Kapitel XXIV


„Warten auf was?", schrie ich.

„Warten auf was? Warten auf was?"

Ich presste mir die Hände auf die Ohren. Am liebsten hätte ich jedem dieser Vögel eigenhändig den Hals umgedreht. Wie konnte es sein, dass Killith in Argon festsaß, wenn sie beim Zirkus hätte sein sollen? Und war es möglich, dass Miriam, die verschwundene Bauchtänzerin, ähnliches widerfahren ist? Ich spürte, wie sich die Puzzleteile zusammenfügten, aber blieb blind für das Gesamtbild.

Der Käfig schaukelte, ohne dass ich mich bewegt hatte. Meine Hand schoss nach vorne und schloss sich um einen fedrigen Hals. Es zwitscherte aufgebracht, pickte nach mir und etwas stupste an meine Knie. Ich ließ den Vogel los und hob es hoch. Der saftig-süße Geschmack ätzte sich wie Säure in meine Zunge. Dieses Federvieh hat mir Feigen gebracht. Ich sehnte mich nach Fleisch, Fladenbrot, Reis, Datteln und jeder anderen Speise außer dieser Frucht.

Ich zwang mich zu einem weiteren Bissen, aber die Feige kullerte mir aus der Hand, als der Käfig erneut wackelte. Mit einem Rattern setzte es sich in Bewegung. Was passierte hier? Es stockte und Fußstapfen ertönten neben mir. Die Wachen hoben den Käfig hoch und trugen mich durch Tunnel und Treppen, bis wir schließlich hielten.

Meine Augen hatten sich so sehr an die Schwärze gewöhnt, dass ich zu erblinden glaubte, als die Tür aufflog. Es war heller als der Fackelschein, heller als Tageslicht und heller als alles, das ich kannte.

„Das soll unser Kristalldieb sein?", brüllte eine Männerstimme. „Der ist noch ein Kind!"

„Aber das ist der Richtige, Sir", sagte die Wache neben mir.

„Dieser weiße Bastard?"

„Ja, Sir. Der Befehl kam von Oben."

„Fein, Stell ihn ab. So ein junges Ding. Das wird einfacher als erwartet." Aus dem grellen Weiß zeichneten sich die Konturen eines breitschultrigen Mannes ab. Der ordentlich gestutzte Bart umrahmte die harten Züge seines Gesichts, die sich in Zorn verzogen hatten. Alles an ihm war kantig wie eine Skulptur, die man unter Zeitdruck grob in Stein gemeißelt hatte.

Ich räusperte mich. „Lassen sie mich erklären-"

„Schweig!" Er verpasste meinem Käfig einen so heftigen Tritt, dass es umfiel und mich gegens Gitter presste.

„Du bist also Soren Stein? Der, der uns die letzte Woche zur Hölle gemacht hat?"

„Soren, ja, das ist mein Name", sagte ich heiser. Es war, als würde sich ein milchiger Nebel lichten, je besser sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnten. Ich erkannte einen runden Raum, gedreht um 180°, und von der Seite loderte ein Kaminfeuer, was mich schmerzlich an das abgebrannte Zirkuszelt erinnerte. Das Sonnenlicht, welches durch die Glaskuppel über uns fiel, beleuchtete das einzige Möbelstück im Zimmer – einen Amboss auf dem eine rostige Zange lag.

Der Mann kniete sich zu mir runter und seine Rüstung klapperte. „Lass uns das kurz und schmerzlos machen, Kristalldieb. Wo ist es?"

„Keine Ahnung, wovon sie reden." Ich reckte die Brust so würdevoll raus wie es ging, wenn man gefangen und ausgemergelt in seinem eigenen Dreck lag. „Schauen sie mich an – sieht so ein Verbrecher aus?"

„Du siehst aus wie ein weißer Bastard, der etwas hat, das ihm nicht gehört."

„Was denn?"

„Stell dich nicht dümmer an als du bist."

„Ich weiß es wirklich nicht."

Der Mann stand auf und packte die Zange vom Amboss so fest, dass das Metall ächzte. „Du willst es wohl auf die harte Tour."

Das geriet außer Kontrolle. Was würde Annabelle in dieser Situation tun? „Ich will wissen, was mir unterstellt wird. Das ist mein Recht!"

Sein Mundwinkel zuckte hoch und gleichzeitig verengten sich seine Augen. „Rechte?"

„Ja. Meine Rechte."

Du stellst nicht die Forderungen. In dem Moment, wo deine dreckigen Langfinger unsere Kostbarkeit berührt haben, hättest du dir den Konsequenzen bewusst sein sollen. Verflucht nochmal. Wegen dir sind meine Leute tot!" Er schüttelte sich, als hätte ihn ein plötzlicher Schmerz durchzogen. „Noch darf ich dich nicht töten, aber später, Oh, du wirst die wünschen, nie geboren zu sein."

Der geballte Hass ließ mich schaudern. Aber er galt nicht mir, sondern dem wahren Verbrecher, der es mir in die Schuhe schieben wollte, beruhigte ich mein rasendes Herz.

„Ich zähle bis Drei und dann will ich einen Ort haben", grollte er. „Eins..."

Ich schaute ihm starr in die Augen. „Für wen ihr mich auch haltet, ich bin es nicht."

„Zwei..."

Um seine Mundwinkel rum lagen Lachfalten, aber er hatte kein einziges Mal gelächelt.

„Drei..."

Meine Schultern straften sich. „Ich bin unschuldig."

Der Mann murmelte eine Verwünschung und kehrte mir den Rücken zu. „Ich darf das zwar nicht tun - vor allem nicht bei Kindern - aber selbst, wenn sie mich entlassen, das ist es mir Wert."

„Ich bin schon achtzehn!"

„Das macht es sogar ethisch vertretbar. Noch besser." Er drehte sich um. Zwischen den Fängen der Zange prangte ein faustgroßes Glutstück. „Wir könnten mit einem Fingerschnips anordnen, deine Familie ermorden zu lassen, deine Liebsten zu zerstückeln und dafür sorgen, dass jeder Moment deines Lebens mit Schmerz begleitet wird." Er kam näher. „Wir könnten dir Finger für Finger absäbeln und dein Fleisch den Fenneks vorwerfen. Wir könnten dir alles nehmen, was du liebst. Ich beginne klein und mit jedem Mal wird es grässlicher für dich, wenn du nicht sprichst. Genieße den harmlosen Anfang. Brandwunden haben noch keinen umgebracht." Er packte meinen Unterarm. Ich konnte nicht reden. Meine Zunge blockierte, meine Muskeln erstarrten.

„Letzte Chance."

Tief in meinem Kopf legte sich ein Schalter um, als er die Glut dichter an meine Haut hielt. Ich schmiss mich gegen die Stäbe und wir fielen beide. Er schrie. Ich roch den Geruch von versengtem Fleisch, aber nicht meinem. Ein Lächeln stieg in mir auf, wuchs zu einem Grinsen heran und endete in einem schallenden Lachen.

Die Wache rappelte sich unter einem scharfen Schnaufen auf. Aus einem roten Abdruck auf seiner Wange flossen Blutstropfen. „Bas... Bastard", krächzte er erstickt und hetzte zur Tür. Selbst als mich die Wachen zurück zu den anderen Käfigen trugen, hörte ich nicht auf zu lachen. Rache schmeckte nicht süß, sondern nach gegrilltem Fleisch. Die gruseligen Vögel stimmten in mein Lachen ein und zeigten mir, wie Hoffnung klang. Ich war nicht wehrlos - ich war unschuldig! Kichernd schwirrte mir die entsetzte Miene der nicht-mehr-so-perfekten Wache im Kopf. Vielleicht verlor ich meinen Verstand, aber wenn sich verrückt werden so gut anfühlte, hatte ich nichts dagegen.

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