Kapitel 3
Kapitel 3
Die rote Diebin
Es war spät, als ich dem Gasthaus den Rücken zukehrte. Dan war inzwischen wieder verschwunden und hatte mich mit seinen sechs leeren Krügen alleine gelassen. Irgendwann wurde die Musik immer leiser und die Gäste immer weniger.
Stille umgab mich und ein kräftiger Wind blies durch mein Haar. Meine Stiefel verursachten einen ziemlichen Lärm und ich verfluchte mich Innerlich, dass ich mir nicht schon längst ein neues Paar gekauft hatte. Lag vielleicht auch daran, dass ich sie mochte. Sie gingen mir bis zu den Knien, gaben warm und man konnte gut etwas in ihnen verstecken. Dazu kam, dass ich bessere Verwendung für das wenige Geld hatte, das ich besaß.
Mein Weg führte mich vorbei an dem Marktplatz, vorbei an den großen Handelsschiffen. Es war beinahe beängstigend, wie schnell sich die Dinge änderten. Am hellen Nachmittag, also vor wenigen Stunden, herrschte hier noch lebhaftes Treiben. Nun konnte man diesen Ort beinahe mit einem Friedhof verwechseln. Nur die Segel der Schiffe, bewegten sich ganz leise hin und her.
Schon wieder erfasste mich ein kleiner Windstoß. Er zerrte an meinen Haaren, gab nicht locker, ehe er wieder urplötzlich verschwand.
Ich seufzte auf und blieb stehen. Stille...
Und dann abermals, wieder einer dieser Windstöße. Fragend blickte ich hoch in den Himmel. Was hatte das zu bedeuten?
Immer noch starrte ich in die Welt der Sterne, dachte über den Wind nach und was er mir mitteilen wollte. Ich war so beschäftigt, dass ich nicht mitbekam, wie jemand hinter mir auftauchte.
„Sajen Dust"
Ich schwieg, drehte mich langsam um. Sajen Dust war mein Name. Nur wussten das die wenigsten. Sie kannten mich als Sajen, Mädchen mit dem roten Haar. Der Namen Dust hatte sich im Laufe der Zeit ergeben. Er bedeutet Staub oder auch Dreck. Es war etwas, was mich mein Leben lang begleitet hatte. Der Staub der Vergangenheit und der Dreck der Zukunft.
„Sie werden gesucht."
Ich hatte mich inzwischen ganz umgedreht. Vor mir befand sich eine Person komplett in schwarz, dunkle Kleider, dunkler Umhang. Der Stimme nach war es ein Mann, etwas älter als ich. Eine Kapuze verdeckte sein Gesicht und Handschuhe seine Hände. Im Grunde war ich mir nicht einmal sicher, ob vor mir überhaupt ein Mensch stand.
Eine leichte Gänsehaut kroch meine Arme hoch. Etwas erleichtert realisierte ich, dass sein Umhang nicht blau war. Er war nicht von der Regierung, er kam nicht, um mich zu verschleppen.
„Dürfte ich auch einen Namen erfahren?", fragte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ich konnte ihn nicht lesen, sah keine Regung, nichts, was mir einen Hinweis darauf gab, wer er war oder wie er war. Das Verhalten der Menschen zu verstehen war einfach, nur brauchte man dazu ein Gesicht.
„Sie werden vom König gesucht. Entweder fügen Sie sich freiwillig und kommen mit uns oder wir wenden Gewalt an."
Wir? Soweit ich sah, war dieser Herr alleine unterwegs.
„Vom König?" Jetzt wurde ich misstrauisch. Der König kannte mich nicht, warum sollte er mich suchen?
„Sie werden des Verdachtes bezichtigt, im Auftrag der Freiheitskämpfer zu handeln."
Ich erstarrte. Das Blut schien in meinen Adern zu gefrieren und auf einmal hatte ich kalt. Mein Mund war trocken, meine Gedanken leer.
„Knien Sie sich nieder, Hände nach oben, Waffen und weitere gefährliche Gegenstände auf den Boden." Der Herr sprach in solch einem monotonen Ton, als ob er diese Zeilen Tag täglich aufsagen würde.
„Ich bin keine von denen", stammelte ich unbeholfen und machte einen Schritt zurück.
„Auf den Boden, Hände nach..." Weiter kam er nicht, denn ich hatte bereits meinen restlichen Überlebenswillen gepackt und war losgerannt.
Ich rannte, ignorierte das Brennen in meinen Lungen, rannte weiter und immer weiter. Im Geiste sah ich schon, wie sie mich für etliche Diebstähle anklagten. Wie sie mich in ein dunkles Verlies sperrten und dort verrotten ließen.
Natürlich folgte mir der nette Herr. Inzwischen wurden die Laute seiner Schuhsohlen auf den Pflastersteinen immer hörbarer. Er rannte, genau wie ich. Nur hatte ich keinen Plan. Ich zwängte mich durch enge Gassen, zog mich an einem niedrigen Dach hoch, kletterte auf eine Mauer und rannte weiter. Ich sprang von der Mauer wieder auf den Boden, folgte einem schmalen Weg und hechtete blitzschnell um die Ecke. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, ich war ihn los und doch tauchte er bald wieder hinter mir auf.
In meinen Schuhen steckte Plan B. Es war ein Messer, ein kleines mit einem Holzgriff. Ein Geschenk von Dan, als ich ihm das erste Mal etwas Nützliches verkauft hatte.
In meinem Herzen Schlug der Wille zu Kämpfen. Ich würde alles geben, so leicht gab ich nicht auf. Ich griff noch während des Rennens hinab und wollte meine letzte Hoffnung zu Tage befördern, da stand auf einmal jemand vor mir.
Schon wieder einer mit Umhang. Ich blieb stehen, änderte die Richtung und wollte weiter, da stand ebenfalls wieder einer von ihnen direkt vor meiner Nase. Als ich mich wieder umdrehte, war ich eingekreist.
„Sajen Dust, hiermit werden Sie auf den Befehl des Königs verhaftet."
-
Über den König konnte man sagen, was man wollte. Viele verachteten ihn und andere würden ihm liebend gerne die Schuhe mit ihrer blanken Zunge putzen. Im Grunde sah man ihn selten. Er hielt sich zurück, ließ die Steuern eintreiben und veranstaltete da und dort ein Fest für die Bewohner. Er war alt, hatte bereits einen grauen Bart und trübe Augen. Kinder besaß er keine und eine Zeit lang ging das Gerücht herum, er würde seine Ehefrauen verspeisen. Immerhin verschwand immer wieder eine oder starb an einer seltsamen Krankheit. Ja, über den König konnte man sagen was man wollte, aber eines war klar, er besaß Geld.
Der Palast war meerblau, wie die Farbe unserer Stadt. Er lag etwas höher, wohl im Falle einer Flut. Eine Zugbrücke führte direkt zu dem großen Tor. Im Inneren des Gebäudes ging es los, große Teppiche beim Eingang, Wände aus Marmor, Bilderrähmen in Gold und Silber.
Kronleuchter, grösser als mein gesamter Körper, baumelten über meinem Kopf. Es roch intensiv nach Sandelholz und ich musste den Drang bekämpfen, zu niesen.
Ich hatte nicht viel Zeit, um die Einrichtung genauer zu betrachten, denn schon bald wurde ich weiter gezogen. Links und rechts wurde ich an meinen Armen gepackt. Ein leichter Schmerz kroch hoch bis zu meinen Schultern. Nur Schreien, das wollte ich nicht. Ich durfte keine Schwäche zeigen.
Auf einmal schwang eine Tür auf und ehe ich mich versah, lag ich vor den Füssen des Königs. Die Tür schlug geräuschvoll hinter mir zu.
Da war sie wieder, die Stille. Sie umhüllte mich, nahm mich völlig ein und auf einmal erschien es mir, als befände ich mich Unterwasser.
Die Männer mit den Umhängen waren verschwunden. Zurück blieben ihre Handabdrücke auf meinen Armen. Das würde ein paar blaue Flecken geben. Zum Glück war das nicht meine größte Sorge im Moment.
Inzwischen war der Tag angebrochen. Leichte Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster.
Vor mir saß der König in seinem Thron. Er blickte direkt zu mir, seine Augenbrauen zusammen gezogen. Seine Augen waren grau, beinahe weiß. Sie waren groß und irgendwie erinnerte er mich an einen Fisch. So wie er dasaß und mich mit diesen Augen anstarrte, den Mund leicht geöffnet.
„Hexen werden verbrannt, Dieben wird die Hand abgehackt und Mörder werden gehängt."
Die Unterwasserblasse platze.
„W-was?"
„Was passiert mit Verrätern?", fragte er. Seine Stimme war laut, schien beinahe denn ganzen Saal einzunehmen.
Ich zögerte, überlegte einen Moment. Der König liebte Rätsel, das wusste ich. Er stellte Fragen und wenn man keine Antwort darauf wusste, dann war das eigene Schicksal bereits besiegelt.
„Verräter sperrt man ein."
„Und wo sperrt man sie ein?"
„In ein dunkles Verlies", antwortete ich zaghaft.
Der König blickte nun an mir vorbei, schien nachzudenken. In meinem Kopf geisterten unzählige Fragen. Warum war ich hier? Was sollte das?
„Wir hätten ein Verlies. Wir hätten aber auch einen Brunnen. Einen tiefen Brunnen mit einem Fall von 50 Metern."
Ich schluckte.
„Nun aber zu dir." Er wandte seinen Blick wieder in meine Richtung. „Was verbietet die Regierung ausdrücklich?"
Etwas überrascht sah ich ihn an. Was sollte das mit dem Brunnen und dem Verlies?
„Diebstahl, Mord, Aufstände, geheimer Handel..." Ich zählte alles auf, was mir einfiel. Manchmal geriet ich ins Stocken, fand aber gleich wieder etwas, was ich sagen konnte.
Irgendwann hob der König die Hand und ich verstummte. „Auf Diebstahl und falsches Geschwätz steht die Höchststrafe, nicht wahr?" Noch immer hielt er die Hand erhoben und sein Blick sagte mehr als tausend Worte. Er war aufgebracht. Irgendwie wirkte er aber auch verwirrt. Wie ein alter Mann, der seine Wut zum Ausdruck brachte.
„Ja, eure Majestät." Ich nickte.
„Du wurdest beobachtet, schon etwas länger. Du stiehlst." Es war eine Tatsache. Eine Tatsache von der wir beide wussten, dass ich sie nicht verneinen konnte. Ich stahl schon seit ich klein war. Nur wunderte es mich, dass der König sich ausgerechnet heute dafür interessierte. Ich war nicht die Einzige und solange man es verdeckt tat, scherte sich kaum wer darüber.
„Und gestern hattest du ein nettes Gespräch über die Regierung."
Schon wieder Stille. Der König stand auf und faltete die Hände ineinander. Er dachte nach, suchte nach einer Lösung.
Ich sagte nichts, schwieg lieber. Mit jedem Wort mehr, unterschrieb ich meinen Todesvertrag.
Wer auch immer mich die letzten Tage beobachtet und belauscht hatte, ich hoffte, dieser jemand würde roten Ausschlag vom schlechten Gewissen kriegen.
„Was wir in unserer Stadt brauchen, sind loyale Leute. Ich will meinem Volk vertrauen. Ich brauche keine Diebin und schon gar keine..." Er hielt inne... „Freiheitskämpferin.."
Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber meine Stimme erstarb. Leg dich nicht mit dem König an, hüte deine Zunge, solange du sie noch hast.
„Sir ich..."
Schon wieder hob er die Hand. Er stand nun auf gleicher Höhe wie ich, nur einige Schritte weiter weg.
„Ich war zuerst einverstanden, dass die Regierung mein kleines Plagen Problem beseitigt." Er räusperte sich. „Doch dann kam mir eine lukrative Lösung." Wieder folgte ein Räuspern.
Mein Herz klopfte. Was kam nun?
„Kennst du die Legende über das Buch der Zeit? Natürlich kennst du sie, immerhin hast du dich gestern mit dem Seemann darüber unterhalten." Schon wieder zog er seine Augenbrauen zusammen und starrte mich mit den kalten, beinahe weißen Augen an.
Er sprach von dem Buch, mit welchem man die Zukunft sah. So viel war Gewiss.
„Dieses Buch verspricht Reichtum, Macht und Freiheit." Seine Stimme bebte.
Noch niemals in meinem gesamten Leben hatte ich so viel Zeit mit dem König verbracht. Ich hatte mir nie eine Meinung über ihn gebildet, hatte nie über den Herrscher unserer Stadt nachgedacht. Inzwischen war ich mir sicher, ich würde alles dafür geben, wenn ich nach diesem einen Mal, nie wieder in seine Nähe musste.
Ich schwieg, wartete ab und hoffte, er würde sich beruhigen.
„Ich brauche dieses Buch."
Natürlich brauchte er das, er war geisteskrank. Jeder kranke Narr würde einer Legende Glauben schenken und alles in Bewegung setzen, um sein Ziel zu erreichen.
„Ich brauche es...", kam es erneut über seine Lippen. Sein Blick war leer, nachdenklich, verlangend.
„Und du wirst es mir beschaffen."
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