Mein stiller Weggang
Mit meinen Freundinnen habe ich oft darüber spekuliert, was jede von und mitnehmen würde wenn wir von zuhause abhauen. Lustige Gespräche waren das, ohne dass wir uns jemals ernsthaft Gedanken gemacht hätten von Zuhause abzuhauen, höchstens für ein paar Tage unterzutauchen. Das stellten wir uns richtig cool vor, tagelang durch die Strassen zu streifen, einfach in einen Zug zu steigen und etwas neues kennenlernen, die volle Freiheit zu geniessen von der wir manchmal einen Hauch verspürt haben wenn wir uns in der Nacht rausgeschlichen hatten und die Gegend unsicher machten. Aber diese unbeschwerte Zeit liegt hinter mir. Es kommt mir vor als wäre es in einem anderen Leben gewesen dabei ist es erst knappe zwei Monate her. Während ich meine Taschenlampe fest in der Hand halte und den Lichtkegel langsam durch mein Zimmer schweifen lasse überkommt mich plötzlich der verzweifelte Wunsch, alles mitzunehmen, von meiner gigantischen Bücher und DVD Sammlung bis zu meinem Bett. Wann werde ich wohl das nächste Mal in so einem bequemen Bett liegen? Aber leider habe ich keine Tasche wie Hermine Granger aus Harry Potter, die von aussen klein aussieht und in der aber mein ganzes Zimmer Platz hätte. Nein, ich muss mich mit dem begnügen was in meine Sporttasche passt. Zuunterst ins Geheimfach stecke ich mein Tagebuch, Stifte, einen kleinen Stapel Couverts, Papieren und Briefmarken, denn ich habe so eine mulmige Vorahnung, dass ich das in Zukunft heimlich machen muss. Aber ich verdränge diese Gedanken, bestimmt habe ich die Vorurteile meiner Eltern ungewollt übernommen. Ich werde es gut haben und mir mein Leben aufbauen. Ohne gross nachzudenken werfe ich Kleider zum Wechseln rein, mein Necessaire, welches alles nötige für Hygiene und Aussehen enthält kommt nach. Den restlichen Platz fülle ich mit Habseligkeiten von denen ich mich nicht trennen kann. Darunter meinen Sorgenfresser, ein dunkelgrün gestreiftes Monsterplüschtier mit einem Reissverschlusses als Mund. Er ist das einzige Plüschtier das vor 5 Jahren nicht konsequent aussortiert wurde. Ansonsten packe ich meine Lieblingsbücher, Fotos von mir mit Freundinnen, Fotos von meiner Familie und mein Tagebuch ein. Zum Schluss ziehe ich mir meine Lieblingsjeans an und nach kurzem Zögern greife ich in die Tiefen meines Kleiderschrankes und taste nach dem schwarzen, kuscheligen Schlaberpulli. Auch wenn es in Afrika wahrscheinlich nie kalt wird, er wird mich an den Winter in meiner Heimat erinnern. Erschrocken springe ich zurück weil etwas haariges meine Hand gestreift hat, mein Herz setzt einmal aus um dann in doppeltem Tempo und Lautstärke weiterzuschlagen. Ich schliesse die Augen, atme dreimal tief durch und nehme mich zusammen. Vorsichtig ziehe ich den Pulli raus und leuchte in die rechte Ecke, da wo mich das Ding streifte.
Vor Erleichterung hätte ich beinahe geschrien, es war bloss eine Perücke. Besser gesagt die Perücke, die mir Tante Marina vererbt hat. Vorsichtig nehme ich sie hervor. Sie besteht aus dunkelbraunen welligen Echthaaren, die weit über die Schultern fallen. Ich drehe sie und entferne den Klebstreifen, mit dem ich die anderen beiden Erbstücke befestigt hatte, braune Kontaktlinsen und einen funkelnden Diamantenring. Eine total absurde Mischung die eigentlich keinen Sinn ergibt, ich hätte jeden anderen dafür für verrückt erklärt, nicht aber Tante Marina. Alles was sie voraussagte hat sich bewahrheitet. Sie wusste genau, irgendwann werde ich es brauchen. Und da ich wahrscheinlich nie wieder zurückkehren kann muss ich sie mitnehmen. Den Diamantenring verstecke ich in meinem BH, da vo das Push up ist, die Perrücke und die Linsen kommen ins Geheimfach.
Meine Brust wird auf einmal ganz Eng als ich an Tante Marina denke, sie verstand mich ohne Worte und fand sogar in meinen unverzeihlichsten Handlungen etwas Gutes dahinter. Vermutlich würde sie sogar etwas finden wenn ich einen Mord begangen hätte. Stets versicherte sie mir, dass ich das Richtige mache wenn ich gegen den Strom schwimme, sie nannte es so dass ich nicht den direkten Weg nehme sondern mich mit der Hacke durch das Unterholz schlage, was zwar wesentlich anstrengender ist dafür wird es nie langweilig.
„ Ach Tante, wenn du wüsstest wie tief ich ins Unterholz geraten bin, denke ich frustriert, vermutlich so tief dass ich da nie mehr den rechten Weg, geschweige denn ein Ziel finden werde.
Bestimmt wäre es nie dazu gekommen wenn sie noch leben würde, sie hätte es vorausgesehen und mich gewarnt. Aber Moment, das hatte sie! Kurz vor ihrem Tod rief sie mich an, erzählte von ihrem harten Leben als Teenager und ermutigte mich dazu, meins weiter so zu leben wie ich es für richtig hielt. Kurz vor Ende des Gesprächs veränderte ihre Stimme sich, wurde ganz tief und rau, und sie klang wie eine Erzählerin. So wurde sie immer wenn sie etwas sah. „ Deine Jugend wird auf noch uneberen Bahnen verlaufen als die Kindheit..." als mich ein lautes Pling aus meinen Gedanken riss. Das Display meines Handys leuchtete auf und zeigte eine SMS von Mohammed an in der steht: „fünf Minuten.» Ich ziehe mir den Pulli über den Kopf und schlüpfe in meine Lieblingsjacke aus Büffelleder. Für den Fall der Fälle stecke ich einen Pfefferspray in die Linke und das Klappmesser in die Rechte. Dann greife ich nach meinen Taschen und bekomme auf einmal einen kräftigen Stoss gegen die Brust. Ich taumle zurück und lasse die Taschen fallen während ich erstarrt dastehe und der Schmerz sich in Form von einem Schmerz langsam in meine Brust bohrt. Die Welt um mich scheint still zu stehen während ich langsam zu Boden gehe, es ist als würde meine Seele sich in Todesqualen winden. Ich muss meine ganze Kraft aufbringen um nicht in voller Lautstärke alles aus mir rauszuschreien. Nie hätte ich gedacht was für Auswirkungen physisches Leiden auf den Körper haben kann. Während ich mich windend auf dem kalten Parket liege und einerseits an nichts anderes denken kann als dass ich gleich meine Heimat verlassen werde und mir schöne Momete in den Sinn kommen. Sogar als Aussenseiterin in der Klasse zu sitzen habe ich auf einmal in guter Erinnerung. Zwischen diesen Gedanken kommen mir unerklärlicherweise Einfälle wie, „ Es stimmt tatsächlich, dass seelischer Schmerz viel schlimmer ist als körperlicher. Beide Arten kenne ich sehr gut aber nichts davon kam auch nur annähernd an den jetzigen heran."
Von einem leisen Klopfen am Fenster aufgescheucht stehe ich sofort wieder auf den Beinen, greife erneut nach den Taschen und öffne es geräuschlos.
„ Los, gib mir deine Sachen und komm", zische Mohammed ungeduldig, reisst mir mein Gepäck aus den Händen und ehe ich mich versehen habe ist er unten. Auch ich mache mich langsam daran, den Baum herunterzuklettern, und in dem Moment legt sich in meinem Inneren ein Schalter um, ein Teil von mir spaltet sich unwiderruflich von mir ab und bleibt hier, und auf einmal fühle ich gar nichts mehr, es ist als würde ein Fremder den Baum runterklettern und ich von weitem zuschauen. So etwas hatte ich schon einmal als der erste Junge für den ich Gefühle entwickelte mich nicht nur mit meiner besten Freundin betrogen hatte sondern auch noch Bilder von mir so bearbeitet hatte dass ich nackt zu sehen war und diese ins Facebook stellte. Tage wenn nicht Wochenlang habe ich da ununterbrochen geheult, bis auf einmal keine Tränen mehr da waren und ich einfach gar nichts mehr fühlen konne, Tagelang. Anfangs war es eine Erleichterung aber, nach zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus. Von meinen Eltern „lieh" ich mir Kirschschnaps um einfach wieder irgendetwas zu fühlen und nahm regelmässig kleine Schlucke damit das Brennen nicht nachliess. Eine wohlige Wärme begann, sich in meinem Bauch auszubreiten wie eine kleine Flamme, die sich aber bald darauf in einen Inferno verwandelte der mir den Magen verätzte. „Wie meine Tante gesagt hätte, ein Tropfen zu viel macht es aus, auch wenn sie da meistens in einem anderen Zusammenhang davon sprach. Wie in Watte gepackt laufe ich hinter Mohammed her ohne etwas wahrzunehmen uns steige abwesend in das Auto welches auf uns wartet.
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