Die Geburt

Kapitel 6

„Versuch regelmäßig zu atmen. Dann wird es etwas besser. Und halte nicht die Luft an", sagte er. Ich nickte und schluchzte kurz auf. Das schlimmste war nicht das Brennen, das nach dem Stechen kam, sondern das plötzliche Erscheinen der Schmerzen. Es war wie ein heißer Blitz, der mir mein Fleisch von innen verbrannte. Ich merkte, wie sich etwas weiches durch meinen Rücken bohrte und somit meine Haut durch stieß. Verzweifelt schrie ich auf. Langsam ließ ich mich zu Boden gleiten. Meine Beine fühlten sich nicht mehr so an, als würden sie mich halten können. Der braun haarige Junge ging mit mir hinunter und kniete nun vor mir. Nur gedämpft hörte ich, wie er etwas mit Mona besprach.
Plötzlich zog mich Sam sanft auf seinen Schoß, klemmte seine Arme unter meinen Po und hob mich vorsichtig hoch. Reflexartig schlang ich meine Beine um seine Taille und legte meine Hände in seinen Nacken, damit ich nicht nach hinten kippte. Zusammen rannte er mit mir davon, dicht gefolgt von Mona.
Meine Sicht war verschwommen von den vielen Tränen in meinen Augen. Unklar erkannte ich Silhouetten von Menschen auf der Straße.
„Sam. Was passiert denn mit mir?", fragte ich ängstlich und schluchzte tief auf. Ich schrie in Sams Ohr, als ich merkte, wie meine Haut mehr aufriss und sich etwas großes hinaus schob. Er zuckte zusammen. Stoß weise atmete ich ein und aus.
„Du bekommst Flügel", antwortete er.
Schockiert riss ich meine Augen auf und rief „WAS?" Doch lange blieb mir keine Zeit, um darüber nachzudenken, da die Schmerzen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen.
„Ich weiß, dass ist Unglaublich. Aber mach dir keine Sorgen, es wir dir bald geholfen“, versuchte Sam mich zu beruhigen. Er atmete schwer. Sein warmer Atem kitzelte meinen Nacken, sodass sich meine Härchen aufstellten. Schluchzend nickte ich unmerklich mit dem Kopf. Verkrampft hielt ich sein weiches Hemd in meinen verschwitzten Händen. Mir klebten einzelne Strähnen im Gesicht herum und Schweißperlen tropften meine Stirn herunter. Ich schloss meine Augen. Das auf und ab von Sams Rennen beruhigte mich etwas.

~ ¤ ~

Ich hatte mein Zeitgefühl vollkommen verloren, als Sam stehen blieb. Mit halb geschlossenen Lidern sah ich hinter mich.
„Ich muss sofort zu meinem Vater!", sagte Sam gehetzt zu zwei, in Stahlrüstungen stationierten Männern, die rechts und links, mit Lanzen, an drei Meter hohen Stahlflügeltüren standen. Er schnaufte schwer, den Kopf nach vorne gedreht. Die zwei Männer sahen mich komisch an und drückten dann die Türen auf. Schnell lief Sam weiter. Er sprintete schon fast durch einen langen Gang, der rechts und links runde sowie weiße Säulen hatte. Sie hielten ein langes Dach, das spitz nach oben zu lief. Laut hörte ich Sams schwere Schritte, auf dem glatten Marmorboden, in meinen Ohren widerhallen. Weiße Mauern umgaben eine große Wiese, die auf beiden Seiten des Ganges angelegt war. Warme Sonne schien nun auf meinen Rücken, als wir abrupt vor weiteren, aber kleineren Flügeltoren stehen blieben. Sie waren aus massivem Ebenholz und hatten goldene Griffe. Ohne zu klopfen, stürmte er in einen riesigen Saal hinein.
Ein großer linsenförmiger Ebenholztisch stand in der Mitte und war von unzähligen Stühlen umgeben, auf denen Leute in schicken Anzügen saßen. Einzig und allein am Ende des Saales standen zwei große majestätisch aussehende Stühle, daneben jeweils zwei kleinere. Sie waren mit weißen Seidenkissen gepolstert. Auf den zwei großen Stühlen saßen ein Mann und eine Frau, die nun empört auf standen.
„Sam, was fällt dir ein meine Besprechung zu stören?", donnerte die wütende Stimme des Mannes durch den Saal.
„Hat dir Kay oder Alex nicht Bescheid gesagt? Egal! Vater, du kannst nachher alles mit mir klären, aber bitte helfe Layla vorher. Sie hat furchtbare Schmerzen!" Wie aufs Stichwort überkam mich eine weitere Welle Schmerzen, sodass ich qualvoll aufschrie. Mein Hals tat unfassbar weh und fühlte sich rau an. So Halsschmerzen hatte ich noch nicht mal von einem geilen Konzert meines Lieblingssängers. Flehend schaute Sam seine Eltern an. „Bitte...", flüsterte er.
Trotz, dass er nur leise gesprochen hatte, hallte dieses eine Wort im Saal umher. Die Frau kam mit eleganten Schritten auf uns zu und befahl Sam mich runter zu lassen. Langsam ließ er mich an sich hinunter gleiten und setzte sich vor mich hin. Kraftlos sackte ich in mir zusammen. Seine Mutter - vermutete ich - ließ sich neben ihm nieder und schaute mir in die Augen. Ihre grell grüne Iris, mit braunen Sprengel, erinnerten mich an Sams Augen. Nur das sie mehr braun drin hatten. Vorsichtig legte sie ihre kühle Hand auf meine verschwitzte Stirn und zog sie gleich darauf wieder zischend zurück. Bedauernd starrte ich sie aus dem Schleier meiner Tränen an. Ihre Hand war so schön kalt!
„Bringt mir kaltes Wasser und saubere Laken. Und zwar sofort!", schrie sie in den Saal hinein. Sams Hände, an meinen Schultern, merkte ich durch das immer stärker werdende Brennen in meinem Rücken gar nicht mehr. Mein Blick war einfach nur starr auf den roten Teppichboden unter mir gerichtet. Ich fühlte mich so kraftlos. So schlapp. Als hätte ich seit Tagen nicht mehr geschlafen, fielen mir immer wieder meine Augen zu.
Ein paar Sekunden später kamen, hinter roten Wandteppichen, Bedienstete hervor und gaben ihr die Sachen. Verwundert beobachtete ich, wie sie wieder verschwanden.
„Mutter, was machst du?", fragte Sam sie. Stumm tunkte sie die Laken in das Wasser, faltet sie zusammen und drückte sie auf meine Stirn. Zufrieden seufzte ich auf. So schön kalt.
„Sie hat Fieber und das muss gesenkt werden", erklärte sie ihrem Sohn ruhig. Er nickte und fragte, wie er helfen konnte. Die Angesprochene drückte ihm nasse Lappen in die Hand, sodass er eine Schulter von mir los ließ, und zeigte auf meinen Rücken. Vorsichtig legte er mich auf den Teppich. Ich kippte leicht zur Seite. Mit schnellen Schritten ging er um mich herum, zog mein T-Shirt hoch und legte die Lappen zwischen meine Schulterblätter. Es war mir völlig egal, ob er jetzt meinen BH sah oder nicht! Ich wollte einfach nur, dass diese Schmerzen aufhörten!
Zischend atmete ich aus, als ich das Wasser auf meiner aufgerissenen Haut spürte, und starrte ihn über meine Schulter an. Was ich da sah, ließ mich die Luft ein atmen.
„Ach du scheiße", presste ich mit zusammen gebissenen Zähnen hervor. Zwischen meinen beiden Schulterblättern lugten viele braune Federspitzen heraus. Blut lief an meinem Rücken herunter und verfing sich in meiner Hose. Entsetzt schaute ich zu Sam auf.
„Es ist alles okay Layla. Das ist... normal", versuchte er mich zu beruhigen. Normal? DAS war doch nicht normal!
Angst, um das was als nächstes passierte, fragte ich mit rauer Stimme „Wie stark werden denn die Schmerzen sein?" Sam sah verunsichert zu seiner Mutter, die neben meinem Kopf saß. Ich folgte seinem Blick.
„Es ist so Layla. Das mit den Flügeln ist wie eine Geburt. Zuerst kommen die Wehen, was bei dir die Schmerzen sind, und dann musst du deine Flügel raus drücken. Deswegen musst du auch unbedingt wach bleiben, sonst bleiben deine Flügel für immer in deinem Rücken und verenden in dir. Das ist sehr schmerzhaft, auch mit Rückenschmerzen zu vergleichen. Nur noch viel schlimmer", erklärte mir die Frau ernst. Wie aufmunternd!
Schluckend verdaute ich die vielen Informationen. Ein neuer Schub ließ mich stark zusammen zucken, immer wieder verkrampfen und „FUUUCCCKKK", schreien. Tränen rannen meine Wangen hinunter und verschleierten meine ohne hin schon schlechte Sicht. Sam kniete sich vor mich hin und nahm meine Hände in seine. Sie fühlten sich, im Gegensatz zu meinen, so kalt an, weshalb ich eine Gänsehaut bekam. Die Schübe kamen immer schneller und schmerzhafter. Ich schrie bei jedem mal, wie am Spieß, auf. Immer wieder legten sie mir die nassen Laken auf meinen Rücken und auf die Stirn. Die Stoffe waren schon längst nicht mehr weiß, sonder rot, durch mein Blut.
Eine halbe Stunde voller Schmerzen, legten sich die Schübe wieder und ließen ein wohliges Kribbeln meinen Rücken hinauf wandern. Meine Muskeln entspannte sich automatisch, weshalb mein Kopf leicht nach hinten rollte und ich meine Hände wieder lockerte. Die Augen geschlossen atmete ich tief durch. Sam müsste jetzt eigentlich seine Hände gebrochen haben. So wie ich ihn festgehalten hatte!
„So Layla. Jetzt kommt die schwierige Phase. Du musst jetzt drücken. Verstanden?", hörte ich Sams Mutter neben mir sagen. Ein schwaches Nicken von mir. Sam fasste mir sanft unter meine Achseln und zog mich zu sich hoch. Meine Arme hingen schlapp an meinen Seiten herunter, während mein Kopf auf seiner Schulter ruhte. Nun band er meine Haare zu einem hohen Zopf zusammen. Dankend blickte ich in seine Augen und legte meine Hände auf seine Schultern.
Mittlerweile waren die ganzen Leute, die an dem Tisch saßen, raus gegangen. Langsam verwandelte sich das angenehme Kribbeln in einen unangenehmen Druck um.
Sam reichte mir eine Flasche Wasser und befahl „Trink. Das wird dir gut tun." Gehorsam trank ich die Flasche in großen Zügen leer und gab sie ihm zurück. Mit meinem Handrücken wischte ich mir das Wasser von den Mundwinkeln weg.
Der Druck verstärkte sich, weshalb ich automatisch drückte. Mit geweideten Augen und mein Mund zu einem stillen Schrei geöffnet, merkte ich, wie etwas hartes aus meinem Rücken hinaus rutschte und meine Haut somit mehr aufriss.

~ ¤ ~

„Es ist vorbei", teilte mir Sam mit. Erleichtert atmete ich aus und hielt meine schweren Lider mit Mühe offen. Vorsichtig löste ich mich von Sam und stand mit seiner Hilfe schwankend auf. Durch die vielen Fenster, oberhalb an den Wänden, schien das Mondlicht in den Saal. Ich hatte wohl sehr lange gebraucht um meine Flügel zu bekommen.
„Das hast du gut gemacht. Ich bin stolz auf dich", hallte es in meinem Kopf wieder. Verwirrt drehte ich mich um.
Vor mir standen Mona, Alex und Kay. Schwach lächelte ich die drei an, bevor mir schwarze Punkte die Sicht versperrten. Ich bekam nur noch mit, wie mich zwei starke Arme auffingen, als ich zu Boden stürzte und in die erlösende Ohnmacht fiel.

~ ¤ ~

„Layla... Layla...", flüsterte eine sanfte Stimme in mein Ohr. „Wach auf. Es ist Zeit zu erwachen." Langsam schlug ich meine Augen auf und blickte mich müde sowie verwirrt um. Mein Blick wanderte an mir herunter. Um meine Brüste waren Verbände geschlungen und ersetzten somit meinen BH. Mit Jogginghose lag ich in einem weißen Himmelsbett und war mit vielen Decken zugedeckt. Ein großes Fenster, links von mir, stand sperrangelweit offen und ließ die am Bettpfosten befestigten sowie weißen Seidentücher im kühlen Wind wehen. Mondlicht schien in mein Zimmer hinein und erhellte den Raum.
Leise schlug ich die Decken von mir und trat an das Fenster.
„Layla!" Erschrocken drehte ich mich zu der Stimme um.
In einem Schaukelstuhl, nicht weit von mir entfernt, saß eine junge Frau im Alter von ungefähr zwanzig Jahren und häkelte irgendetwas. Sie hatte stechend blaue Augen mit blau, lila, grauen Haaren, die im Licht leicht grünlich, rosa schimmerten. Ein weißes Bikini Oberteil sowie ein Tuch, dass um ihre Hüfte geschwungen war und mit einem Golden Ring zusammen gehalten wurde, zierte ihren sonst so nackten, blassen Körper. Ein goldenes metallisches Muster hielte das Oberteil an ihrem Platz und verzierte ihr Dekolleté auffällig gut. Dieses Muster wiederum war mit dem Ring an ihrer Hüfte verbunden und formte so eine Kette. An ihrem Arm schlangen sich goldene Ranken hoch zur Schulter. Von dem Ring in der Mitte ihrer Hüfte gingen weitere Ketten rechts und links aus, die sich um ihre Taille zu einem ganzen verbanden.
„Wer sind Sie?", fragte ich misstrauisch, während ich das Fenster langsam zu machte. Plötzlich ging ein Feuer im Kamin, gegenüber von meinem Bett, an und flutete den Raum in ein warmes, rotes Licht. Sie hörte auf zu häkeln und legte die Nadeln neben sich auf ein kleines Schränkchen.
„Ich bin Yuna, die Mondgöttin", sagte sie ruhig und stand von ihrem Stuhl auf. Elegant ging sie auf mich zu und blieb vor mir stehen. Verunsichert machte ich einen Schritt zurück. Eine Göttin? Krasse scheiße!
„Und was wollen Sie von mir?" Sanft lächelte sie mich an und deutete auf eine der zwei roten Couches, die in der Mitte des Raumes, rechts und links vor dem Kamin standen.
„Komm, setze dich. Ich will dir eine Geschichte erzählen." Zögernd ließ ich mich auf die rechte Couch fallen. Die Frau schritt mit fließenden Bewegungen auf die linke Sitzgelegenheit zu und ließ sich elegant in die Polster fallen.
„Es war einmal ein hübsches Mädchen, mit braunen seidigen Haaren und strahlend grünen Augen, namens Melody. Sie war die Tochter der Mondgöttin Yuna und wuchs im Reiche Meldo auf. Sie war beliebt, schön, mächtig und gut erzogen.
Eines Tages rief ihre Mutter Melody zu sich, um mit ihr was zu besprechen. Als sie dann zusammen am Tisch saßen, sagte ihre Mutter „Melody mein Kind. Du bist nun soweit, um auf die Erde geschickt zu werden."
Verwirrt schaute Melody Yuna an. „Mutter ich verstehe nicht!", schüttelte sie den Kopf.
Yuna stützte ihren Kopf in ihre Hände und begann zu erzählen „Seit uralten Generationen ist es Brauch, dass die älteste Tochter der Mondgöttin auf die Erde geschickt wird, um dort einen Auserwählten oder um eine Auserwählte zu Sora zu bringen. Dies dient zur Frieden Herstellung der Welten und dem Gleichgewicht der Natur. Nun bist du Achtzehn und ich finde, es ist an der Zeit." Melody nickte und machte sich Abreise bereit.
Als sie dann auf der Erde war, verliebte sie sich aber in einen gewöhnlichen Menschen Mann. Dieser hatte einen Sohn namens David, der schon drei Jahre alt war, als Melody ein wunderschönes Kind namens Layla gebärde.
Zornig machte sich die Mondgöttin auf den Weg zur ihrer Tochter und verdammte sie für alle Zeiten aus Sora. Seit jeher lebt Melody und ihr Mann mit ihren zwei Kindern Layla und David friedlich und glücklich bis an ihr Lebensende in der Menschenwelt."
Reue und Trauer spiegelten sich in den weichen Gesichtszügen der Frau wieder, als sie leise endete. Verwirrt sah ich sie an. Komischer Zufall, dass die Namen meiner Familie darin vorkamen!
„Layla, auch wenn das jetzt plötzlich kommt, aber ich bin deine-."

Ein lautes Poltern ließ mich aus meinen Schlaf hoch schrecken. Noch verschlafen blickte ich mich um. Sam saß mit Kay an meinem Bett und starrten Alex böse an, der vor sich eine kaputte Lampe liegen hatte.
„Mensch Alex, jetzt hast du sie aufgeweckt", beschwerte sich Kay. Still betrachtete ich das Schauspiel vor mir. Schmunzelnd ließ ich mich auf dem Bauch liegend in die weichen Kissen fallen und schloss meine Augen.
Es war nur ein Traum. Alles nur ein Traum!

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