9. Monster


M O N S T E R

Mary MacDonald

*****

Die Morgendämmerung schwebte bereits über den Gipfeln der Bäume, als Mary MacDonald die unebenen Pfade des Verbotenen Waldes beschritt. Doch das dichte Geäst verschluckte das immer heller werdende Licht und verbat jegliches Zeitgefühl. Mary schauderte. Der Nebel waberte wie ein Teppich dicht über dem Waldboden und die Äste der Bäume schienen sich wie krumme Arme und Hände nach ihr auszustrecken. Nicht zum ersten Mal zweifelte sie, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, hier her zu kommen. Das spärliche Leuchten des untergehenden Mondes, das sich durch die Blätter und Zweige kämpfte reichte kaum aus, um den Weg erkennen zu können.

Plötzlich raschelte es im Gebüsch neben ihr und Mary erstarrte, den Zauberstab gezückt, das Herz vor Angst wild schlagend. Doch nach ein paar Minuten Warten, tat sich nichts mehr und so setzte sie den Weg mit einem mulmigen Gefühl fort. Nicht das erste Mal hörte sie nun Geräusche hinter sich und sie war sich beinahe sicher, dass ihr jemand oder etwas folgte.

Kein Tierwesen ist ein Monster, rief sie sich den Wahlspruch ihres großen Idols Nest Scamander wieder ins Gedächtnis. Sofort beruhigte sie sich wieder. Kein anderer Mensch sah jedes Tierwesen mit so viel Liebe und Hingabe an wie er. Und sie war entschlossen, es ihm gleich zu tun, was immer es kosten würde.

"Lumos maxima", flüsterte sie und sah sich im hellen Licht aus ihrem Zauberstab um, um sich orientieren zu können. Sie erkannte den Weiher und die Steinformationen, die ihr aufgefallen waren, als Remus ihr den Weg gezeigt hatte. Weit konnte es nicht mehr sein.

Entschlossen lief sie weiter, als sie plötzlich Schritte hörte. Das mussten sie sein! Wer sonst lief in Herrgottsfrühe bei Vollmond im Verbotenen Wald herum. Zielstrebig kämpfte sie sich durch ein Gebüsch, in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört hatte.

Das erste, was sie sah, als sie die kleine Lichtung betrat, war ein Hirsch. Er hatte den Kopf gesenkt und schien schwer zu atmen. Dann sah sie Peter Pettigrew, wie er sich über die Schulter des Tieres beugte. Als sie den sicheren Schatten der Bäume verließ und ins Mondlicht trat, sah Peter auf und schnappte nach Luft.

"James", murmelte er und der Hirsch hob den Blick. Mary hätte schwören können, dass er vor lauter Schreck einen kleinen Satz zurück machte.

"Wo ist Remus?", fragte sie mit kräftiger Stimme. Peter und der Hirsch starrten sie an, als hätte sie drei Köpfe. Plötzlich schien sich das stattliche Geweih des Hirsches zurück zu bilden. Sein Fell zog sich in seine Haut zurück, sein Kopf wurde runder, seine Hufen zu Füßen. Fasziniert sah Mary zu, wie der Hirsch sich in James Potter verwandelte. Er hatte eine klaffende Wunde an der Schulter.

"MacDonald", sagte er mit rauer Stimme. "Was machst du hier?"

"Bringt mich zu Remus", verlangte sie. James und Peter tauschten einen Blick.

"Er sollte jeden Moment hier sein", erwiderte Peter und mied ihren Blick.

Wie aufs Stichwort brach Sirius ächzend durchs Gebüsch. Remus hing mit einem Arm an seinen Schultern und schien sich gerade auf den Beinen halten zu können.

"Was zur Hölle...?!", rief Sirius und sah Hilfe suchend zu seinen Freunden. Mary ignorierte ihn. Gerade interessierte sie nur Remus.

Als er Mary sah, weiteten sich seine Augen und sie sah Schock und Entsetzen über sein Gesicht huschen.

"Mary", flüsterte er ungläubig und ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen.

"Remus!" Sie rannte zu ihm und legt ihn sanft auf das Gras.

"Du solltest nicht hier sein."

"Ich bin genau da, wo ich sein muss", erwiderte sie entschlossen und strich im sanft sie Haare von der Stirn. Er hatte einen tiefen Kratzer quer über die Wange und sein Fußgelenk schien zu schmerzen.

"Woher weißt du-?"

"Ich bin nicht blöd, Remus", unterbrach sie ihn, bevor er es ausgesprochen hatte.

Er schloss gequält die Augen und stöhnte.

"Bei Merlin, Mary", hauchte er. "Du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt."

"Pff", machte sie nur. "Ich habe mich zwei Monate nur mit Werwölfen beschäftigt. Wenn jemand weiß, worauf er sich einlässt, dann ich." Energisch schüttelte er den Kopf.

"Du versteht nicht!"

"Oh, ich verstehe sehr gut", erwiderte sie spitz. "Du-"

"Mary!", unterbrach er sie heftig. "Ich bin eine Bestie! Warum kannst du das nicht einsehen?"

"»Kein Tierwesen ist ein Monster«", zitierte sie anstatt einer Antwort. Er lachte freudlos auf.

"Dieser Scamander hat doch keine Ahnung!"

"Eigentlich-", begann Mary, dich Remus fiel ihr ins Wort.

"Verdammt, Mary! Was meinst du, wäre passiert, wenn du auch nur zwanzig Minuten früher in den Wald gekommen wärst. Weißt du, dass ich dich riechen kann aus mehreren Metern Entfernung? Weißt du, dass ich deine Spur mehrere Stunden verfolgen kann? Weißt du, dass ich das auch tun würde, um jeden Preis? Und weißt du, was ich dann mit dir anstellen würde?" Mary schluckte.

"Ich weiß es", antwortete sie leise. "Und es ist mir egal."

"Das sollte es aber nicht!", rief er hitzig und richtete sich auf. Allmählich kam er wieder zu Kräften.

"Ich würde dich in verdammte Stücke reißen! Kapierst du das denn nicht? Es geht hier nicht nur um dich, Mary! Es geht auch um mich. Ich könnte nicht damit leben, ständig in Angst zu sein, dass die etwas geschehen könnte. Dass ich dir etwas antun könnte." Er war zum Ende hin leiser geworden und sah nun zu Boden.

"Glaub mir, Mary, diese Last willst du dir nicht aufbürden."

„Das hast du nicht zu entscheiden!" Sie sprang auf und funkelte ihn an. „Ich habe mich entschieden, heute Nacht herzukommen und ich bleibe dabei. Weil es mir egal ist. Und weil ich dir helfen möchte. Und-"

„Mir kann man nicht helfen", unterbrach Remus sie verbittert. Sie warf ihm einen bösen Blick zu.

„Und weil ich dich liebe", beendete sie ihren Satz. Danach herrschte Stille. Sie hörte nur noch die erwachenden Vögel zwitschern, die in den Baumkronen des Verbotenen Waldes genistet hatten. Remus sah sie an wie vom Donner gerührt. Hinter ihr räusperte sich Sirius betreten.

„Mary..." Remus hievte sich auf die Beine und humpelte ein paar Schritte auf sie zu. Er sagte nichts weiter, sondern sah ihr so intensiv in die Augen, dass sie Gänsehaut bekam.

„Du bist ein Wunder, Mary", flüsterte er, als sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Und als er sanft seine Lippen auf ihre legte, da wusste sie, dass sie gewonnen hatte. Dass er sie endlich ihn lieben lassen würde und sie genau so stark, wenn nicht sogar noch stärker zurück lieben würde.

Sie schlang ihren Arm um seine Taille und stützte ihn, als sie zurück in Richtung Schloss liefen. Sirius, James und Peter trotteten hinter ihnen und tuschelten leise, doch Mary achtete nicht auf sie. Als das Licht des Waldrandes ihre Wege bereits erleuchtete, blieb Remus stehen und lehnte sich entkräftet gegen einen Baum.

„Geht schon mal vor", rief er seinen Freunden zu, die eilig an ihnen vorbei stolperten. Remus sah ihnen seufzend hinter her.

„Bist du erschöpft?", fragte sie das Offensichtliche, doch er antwortete ihr nicht.

„Ich liebe dich, Mary", sagte er stattdessen und strich ihr sanft über die Wange. Sie lächelte ihn sanft an. „Es tut mir leid", fügte er so leise hinzu, dass sie ihn beinahe nicht verstanden hatte. Doch bevor sie fragen konnte, was er meinte, richtete er seinen Zauberstab auf sie und murmelte einen Zauberspruch. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, stieg auf in ihren Kopf, benebelte ihre Gedanken. Es war angenehm, doch gleichzeitig hinterließ es eine Leere, die sie nicht füllen konnte. Sie wusste, etwas war passiert, doch was? Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Vor ihr stand Remus Lupin, einer der Siebtklässler aus ihrem Haus. Um sie herum waren Bäume. Ihre Schuhe waren verdreckt.

„Was machen wir hier? Wo bin ich?", fragte sie. Remus schluckte.

„In Sicherheit", antwortete er mit rauer Stimme und humpelte davon. 

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