Kapitel 4

Für Blutkralle

„Das sind die von letzter Woche”, murmelte der Wächter als er die Kassette in den Rekorder steckte. Seine blauen Augen fixierten noch kurz den Doktor, als dieser nickte, drückte er auf play. Die Stimme eines jungen Mannes erfüllte den Raum. Der Doktor erkannte sie. Er erinnerte sich an das Bild des kleinen, unscheinbaren Mannes wie er lässig gegen die Wand gelehnt da stand und sich durch die roten, unordentlichen Haare fuhr. Er wirkte ganz normal wenn man mit ihm sprach, aber seine Augen waren seltsam stechend und der Doktor hatte sich schon mehrmals unwohl in seiner Nähe gefühlt. Er konnte es sich gut vorstellen, wie er sein Gegenüber fixierte als er dem Gespräch auf der Kassette zuhörte:

„Warum starrst du mich eigentlich die ganze Zeit so an?”, fragte er. Eine weibliche, recht jung klingende Stimme antwortete ihm.
„Ich...Du,du kommst mir bekannt vor. Ich... ich erinnere mich an dich”, flüsterte sie fast. Ihre Stimme klang mysteriös und seltsam leer. Wahrscheinlich lag es am Kassettenrekorder.
„ Wirklich? Sind wir uns schon einmal begegnet?”, fragte er skeptisch.
„Nein”, hauchte sie und kicherte leise. Der Doktor versuchte sich ein Bild von ihr zu machen. Er hatte sie bisher nur aus den Augenwinkeln gesehen. Sie war nicht besonders groß und hatte lange, schwarze Haare, an mehr erinnerte er sich nicht.
„Was meinst du?”, der Doktor konnte sich den verwirrten Blick nur zu gut vorstellen.
Schon oft hatte er ihn so gesehen, wenn er versucht hatte ihm etwas zu erklären.
„Sie sagen, ich wäre verrückt ”, es klang so, als würde sie lächeln.
„Das sagen sie von uns allen hier”
„Glaubst du, dass ich verrückt bin?”, fragte sie herausfordernd.
„Weiß nicht”, antwortete er nach einer kurzen Pause.
„Dann beantworte mir eine Frage: Ich erinnere mich daran dich geküsst zu haben. Wieso erinnere ich mich an etwas, dass nie passiert ist?” Sie lachte. Es war ein reines, glockenhelles Lachen.
„Du bist du verrückt ”, antwortete er leichthin.
„Ach wirklich? Was ist dann mit den anderen Szene, an die ich mich erinnere? Du bist vor einer Woche im halbschlaf mit deinem Kopf gegen dieses Fenster hier geknallt, weil du vergessen hast...”
„Und wer hat dir das erzählt?”, unterbrach er sie „Ich weiß, dass du erst seit heute hier bist”.
„Niemand. Du warst allein”, erwiderte sie schelmisch. Eine kurze Pause entstand.
„Ach wirklich? Was... habe ich gesagt als ich mir wehgetan habe?” Irrte sich der Doktor oder klang er leicht unsicher? Was genau sie antwortete konnte er nicht verstehen, es klang wie eine Mischung mehrerer Schimpfwörter. Eine lange Stille folgte. Nur das Rauschen der Aufnahme war zu hören. Der Doktor warf einen unsicheren Blick zum Wächter, doch dieser starrte nur das Gerät an. Endlich war wieder etwas zu hören.
„Wie... woher?”, stammelte er. Ihre Stimme war ruhig und leise, als sie antwortete:
„Ich kann die Vergangenheit sehen. Und die Zukunft”. Wieder war für einen Moment Pause. Doch diesesmal glaubte der Doktor, Geräusche im Hintergrund zu hören. Was machten die beiden?
„Ich glaube, ich muss dir was zeigen”, sagte er. Kurz darauf atmete sie heftig ein.
„Wie hast du das gemacht?”, fragte sie erstaunt. Es klang als würde er grinsen, als er erwiderte:
„Du bist nicht die einzige hier, die besonders ist”
„Wie heißt du?”, flüsterte sie.
„Hugo”, antwortete er kurz „Und du?”
„Alexandra. Ich bevorzuge Alex... glaubst du wir sind die einzigen hier, die...”
Keine Antwort. Nickte er? Sie lachte kurz.
„Dann sind es jetzt wohl wir gegen den Rest der Welt ”, stellte sie fröhlich fest.
„So könnte man es sagen, ja?”

Die Aufnahme war zu Ende.
„Das ist die letzte Aufnahme, die wir von den beiden haben.”, murmelte der Wächter.
„Und es gibt immer noch keine Hinweise darauf wie die beiden es geschafft haben zu entkommen?” Der Wächter schüttelte den Kopf.
„Und wir wissen auch nicht wie der Spiegel von seinem Zimmer in ihr Zimmer gekommen ist ”, fügte er dann hinzu.
Der Doktor überlegte. Alexandras überraschte Reaktion. ‚Wie hast du das gemacht?’ Was hatte er gemacht? Er schüttelte den Kopf. Beide waren irre. Deswegen waren sie ja hier.
„Und es ist wirklich unmöglich, dass sich das Fenster zwischen den beiden Räumen geöffnet hat?”, fragte er skeptisch.
„ Vollkommen unmöglich ”, bestätigte der Wächter. Der Doktor murmelte ein wenig vor sich hin. Fachbegriffe, irgendwas mit Halluzinationen. Der Wächter verstand kein Wort. „Also?”, fragte er.
„Ich werde ein Wort mit dem Chefarzt sprechen. Ich glaube aber nicht, dass wir groß was erfahren werden”, antwortete der Doktor und verließ den Raum.
‚Sie sind beide verrückt. Was sie sagen macht keinen Sinn’, sagte er sich in Gedanken, wieder und wieder. Trotzdem. Eine Frage stellte er sich trotzdem. Er wollte doch wissen, ob die beiden sich noch geküsst hatten.

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