Kapitel XVII
Ich schlurfte wie ein Geist meiner Selbst durch die Manege, während um mich rum die Vorbereitungen zur Premiere im vollen Gange liefen. Zwischen zierlichen Akrobaten und muskulösen Gewichtheben fand ich ihn. „Boss?"
Keine Reaktion. Er war vertieft in ein feuriges Gespräch mit den Akrobaten.
„Boss, es ist wichtig", sagte ich lauter.
„Was?" Er fuhr so abrupt herum, dass ich zurückschreckte.
„Ähm, Mein Kostüm wurde beschädigt. Ich bräuchte einen Ersatz."
Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. „Oh, keine Sorge. Ich glaube, das wird nicht nötig sein."
„Ich verstehe nicht?"
„Du bist aus dem Programm gestrichen."
„Was?", schrie ich und alle Augenpaare richteten sich auf mich.
Der Boss stieß einen Seufzer aus. „Schau, wir sind sieben Leute für ein Kunststück, das sechs Leute benötigt. Einer muss gehen. Und nach deinen letzten Auftritten bezweifle ich, ob du länger dabei sein kannst."
„Sie haben selber gesagt, ich sei ein Naturtalent auf dem Hochseil!"
„Das war bevor deine Leistung sank. Die Stirnwunde, das demolierte Kostüm und die dauerhaften Verspätungen. Du begehst in letzter Zeit zu viele Fehltritte und das können wir uns nicht leisten. Unsere Zuschauer teilen hohe Ansprüche."
Ich faltete die Hände bittend aneinander und blinzelte nicht, bis sich Tränen in meinen Augen bildeten. „Nur den einen Auftritt noch. Dann können sie mir mein Geld geben und mich feuern."
Er schüttelte knapp mit dem Kopf. „Nichts mit Geld. Du warst bei keiner Probe vollständig anwesend, seit wir unser Lager aufgeschlagen haben und wirst es bei der Premiere auch nicht sein."
Ich riss den Mund auf, aber er fiel mir ins Wort. „Das sind die Bedingungen im Vertrag. Du hast sie selber unterschrieben und für zwei Jahre gab es kein Problem damit."
„Nur diese eine Chance noch." Ich fiel auf die Knie und verdeckte keinen Deut meines Leidens mehr. Sogar eine Träne kullerte mir über die Wange. Sollte er doch sehen, wie sehr ich aufs Geld angewiesen war. Jetzt noch mehr als sonst.
Für einen Moment zögerte der Boss. Dann strafften sich seine Züge. „Tut mir leid. Ich leite einen Zirkus und keinen Wohltätigkeitsverein."
„Wenn ich heute versage, zahle ich ihnen den verlorenen Gewinn zurück." Aus mir sprach die Verzweiflung.
„Mit welchem Geld?"
„Ich habe immer einen Notgroschen versteckt."
Die Augenbrauen des Bosses zogen sich so tief zusammen, dass sie sich fast berührten. „Ich kenne dich als ehrlichen Mann, benutze dieses Vertrauen nicht", sagte er, „Über deine finanziellen Umstände bin ich bestens aufgeklärt. Das Geld besitzt du nicht."
„Weil es kein Geld ist, sondern Familienerbschmuck." Die Lügen kamen wie aus Reflex. „Genauer gesagt, ein antiker Diamantring. Unsere Legenden besagen, dass es hundert Jahre Pech bringt ihn zu verkaufen. Das verärgert die große Göttin namens... äh... Fehu. Deswegen habe ich ihn nie verkauft. Aber was habe ich auch noch an Glück." Mein bitteres Lachen war kein Schauspiel. „Fragen sie gerne Annabelle nach dem Diamanten. Sie kann es bestätigen. Der Wert des Rings sollte als Schadenersatz genügen."
Die Miene vom Boss entspannte sich und in seine Augen spiegelte sich einen Glanz wieder, den ich zu oft bei den Händlern Zuhause gesehen hatte. Gier.
„Dieser Diamant, ist er groß?", fragte er.
„Ziemlich. Fast 0,75 Karat", log ich ohne rot zu werden. „Es würde zu lange dauern, ihn zu holen, denn offensichtlich ist so ein Ring gut verstaut und versteckt."
Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Als er merkte, dass ich es sah, wechselte es zu einer desinteressieren Miene. Der Boss räusperte sich. „Gegeben Falls meine entzückende Tochter bestätigt das, könnte ich mich auf diesen Handel einlassen."
Ein erleichtertes Lachen brach beinahe aus mir raus, doch ich hielt mich im Zaum für die Etikette. „Auf einen guten Handel. Mögen die heiligen Seher ihre Wege erleuchten", sagte ich und verbeugte mich.
Er tat es mir nach. „Gleichfalls. Auf einen guten Handel."
Ich atmete erst auf, nachdem der Handelspakt abgeschlossen war. „Ich danke ihnen vielmals!"
„Nicht übermütig werden. Dank mir erst, wenn wir die Premiere hinter uns haben. Und sollte Annabelle es nicht bestätigen, ist der Handel sofort geplatzt."
Ich nickte nur. „Also, was das Ersatzkostüm angeht-"
„Ich muss dich enttäuschen. Die Lager sind leer. Ressourcen werden erst nach unserem Auftritt aufgefüllt. Bis dahin liegt es in deinen Händen einen Ausweg zu finden. Das ist kein Problem, oder?"
Mir gefror das Lächeln auf dem Gesicht. Elender Geizkragen. „Nein, nein. Ich finde eine Lösung."
Der Boss wand sich zufrieden ab und am liebsten hätte ich ihm das Grinsen von den Lippen gekratzt. Jetzt stand meiner Flucht nur eine Sache im Wege: Das Kostüm.
Ich huschte zurück zu meinem Zelt. Drinnen sah das es genau so aus, wie ich es verlassen hatte. Halb aufgeräumt und übersät von losen Knöpfen, Glitzer und umgeschmissene Beuteln. Vor allem mein Kostüm wurde wortwörtlich mit den Füßen getreten. Ich breitete den Anzug vor mir aus und die Hoffnung, es retten zu können, sank. Die Pailletten am Brustbereich waren schon immer lose gewesen, aber jetzt hing kaum die Hälfte an ihrem Platz. Fransige faustgroße Löcher durchbohrten die Ärmel. Ich klappte sie übereinander. Gleichgroß. Was auch immer das beschädigt hat, es ging einmal ganz durch.
Mein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Damit hatte ich von Anfang an auf dem Seil getanzt. Es war mein erstes Geschenk von Belle gewesen und in den Jahren hatte ich gut achtgegeben auf seinen Zustand. Jetzt war es nicht mehr als ein bunter Flickenteppich. Dieses Mal flossen echte Tränen in meinen Augenwinkel.
Ich schmiss den Lumpen beiseite und der schwarze Anzug kam zum Vorschein. Löcherfrei und es kam dem Kostüm näher als mir Alltags-Klamotten. Im Zwang der wenigen Auswahl schlüpfte ich in die Kluft des Einbrechers und staunte. Entgegen seines Aussehens schmiegte der Stoff sich federleicht an meinen Körper. Die verstärkten Stellen wogen kaum mit. Probeweise verbeugte ich mich und ging in die Brücke über. Es spielte mit ohne Probleme. Ich wusste nicht, ob mich Argons gute Ausrüstung sorgen sollte oder freuen, dass ich etwas zum Tragen hatte. Jeder Artist träumte von einem Kostüm dieser Beschaffenheit, aber die Farbe war ein Albtraum. Schwarz. Der Zirkus sollte die Menschen von ihren Sorgen befreien und in eine bunte, perfektere Welt entführen, pflegte der Boss zu sagen. Schwarz war die Farbe von Trauer, Beerdigung. Gold hingegen strahle wie die Sonne und Grün symbolisierte die Natur. Ich brauchte Farbe und das schnell.
Ich kehrte zurück zur Manege, in der der Trubel sich verdoppelt hatte. Die Löwenbändiger stießen mich beinahe mit Kisten Fleisch um, als ich mich durch die Menge quetschte, und die Feuerschlucker kokelte meine Haarspitzen an. „Pass doch auf, Kleiner!", rief jemand.
Ich ignorierte ihn und stolperte umher, bis ich Beja entdeckte. Sie schminkte Trix schnörklige Muster auf ihre Backen neben den anderen Maskenbildnern. Beide hoben gleichzeitig den Kopf.
„Du kommst gerade rechtzeitig. Nach Trix und Kennox bist du dran.", sagte Beja, „Was hast du da eigentlich an?"
„Das ist das Problem. Mein Kostüm ging kaputt und die Lager sind leer. Ich will's einfärben für die Premiere, das merkt schon keiner."
Beja nickte und pinselte Kringel auf Trix Stirn. „Meine Farben reichen aus, um eure Gesichter zu verzieren, aber einen ganzen Anzug bemalen?" Sie lachte und schüttelte mit dem Kopf. „Geh zum Schneider und lasse dir da den Stoff färben. Ein paar Stunden hast du noch, bis die Zuschauer eintreffen. Wenn du dich beeilst, schaffst du das."
„Alleine?" Während man mich suchte, war das Selbstmord.
„Ich kann mitkommen", piepste Trix.
Beja schüttelte heftig mit dem Kopf. „Und dein frisches Make-Up ruinieren? Sicher nicht."
„Was ist mit mir? Ich will eh noch etwas in der Stadt besorgen", bot jemand außergewöhnlich freundlich an, von dem ich es nicht erwartet hatte. Kennox.
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