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Kalt schlug euch die Nachtluft entgegen, als ihr die Ausgangstür öffnetet. Beziehungsweise öffnete Fen sie dir; du huschtest nur mit einem dankbaren Blick hindurch. Noch immer schmerzten deine Rippen, die ruckartige Bewegung hatte deiner Prellung nicht geschmeichelt. Nach der Aktion war deine Stimmung dahin gewesen, auch wenn es dich jetzt noch faszinierte, dass der hübsche Mann bis zu diesem Zeitpunkt kein einziges Mal nach deinen Verletzungen gefragt hatte: selbst den violett verfärbten Wangenknochen hatte er unkommentiert gelassen. Jeder normale Mensch wäre schon nach wenigen Minuten mit taktlosen Fragen dahergekommen und hätte dich in Erklärungsnot gebracht. Im Gegenzug verzichtest du daher bereitwillig auf dumme Fragen bezüglich seiner Augenfarbe. Denn selbst nach dem Unfall mit deinem Glas hatte Fen keine einzige Bemerkung gemacht. Während du stumm den letzten Rest deines Drinks getrunken hatte, hatte er seinen Shot geleert und nach deiner Hand gegriffen. Noch immer spürtest du das Kribbeln der Berührung seiner kühlen Finger, die erstaunlich weich waren, aber mit Sicherheit mehr als nur kräftig zupacken konnten. Ebenso sanft wie bestimmt hatte der Mann mit den blutroten Augen dich durch die zuckende Menge gezogen. Du hattest nicht den kleinsten Funken von Gegenwehr durchschimmern lassen. Wozu auch? Zwar stänkerte das Misstrauen nach wie vor in dir herum, doch du warst es leid, permanent vorsichtig zu sein, acht zu geben und nachzudenken. Sollte Fen dich also in eine Gasse zerren und windelweich prügeln, dann war es eben so. Wenn du Glück hattest, schlug er vielleicht so hart zu, dass du danach nicht mehr aufwachtest. Denn so richtig wurdest du den Gedanken nicht los, dass es besser so wäre.
Allerdings hattest du dich für einen Moment für diesen Wunsch geschämt, als ihr bei Finn vorbeigekommen wart. Er hatte ausgelassen mit Leah getanzt - dass sie mit euch unterwegs gewesen war, war eine Art Wiedergutmachung seitens deines besten Freundes gewesen, weil ihr Kinoabend gestern ins Wasser gefallen war. Da seine Freundin allerdings zumindest grob wusste, dass du auf Männer standest und dein Vater deshalb öfter Probleme machte, war sie nicht böse gewesen. Stattdessen hatte das Mädchen mit den dunkelblonden Kupferlocken dir sogar heute Nachmittag, als sie vorbeigekommen war, einen selbstgebackenen Cupcake mitgebracht - und das, obwohl die Kleine von Finn nur erahnen konnte, dass es dir nicht gut ging und du ihn brauchtest.
Dementsprechend ehrlich erfreut waren die beiden auch gewesen, als sie gesehen hatten, dass du anscheinend eine passenden Ablenkung gefunden hattest. Vermutlich, weil sie auch hofften, dass du endlich mal Glück haben würdest - denn selbst einen One-Night-Stand hattest du aufgrund deines Vaters noch nicht auf die Reihe bekommen. Denn alle Kerle wollten immer mit zu dir gehen; warum auch immer. Beide hatten sie dir grinsend Viel Spaß! gewünscht, nachdem du ihnen grob geschildert hattet, die Party zu verlassen. Du hattest die Erleichterung darüber, dass du hoffentlich einen schönen Abend haben würdest, deutlich in Finns rehbraunen Augen aufblitzen sehen.
Fröstelnd schmiegtest du dich tiefer in deinen Schal; für diese Winternacht hatten sie deutlich zweistellige Temperaturen in Minusbereich angesagt. Die sanfte Brise, die an heißen Sommertagen für Erfrischung sorgten, jagte dir eisige Schauer über den Rücken. »Wo entlang?«, fragtest du unsicher.
Fen ergriff deine Hand erneut. »Aus der Stadt raus.«
Zumindest waren dort dann keine dunklen Gassen mehr, in die er dich ziehen konnte. Stumm folgtest du ihm. Nach bereits einigen Metern begannen winzige Schneeflocken um euch herum zu tanzen, doch als sie sich in seinen schwarzen Strählen einnistete, veranlasste es den jungen Mann nicht dazu, die Jacke zuzumachen. Ein paar Minuten schwiegst du noch, dann brachst du jedoch die Stille. »Ist dir nicht kalt?«
»Nein.« Er zuckte nur mit den Schultern. »Ich gehe regelmäßig eisbaden, dementsprechend abgehärtet bin ich auch. Persönlich empfinde ich diese Temperaturen nicht als kalt.«
Entsetzt blicktest du ihn an. »Also, ich bin ja auch nicht zwingend eine Frostbeule, aber selbst ich friere.«
»Nun ...« Abrupt stoppte Fen und packte dich an deinen Schultern. Mit einer Leichtigkeit, die du selbst ihm nicht zugetraut hattest, hatte er dich kurzerhand gegen eine Wand gedrückt. »Dem kann ich Abhilfe schaffen.«
Mit einem Mal schlug dir dein Herz bis zum Hals. Seine Worte von vorhin fielen dir wieder ein. Kleiner als ich allemal. Selbst hättest du dich als groß bezeichnet, dennoch überragte der Mann dich um garantiert einen halben Kopf. Und auch wenn du nicht abgemagert und schwächlich warst, fühltest du dich zart und zierlich, wie du da zwischen der Hauswand und Fenrirs gottesgleichen Körper eingequetscht standest. Kurz wallte das Misstrauen in dir auf, doch das Kribbeln in deinem Blut erstickte jeden Funken davon. Sein rubinroter Blick krallte sich in deinen moosgrünen.
Dann legte Fen seine Lippen auf deinen Mund.
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