Kapitel XIII
Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte. Mein Atem war das einzige Geräusch und die Fensterläden sperrten jedes Sonnenlicht aus. Ausgeschlafen fühlte ich mich bei Weitem nicht. Mein Schädel dröhnte. Ich ließ mich zurück ins Kissen sinken, wobei die Bücherstapel wackelten. Der Schlaf wollte sich nicht einfinden.
Mir war das Zeitgefühl entronnen. Ich starrte an die Decke des Wagens. Es könnten, Stunden vergangen sein, Minuten oder nur ein paar Atemzüge. Ob die Proben schon geendet hatten? Vor den Artisten konnte ich Kennox nicht zur Rede stellen, aber hinterher boten sich ideale Gelegenheiten. Seine einsamer-Wolf-Leben fiel mir zu Gunsten. Besser gesagt, einsamer-Fennek-Leben. Jemand wie er führte einen einfachen Tagesablauf. Essen, Arbeiten, Schlafen. Wenn ich es mir recht eingestand, ich wusste nicht viel über sein Treiben außerhalb des Zirkus. Während der Großteil in Schatten des großen Zelts ihre Freizeit nutzten für Spiele, Gespräche und Lagerfeuer-Abende sah ich ihn nur herumstromern, wenn er nach seinem Wüstenfuchs Ausschau hielt. Es hatte mich stutzig gemacht. Den ganzen Tag im Zelt zu verbringen klang nach schrecklicher Langeweile. Das fügte sich zu einem runden Gesamtbild zusammen, denn wer sich in Machenschaften um das Kristallauge verstrickte, hatte keine Zeit für Hobbys übrig. Plötzlich bereute ich es, den Moment nicht genutzt zu haben, um Kennox' Zelt zu durchsuchen wie es sein Freund bei mir getan hatte. E.F. Sein Auftragsgeber? Belle wüsste vielleicht, wofür die Initialen ständen. Sie kannte so viele Leute, von denen ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. Tote sowie Lebendige. Vom Nachdenken tat mir mein Kopf weh. Ich fuhr mir mit der Handfläche übers Gesicht. Von der Stirnwunde ist rauer Schorf übriggeblieben und schrie förmlich danach es ab zu pulen. Ich schnaubte verächtlich. So sollte mein Dasein sein? In einer Ecke kauern, die Wunden lecken und um mein Ende bangen?
Ich mahnte mich zur Ruhe, den erneut drohte meine Buch-Konstellation einzustürzen. Die Müdigkeit fand sich nicht ein, denn meine lauten Gedanken störten die Stille.
Ein Ächzen ließ mich zusammenfahren. Fäuste schlugen auf mich nieder. Meine Hand schoss hoch. Ich duckte mich weg und rollte beiseite. Ich kam taumelnd auf meine Füße, die Hände erhoben. Ein Betrunkener sah elegant aus neben mir. Die Angriffe stoppten. Mein Blick wanderte durch den Wagen auf der Suche nach meinem Gegner. Aber zu meinen Füßen lagen nur die Überreste des Bücherstapels in Form von dicken Wälzern, mein vermeintlicher Angreifer.
Ein Schrei löste sich aus einer weiblichen Kehle. Am anderen Ende des Wagens stand eine dunkle Silhouette im Licht-Rechteck der Tür. Eine Silhouette mit wundervollen Goldlocken. Annabelle.
„Psst, ich bin's", flüsterte ich. Anstatt leiserer zu werden folgte ein lauterer Schrei. „Heilige Seher! Was machst du hier? Und was soll die Verdunklung?" Sie riss die Fensterläden auf und Lichtstreifen durchbrachen die Dunkelheit.
Ich kniff die Augen zusammen. Zu hell. „Ich kann das erklären."
„Das versprichst du jedes Mal. Sei es zu deiner Stirnwunde, den Würgemalen oder jeder anderen Frage, die ich dir stelle. Nur eine Erklärung gibt du mir nie."
„Ich... ich wollte dich sehen, weil ich dich so vermisst habe." Die Düsternis verdeckte meine Schamröte. Wieder einmal fleißig am Lügen.
Annabelle zog die Stirn kraus und schritt wortlos an mir vorbei. „Was machen meine Kissen hinter dem Wasserfass?" Sie hob einen der Schmöker auf. „Pass besser auf. Die waren teuer." Sie strich mit der Hand über die Seite im Versuch, die Blätter zu glätten.
„Das war keine Absicht."
Annabelle sammelte auch den Rest auf. Die Verwirrung auf ihrem Gesicht wuchs. „Kissen, Decke... Hast du hier etwa geschlafen?"
„Nein." Ihr vorwurfsvoller Blick ließ mich schwer schlucken. „Vielleicht doch."
„Warum? Mit dem Bett ist nichts verkehrt, wenn du schon auf mich warten willst." Sie richtete die Ordnung mit schnellen Griffen her. Bis auf gelegentliches Zähneknirschen und genervtes Stöhnen, äußerte sie sich nicht. Ich erwartete einen bissigen Kommentar über meinen achtlosen Umgang mit ihren Büchern, aber auch das blieb aus. Es war heiß im Raum, aber ich fror. Mir wäre es lieber, sie hätte mich angeschrien. „Entschuldigung, Belle."
Unbeirrt sortierte sie die dicken Wälzer zu kniehohen Türmen.
„Kann ich dir helfen?", bot ich zaghaft an.
„Wenn Hilfe beinhaltet, mir zu sagen, warum du dich seit Tagen seltsam verhältst. Dann Ja, du kannst mir helfen." Schwungvoll klatsche sie ein Buch auf den Stapel. Es erzitterte.
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht zu schreien. „Ich kann dir sagen, dass es nicht an meiner Gesundheit liegt. Der Heiler sagt, ich bin kerngesund."
„Und das an deiner Stirn ist eine winzige Schramme?"
„Es sieht übler aus, als es ist."
Sie wirbelte herum. „Du hast bei Killiths Zelt versprochen, mir die Wahrheit zu erzählen. Und dieses Mal lasse ich mich nicht wegscheuchen wie ein Ungläubiger im Argon Krieg!" Mit jedem Wort schritt sie weiter auf mich zu und ich wich zurück, bis sich der Türrahmen zwischen meine Schulterblätter drückte. „Ich weiß, aber es ist alles sehr kompliziert."
„Du suchst Ausflüchte."
Ich schloss für einen Moment die Augen. Das tat ich.
Sie hielt kurz inne. „Lass mich rate. Es gibt eine Andere?"
„Was? Nein! Es war und wird immer nur du sein. Das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist." Ich wollte ihr über die Wange streicheln, aber sie schlug meine Hand weg. „Dann rück raus mit der Sprache", forderte Belle. „So schlimm kann es nicht sein."
Ich lächelte traurig. „Es ist schlimmer."
„Du vertraust mir, oder?"
„Natürlich."
Im Kontrast zu ihrem Geschreie wechselt ihre Stimme zu einem Flüstern, kaum lauter als ein Hauch. „Wenn das wahr ist, warum verheimlichst du mir dann etwas?"
Ehe ich antworten konnte, erklang ein Räuspern hinter mir. „Soren, können wir reden?" Kennox stand an der Tür mit den Händen in den Hosentaschen. Er schien ungerührt von unserer Meinungsverschiedenheit – das Taktgefühl eines Elefanten.
„Worüber?" Ich funkelte Kennox düster an, drückte Belle beiseite und stellte mich vor sie.
Er zuckte nicht mal mit der Wimper. „Du weißt genau, wovon ich spreche."
Ich stellte mir vor, der Türrahmen wäre sein Hals und krallte meine Nägel tiefer ins Holz, bis es wehtat. Was auch immer Kennox sich erhoffte, dieses Mal konnte er keinen Heiler rufen, um mich loszuwerden. „Tut mir leid, Belle. Das ist wichtig", sagte ich, ohne den Blickkontakt abzubrechen.
„Was kann wichtiger sein?", entgegnete Annabelle erbost und zog mich an der Schulter zurück. Ich spürte ihren schnellen Atem auf meiner Wange.
„Ich glaube wirklich, dass wir dieses Gespräch jetzt führen sollten", wiederholte Kennox mit Nachdruck. „Für unser aller Wohl." Im Augenwinkel sah ich seinen Blick zu Annabelle streifen. Wehe er krümmte ihr auch nur ein Haar.
„Belle, hör zu-"
„Nein, du hörst du! Ich spiele das Ich-kann-es-erklären-Spiel nicht mehr mit", zischte sie an mein Ohr. „Wenn du mich jetzt abservierst, ist das zwischen uns vorbei."
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