Kleiner Freund

Kapitel 10

Verwirrt blinzelte ich und sah langsam auf. Meine Flügel hatten sich vor mir gekreuzt und schirmten somit die Sonne ab, die mich blendete. Ich musste echt noch lernen mit meinen Flügeln umzugehen!
Ein Schatten tauchte in meinem Sichtfeld auf. Erschrocken sah ich hoch. Der Junge sprang über meinen Kopf und landete ein paar Zentimeter vor meinem Rücken. Während ich erschrocken zu ihm nach hinten sah, faltete ich meine Flügel wieder zusammen und stolperte unbeholfen nach vorne, weshalb das Eis an meinen Füßen leise krachend brach. Mit einem Schritt war er bei mir.
„LYRAMIO", schrie ich unbewusst, wirbelte zu ihm herum und streckte meine Hände vor meinen Körper aus. Wind kam von allen Richtungen auf mich zu, sodass die Blätter laut in den Bäumen raschelten. Die Luft sammelte sich zu einer Fußball großen, weiß leuchtenden Kugel in meiner Hand. Ich merkte, wie der stark pfeifende Wind an meinen Klamotten und Haaren zerrte. Die Augen des Jungen wurden groß vor Panik, während er nach hinten stolperte. Alle Kraft wich aus meinen Armen, wodurch ich die Kugel in meinen Händen los ließ und nach hinten fiel. Doch bevor sie überhaupt meine Hände verlassen konnte, tauchte Sam plötzlich hinter mir auf, hinderte mich mit seiner Hand an meinem Rücken am Fallen, und schlug mir im letzten Moment die Windkugel aus der Hand, sodass sie links neben mir im Wald laut aufkam. Sie bretterte alle Bäume nacheinander nieder und hinterließ eine gerade Linie umgefallener Bäume. Anschließend hörte man, wie die Kugel ohrenbetäubend laut in einen großen Felsen einschlug, die Krone des Abhanges hinunter rutschte und auf dem Boden aufkam. Entsetzt starrte ich auf die liegenden Bäume und dann auf meine Hände. Am Rande meines Unterbewusstseins spürte ich Sams warme Hände an meinen Schultern und seine besorgte Stimme.
"Layla? Alles okay mit dir?", hörte ich ihn wie durch eine Wand zu mir sagen. Seine Stimme klang so weit weg. Der Wind hörte langsam auf zu wehen.

Oh mein Gott! Was hatte ich nur getan? Ich hätte beinahe einen Jungen getötet! Erstarrt stand ich da und blickte emotionslos auf den Boden. Langsam liefen mir Schocktränen die Wangen hinunter und tropften an meinem Knie hinunter auf den Boden, der nun mit Laub bedeckt war. Ruckartig riss ich mich von Sam los und spreizte meine Flügel. Ich wollte hier einfach nur weg. Wie sollte ich ihm jetzt noch in die Augen blicken können? Er dachte bestimmt, dass ich ein Monster war!

Leicht ging ich in die Hocke und sprang hoch. Gleichzeitig schlug ich kräftig mit meinen Flügeln. Schwankend flog ich über die Schule und die vielen Bäumen hinweg. Immer wieder stürzte ich etwas ab, da ich es noch nicht gewohnt war zu fliegen und der Wind mich aus dem Gleichgewicht brachte. Herzzerreißende Schluchzer verließen meinen Mund, als ich irgendwann durch die Baumkronen stürzte und hart auf dem Boden aufprallte. Kraftlos ging ich mit meinen Oberkörper leicht nach oben, in dem ich meinen rechten Unterarm auf den Boden abstützte und meinen linken Arm auf das weiche Moos stemmte. Leicht zog ich meine Beine an. Ich wusste nicht wo ich war.
Die Kälte und Nässe des Untergrundes drang durch meine Kleidung, weshalb ich fröstelte. Meinen Kopf hatte ich leicht nach vorne gelegt, sodass mir meine Haare ins Gesicht fielen und meine Sicht versperrten. Schniefend wischte ich mir mit meinem Handrücken über die Augen, um wieder klar sehen zu können. Wie sollte ich denn jetzt wieder nach Hause kommen? Das wegfliegen war eine ganz beschissene Idee von mir gewesen! Ich rümpfte die Nase und starrte vor mich auf das Moos. In das dunkelgrün mischte sich eine dunkel rote, glänzende Farbe. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was war denn das? Mit meinen Augen folgte ich der Spur und blieb an einem großen, schwarzen Körper hängen. Erschrocken sog ich die frische Waldluft, gemischt mit dem metalligen Blutgeruch, ein und kippte nach hinten. Hastig schob ich mich mit meinen Händen, die sich seitwärts von meinem Rücken abstützten, nach hinten. Als ich aber merkte, dass es der Hintern eines Wolfes war und dieser sich nicht rührte, hielt ich in meiner Bewegung inne. Warum bemerkte er mich nicht? Konzentriert starrte ich auf seinen Bauch. Seine Atmung war flach und abgehackt. Vorsichtig stand ich auf und ging zögerlich auf den Körper zu, welcher an einem Baum lehnte. Ich schlich seitwärts an dem Wesen vorbei und versteckte mich hinter einem Baum. Der Unterleib des Tieres war Blut übersät. Entsetzt starrte ich die Lache unter seinem Körper an. Das er noch lebte, war wirklich ein Wunder! Plötzlich vernahm ich einen leisen, quengelnden Laut. Es hörte sich wie ein Bellen von einem Huskybaby an. Neugierig kroch ich langsam an den Körper heran. Vor dem Bauch des Wolfes lag ein kleiner Welpe, der von Schleim, Blut und einer dünnen Hautschicht bedeckt war. Mitleidig sah ich ihn an. Also war der Wolf ein Weibchen! Langsam wanderte mein Blick an dem Körper der Wölfin entlang und blieb an ihren grünen Augen hängen, die mich stur anstarrten. Erschrocken hielt ich die Luft an. Sie hatte mich bemerkt!
„Na“, hörte ich es langgezogen vor mir quieken. Mein Blick glitt ruckartig zu dem Welpen.
„Pass auf ihn auf“, hallte eine hohe Stimme in meinem Kopf. Ich sah wieder zu der Wölfin und blinzelte ein paar mal, bis ich ihre Worte verstand.
„Nein. Das geht nicht. Wirklich. Ich kann doch-“, versuchte ich mich hektisch raus zu reden.
„Bitte“, flehte sie leise. „Nur so lange, bis er seinen Gefährten gefunden hat.“
„Ich...“, fing ich zögerlich an und schaute verzweifelt und unsicher auf den Welpen. Sollte ich ihr den Gefallen tun? Ihre letzte Bitte, bevor sie starb, erfüllen? Ich atmete tief ein und sammelte meine Gedanken.
„... Ich mache es. Wenn es dein letzter Wille ist“, nickte ich und sah sie wieder an. Ich wollte sie nicht in der Gewissheit sterben lassen, dass ihr Kind hier alleine im Wald blieb. Das würde mich mein ganzes Leben lang verfolgen und für Jahre Schuldgefühle fühlen lassen. Langsam schloss sie ihre Augen.
„Danke“, hauchte sie, bevor ihre Lider ganz zu fielen. Mit großen Augen starrte ich sie an. War sie tot?
„Wölfin?“, fragte ich leise. „Hallo?“, sagte ich nun etwas lauter und krabbelte leicht auf sie zu. Oh bitte lass sie nicht tot sein! Hoffnungsvoll schaute ich auf ihren Bauch. Keine Regung.
„Oh nein! Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte ich leicht in Panik. Erst jetzt wurde mir klar, was für eine Verantwortung ich auf mich genommen hatte. Hektisch sah ich mich um. Keiner zu sehen. Wie auch? Wir waren mitten im Wald! Über meine Dummheit rieb ich mir über die Stirn und schloss kurz die Augen. Was sollte ich denn jetzt tun? Ich konnte den kleinen doch nicht mitnehmen. Wer sollte sich um ihn kümmern? Ich hatte doch gar keine Zeit für einen Welpen, da ich in die Schule gehen musste! Andererseits konnte ich ihn aber auch nicht hier lassen. Er würde verhungern oder von anderen Wesen gefressen werden.
Völlig durcheinander atmete ich aus und schlug meine Augen wieder auf.
„Mama“, jaulte der kleine wieder. Ich beugte mich zu der Blutlache hinüber. Gleichzeitig hielt ich die Luft an, da das Blut mich sonst zum Kotzen bringen würde. Mit zittrigen Fingerspitzen entfernte ich die dünne Hautschicht von seinem kleinen Körper.
„Na komm“, murmelte ich und holte das handgroße Bündel aus dem Blut und Schleim heraus. „Machen wir dich mal sauber“, hob ihn etwas von mir entfernt hoch und ging zu einer großen Fläche voller Laub. Sanft setzte ich ihn ab und rieb ihn mit dem Laub trocken. Einzelne Stücke der vertrockneten Blätter hingen nun in seinem immer noch etwas nassen Fell. Immer wieder bewegte er seinen Kopf oder seine Pfoten langsam und versuchte zu gehen. Doch jedes mal knickte er daraufhin tollpatschig ein. Leicht musste ich lächeln. Welpen waren einfach so süß! Mein Blick wanderte zu dem leblosen Körper ein paar Meter von mir entfernt. Ich konnte sie doch nicht einfach so dort liegen lassen! Das war meiner Meinung nach entwürdigend. Während der kleine Welpe versuchte ein paar Schritte zu gehen, sammelte ich Zweige, Laub und Moos ein. Dabei ließ ich den Kleinen keine einzige Sekunde aus den Augen. Vorsichtig schmiss ich das Laub auf die Wölfin, damit es das Blut aufsaugte, ließ aber den Kopf aus. Danach bildete ich mit den Zweigen einen Kranz um sie und legte das Moos auf ihren Körper. Leider gab es hier keine Blumen, sonst hätte ich sie noch zwischen die Zweige gesteckt. Zufrieden mit meiner Arbeit nickte ich. Es roch nun auch nicht mehr so ekelhaft nach Blut, sondern nach Moos.
Schnell schritt ich zu dem Welpen zurück und hob ihn hoch. Angeekelt rümpfte ich die Nase. Er stank abartig! Versuchend sanft, flog ich durch die Baumkronen und suchte eine Wasserstelle, um ihn sauber zu machen. Es war wirklich anstrengend zu fliegen. Meine Muskeln im Rücken wurden ganz schön angespannt und zitterten deswegen, doch nach einigen Minuten ging es immer leichter! Durch die fast kahlen Bäume glitzerte mir etwas entgegen. Hoffnungsvoll flog ich darauf zu und lächelte, als ein kleiner See vor mir lag.
„Naaa“, quiekte der Welpe auf. Ich lächelte.
„Uahh“, rief ich, als ich unbeholfen auf den trockenen Boden landete und ein paar Schritte vorwärts stolperte. Vor Schreck quiekte der Kleine in meinen Armen auf. Erleichtert atmete ich aus, als ich stabil stand und lockerte meinen Griff um den Körper des Welpen. Mit schnellen Schritten ging ich mit ihm an das Ufer und setzte ihn in das flache Wasser.
„Dann wollen wir dich mal sauber machen“, sagte ich lächelnd zu ihm und schaufelte mit meiner rechten Hand die kühle Flüssigkeit immer wieder auf sein Fell, während ich ihn mit meiner linken Hand unter dem Bauch fest hielt. Hektisch fing er an mit seinen Füßen im Wasser zu paddeln.
„Ist gut. Ist nur Wasser. Gscht“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Und tatsächlich wurde er ruhiger. Das Wasser färbte sich langsam rotbraun. Sein Fell nahm die Farbe von Pechschwarz an. Etwas hartes streifte meine Fingern, als ich über seinen Rücken strich. Verwirrt sah ich genauer hin. Kleine Flügel lagen an seinem Rücken an und waren fast nicht zu erkennen. Wie süß! Ob die Respekt-Regel auch bei diesen Wölfen galt? Ich seufzte frustriert auf. An diesem Thema kam man in dieser Welt wohl nicht vorbei.
Bilder, wie meine Windkugel auf den schwarzhaarigen Jungen zuflog und seine Augen sich vor Schreck und Angst weiteten, schossen an meinen inneren Augen vorbei. Eine warme Träne lief meine rechte Wange hinunter.
„Ich bin so ein Monster“, murmelte ich, meine Stimme von den hoch kommenden Tränen erstickt. Ich ließ mich auf meinen Po fallen. Schlapp hingen meine Arme im Wasser, hielten aber noch immer den Welpen schützend über der Wasseroberfläche. Während Hickser meinen Körper durchschüttelten und ich schniefend meine Nase hoch zog, beobachtete ich durch den Schleier meiner Tränen, wie der Kleine langsam seine Lider öffnete. Die gelben Sprengel, die in seinen hell, ja schon fast immergrünen Augen lagen, zogen mich in einen Bann. Sie hatten so viele Muster und Abzweigungen, dass ich fast glaubte Stundenlang davor sitzen zu können und immer noch nicht alle Wege und Tiefen erkundet zu haben.
„Wie soll ich den anderen jetzt noch gegenüber treten?“, fragte ich den Welpen schluchzend. Fragend legte er den Kopf leicht schief und spitze seine runden Ohren.
„Ich werde eine Ausgestoßene sein! Niemand will mit mir befreundet sein und Sam wird mit mir bestimmt auch nicht mehr reden.“ Der Welpe hielt ganz still und sah mich aufmerksam an. Ich wusste nicht, warum ich mit ihm sprach. Es fühlte sich so normal und nicht verrückt an. „Und zurück kann ich auch nicht mehr“, fiel es mir ein, weswegen ich anfing lauter zu weinen. Immer mehr Tränen benetzten meine Wangen und ließen sie leicht im Licht schimmern. Ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen. Im schlimmsten Falle würde ich ins Gefängnis kommen, da ich die dritte Regel gebrochen hatte: Verwende deine Kraft nicht gegen andere.
„Mama“, quiekte der Welpe wieder und streckte seinen Kopf in meine Richtung. Langsam beruhigte ich mich und sah ihn aufmerksam an. Zittrig holte ich tief Luft. Weinen brachte mir jetzt auch nichts! Ich musste mich jetzt erst mal um den kleinen kümmern.
„Mana?“, jaulte er wieder. Es sah wirklich süß aus, wenn er seine kurze, aber runde Schnauze auf machte und bellte. Sein Schwanz wedelte freudig im Wasser herum und spritze somit ein paar Tropfen in meine Richtung.
„Tut mir leid kleiner, aber ich bin nicht deine Mutter“, schüttelte ich traurig den Kopf. Vorsichtig hob ich ihn aus dem Wasser und rubbelte ihn mit meinem Pulli etwas trocken. Er zappelte wie verrückt, grummelte herum und befreite sich schlussendlich aus meinem Griff. Schmunzelnd beobachtete ich, wie er wankend von meinem Schoß hinunter plumpste und sich leicht schüttelte. Schnell hielt ich mir eine Hand vor das Gesicht, um nicht nass zu werden. Als er aufhörte, ging er schwankend auf mich zu und setzte seine Vorderpfoten auf meine Oberschenkel ab. Mit Kulleraugen schaute er zu mir auf. Leicht lächelnd hob ich ihn unter den Achseln zu mir auf den Schoß. Auf diesem rollte er sich dann zusammen. Ruhig betrachtete ich seine regelmäßige Atmung und streichelte sanft seinen Kopf.
„Du bist ab jetzt mein neuer kleiner Freund“, flüsterte ich ihm grinsend ins Ohr. Ich wollte schon immer einen Hund haben. Da aber mein Vater gegen Tierhaare allergisch war, konnten wir uns keinen holen. Und extra gezüchtete Hunde wollte ich nicht. Ich fand es Tierquälerei. Die Weibchen wurden immer gedeckt und waren fast immer schwanger. Außerdem war der Deckackt immer mit Stress und Anstrengung verbunden!

Langsam schlug er seine Augen auf und schaute zu mir hoch.
„Für dich muss ich mir ja noch ein Name ausdenken“, rief ich überrascht aus, als es mir einfiel. Ich überlegte, wodurch ich auf seinen Kopf starrte. „Wie wäre es denn mit Milo?“, schaute ich wieder in seine Augen. Er legte seinen Kopf schief und wedelte erfreut mit seinem buschigen Schwanz.
„Nein. Das passt nicht. Das ist zu normal. Wie wäre es mit... Mino, Milu, Puk, Ash, Max, Piko, Lenny, Tom, Tim, Manu, Finn?” Verzweifelt schaute ich ihn an. Es passten alle Namen nicht zu ihm. Sie waren, wie ich fand, zu normal. Während dem Sprechen sah er mich aufmerksam an und hörte mit gespitzten Ohren zu. Tollpatschig rutschte er nun von meiner Hose hinunter und wankte ein paar Meter von mir weg. Verwundert und neugierig stand ich auf und ging ihm hinter her.

Nach Minuten lief er immer sicherer und breitete mehrere Male seine Flügel aus. Sie waren süß klein. Doch mit ihnen könnte er bestimmt nicht fliegen. Wenn eine Windboe kommen würde, würde er einfach weg geweht werden. Wie ein Blatt im Wind!
Schnuppernd hielt er die Nase zum Boden hin gerichtet, bis er vor einem Fleck Erde stehen blieb, auf dem kein Laub lag. Laut las ich vor, was er nun mit seiner Pfote auf den Boden schrieb. „K-A-N-D-O-R. Kandor?"
Zustimmend bellte er und hüpfte auf dem Laubteppich, der überall verbreitete vor dem Seeufer lag, herum. Während ich ihn dabei beobachtete, schlich sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Er war energiegeladen. Das mochte ich sehr!

Vorsichtig setzte ich mich auf den kühlen Boden und sah Kandor beim Laufen zu. Zweimal versuchte er hoch zu fliegen, weshalb ich verunsichert und ein wenig ängstlich aufstand, doch nach ein paar Zentimetern über dem Boden fiel er wieder nach unten. Zum Glück gab es genug Laub zum Polstern, sonst müsste ich ihm hinterher rennen.
Ein Hämmern in meinem Kopf ließ mich das Gesicht vor Schmerzen kurz verziehen. Jetzt bekam ich auch noch Kopfschmerzen! Na toll! Frustriert atmete ich aus und massierte meine Stirn.
Hechelnd stand Kandor einen Augenblick später vor mir und schaute mich an. Lächelnd beugte ich mich zu ihm hinunter und streichelte seinen Kopf. Sein Fell war seidig weich.
„Du bist jetzt mein kleiner Kandor“, murmelte ich fröhlich. Genüsslich schloss er die Augen und streckte seinen Kopf meiner Hand entgegen.

~ ¤ ~

Ich genoss mit ihm noch ein paar Stunden in der warmen Herbstsonne, bis wir uns fertig machten, um zurück zu fliegen. Als ich ihn hoch heben wollte, lief er von mir weg. Verwirrt sah ich ihn an.
„Was ist denn Kandor?“ Er bellte einmal laut und lief los. Plötzlich sprang er hoch und breitete seine Flügel aus. Gleichdarauf schlug er kräftig mit ihnen und schwebte Sekunden später in der Luft. Verunsichert beobachtete ich ihn dabei. Ob das gut ging?
Auf einmal geriet er ins Schwanken und verlor sein Gleichgewicht. Hastig lief ich los, schlug einmal mit meinen Flügeln, sodass ich leicht vom Boden abhob, und fing ihn sanft in der Luft auf.
„Das war knapp“, nuschelte ich erleichtert, als ich auf dem Boden aufkam und ihn in meinen Händen hielt. „Du bleibst jetzt in meinem Arm“, sagte ich streng. Er winselte schuldbewusst und senkte die Ohren.
Seufzend streckte ich meine Flügel aus und schlug ein paarmal mit ihnen, um meine Muskeln im Rücken zu lockern. Anschließend schlug ich mehrmals mit meinen Schwingen und schoss hoch in den Himmel. Blitzschnell brach ich durch die Wolkendecke hindurch und hielt gleichdarauf einen Moment innen, um die Sonnenstrahlen zu genießen, die auf meiner Haut kitzelten. Kandor lehnte an meinem Bauch - meine Hände unter seinem kleinen Körper - und wärmte sich an meinem Pulli auf. Sanft lächelte ich ihn an und flog mit ihm über die Wolken hinweg -  auf der Suche nach der Schule.

~ ¤ ~

Tief atmete ich die erfrischend kühle Luft ein, die nach Tau roch, und genoss den Wind zwischen meinen Flügeln. Immer, wenn ich mit ihnen Schwung holte, ging ein leichtes Kribbeln durch meinen Bauch, das mich am liebsten euphorisch aufschreien ließe. Doch ich tat es Kandor zu liebe nicht. Er hatte ein sehr sensibles Gehör und nahm dadurch alles viel intensiver wahr.

Abrupt wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als der Welpe plötzlich anfing, wie verrückt mit seinen Pfoten zu strampeln. Erschrocken geriet ich aus dem Gleichgewicht und ließ den kleinen Welpen dadurch unabsichtlich los. Wind peitschte mir um das Gesicht und pfiff laut in meinen Ohren, als ich Meter für Meter abstürzte. Ein unerträglicher Schmerz machte sich in meinen Flügeln breit. Sie wurden verbogen und in alle Richtungen geschleudert.
„Kandor“, schrie ich in Panik und Angst, als ich in dem Durcheinander von Farben einen schwarzen Punkt in die Tiefe stürzen sah. Kräftig schlug ich mit meinen Flügeln, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Hektisch sah ich mich nun um. Mein Herz pochte mir vor Aufregung bis zum Hals, während Angstschweiß meine Stirn benetzte. Als ich Kandor nicht erblickte, raste ich instinktiv nach unten durch die Wolkendecke und suchte mit den Augen den Himmel ab.
„Kandor“, schrie ich schrill - im Hintergedanken, dass er schon tot unten auf dem Boden lag. Plötzlich huschte etwas schwarzes an mir vorbei, wodurch ich heftig zusammen zuckte.

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