Ungewohnte Gefühle

Kapitel 2

Genüsslich aß ich ein Toffifee und schloss die Augen. Meine Arme hingen entspannt an meinen Seiten herunter, während ich den Karamell, Schokolade, Nuss Geschmack auf meiner Zunge zergehen ließ. So gut! Davon könnte ich Tonnen essen! Als ich meine Lider wieder öffnete, entdeckte ich ein Einhorn vor mir stehen. Seine Mähne und sein Schweif brannten rot, gelb, orange in der Dunkelheit der Nacht. Friedlich fraß es das saftig grüne Gras auf dem Boden vor mir.
"Buy it, use it, break it, fix it
Trash it, change it, mail - upgrade it
Charge it, point it, zoom it, press it
Snap it, work it, quick - erase it
Write it, cut it, paste it, save it
Load it, check it, quick - rewrite it
Plug it, play it, burn it, rip it
Drag and drop it, zip - unzip it
Lock it, fill it, call it, find it
View it, code it, jam - unlock it...", hörte ich gedämpft in meinen Ohren.
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Was war denn das für ein Lied?

Langsam schlug ich meine Augen auf, kniff sie aber, durch die plötzliche Helligkeit, gleich wieder zusammen. Die Sonne schien hell durch mein gekipptes Fenster und direkt in mein Gesicht.
"Surf it, scroll it, pause it, click it
Cross it, crack it, switch - update it
Name it, rate it, tune it, print it
Scan it, send it, fax - rename it
Touch it, bring it, pay it, watch it.
Technologic.
One more time
Ah ah ah ah aaah
Ah ah ah ah", dröhnte mir der Beat von Pentatonix, meiner Lieblingsbänd, in den Ohren. Ich lag auf meinem Bauch in meinem bequemen Bett.
Murrend drehte ich meinen Kopf zur Anlage. Sie stand rechts neben dem Fenster auf einem weißen Regal und blinkte am Lautstärkenregler grün auf. Schlapp haute ich neben mir auf den Aus Knopf der schwarzen Fernbedienung. Die Musik verstummte sofort. Ich seufzte frustriert, versteckte mein Gesicht wieder in dem Kissen und schloss die Augen. Nur noch einen Moment Ruhe, nur noch einen klitzekleinen, bevor das Grauen beginnt! Warum mussten wir Schüler eigentlich immer so früh aufstehen? Die Schule könnte doch auch um dreizehn Uhr, oder nein noch besser, gar nicht anfangen! Das wäre echt geil!
Aber wie meine Eltern immer sagten: „Sei nicht immer so faul! Du willst doch mal was aus dir machen, oder nicht?" Sie hatten ja recht! Aber für mich, der schlimmste Morgenmuffel der ganzen Familie, war es halt eben immer voll schwer so früh aufzustehen.
Ich pustete mir eine nervige Strähne aus dem Gesicht und schlummerte langsam wieder ein.

~ ¤ ~

Durch ein lautes Scheppern schreckte ich aus meinem Schlaf. Verwirrt starrte ich auf meine Fernbedienung, welche nun auf dem Boden lag. Sie war wohl gerade hinunter gefallen. Nun sah ich hoch zu meinem grünen Schreibtisch, auf dem eine silberne Digitaluhr stand.
Neun Uhr dreißig.
„Hmmm............", brummte ich. Neun Uhr dreißig, da war doch irgendwas! Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Erschrocken sprang ich aus meinem Bett, als es mir wieder einfiel, und hob sauber aussehende Kleider vom Boden auf.
„Scheiße, PAAPAA! WARUM HAST DU MICH NICHT GEWECKT?", schrie ich durch das ganze Haus. Keine Antwort. Er war bestimmt noch am Schlafen! Gehetzt sprintete ich in das Bad, zog meinen Schlafanzug gleichzeitig aus und sprang unter die Dusche, nur um gleich darauf einen kalten Wasserstrahl ab zu bekommen.
„SCHEIßE!", brüllte ich und drehte die Hähne schnell wieder zu. Ich hatte vollkommen vergessen, dass ab neun Uhr kein warmes Wasser mehr lief! Meine Mutter meinte mal wieder an Strom sparen zu müssen! Echt ätzend, wenn man mich fragte! Verärgert stolperte ich aus der Dusche, trocknete meinen Körper hastig ab, band mir meine nassen Haare zu einem hohen Zopf zusammen, zog mir meine Kleider an und stürmte aus dem kleinen Zimmer. Warum hatte mich David nicht geweckt? Er war bestimmt schon in der Schule und hatte mich vollkommen vergessen!Gleichdarauf polterte ich die Treppen hinunter. Flink schnappte ich mir meine gepackte Tasche, die auf dem Küchentisch lag, und stolperte wortwörtlich aus dem Haus heraus.

~ ¤ ~

Außer Atem kam ich vor der Klassentür an. Nach kurzem Zögern klopfte ich dreimal an und wartete, dass jemand herein rief, doch es kam nichts. Merkwürdig! Mit meiner rechten Hand umschloss ich den Türgriff, drückte ihn runter und zog an der Tür. „Es ist abgesperrt?" Verwirrte blickte ich mich in dem leeren Flur um. Es war totenstill. Die Stirn gerunzelt, lief ich also in das Sekretariat der Schule.
Dort angekommen, stand ich vor einem Holztresen. Dahinter saß eine rot haarige Frau mit einer sehr alt aussehenden Brille auf der Nase, und tippte etwas in ihren Computer ein.
„Entschuldigen Sie. Wissen Sie vielleicht wo die Klasse 11.1 ist?", fragte ich höflich. Sie drehte ihren Kopf von dem Computerbildschirm weg und starrte mich an.
Mit piepsiger Stimme antwortete sie mir: „Tut mir leid, aber Frau Kiefer ist mit ihrer Klasse in den Wald hinter die Schule gegangen, um dort Biologie zu machen!"
„Achso, okay, dann geh ich mal in den Wald und suche sie", zog ich die ersten zwei Wörter lang. Langsam drehte ich mich um und stolzierte auf den Schulhof. Eigentlich dachte ich ja, dass meine Oma gruselig war, wenn sie morgens aufstand, aber die Sekretärin übertraf alles! Mit ihren knochigen Händen, der fast schwarzen Iris, der kreideweißen Haut, den roten, strohigen Haaren und dann noch die schiefen, verfaulten Zähne. HUUUUUUÄÄÄHHH! Wie gruselig! Bei diesem Gedanken lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich ging um das Schulgebäude herum, spazierte den Waldweg entlang und versuchte meine Klasse zu finden.
Nach fünfzehn Minuten hörte ich Stimmen Gewirr. Neugierig ging ich den Geräuschen nach und entdeckte, nachdem ich um die Ecke bog, meine Mitschüler im Kreis stehen. Vorsichtig quetschte ich mich durch die Menge und musste mit Schreck feststellen, dass sich Lukas und Sam verprügelten. Vergeblich versuchten ein paar Mitschüler sie auseinander zu bekommen. Lukas Gesicht war vor Wut rot angelaufen, während Sam mit den Zähnen knirschte. Suchend blickte ich mich nach unserer Lehrerin um. Keine Spur von ihr! Nun sah ich um mich. Meine Mitschüler schauten nur zu und feuerten die Beiden sogar an. Was sollte das? Hatte niemand den Mut etwas dagegen zu tun?
„Sag mal seid ihr eigentlich bescheuert?", rief ich aufgebracht, ging auf sie zu und blickte zwischen beiden hin und her. Sam hielt kurz in seinem Tun inne und sah mich an, sodass Lukas den Moment nutzte und ihm eine verpasste. Zwei Jungs aus meiner Klasse hielten Lukas nun fest, damit er Sam nicht mehr schlagen konnte. Schnell sprang ich vor Samuel, als er wieder auf Lukas los gehen wollte. Sein Kiefer spannte sich an. Stur starrten sich beide wütend in die Augen. Das Blickduell lieferten sich die Beiden solange, bis es mir endgültig zu dumm wurde und ich meine beiden Arme seitlich ausstreckte, um die beiden auf Abstand zu halten.
"Was soll das?", fragte ich wütend.
„Geh einfach aus dem Weg und stör uns nicht", maulte mich Lukas von hinten an. Wütend schaute ich zu ihm und dann wieder zu Sam. Seine Muskeln waren angespannt, sodass das weiße T-Shirt seine Bauchmuskeln betonte.
„Nein! Ich geh nicht eher hier weg, bis ihr mir gesagt habt, warum ihr euch prügelt", sagte ich bestimmend und ließ meine ausgestreckten Arme sinken. Stur verschränkte ich sie nun vor der Brust. Meine beiden Mitschüler hielten Lukas an Armen und Schultern fest, da er wie verrückt zappelte.
„Du. Sollst. Jetzt. Da. Weg. Gehen!", baute er sich wütend vor mir auf und sah mit hoch rotem Kopf zu mir hinunter. Seine Worte betonte er gefährlich, weshalb es eher nach einem Befehl klang und nicht nach einer bitte. Schwer schluckte ich. Das war echt Angsteinflößend! Trotzig schüttelte ich nun den Kopf und drehte mich gleichzeitig zu Lukas um. Sam schien sich anscheinend wieder beruhigt zu haben, da er nichts hinter mir tat, außer zuzuschauen.
Plötzlich entriss Lukas seine Arme aus den Griffen der beiden Jungs und kam schnell auf mich zugeschritten. Vor Angst erstarrte ich. Was sollte ich nun tun? Ich konnte ja noch nicht mal Karate oder irgendeine andere Kampfkunst!
Meine Überlegungen wurden jeh von Lukas Faust unterbrochen, die mit Fucht in meinem Bauch landete. Ein starker Schmerz zuckte durch meinen Körper. Nach Luft ringend, stürzte ich auf meine Knie und hielt mir die schmerzende Körperstelle. Meine Augen waren vor Angst und Schreck weit aufgerissen, während ich auf den Boden starrte. Ich schloss meine Lider und blinzelte mir meine aufkommenden Tränen weg. Der Schlag war unerwartet und hart. Ich konnte von Glück reden, dass ich noch kein Blut in meinem Mund schmeckte!
"Sag mal spinnst du?", brüllte Sam und kniete sich zu mir nach unten. Stille herrschte um uns herum. Nur das Rauschen der Blätter und meinen eigenen schnellen Herzschlag hörte ich in meinen Ohren. Sanft lagen Samuels warme Hände auf meinen Oberarmen und stützten mich, damit mein Oberkörper nicht nach vorne kippte. Ich atmete stockend ein und sah hoch zu Sam. Ein starker Schmerz zuckte dadurch durch meinen Bauch. Sauer starrten sich Sam und Lukas in die Augen. Wut stieg langsam in mir auf. Wie konnte er mich nur schlagen? Und das nur, weil ich mich vor ihn gestellt habe?!
Ein Kribbeln ging durch meinen Körper und sammelte sich in meiner rechten Hand. Langsam stand ich, mithilfe von Sam, der verwundert zu mir sah, von meiner knienden Position auf und stampfte langsam auf Lukas zu. Samuels Hände entfernten sich zögerlich von meinen Armen. Abwartend und verwirrt beobachtete mich Lukas.
Mit meiner rechten Faust holte ich ruckartig aus und schlug mit voller Kraft in seine Magengrube. Man hörte ein Aufkeuchen von ihm. Gleich darauf ging er zu Boden. Fast wie aus einer Trance erwacht, stolperte ich ein paar Schritte zurück und hielt mir die Hände fassungslos vor den Mund. Ich wusste gar nicht, dass ich so eine Kraft in der Hand hatte! Plötzlich stieß ich gegen jemanden. Mit großen Augen ruckte mein Kopf herum. Sam betrachtete mich perplex. Als ob er etwas suchen würde, wanderte sein Blick Sekunden später meinen Körper hinunter.
Oh man, was hatte ich getan? Fassungslos blickte ich wieder auf den liegenden Jungen vor mir und verstand langsam, was geschehen war. Ich, die eigentlich jeden Streit mied und strikt gegen Gewalt war, hatte ihn geschlagen! Zögerlich schaute ich um mich. Meine ganze Klasse starrte mich fassungslos an. Schuldgefühle kamen so plötzlich in mir hoch, dass es mich schon fast überrumpelte. Die Augen nieder geschlagen, zog ich meine Schultern hoch und umgriff mein Ellbogen mit der rechten Hand.
„Was ist denn hier passiert?", erschien Frau Kiefer von rechts aus der Menge und rannte auf uns zu. Besorgt kniete sie sich zu Lukas hinunter. Er hielt sich die schmerzende Stelle mit beiden Händen, während er jammernd und mit einem schmerzverzerrtem Gesicht gekrümmt auf dem Boden saß.
„Ich hab ihn-", nuschelte ich, wurde aber von Sam unterbrochen.
„Lukas ist einfach umgekippt", sagte er. Verwirrt sah ich zu ihm hoch. Warum log er?
„Ist das wahr Layla?", sah mich Frau Kiefer fragend an. Man hörte Lukas gestammel leise im Hintergrund, als er versuchte Einwand einzuwenden.
„Äh ja?", stimmte ich zögerlich zu und blinzelte ein paar mal verwirrt. Frau Kiefer sah mich skeptisch an. Ich lächelte unschuldig, woraufhin sie hastig einen Krankenwagen rief.
Eine halbe Stunde später wurde Lukas auf einer Liege weg gebracht.
Als er an uns vorbei geschoben wurde, schwor er zischend: „Das gibt Rache!" Eingeschüchtert beobachtete ich, wie er mit dem Krankenwagen weg fuhr. Ich hatte echt keine Lust auf Rache von ihm. Sie war bestimmt nicht harmlos! Während alle dem Wagen hinter her sahen und aufgeregt miteinander tuschelten, stupste ich Sam mit meinem Ellbogen in die Seite. Er schaute langsam zu mir nach unten. Ich formte meine Lippen zu einem Danke und lächelte leicht. Er nickte und blieb schweigend neben mir stehen, während meine ganzen Mitschüler langsam aus dem Wald trudelten.
"Warum habt ihr euch gestritten?", drehte ich mich ruckartig zu Sam um, als der letzte Schüler außer Hörweite war. Meine Neugierde überwiegte mal wieder. Wie immer!
Er seufzte tief auf, sah hoch in den Himmel und murmelte: „Er hat mich provoziert. Nicht mehr und nicht weniger." Seine Arme verschränkten sich vor der Brust. Verständnislos starrte ich ihn an.
"Und deswegen habt ihr euch geprügelt?", fragte ich ungläubig. Er nickte stumm und sah neben mir ins Leere.
"Schon mal was davon gehört Streit mit Wörtern zu klären?", fragte ich und schüttelte über beide den Kopf.
"Muss gerade die richtige sagen!", verteidigte er sich und sah leicht wütend zu mir nach unten.
"Stimmt... Um ehrlich zu sein, hab ich mich selber erschrocken, als ich ihn geschlagen hab. Normalerweise mach ich sowas nicht", nuschelte ich und schaute auf dem Boden.
"Wie geht es deinem Bauch?", fragte er plötzlich besorgt.
Überrascht über diese Frage sah ich wieder zu ihm und sagte: "Soweit gut... Glaube ich." Meine rechte Hand legte sich automatisch auf die noch etwas schmerzende Stelle. Er nickte und sah mich an. Schnell schaute ich zu Boden. Bloß keinen Augen Kontakt herstellen! Das war mir immer so unangenehm! Nachdenklich runzelte ich die Stirn, als ich an meinen Schlag dachte. Was zum Teufel war dieses Kribbeln? Adrenalin? Oder doch etwas anderes?

Langsam wurde ich unter seinem stechenden Blick nervös, weshalb ich nun hastig sagte: "Wir sehen uns in der Klasse", und aus dem Wald hinaus lief.

Der Rest des Tages verlief eher ruhig und harmlos. Größtenteils ging ich Sam aus dem Weg, da ich mich in seiner Nähe nicht gerade wohl fühlte. Klar. Ich musste zwar immer noch neben ihm sitzen, aber reden oder Blickkontakt mied ich strengstens. In gewisser weise war der Vorfall mir heute morgen auch sehr peinlich. Welches Mädchen schlägt denn auch bitte einen Jungen zu Boden? Eben! Niemand außer natürlich mal wieder mir!
Frustriert atmete ich aus und rupfte kraftvoll ein Grasbüschel aus dem Boden.
„So eine Scheiße", zischte ich verärgert. Warum mussten mir immer so welche Sachen passieren? Ich kniete seit Stunden auf dem Rasen und entfernte das Unkraut aus den Beeten. Es war sehr anstrengend, da die pralle Sonne direkt auf meinen braunen Haarschopf schien, aber ich mochte es so. Das hatte ich schon als kleines Kind immer gerne getan.

Geschepper von Besteck und Tellern ließ mich von der Erde aufschauen. Ich sah durch die Scheiben der Terassentür, wie meine Mutter den Tisch deckte, während mein Vater in seiner Zeitung las. Erschöpft räumte ich mein Werkzeug weg und ging durch unsere Terrassentür in die Küche hinein.
„Was gibt es denn zu Essen?", fragte ich lächelnd und setzte mich gegenüber von meinen Papa an den Tisch.

„Spaghetti Bolognese", antwortete mir meine Mutter. Ich grinste. Mein Lieblingsessen. Als meine Mutter kurz aus der Küche ging, um Spaghetti aus dem Keller zu holen, senkte mein Vater ruckartig seine Zeitung, sodass sie ein wenig raschelte. Seine blauen Augen schauten kurz in die Richtung der Tür, bevor sie neugierig zu mir wanderten.
Belustigt betrachtete ich, wie er die Zeitung langsam auf die graue Steinplatte legte, sich nach vorne beugte und leise fragte: „Und? Wie war dein zweiter Schultag?"
„Stell dir vor! Heute haben sich zwei Mitschüler von mir geprügelt", berichtete ich ihm grinsend. Staunend bekam er große Augen.
"Echt?" Ich nickte. Die Tür der Küche ging langsam auf. Schnell nahm mein Vater seine Zeitung wieder vor die Nase und tat so, als hätten wir uns gerade nicht unterhalten. Schmunzelnd lächelte ich. Ganz bewusst redeten wir vor meiner Mutter nicht über so welche Sachen, da sie sich über jede Kleinigkeit aufregte!
"Georg! Jetzt leg doch mal deine blöde Zeitung weg", beschwerte sie sich mit, vor Ärger, zusammen gezogenen Augenbrauen und legte Unterlegplatten auf die Tischplatte. Ich hörte ein tiefes Seufzen. Mein Vater klappte die Zeitung zusammen und legte sie ordentlich gefaltete neben sich. Meine Mutter drehte sich zufrieden um und rührte die Soße mit einem Holzlöffel um. Geschickt rollte Georg um die Ecke und stellte sich neben mich. Sein schwarzer Rollstuhl quietschte dabei ein wenig.
„Und was ist dann passiert?", flüsterte er mir ins Ohr. Ich grinste. Er konnte es einfach nicht lassen!
„Ich bin dazwischen gegangen."

Und dann?"
„Nichts dann", zuckte ich mit den Schultern. Ich erzählte das mit dem Schlag in den Magen und das Lukas ins Krankenhaus gebracht wurde am besten nicht. Sie würden sich sonst zu viele Sorgen um mich machen!
„Was flüstert ihr da so?", fragte meine Mutter. Vorsichtig stellte sie einen Topf auf die Unterleger und sah uns interessiert an.
"Nichts", antwortete ich und mein Vater scheinheilig. Sie schmunzelte vor sich hin und setzte sich mir gegenüber. Lächelnd beobachtete ich, wie sie anfing über ihre neue Arbeit zu schimpfen, bis mir etwas einfiel.
"Sag mal Papa? Hast du nicht heute ein neues Spiel zugeschickt bekommen?", setzte ich mich gerade hin und sah ihn neugierig an, als meine Mutter eine kleine Pause in ihrem Reden machte. Er nickte grinsend. Abwartend starrte ich ihn an. "Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen", boxte ich ihm nach Sekunden beleidigt gegen die Schulter.
Lachend murmelte er "Jaja ist ja gut", und erzählte mir, wie das Spiel war. Mein Vater hatte vor ein paar Jahren einen Unfall gehabt, weshalb seine Beine gelähmt waren. Aber anstatt in Mitleid zu versinken, stürzte er sich jeden Tag in seine Arbeit. Aber so war er schon immer. Er konnte einfach nicht still sitzen und musste immer etwas zu tun haben. Und jetzt, wo er nicht wirklich arbeiten gehen konnte, programmierte er Videospiele neu und testete auch gelegentlich welche für verschiedene Firmen. Insgeheim durfte ich auch ein wenig ausprobieren und wusste deshalb immer vorher über die neusten Spiele Bescheid. Manchmal war das echt langweilig! Dann war man nämlich nie überrascht über die plötzliche Werbung im Fernsehen.

Eine Stunde später, nachdem ich noch ein wenig mit meinen Eltern und David, der von seinen 'Kumpels' zurück kam, auf der Couch gechillt hatte, schmiss ich mich in mein Bett und schlief direkt danach ein.

~ ¤ ~

Verwirrt sah ich mich um. Ich stand auf einem hellgrau gepflasterten Weg und betrachtete die vielen Stände, welche sich vor mir erstreckten. Sie verkauften die verschiedensten Sachen. Von Obst bis hin zu Porzellan Töpfen war alles dabei! Die Sonne, hoch am wolkenlosen Himmel, prallte stark auf meinen Kopf und wärmte mich somit. Ich sah nach rechts. Mein Blick blieb an einer saftig grünen Wiese hängen, die hinter den Ständen angebracht war. Die feinen Grashalme schwankten leicht im warmen Wind. Er berührte nun auch mein Gesicht sanft und blies mir meine Haare nach hinten.
Als ich meinen Blick wieder nach vorne richtete und nach oben sah, starrte ich, nur wenige Meter von mir entfernt, auf ein weißes Schloss. Ungläubig blinzelte ich ein paar mal und ging dann staunend den Weg entlang. Viele Leute liefen umher und waren anscheinend sehr beschäftigt. Doch sie waren irgendwie anders. Ihre Schritte waren grazil, elegant. Einfach nur anmutig!
Wo war ich und was machte ich hier?
Irritiert blieb ich in der Menschenmenge stehen und schaute mich um. Hier sah es aus, wie auf einem Flohmarkt. Nur viel, viel, VIEL größer! Langsam lief ich weiter. Ein Mädchen blieb vor mir stehen, wodurch ich ebenfalls in meinem Gehen inne hielt, und sah mir tief in die Augen.
Sie hatte langes, braunes Haar, das ihr bis zum Po ging, und ein flieder grünes, seidenes Kleid an, das, wenn ein Windzug kam, wie eine fallende Feder, flatterte. Ihr Gesicht war sehr kantig und rund. Sie hatte volle, rosane Lippen, große braun, grüne Augen und eine Stupsnase. Sie ging weiter, an mir vorbei. Ich wollte sie antippen und fragen, wo ich sei, doch mein Finger ging durch ihre Schulter hindurch. Schockiert schaute ich meine Hand an. Sie war blass und halb durchsichtig. Langsam sah ich an mir herab.
Mein Schlafanzug sowie mein ganzer Körper waren fast nicht zu erkennen. Ich war wie ein Geist. Entsetzt schaute ich die anderen Leute an und bemerkte erst jetzt, dass sie Flügel hatten. Sie gleichten dem eines Engels und waren bei jedem verschieden groß. Ich betrachtete die an mir vorbei gehenden Menschen genauer und bemerkte fassungslos, dass sie spitze und längere Ohren hatten, als ich. Wo war ich und was machte ich hier? Träumte ich? Waren diese Menschen echt? Oder überhaupt. Waren es überhaupt Menschen?

~ ¤ ~

Etwas angenehm warmes auf meiner Haut weckte mich auf, weshalb ich langsam meine Augen öffnete. Schnell machte ich sie wieder zu, da mir die Sonne direkt ins Gesicht schien.
Was war denn bitte DAS für ein komischer Traum? So einen hatte ich ja noch nie gehabt! Müde drehte ich mich auf den Rücken und schlug die Decke von mir. Noch kurz starrte ich die weiße Decke über mir an, bevor ich mich aus meinem Bett rollte, die Beine auf den Boden stellte und mit halb geschlossenen Augen aufstand. Einen Parkour voller schmutziger Wäsche durchquert, stampfte ich die Treppen hinunter in die Küche. Auf der schwarzen Küchenplatte entdeckte ich lecker aussehende Apfelpfandkuchen, die mit Zimt getunkt waren. Ich ließ mich auf den Küchenstuhl plumpsen, schob meinen Teller zu mir und lud mir drei Pfannkuchen drauf.
„Na du Morgenmuffel? Auch mal wach?", begrüßte mich David und tätschelte mir meinen Kopf. Er lehnte sich neben mir an die Platte und hielt eine Kaffeetasse in der Hand. Wie konnte man nur so was trinken? Das war doch viel zu bitter!
Als Antwort bekam er ein zustimmendes "Hm", und Geschmatze. „Wasch mascht du heut scho?", fragte ich mit vollem Mund und sah zu ihm hoch.
Lächelnd antwortete er „Nix und du?"
Ich zuckte nur mit den Schultern und stopfte mir den Rest von meinem letzten Pfannkuchen in den Mund. „Vielleicht ruf ich Sel an und geh mit ihr ein wenig Shoppen", antwortete ich, als ich mein Essen hinunter schluckte.
„Okay, dann mach das mal. Viel Spaß." David stellte seine Tasse in die Spülmaschine und ging hoch in sein Zimmer.
Um vierzehn Uhr rief ich Sel an und erfuhr, dass sie über das Wochenende zu ihrem Vater gefahren war. Ein wenig traurig legte ich wieder auf. Hmm... Wen könnte ich denn noch anrufen? Nathalie? Nein! Nachdenklich starrte ich auf das Telefon und sah aus den Augenwinkeln ein Stück Papier in einer Klarsichtfolie gehüllt auf der weißen Komode vor mir liegen. Neugierig nahm ich es in die Hand und überflog die Telefonliste meiner Mitschüler. Warum lag sie hier unten? Ich hatte sie doch mit nach oben genommen, als ich sie von meiner Mutter gestern bekommen hatte. Mein Blick blieb an einem Namen hängen. Schnell wählte ich die Nummer und hielt das Telefon an mein Ohr. Laut hörte ich das Freizeichen. Etwas nervös wartete ich.
„Hallo?", hörte ich eine hohe Stimme.
„Ja hallo, hier ist Layla. Ist Sam da?", fragte ich leise.
„Ja warte, ich hol ihn."
Stille am Ende der Leitung. Leicht nervös kaute ich auf meiner Lippen herum. Ob das wirklich so eine gute Idee war ihn anzurufen?
Ich wollte auflegen, als ein tiefes „Hallo?", erklang.
„Hi Sam, hier ist Layla", sagte ich schnell. Oh Gott! Jetzt bloß nicht stottern! Ich hatte noch nie viel mit Jungs zu tun, weshalb ich auch nervös war einen anzurufen. Und gerade bei Sam, der nett und gut aussehend war!
Überrascht sagte er „Oh hey, wie gehts?"
„G- ganz gut", stotterte ich. Die Augen zusammen gekniffen, schlug ich mir gegen die Stirn. Jetzt hatte ich doch gestottert! Wie peinlich!
"Layla? Bist du noch dran?", fragte Sam verwirrt. Seine Stimme hörte sich etwas tiefer und rauer am Telefon an. Sehr angenehm, wie ich fand.
Hastig antwortete ich "Ja, ja. Ich bin noch dran. Du sag mal? Hättest du- also hättest du Lust mit mir heute Shoppen zu gehen?", fragte ich leise.
Erleichtert atmete ich aus. Endlich hatte ich mal einen einigermaßen selbstbewussten Satz heraus bekommen!
„Hm...", zögerte er kurz. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe und wartete gespannt auf seine Antwort.
„Warum nicht. Ich muss sowieso noch was für morgen besorgen. Wohin gehen wir, um wie viel Uhr und wo treffen wir uns?"
Yes, freute ich mich gedanklich.
„Also, am besten dahin, wo Einkaufsläden sind", grinste ich schmunzelnd. Meine Nervosität legte sich langsam.
"Ach ja stimmt. Du kennst dich hier ja noch nicht aus", stieß er aus.
"Jep. Aber ich weiß wo ein Mc's ist. Dort treffen wir uns einfach. Um fünfzehn Uhr?", fragte ich verunsichert.
„Ja okay, bis um drei. Bye."
„Bye." TUT TUT TUT. Verwundert legte ich auf und stellte das Telefon vor mir auf die Station.
Das ging ja schnell! Und ich dachte schon, dass ich ihn erst mal überreden musste. Ich zuckte mit den Schultern, packte mein Handy, Geldbeutel und meine Sonnenbrille ein, zog mir eine weiße Hotpants, weiße Sandalen und ein weißes T-Shirt an, schminkte mich dezent - heißt Wimperntusche, Kajalstift -, band meine Haare zu einem hohen Zopf zusammen und ging aus dem Haus.

Nach einer halben Stunde kam ich bei McDonalds an. Sam stand mit einem Cheeseburger am Eingang und schielte gerade auf seine Nase, weil dort ein wenig Ketchup hang. Ich ging zu ihm hin, holte eine Servierte und wischte ihm den Ketchup von der Nase.
„Danke", lächelte er mich an und nahm die Servierte zu sich.
„Bitte. Können wir gehen?" Er nickte und wir gingen los. Insgesamt war es ein warmer Tag, der nicht zu heiß und nicht zu kalt war, also angenehm.
„Warum willst du eigentlich einkaufen gehen? Mädchen haben doch immer genug Sachen in ihren Schränken hängen!", fragte er verständnislos.
„Jaa schon, aber ich hab letztens bei mir in der alten Heimatstadt so ne coole Hose im NewYorker gesehen, aber nicht mehr genug Geld dabei gehabt."
„Achsooo", machte er nur und ging neben mir weiter.

~ ¤ ~

„Ich kann nicht mehr", blieb ich stehen und schaute mich suchend nach einer Sitzgelegenheit um. Aber wie es so war, waren in Großstädten nie Plätze frei.
„Saaaaammmm, bleib mal stehen." Langsam trottete ich zu ihm hin.
„Sollen wir ne Pause ein legen?"
Er antwortete mit einem: „Meinet wegen", und quetschte sich zwischen zwei Mädchen auf eine Bank. Sie sahen verwundert von ihren Handys auf und grinsten bei Sams Aussehen breit.
„Toll! Und wo soll ich mich jetzt hin setzten?" Ein wenig beleidigt blies ich meine Wangen auf.
„Kannst ja auf mein Schoß, wenn du willst", klopfte er auf seine Oberschenkel. Wieder willig, weil meine Füße vom ganzen Laufen weh taten, setzte ich mich auf seinen Schoß. Prompt wurde ich rot.
„Und? Wo geht's jetzt hin?"
„Ich glaub ich bin für heute fertig" seufzte ich. Kurze Stille, in der wir die Gegend betrachteten.
„Layla?", unterbrach er das Schweigen.
„Hm..?", beobachtete ich weiter die vielen Menschen. Laut dröhnte das Stimmengewirr in meine Ohren.
„Ich hab ne Überraschung für dich."
Verwundert drehte ich mich leicht zu ihm um.
„Echt?", fragte ich leicht zerknirscht. Eigentlich hasste ich Überraschungen. Er nickte lächelnd. Seufzend ging ich von seinem Schoß hinunter und ließ mich zurück zu seinem Auto ziehen.
Dort angelangt, verband er mir die Augen mit einem schwarzen Bandana und ließ mich einsteigen.

~ ¤ ~

„Wann sind wir denn endlich da?", fragte ich ihn jetzt schon zum tausendsten mal und immer bekam ich die gleiche Antwort: „In ungefähr zehn Minuten!"
„Das hast du auch schon vor einer halben Stunde gesagt."
Schmollend und gelangweilt saß ich mit verbundenen Augen im Auto von Sam.
„Boah ey Layla! Du kannst einem echt auf die Nerven gehen", sagte er genervt.
„Ei wenn du so lange brauchst. Ich kann ja nix dafür, dass ich voll Hunger hab und mein Arsch schon vom Sitzen weh tut."
Er seufzte und drückte plötzlich auf die Bremse, wodurch ich ruckartig nach vorne flog und mit meinen Kopf volle Kanne gegen das Amaturenbrett des Autos knallte. „Au! Sag mal spinnst du? Das hat voll weh getan", beschwerte ich mich und hielt mir meine schmerzende Stirn. Beleidigt versuchte ich ihn zu schlagen, doch wie das so war, war die Trefferquote mit verbundenen Augen nicht so hoch. Sam lachte mich in der Zeit nur aus und beobachtete, wie ich um mich herum schlug. „Ich hoffe für dich, die Überraschung wird super. Sonst hast dus bei mir verkackt", sagte ich beleidigt, konnte mir aber dennoch ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Sein Lachen war ansteckend.
Mit verschränkten Armen saß ich noch gefühlte Stunden im Auto, bis es anfing zu rumpeln und wir endlich stehen blieben. Sam half mir aus dem Auto raus und führte mich irgendwo lang. Nach einer knappen viertel Stunde blieben wir stehen.
„Bereit?" Nervös und gespannt nickte ich. Langsam löste er das Bandana von meinen Augen und ging neben mich. Ich öffnete meine Lider. Es dämmerte schon leicht, weshalb sich meine Augen schnell an das Licht gewöhnten. Staunend betrachtete ich die große Wiese vor mir. Sie war mit roten Mondblumen besetzt. Ich sah mit glitzernden Augen nach hinten. Sam stand mit den Händen in den Hosentaschen am Ende eines kleinen Trampelpfades und lächelte mich sanft an. Hinter ihm war ein Tannenwald angelegt. Fasziniert, von dem ganzen Szenarium, ging ich ein kleines Stückchen weiter über einen kleinen Hügel und entdeckte einen schmalen Fluss am Rande eines Abhanges. Von dort konnte man gut die Stadt sehen, die von der untergehenden Sonne in ein orange, rot getunkt wurde.
„Und, gefällt es dir?", trat er neben mich.
„Es ist wunderschön", hauchte ich. "Wie hast du das gefunden?", sah ich fragend zu ihm hoch. Er zuckte nur mit den Schultern und breitet eine Picknick decke vor uns aus. Vorsichtig stellte er einen geflochtenen Korb ab.
„Komm, setz dich", ließ er sich nieder. Brav ließ ich mich neben ihm auf die Decke sinken.
„Was ist denn in dem Korb da?", fragte ich neugierig. Er holte ihn zu sich, schlug die Seiten auf und zeigte mir lauter Essen. Ich bekam große Augen. „Wann-?"
„Nachdem du angerufen hast, hat meine Mutter gemeint, dass ich mit dir noch irgendwo hin gehen soll. Und da ist mir dieser Platz eingefallen und ich hab, vor unserem Treffen, etwas eingekauft." Er lächelte breit.
„Das ist echt lieb von dir", lächelte ich zurück. Wir blickten uns für Sekunden in die Augen. Die braun, gelben Sprengel verliefen in ein helles Waldgrün, das zum Weiß hin immer dunkler wurde. Nervosität machte sich in mir breit. Mit rasendem Herzen und roten Wangen sah ich auf die dunkel blaue Decke unter mir und setzte mich in einen Schneidersitz hin. Warum wurde ich denn jetzt so nervös?
„Willst du?", hielt er mir ein Sandwich vor die Nase. Schnell schnappte ich mir das Brot und lächelte schief. Eine angespannte Stille herrschte. Den Blick auf den Fluss vor uns geworfen, aß ich alles schnell auf und ließ mich danach rücklings auf die Decke fallen. Als Sam das sah, machte er es mir nach. Wir betrachteten beide den immer dunkler werdenden Himmel.
„Du Sam?", fragte ich leise und spielte mit meinen Fingern, die auf meinem Bauch lagen. Grillen zirpten schon leise neben uns im Gras und ließen das Feeling noch besser werden.
„Hm..?", brummte er. Die angespannte Stimmung löste sich langsam.
„Wo kommst du eigentlich her?", drehte ich meinen Kopf zu ihm herum. Fragend schielte er zu mir hinüber.
„Wie meinst du das?", zog er die Augenbrauen verwirrt zusammen.
„Naja. Ich komm aus dem Saarland und du kommst woher?"
"Achso. Ich komm aus Australien. Meine Eltern sind übrigens auch erst vor ein paar Monaten hier her gezogen." Er drehte seinen Kopf zu mir und lächelte mich sanft an.
Verwundert nickte ich und fragte "Und warum seid ihr umgezogen?"
Er zuckte mit den Schultern und murmelte "Aus verschiedenen Gründen."
Ich nickte, auch wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden war und schaute wieder hoch in den Himmel.
"Okay. Und was machen wir jetzt?", fragte er neugierig.
Nach kurzem überlegen, schlug ich vor "Frage-Antwort Spiel?"
"Okay. Ich fange an", beschloss er, woraufhin ich grinste. "Wie alt bist du?"
"Siebzehn, werde aber bald achtzehn. Du?"
"Achtzehn. Lieblingsfarbe?"
"Apfelgrün. Du?"
"Tannennadelgrün." Überrascht lächelte ich. "Okay. Mein Lieblingstier ist der Luchs. Und deins?", machte er weiter.
"Auch... Obwohl ich Leonberger und Wölfe auch cool finde. Lieblings Bänd, Sänger, Sängerin?"
"Keine bestimmten. Ich höre Alltagsmusik. Und du?"
"Hm", brummte ich nachdenklich und starrte einen schon leuchtenden Stern in dem etwas dunklerem Blau an.
"Ich höre viel. Da gibt es zum Beispiel Pentatonix. Das is ne Acapella Gruppe aus YouTube, die jetzt ihre eigenen CDs raus bringen. Kennst du sie?", sah ich zu ihm. Ohne auf eine Antwort zu warten, redete ich weiter und starrte wieder in den Himmel. "Dann noch Lindsey Stirling. Sie mischt Dubstep mit Geige. Wirklich geil! Dann höre ich noch gerne Shakira, Beyoncé und Evanescense. Dann noch Trap, Dubstep und-."
Verwirrt drehte ich meinen Kopf zu Sam, da er plötzlich anfing gelöst zu lachen und sich dabei den Bauch hielt. "Was ist so lustig?", fragte ich verwirrt und lächelte leicht. Er beruhigte sich langsam.
"Du redest einfach ohne Punkt und Komma", wischte er sich die Lachtränen von den Augenwinkeln und grinste mich breit an.
"Ups", kicherte ich leicht. "Wo war ich nochmal stehen geblieben?", fragte ich gespielt ernst. Sam lachte wieder leise und schüttelte den Kopf. Ich lächelte zufrieden in den Himmel hinein. Ein leichtes Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit und ließ mich aufgeregt ausatmen. Das Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr gehabt!

Wir lagen noch eine Weile so da und betrachteten den Himmel, bis es uns zu kühl wurde und wir unsere Sachen packten. Die Decke und den Korb gut im Auto verstaut, wollte Sam mir noch was tolles zeigen. Langsam gingen wir also über die Lichtung, bis in die Mitte.
„Und was willst du mir jetzt zeigen?", fragte ich und sah zu ihm hoch. Er legte lächelnd sein Zeigefinger auf seine Lippen und deutete nach vorne. Es war düster geworden und die Lichter der Stadt hinter uns gingen schon langsam an. Zögerlich schaute ich von ihm weg und in die entsprechende Richtung. Meine Augen wurden vor Faszination und Unglaube groß, als ich das vor mir sah.

Erst sah ich nur zwei Glühwürmchen, die von den langen Grashalmen aufstiegen, und dann kamen auf einmal immer mehr zum Vorschein. Sie schwirrten um uns herum und zogen helle Licht Streifen hinter sich her. Ich hielt den Atem an. Still stand ich da, weil ich Angst hatte, dass wenn ich mich jetzt bewegte, die ganze Show zu enden war. Und das wollte ich auf keinen Fall! Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Sam langsam seinen Arm ausstreckte und seine Hand öffnete. Die leuchtenden Insekten schwebten auf seine Handfläche zu. Vorsichtig machte ich es ihm nach. Schatten warf das Licht auf meine Haut, als ein kleiner Käfer auf meinem Zeigefinger landete. Lächelnd beobachtete ich, wie er seine Flügel zusammen klappte, kurz darauf wieder ausbreitete und weg flog. Verträumt sah ich ihm hinterher. Zu meiner Enttäuschung schwebten immer mehr Glühwürmchen weg, sodass die Lichtung nach wenigen Minuten wieder dunkel war.
"Das war...", murmelte ich, fand aber keinen passenden Begriff, weshalb ich kurz inne hielt.
"Unbeschreiblich schön", hauchte er. Zögerlich sah ich zu ihm hoch. Er schaute mir tief in die Augen und lächelte sanft. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht die Glühwürmchen meinte. Mit roten Wangen und einem leichten Lächeln auf den Lippen, schlug ich meine Augen nieder und nickte. Vor Aufregung raste mein Herz wie verrückt. Auf einmal spürte ich eine warme Hand an meiner. Erschrocken zuckte ich zusammen und wollte sie weg ziehen, als Sam meine Hand schnappte.
"Lass uns gehen", sagte er leise und führte mich von der Wiese hinunter. Schüchtern schaute ich auf unsere ineinander verschlungenen Hände und stolperte ihm hinterher. Wieder auf dem Pfad angekommen, ließ er zögerlich meine Hand los. Augenblicklich wurde mir kalt. Etwas traurig verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Er hatte mit mir bestimmt nur Händchen gehalten, damit ich bei der Dunkelheit nicht stürzte!
Leise hörte man das Knirschen der Steine unter unseren Sohlen, als wir zu Sams Auto zurück gingen. Zitternd rieb ich über meine kalten Oberarme. Ich hätte mir etwas wärmeres anziehen sollen!
„Ist dir kalt?", sah er mich fragend von der Seite an.
„Etwas", antwortete ich leise und lächelte milde. Er zog einen roten Stein aus seiner Hosentasche und übergab ihn mir. Er war schön poliert und glänzte im Licht des Mondes. Verwirrt beobachtete ich, wie Sam meine Hand wieder in seine nahm und den Stein zwischen unsere Handflächen platzierte. Langsam wurde er warm.
„Besser?", fragte er lächelnd.
„Ja. Danke. Aber... was ist das?", fragte ich mit roten Wangen. Am liebsten würde ich mich jetzt an seinen Arm schmiegen.
„Das ist ein mm... neues Model vom Markt, das noch nicht so verbreitet ist. Ist quasi dasselbe, wie die Taschenwärmer."
Skeptisch, aber auch leicht verwirrt, sagte ich „Okay cool", und betrachtete unsere Hände noch ein wenig. Seine wirkte so groß, im Gegensatz zu meiner!
Im Auto wurde es still und keiner sagte mehr was. Es war aber keine bedrückende oder düstere Stille, sondern eine gemütlich und angenehm fröhliche. Ich war ziemlich müde von dem Tag, weshalb mir meine Augen im Sekundentackt zufielen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht im Auto einschlief. Das wäre ja mal übel peinlich! Obwohl... Ach quatsch! Sam würde mich ganz bestimmt nicht ins Haus rein tragen, wie es immer in den Büchern stand. Schmunzelnd legte ich den roten Stein auf das Armaturenbrett. Der Tag war anstrengend, aber auch schön. Zugegebenermaßen der schönste in meinem Leben... zumindest mit einem Jungen. Na gut. Das war ja auch das erste mal, dass ich etwas alleine mit einem Jungen unternahm. Wie schon gesagt. Ich hatte bis jetzt nie wirklich was mit Jungs zu tun. Lag wohl an meiner Schüchternheit und Verunsicherung.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als wir vor meinem Haus standen. Sam stieg gleichzeitig mit mir aus und half mir meine Taschen vom Shoppen mit rein zu bringen. Damit fertig standen wir draußen vor meiner Haustür und wussten nicht, was wir sagen sollten.
„Das war ein schöner Tag", sagte ich leise und sah schüchtern auf den Boden.
„Ja, hab ich es bei dir immer noch verkackt?", grinste er mich an.
Leise lachend antwortete ich "Nein hast du nicht."
Stille herrschte zwischen uns. Unsere Blicke begegneten sich.
„Also, ich geh dann mal rein", zeigte ich hinter mich und drehte mich schon leicht um. Doch plötzlich räusperte sich Sam und sagte meinen Namen. Neugierig drehte ich mich leicht zu ihm um. Sam packte mich an meinem Handgelenk und zog mich zu sich heran. Überrumpelt stolperte ich die paar Stufen vor der Haustür hinunter und knallte gegen sein Brustkorb. Warme Lippen drückten sich sanft auf meine Wange. Aufgeregt sah ich auf.
„War schön, vielleicht können wir das ja mal wiederholen", hauchte er lächelnd gegen mein Gesicht. Ich bekam rote Wangen.
Perplex stand ich da und schaute zu, wie Sam sich von mir löste, ins Auto einstieg und weg fuhr. Verwirrt, aber auch glücklich fasste ich mir an die Wange und ging langsam in das Haus hinein. Vielleicht war das Händchen halten doch nicht nur wegen der Gefahr zu stürzen!

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