1. Träume
T R Ä U M E
Alice Fortescue
*****
„All you need is love", sang Marlene den Beatles Song mit und wiegte ihren Oberkörper im Takt hin und her, als Lily und Alice den Schlafsaal der Mädchen in der siebten Klasse betraten. Es roch stark nach Cannabis und der Rauch waberte in der Luft herum und erinnerte die beiden Mädchen an das Wahrsagenzimmer oben im Nordturm.
„Ach Freunde", seufzte Marlene selig lächelnd, „ist das Leben nicht schön?"
„Ja, klar", stimmte Lily zu und ließ sich neben Marlene auf das Bett fallen, „darf ich auch mal ziehen?" Marlene drückte Lily den Joint in die Hand, nachdem sie selber noch einen tiefen Zug genommen hatte.
„So viel Liebe um uns herum", trällerte Marlene high und summte noch ein wenig mit den Beatles mit, deren Lied sich nun langsam dem Ende zuneigte. Alice hustete und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum um ein wenig frische Luft zu bekommen.
„Ihr wisst aber schon, dass Drogen nehmen schädlich ist, oder?", fragte sie und öffnete das Fenster.
„Ach, halt doch die Klappe, du Streber", murmelte Lily und schloss die Augen, als sie einen weiteren Zug nahm.
„Das ich das einmal von der Schulsprecherin höchst persönlich zu hören bekomme", spottete Alice. Lily seufzte nur genüsslich und schien sie gar nicht gehört oder verstanden zu haben.
Alice konnte die ganzen Drogen und den eher lockeren Lebensstil von Marlene gar nicht nachvollziehen. Für sie waren Drogen, insbesondere Alkohol und Marihuana, ein Tabu und sie konnte nicht verstehen wie jemand so dermaßen dreist und frech sein konnte wie Marlene und teilweise sogar angetrunken zum Unterricht erscheinen konnte. Natürlich mochte sie ihre Freundin sehr, doch ihr Lebensstil unterschied sich sehr von Marlenes, sodass nicht selten ein Streit über den Konsum von Drogen zwischen den Mädchen entbrannte. Alice mochte Abenteuer, doch wollte sie dabei immer alle ihre Sinne beisammen haben. Sie war ein fröhlicher Mensch, der Veränderungen liebte und immer den Nervenkitzel suchte. Nur bei Drogen war bei ihr eine klare Grenze. Über ein, höchstens zwei Gläser Wein am Abend ging nichts heraus. Dennoch war sie keineswegs brav. Schon oft hatte sie ihre Freundinnen dazu überredet, die Regeln zu brechen, den Jungs aus Gryffindor einen Streich zu spielen oder Dumbledores Barts rosa zu hexen.
„Ich geh ein bisschen raus", verkündete Alice, als ihr der Gestank im Schlafsaal zu penetrant wurde.
„Hm", machte Marlene nur, die in ihrem Rausch wahrscheinlich gar nichts mitbekam.
„Aber es ist doch schon nach der Sperrstunde", erhob Lily noch halbherzig die Stimme, doch da war die Tür bereits hinter Alice zugefallen.
Einsam wanderte sie durch die Korridore ihrer Schule ohne ein Ziel, jedoch immer auf der Hut vor Filch oder einem der Lehrer. Es kam öfter vor, dass sie Freitagnachts, wenn sie am nächsten morgen nicht früh aufstehen musste, durch das Schloss schlich, um nachzudenken oder einfach mal allein zu sein. Sie mochte ihre Freunde sehr, doch brauchte sie einmal Zeit für sich und diese Gelegenheit ergab sich in einer belebten und vollen Schule wie Hogwarts nun mal nur Nachts.
Nachdem sie eine Weile ziellos herum geschlendert war, fand sie sich irgendwann am Fuß des Nordturms wieder und sie beschloss, wie schon seit langem nicht mehr, den Rest des Abends auf dem windigen Dach des Turms zu verbringen.
Als sie schnaufend vom vielen Treppensteigen oben ankam und sich schon auf den schönen Ausblick auf die Ländereien Hogwarts', den lauwarmen Sommerwind und ein oder zwei einsame, aber schöne Stunden auf dem Geländer sitzend freute, wurde sie enttäuscht: Auf der breiten Brüstung saß schon jemand.
Alice war zwar lange nicht mehr nachts hier oben gewesen, aber das noch jemand nachts gerne herum streifte war ihr neu. Sie war kurz davor den Störenden einfach ärgerlich weg zu schicken, als ihr einfiel, dass er ja zuerst da gewesen war und sie diejenige war, die vielleicht störte.
„Hallo?", erhob sie vorsichtig die Stimme. Die Person auf dem Geländer des Turmes zuckte so heftig zusammen, dass Alice befürchtete, sie würde herunterfallen. Im schwachen Licht der Mondsichel konnte sie keine Gesichtszüge der Person erkennen, doch aus der Statur schloss sie, dass es ein Junge sein musste.
„Wer bist du?", fragte er, als er sich vom ersten Schock erholt hatte. Sie trat ein paar Schritte näher heran und nun konnte sie auch erkennen, wer ihr den Platz weggenommen hatte. Es war Frank Longbottom aus ihrem Haus. Erleichtert atmete sie auf. Wäre es ein Slytherin gewesen, wäre das wahrscheinlich übel aus gegangen. Slytherins und Gryffindors befanden sich ja schon immer in Feindschaft und seit Ihr-wisst-schon-wer auf gestiegen war, wurde dieser Hass noch weiter entfacht und nicht selten entbrannten Kämpfe in den Korridoren, aus denen schon schwere Verletzungen gefolgt waren.
„Alice", seufzte Frank erleichtert und rutschte ein wenig zur Seite, damit Alice auch noch Platz auf dem Stück Geländer zwischen den zwei Säulen fand.
„Was machst du hier?", fragte sie und setzte sich neben ihn. Als er sie ansah, wurde sie ein wenig nervös. Seit Jahren schwärmte sie für den hilfsbereiten, netten Jungen aus ihrem Jahrgang, doch bisher hatte sich nie eine Gelegenheit ergeben, dass die beiden sich alleine unterhalten konnten. Ob es jetzt Zufall oder Schicksal war, dass sie in dieser Nacht ausgerechnet auf ihn traf, wusste Alice nicht.
„Konnte nicht schlafen", antwortete er leise.
„Ich auch nicht. Ich musste mal wieder vor Marlenes Drogeneskapaden fliehen", antwortete sie und schmunzelte. Er grinste.
„Sie übertreibt es echt, oder?" Alice nickte zustimmend und sah auf die glitzernde Oberfläche des Sees, der direkt unter ihnen lag. Der Mond schien hell, wie eine kreisrunde Scheibe, auf die spiegelglatte Oberfläche.
Eine Weile haderte Alice mit sich, doch dann traute sie sich doch und fragte: „Gibt es einen Grund, warum du nicht schlafen konntest?" Frank und sie waren keinen besonders guten Freunde, man kannte sich eben aus dem Gemeinschaftsraum, dem Unterricht oder über andere Freunde. Sie erwartete nicht, dass er ihr von seinen Sorgen und Problemen erzählte. Der eigentliche Grund, warum sie gefragt hatte, war kindisch und albern: Insgeheim hoffte sie, er würde etwas romantisches antworten, etwas wie: „Ich musste die ganze Zeit an jemanden denken" oder „Da ist so ein Mädchen, das geht mir nicht aus dem Kopf" und ihr dabei so intensiv in die Augen sehen, dass auf der Hand lag, dass sie, Alice, gemeint war. Dann würde er näher rutschen und ihre Hand nehmen und sich zu ihr beugen, ganz langsam, bis dann schließlich-
„Nö, gab keinen Grund", erwiderte er schulternzuckend. Etwas enttäuscht kam sie auf dem Boden der Realität an, obwohl ihr von vornherein klar gewesen war, dass ihre Träumereien unrealistisch waren. Ein Weile saßen sie schweigend auf dem Geländer und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Alice dachte über sich selber nach und wie dumm und naiv sie sich doch manchmal verhielt. Sie lebte in ihrer Traumwelt, stellte sich die Liebe ihres Lebens lieber vor, als wirklich danach zu suchen, glaubte aber doch von sich, einigermaßen auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Meistens jedenfalls. Doch wenn sie nachts durch Hogwarts lief, in ihrem Bett lag und nicht schlafen konnte oder in Professor Binns Unterricht in den obligatorischen Dämmerschlaf versank, hatte sie sich bereits ihre gesamte Zukunft mit Frank ausgemalt, der erste Kuss, der Abschluss von Hogwarts, der Heiratsantrag, die Hochzeit, ja, sogar bei der Vorstellung des ersten mal Sex hatte sie sich erwischt und war sofort errötet.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Frank sie beobachtete und wagte einen kurzen, schüchternen Blickkontakt, den sie sofort wieder unterbrach. Sie war heilfroh, dass es so dunkel war, sonst hätte Frank ihre roten Wangen gesehen.
„Worüber denkst du nach?", fragte er mit einer so sanften Stimme, das Alice Herz einen Sprung machte.
„Nichts", wich sie aus und war froh, dass Frank in diesem Moment nicht ihre Gedanken lesen konnte.
„Zauberkunst oder Verwandlung?", fragte er plötzlich und aus seiner Stimme konnte Alice hören, dass er grinste.
„Was?", fragte sie verblüfft.
„Welches Fach magst du lieber?"
„Warum möchtest du das wissen?"
„Ich würd dich gern besser kennenlernen." Alice' Herz schlug so doll wie noch nie und sie bemühte sich um einen ruhigen Atem. Obwohl sie es zu verhindern versuchte, hoben sich ihre Mundwinkel und ein breites Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Verwandlung."
„Quiddichfeld oder Fankurve?"
„Fankurve, definitiv. Schokofrösche oder Sirupbonbons?" Er schien für einen Moment zu überlegen, dann antwortete er: „Keins von beiden, ich steh mehr auf Zucker-Federkiele. Weihachten in Hogwarts oder bei der Familie?"
„Bei der Familie, aber dieses Jahr werd ich das erste mal hier bleiben. Lily plant irgendwas Großes, glaub ich."
„Oh, dann sollte ich vielleicht auch bleiben." Alice war sich nicht sicher, ob er bleiben wollte, weil Lily etwas Großes plante oder weil sie auch blieb. Letzteres würde ihr selbstverständlich besser gefallen, aber nachzufragen traute sie sich natürlich nicht.
„Flohpulver oder Portschlüssel?", setzte sie die Fragen fort.
„Schwer. Beides ist furchtbar unangenehm. Aber Portschlüssel ist besser, denke ich. Das ist nicht so staubig. An Silvester eher Feuerwhiskey oder Kürbissaft?" Die Antwort fiel ihr nicht schwer.
„Kürbissaft. Und bei dir?" Er lachte leicht nervös und sah auf den Boden.
„Verurteile mich nicht, aber ich denke, ich bevorzuge den Alkohol. Büroarbeit, Heiler oder Auror?"
„Auror, auf jeden Fall. War schon immer mein Traum und gerade jetzt in diesen gefährlichen Zeiten ist der Job ja noch wichtiger."
„Ganz meine Meinung. Ich will auch unbedingt eine Ausbildung zum Auror machen." Sofort malte Alice sich aus, wie sie gemeinsam ihre Ausbildung machen würden und sich dort näher kommen würden und musste unweigerlich noch mehr grinsen.
„McGonnagal oder Slughorn?", fragte er schließlich.
„Slughorn, auch wenn ich leider nicht zum Slug-Club gehöre."
„Ach, diese Partys sind nicht halb so interessant wie sie klingen." Erstaunt riss sie die Augen auf.
„Wurdest du etwa schon mal eingeladen?" Er schnaubte
„Jedes mal, bin ganz gut in Zaubertränke."
„Wow." Dass Frank ein begabter Schüler war, wusste Alice, aber dass er sogar Mitglied des sogenannten Slug-Clubs, den Lieblingen des fülligen Zaubertranklehrers, war, hatte sie nie erfahren.
„Du kannst ja mitkommen, bei der nächsten Party", bot er an und Alice merkte an seinem Tonfall, dass ihn das einiges an Überwindung gekostet hatte. „So als meine Begleitung. Also, nur wenn du Lust hast, natürlich." Alice' Herz klopfte wie wild und ihre Wangen wurden heiß.
„Klar!", rief sie fast schon ein wenig zu euphorisch und Frank lachte leicht. „Also, ich meine, ja, gerne. Danke", fügte sie hinzu und ihre Wangen färbten sich wenn möglich noch röter. Gerade wollte Frank noch etwas sagen, da hörten sie die leise tippelnden Schritte einer Katze. Frank fluchte.
„Verdammt, Mrs. Norris, komm schnell." Er sprang von der Brüstung, nahm Alice Hand und zog sie die Treppe herunter an der Katze des Hausmeisters vorbei, die sie mit vorwurfsvollen, gelben Augen mit ihren Blicken verfolgte. Doch eigentlich war es Alice egal, ob der schmierige Hausmeister die beiden jetzt erwischen würde, in Anbetracht der Tatsache, dass Frank Longbottom ihre Hand hielt. Etwas, was sie sich schon seit Monaten, nein seit Jahren erträumt hatte. Wenn auch unter etwas romantischeren Umständen. Frank schob auf halber Strecke einen Wandteppich beiseite und schob Alice in einen Geheimgang dahinter.
„Haben die Rumtreiber mir mal gezeigt", erklärte er keuchend, während sie den Gang entlang rannten. Alice keuchte auch, obwohl sie sich nicht sicher war, ob es vom Laufen oder von Franks Hand in ihrer kam.
Nach einer Weile, in der sie schweigend nebeneinander her gerannt waren, bogen sie in einen schmalen Gang ab, an dem Alice beinahe vorbei gelaufen wäre, hätte Frank sie nicht aufgehalten. Er öffnete eine kleine, verschimmelte Holztür und ließ ihr den Vortritt.
„Voila, Madame." Staunend betrat sie den Gemeinschaftsraum der Gryffindors und sah zu, wie Frank die Tür, die von dieser Seite ein Gemälde war, wieder schloss. Ein paar lange Sekunden standen sie vor einander, unschlüssig, was sie jetzt tun sollten. War es unangebracht jetzt einfach schlafen zu gehen?
„Ich denke, ich sollte dann auch bald mal schlafen", unterbrach Alice schließlich die peinliche Stille und innerlich ohrfeigte sie sich deswegen. Kam das jetzt wie eine Abfuhr rüber? Hätte sie vielleicht noch viel mehr Zeit mit Frank verbringen können?
„Klar, ich auch", antwortet Frank, doch Alice glaubte, einen Schatten der Enttäuschung über sein Gesicht huschen zu sehen. Doch im nächsten Moment war er verschwunden und Alice redete sich ein, es sich eingebildet zu haben. Sie lächelte ihm unsicher zu.
„Gute Nacht, schätz ich mal. Und danke. Also wegen dem Geheimgang und so." Was faselte sie da?
„Gute Nacht, Alice, schlaf gut." Sie drehte sich um und wollte gerade hoch gehen, als er sie noch mal rief.
„Und Alice?"
„Ja?"
„Das mit den Slug-Club-Partys besprechen wir noch mal genauer, ja? Beim nächsten Hogsmeadewochenende, oder so." Hatte er sie gerade nach Hogsmeade eingeladen? Sollte das ein Date werden? Alice wäre am liebsten kreischend in die Luft gesprungen, doch sie bezweifelte, dass das einen guten Eindruck machen würde.
„Sicher", erwiderte sie stattdessen im lässigsten Tonfall, den sie mit vor Aufregung zitternder Stimme hervorbringen konnte, und lächelte Frank noch mal zu.
Langsam verschwand die Nervosität, die sie immer spürte, wenn Frank in der Nähe war, und ein Grinsen breitetet sich auf ihrem Gesicht aus, als sie die Treppen heraufstieg. Und selbst, als sie schon längst aus seiner Sichtweite verschwunden sein musste, spürte sie seinen Blick noch im Rücken.
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