleck Himmel schwebte weit entfernt über mir. Die Anstrengung der letzten Tage forderten ihr Tribut.
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