2. Freiheit

F R E I H E I T 

Louanne Gramont (OC)

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Seufzend stützte ich mich auf das Geländer des prunkvoll verzierten, steinernen Balkon des Malfoy Manors und sah in dir klirrend kalte Novembernacht. Schon wieder hatte sie es versucht. Schon wieder hat meine Mutter mich auf diese bescheuerten Reinblüterfeste geschleppt, um einen geeigneten Ehemann für mich zu finden. Und schon wieder floh ich vor meinem ohnehin unausweichlichen Schicksal. Sofern man einen unterbelichteten, Voldemort-vernarrten und selbstverständlich reinblütigen Ehemann Schicksal nennen konnte.

Weil mein Vater, Francoise Gramont einen schweren Unfall hatte, der ihn ins Koma befördert hat, sind wir nach England umgezogen. Meine Mutter, Margerete Gramont, geborene Nott, eine gebürtige Engländerin, wurde in jungen Jahren in die einflussreichste, magische Familie Frankreichs verheiratet, doch eine gewisse Verbindung mit ihrer Heimat bestand noch immer. Immerhin hatte sie es vor 6 Jahren geschafft, meinen Vater zu überzeugen, mich nach Hogwarts zu schicken, um wenigstens bei den alljährlichen Ausflügen zum Bahnhof Kings Cross etwas englische Luft zu schnuppern. Und nun, als sie das Sagen in der Familie hatte, wanderte sie sofort mit paralysiertem Mann, Kind und ihrem gesamten Hofstaat, wie ich ihre Bediensteten oft im Stillen nannte, nach England aus. Nicht nur weil sie Heimweh hatte, sondern auch, weil englische Männer eindeutig mehr Potential als Ehemann hätten, anders als diese „Baguette fressenden Schlappschwänze", wie sie oft zu sagen pflegte.

Seit wir wieder in England waren, suchte sie verzweifelt nach einem einflussreichen Ehemann, der mich wieder auf die richtige Bahn lenken sollte. Zu ihrem Schrecken wurde ich nämlich damals vom Sprechenden Hut, an statt nach Slytherin, wie gewünscht, nach Ravenclaw geschickt. Sofort wurde ich als Blutsverräterin abgestempelt, bekam Drohbriefe von sämtlichen Familienmitgliedern, ich zöge das Ansehen der Familie durch den Dreck und sei eine Schande. Doch mittlerweile hatte ich es mit viel Disziplin und Aufopferung geschafft, wenigstens das Vertrauen meiner Eltern und einiger Cousinen wieder zu erlangen, sodass ich in der Familie zwar nicht angesehen war, aber dennoch geduldet und akzeptiert wurde.

„Na, Gramont? In Gedanken?" Vor Schock blieb mir fast das Herz stehen und ich wirbelte herum. Sirius Black, das schwarze, oder eher weiße Schaf der Blacks, ein Blutsverräter, arroganter Widerling und definitiv nicht der richtige Umgang für mich. Er stand vor mir, beide Hände lässig in die Hosentaschen gesteckt und wie immer selbstgefällig grinsend und musterte mich von oben bis unten, wobei sein Blick etwas zu lange an meinem zugegebenermaßen ziemlich tiefen Ausschnitt hängen blieb. Er sah gut aus, das musste man ihm lassen, mit seinen halblangen, schwarzen Locken, dem markanten Gesicht und den wilden, grauen Augen. Er war ein Jahr über mir und in Hogwarts allgemein bekannt mit seinen Rumtreiber-Freunden. Obwohl er in meinen Kreisen nicht sonderlich beliebt war, hatte ich ihn doch so manche Male insgeheim für seinen Mut, sich so gegen seine Familie aufzulehnen, bewundert. Auch, wenn ich sein Verhalten natürlich immer noch verurteilte und nicht für gut befand, er zum kotzen selbstverliebt und ein Widerling der aller ersten Klasse war.

„Schickes Kleid hast du da an. Musst du deinen potentiellen, zukünftigen Ehemänner imponieren?", fragte er arrogant. Schnell sah ich mich um, ob irgendwer bemerkte, dass ich mit dem Blutsverräter redete.

„Was willst du, Black?", fauchte ich ihn an und drehte mich wieder zum Geländer.

„Das gleiche wie du: Hier draußen stehen, in den Himmel schauen und diese wunderschönen Sterne bewundern." Er stellte sich neben mich. Da er ein ganzes Stück größer war als ich und noch dazu eine Menge Selbstbewusstsein ausstrahlte, fühlte ich mich auf einmal klein und mickrig neben ihm und das kotzte mich dermaßen an. Schwäche zeigen war definitiv nicht mein Ding und besonders nicht vor jemandem wie ihm.

„Lass mich in Ruhe." Er schmunzelte.

„Ich will doch gar nichts von dir, wie kommst du denn darauf? Ich will einfach nur hier stehen und in den Himmel starren, während ich mich frage, warum mein Leben eigentlich manchmal so scheiße ist. Genau wie du. Wenn es dich stört, geh doch wo anders hin." Ich seufzte genervt und stützte meinen Kopf auf meine Hände. Allein schon seine Anwesenheit ging mir so was von auf den Zeiger, dass ich tatsächlich lieber in den stickigen Bankettsaal gehen würde, als hier mit ihm zu stehen. Doch dann würde ich nachgeben und das wollte ich noch weniger. Also blieb ich stehen und sagte nichts. Irgendwann spürte ich seinen Blick auf mir. Ich wagte einen schnellen Seitenblick auf ihn, um mich zu versichern, dass ich mich nicht irrte.

„Was ist?", fragte ich unfreundlich.

„Du siehst... ungewohnt aus." Ich hob spöttisch die Augenbrauen.

„Ungewohnt?"

„Na ja, mit all dieser Schminke und diesem Kleid. So ein bisschen puppenhaft. Das bist doch nicht du."

„Du kennst mich überhaupt nicht. Wie willst du das bitte beurteilen?" Seine Aussage versetzte mir einen winzigen Stich. Ein Teil, nur ein kleiner Teil von mir, wusste, dass er Recht hatte.

„Warum lässt du das mit dir machen?"

„Was?"

„Du lässt dich von deiner Mutter rumschubsen und tust bedingungslos alles was sie sagt. Warum? Du bist doch genau so Blutsverräter wie ich. Sollten wir nicht irgendwie ein Team sein?" Sofort war ich auf 180.

„Ich bin kein Blutsverräter, anders als du. DU bringst Schande über deine Familie, während ICH versuche die Ehre und das Ansehen meiner Familie einigermaßen aufrecht zu halten. Das, was du tust ist egoistisch. Nur für dein pubertäres Protestverhalten muss deine gesamte Familie gerade stehen. Und wir sind ganz sicher kein Team." Ich spuckte das letzte Wort angewidert aus. Was bildete der sich eigentlich ein, wer er war? Er hatte kein Recht mir zu sagen, wie ich auszusehen hatte oder was ich zu tun hatte.

Während meines Ausbruchs, betrachtete er mich nur nachdenklich.

„Du klingst wie meine äußerst liebenswürdige Cousine Bellatrix. Irgendwie kauf ich dir die Rolle nicht ab."

„Was willst du überhaupt von mir?"

„Mit dir reden."

„Mit mir reden?", rief ich empört und senkte sofort die Stimme, damit uns niemand hörte.

„Hast du eigentlich eine Ahnung, was für Auswirkungen es für mich haben könnte, hier mit dir gesehen zu werden? Weißt du eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, um das Vertrauen meiner Familie wieder aufzubauen? Das lass ich mir von dir ganz bestimmt nicht kaputt machen." Noch einmal hielt ich hektisch nach Beobachtern Ausschau, die falsche Schlüsse ziehen könnten.

„Findest du das etwa richtig, was im Moment passiert? Mugglegeborene verschwinden einfach von der Bildfläche, ministeriumsfeindlich gesinnte Menschen werden gefoltert oder unter den Imperio Fluch gesetzt, Voldemort tötet und quält irgendwelche Menschen nur weil sie gerade zur falschen Zeit am falschen Ort sind und deine Familie, die du ja ach so toll findest, unterstützt das alles mit Vergnügen. Findest du das richtig, hm?" Er ist laut geworden, doch er kümmerte sich nicht darum.

„Ich-", begann ich, brach aber in Ermangelung einer vernünftigen Antwort wieder ab.

„Ich finde das nicht richtig und ich zeig es auch. Anders als du! Du versteckst dich hinter Mama, lässt dich herum kommandieren und hast weder einen eigenen Willen, noch eine eigene Meinung. Wenn ich ein Leben wie deines hätte, würde es mich krank machen. Ich würde auf all diese Menschen, die sich deine Familie nennen, scheißen und mir ein eigenes Leben aufbauen. Aber du bist ja offensichtlich zu feige dazu." Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an, unfähig auch nur ein Wort von mir zu geben. Er atmete tief aus und stützte sich aufs Geländer. Plötzlich setzte er wieder sein selbstgefälliges Grinsen auf.

„Kommst du mit rein? Ich könnte jetzt echt was zu trinken vertragen." Überrumpelt von seinem Sinneswandel starrte ich ihn an. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein, oder?

„Komm." Er nahm meine Hand und zog mich in den heißen, stickigen Saal zum Getränkebuffet. Ich spürte die missbilligenden Blicke der anderen Gäste auf uns und besonders auf ihm, doch aus irgendeinem Grund tat ich nichts dagegen oder entschuldigte mich. Ich sagte immer noch kein Wort so überrascht war ich, als er einen Flachmann aus seiner Tasche zog, uns zwei Gläser Feuerwhiskey einschenkte und mir eins in die Hand drückte.

„Auf unsere Freiheit", sagte er und ein leises ‚Kling' ertönte als er sein Glas an meins stieß und es auf Ex leerte. Völlig überfordert stand ich mit meinem Glas in der Hand und sah zu, wie er sich ein Zweites einschenkte.

„Warum tust du das?", fragte ich ihn schließlich.

„Was? Mich zu betrinken oder dich da mit rein zu ziehen und deinen guten Ruf zu ruinieren?"

„Beides." Ich nippte leicht an meinem Getränk und verzog angeekelt das Gesicht. Der Alkohol brannte in meiner Kehle. Sirius schmunzelte.

„Noch nie Whiskey getrunken?" Ich ging nicht auf seine spöttische Frage ein.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet."

„Du meine auch nicht", antwortete er seelenruhig.

„Nein", sagte ich, „ich habe bisher nur hin und wieder mal Rotwein getrunken. Meine Mutter verbietet mir übermäßig viel Alkohol. Und in Ravenclaw gibt es keine großen Saufgelage nach gewonnenen Quidditchspielen. Wir sind alle etwas... gesitteter."

„Ah, ich vergaß", spottete er, während er sein drittes Glas leerte, „du bist ja bei den Strebern." Ich verdrehte nur genervt die Augen und stellte mein Glas auf den kleinen Tisch neben uns. Ich würde es heute Abend sowieso nicht mehr anrühren. Abwartend sah ich ihn an.

„Also? Was ist? Warum besäufst du dich auf einem Reinblüterfest und ziehst ausgerechnet mich da noch mit rein?" Er seufzte und stellte sein Glas mit einem solchen Knall ab, dass die Leute um uns herum uns empört ansahen. Ich lächelte entschuldigend und sah Sirius warnend an.

„Was das Trinken an geht", begann er und ich hörte schon, dass der Alkohol seine Aussprache beeinflusste, „das tue ich tatsächlich immer auf diesen Festen. Allein aus Protest, verstehst du?" Ich nickte. Schon öfter hatte ich ihn hier bemerkt, doch noch nie hatten wir gesprochen oder uns auch nur angesehen.

„Und was dich angeht:" Er seufzte wieder.

„Keine Ahnung, irgendwie habe ich gehofft ich könnte hier eine Verbündete haben. Um das alles ein bisschen erträglicher zu machen. Diese ganzen Feiern und die hinterhältigen, falschen Leute mit ihrem gekünstelten Gelächter, einfach alles nervt mich so dermaßen. Ich würde am liebsten gar nicht kommen und ich wette, meine Eltern wären damit auch mehr als einverstanden. Aber gerade deswegen bestehe ich jedes Mal darauf mit zu kommen. Ich will ihnen die Genugtuung nicht geben, dass sie meinen Bruder herum zeigen und überall erzählen, wie toll ihr Vorzeigesohn ist und was für eine perfekte Familie sie haben. Anders als du, will ich das Ansehen meiner Familie so weit wie möglich in den Dreck ziehen. Ich will diese Fassade aufbrechen.Verstehst du, was ich meine?" Mitleidig sah ich ihn an. Noch vor zwanzig Minuten hätte ich es für absolut wahnsinnig gehalten, was er da von sich gab. Doch jetzt gerade verstand ich ihn wahrscheinlich besser als jeder seiner Freunde. Gerade hatte er mir die Wahrheit über meine Familie ins Gesicht gesagt, die nackte, unbeschönigte Wahrheit, die ich schon immer gewusst, aber erfolgreich verdrängt hatte. Doch sie ins Gesicht gesagt zu bekommen, legte bei mir einen Schalter um und plötzlich war ich kurz davor zu meiner Mutter zu marschieren und ihr mein Getränk ins hässliche, überschminkte Gesicht zu kippen.

„Sie nehmen dir dein Leben weg", sprach er weiter, „sie nehmen dir deinen Verstand, deine Willenskraft und deine Freiheit. Und ich will so nicht leben." Erschrocken riss ich die Augen auf, als mich ein Verdacht beschlich.

„Du willst doch nicht etwa... dir, na ja, etwas antuen?", flüsterte ich rau. Er lachte freudlos auf.

„Nein. So ein Typ bin ich nicht." Für ein paar Sekunden schwieg er und sah in die Ferne.

„In ein paar Wochen bin ich siebzehn, dann hau ich ab. Ich werde bei meinem besten Freund wohnen, James Potter, du kennst ihn bestimmt." Ich nickte, immer noch geschockt von dem, was ich eben gehört hatte.

„Du willst ausziehen? Deine Familie verraten und den Kontakt abbrechen?", fragte ich ehrfürchtig.

„Familie!" Er lachte verbittert. „Das ist nicht meine Familie. Das sind meine Erzeuger, nichts weiter. Ich will frei sein. Und vor allem leben." Leben. Lebte ich? War ich frei? War es das, was ein glückliches, gutes Leben ausmacht?

„Louanne? Louanne?" Ich zuckte zusammen, als ich die schrille Stimme meiner Mutter über dem gedämpften Gemurmel und der leisen Musik vernahm und sah panisch zu Sirius. Wenn sie mich mit ihm entdeckte, würde ich eine saftige Strafe bekommen. Sirius sah nur müde, fast schon resigniert zurück.

„Du hast die Chance. Ich kann dich mitnehmen, nach draußen. Dann bist du auch frei." Ich starrte ihn ungläubig an. Was er mir hier bot, war eine unglaubliche Möglichkeit, die ich noch nie auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen habe. Es war eine Chance. Wahrscheinlich die einzige.

„Du kannst natürlich auch hier bleiben, bei deiner Familie, hin und wieder mal Rotwein trinken und einen dir unbekannten Typen heiraten, einen Erben produzieren und irgendwann genau so ein bösartiger, alter Besen wie meine Mutter werden."

„Louanne?" Ich antwortete nicht auf die Rufe meiner Mutter. Sirius stellte sein Glas ab und strich sich mit der Hand übers Gesicht, als wäre er unglaublich erschöpft.

„Wie auch immer du dich entscheidest, du solltest wissen, dass sie dich nach diesem Schuljahr oder früher von der Schule nehmen wollen. Du wirst heiraten und Hogwarts nie wieder sehen. So haben sie es bei Bella und Zissy gemacht und so werden sie es bei dir machen." Nie wieder nach Hogwarts? Das konnten sie nicht, das durften sie nicht! Meine Entscheidung war gefallen.

„Ich werde mit dir kommen", sagte ich mit fester Stimme, griff nach dem Whiskeyglas und trank es in einem Zug aus. Er lächelte leicht und wollte gerade etwas erwidern, da schob sich meine Mutter durch die Menschenmenge und packte meinen Arm.

„Louanne, da bist du ja endlich. Warum hast du nicht geantwortet? Ich habe dir ein paar prächtige junge Männer heraus gesucht und möchte sie dir vorstellen." Jetzt erst fiel ihr Blick auf Sirius.

„Was willst du mit diesem Blutsverräter?", fragte sie abfällig und musterte mich scharf mit ihren schwarzen Adleraugen. „Wirst du etwa rückfällig? Willst du jetzt etwa auch ein wenig rebellieren?" Sie schnaubte und erschrocken bemerkte ich den Hass in ihren Augen, als sie Sirius ansah.

„Verschwinde, du bist kein Umgang für meine Tochter. Los, ksch!" Sie versuchte ihn mit Handbewegungen wegzuscheuchen, als wäre er ein lästiges Insekt.

„Mutter, ich-", begann ich, wurde jedoch wie immer sofort wieder unterbrochen.

„Jetzt komm schon, wir haben nicht den ganzen Abend Zeit. Der jüngere, bessere Black-Junge und viele andere warten schon." Ihr Griff wurde stärker und schloss sich wie ein Schraubstock um meinen Oberarm. Sie zerrte mich in die Richtung, aus der sie gekommen war. Verzweifelt schaute ich zurück, direkt in Sirius' Augen, der mir teilnahmslos hinterher sah. Und mir wurde klar, dass ich meine einzige Chance auf Freiheit gerade eben vertan hatte.

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