Hyde [Vixx || Leo x Oc]

Ausdruckslos starrte Taekwoon seine schlafende Freundin an. Sie schlief tief und fest. Laut prasselte der Regen gegen das beschlagene Fenster. Immer mal wieder hörte man Autos, die vorbei fuhren. Das Licht der Scheinwerfer strahlte durch die Fenster, erhellte das Schlafzimmer des jungen Paares für einige Sekunden.
Taekwoon sah zur Uhr, welche gegenüber an der Wand hing. Zwei Uhr morgens und er konnte immer noch nicht schlafen. Sein schlechtes Gewissen machte sich bemerkbar. Der junge Mann hatte seiner Freundin versprochen, die Nacht neben ihr zu liegen und wenigstens zu versuchen, etwas Schlaf zu finden. Doch es klappte nicht. Es ging nicht.
Viel zu viele Sachen beschäftigten ihn im Moment. Leise seufzte er und strich sich durch die schwarzen Haare.
Vor ein paar Wochen hatte Taekwoon zusammen mit seiner Freundin beschlossen, dass sie neu anfingen. Sie wollten die alten Erinnerungen löschen und neue, schönere schaffen. Doch es schien so, als würden sie dies nicht schaffen.
Der junge Mann gab sich dafür die Schuld. Es gab keine Möglichkeit ihr zu sagen, dass er unsicher war, ob er es schaffen würde, seine andere Seite wegzusperren. Diese wollte nämlich, dass er sie verließ.
Taekwoon ging es schlecht deswegen. Er hoffte inständig, dass sein Mädchen ihm glaubte und seine zukünftigen Worte nicht anzweifelte. Die verrückte Person in ihm machte alles kaputt. Kontrollieren konnte der junge Mann sie nicht und das machte ihn fertig.




Verwirrt sah sich Taeyon um. Die junge Frau saß auf einem roten edlen Sofa mitten in einem großen Raum. Es war düster. Nur ein Kronleuchter und ein paar Kerzen beleuchteten die Umgebung. Unbehagen machte sich in ihr breit. Wo war sie hier?
Sie war sich ziemlich sicher, dass sie zuvor noch in dem gemeinsamen Bett von Taekwoon und ihr gelegen hatte.
Sie sah an sich herunter, runzelte verwirrt die Stirn, als sie bemerkte, dass sie ein weißes Kleid trug. Verwirrt lehnte sich Taeyon zurück und zupfte an ihrem Pony herum.
Plötzlich war es der jungen Frau egal, wo sie war. Die Gedanken, die sie schon seit Tagen hatte, kehrten zurück und ließen ihr keine Chance, an etwas anderes zu denken.
Sie fragte sich, wie ihr Freund sein Verhalten der letzten Wochen erklären wollte. Taeyon konnte sich keinen Reim daraus machen, wieso er sich auf der einen Seite liebevoll um sie kümmerte und auf der anderen darauf aus war, sie zu verletzen.
Taeyon verstand es nicht. Taekwoon tat ihr weh damit und schien es nicht einmal zu bemerken. Jedenfalls hatte er sich nie bei ihr entschuldigt. Das einzige, was er tat, war die junge Frau zu küssen. Taeyon wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ihr kam es so vor, als wäre dies immer seine Entschuldigung.
Doch da war noch etwas. Er hatte zu heute Abend zu ihr gesagt, dass er nicht mehr der Gleiche wie gestern war. Taeyon konnte mit dieser Aussage
nicht wirklich etwas anfangen. Sie verstand seine Worte einfach nicht.




Stirnrunzelnd sah Taekwoon Taeyon an. Ihr Atem war unruhiger geworden. Ihr Körper hatte ein paar Mal gezuckt. Langsam ging der junge Mann zum Bett und ließ sich neben ihr nieder. Seine Freundin schien einen Albtraum zu haben. Unter ihren Augenliedern zuckten ihre Augen wild hin und her.
Langsam hob der junge Mann die Hand und strich seiner Freundin sanft durch die dunklen Haare. Seine Brust zog sich urplötzlich zusammen und er riss die Hand zurück. Leise keuchte Taekwoon auf und hielt sich den Kopf.
Wieder machte sich die verrückte Person in ihm bemerkbar. Sie wollte, dass er Taeyon verließ, dass er ihr sagte, dass er sie hasste. Taekwoon zuckte zusammen. Nein. Er wollte nicht, dass sie ging. Er liebte sie. Sein anderes Ich durfte nicht gewinnen. Der junge Mann wusste, was er wollte, wie er fühlte. Er würde sich nicht von der verrückten Person in ihm beeinflussen lassen.




‚Bei einer dissoziativen Identitätsstörung bilden die Patienten oft zahlreiche unterschiedliche Persönlichkeiten, die abwechselnd die Kontrolle über ihr Verhalten übernehmen. An das Handeln der jeweils „anderen" Person kann sich der Betroffene entweder gar nicht oder nur noch schemenhaft erinnern oder erlebt es als das Handeln einer fremden Person. Folgen der Persönlichkeitsstörung sind Depressionen, Angst, Selbstverletzung etc.'


Seit Wochen schwirrten Taeyon diese Sätze durch den Kopf. Er bereitete ihr Sorgen. Die junge Frau wusste, dass es besser wäre, einen Arzt aufzusuchen, der Taekwoon half. Doch ihr Freund möchte nicht. Taeyon war verzweifelt.
Ihr Blick richtete sich wieder nach vorne. Langsam ging sie einen kahlen Gang entlang. Sie wusste immer noch nicht, wo sie war und das bereitet ihr Angst.




Taekwoon war in die Küche gegangen. Stumm saß er auf einem Stuhl und starrte die Tischplatte an. Er hatte es nicht mehr im gemeinsamen Schlafzimmer ausgehalten. Es war zum Verrücktwerden. Sein Leben kam ihm schon beinahe so vor, wie das von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Der junge Mann hasste es, dass er alles mitbekam. Er bekam es mit, wie die andere Persönlichkeit die Kontrolle übernahm, sich verhielt und zu Taeyon war.
Taekwoon war so wütend. Seine Hand ballte sich zu einer Faust. Sein Körper verkrampfte sich. Wütend schlug auf den Tisch. Ein wütender Schrei entkam ihm.
Zittrig holte er Luft, vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er durfte nicht die Kontrolle verlieren, auch wenn er es jetzt am liebsten zugelassen hätte. Taekwoon wollte seine Wut rauslassen, sie los werden. Doch er tat es nicht. Sein anderes Ich würde diese Chance ergreifen, würde die Kontrolle übernehmen.
„Ich bin keine böse Person... Taeyon... ich liebe dich", flüsterte der junge Mann. Seine Stimme war leise, kaum zu hören. Seine Augen fingen an zu brennen, Verzweiflung machte sich in ihm breit.
Warum musste ausgerechnet er selbst so eine Last mit sich herumschleppen? Was hatte er getan, um das zu verdienen?




Mittlerweile saß Taeyon wieder auf dem Sofa. Sie hatte nach einem Weg gesucht, um nach draußen zu gelangen, doch keinen gefunden. Den Kopf auf die Hände gestützt saß sie nun da. Ihr Blick ging ins Leere. Sie dachte an die letzten Tage mit ihrem Freund. Natürlich wusste sie, dass Taekwoon kein böser Mensch war. Als sie ihn kennengelernt hatte, war er kühl gewesen. Er war verschlossen gewesen, hatte nur knappe Antworten gegeben und allgemein nicht viel geredet. Doch nach und nach war er aufgetaut, hatte Witze gerissen, mit ihr über die unterschiedlichsten Themen diskutiert. Taeyon liebte es schon beinahe, mit ihm zu diskutieren. Meistens waren sie unterschiedlicher Meinung, was das Ganze interessanter gestaltete.
Das junge Paar war damals gerade drei Monate zusammen gewesen, als es passierte. Taekwoon hatte die junge Frau zu sich eingeladen. Er wollte für sie kochen, danach einen Film mit ihr sehen. Es war kurz vor Weihnachten gewesen. Taeyon war gerade auf den Weg zu seiner Wohnung gewesen, als ein Anruf von ihm sie erreichte. Er hatte Worte gesagt, die nicht zu ihm passen. Seine Stimme hatte beinahe schon wahnsinnig geklungen, wie die eines Irren.
Die junge Frau hatte eine Weile mit sich gerungen, war dann am Ende trotzdem zu ihm gegangen. Sie hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Taeyon hatte Recht gehabt.
Diesen Tag würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Es war der Tag gewesen, an dem sie von Taekwoons Krankheit erfahren hatte. An dem Tag stand ihr eine andere Person gegenüber.




Erinnerungen blitzen vor Taekwoons Augen auf. Erinnerungen von dem Tag, an dem seine Freundin ihn das erste Mal in so einem Zustand gesehen hatte. Ihr ängstlicher Blick hatte sich schmerzhaft in das Gedächtnis des jungen Mannes eingebrannt.
Ruckartig stand er auf, versuchte diese unschönen Bilder zu vertreiben. Taekwoon wollte damals Taeyon fortschicken, ihr mit harten Worten wehtun. Doch es hatte sich für ihn keine Möglichkeit ergeben.
In seinem Inneren wusste der junge Mann allerdings, dass er sich bis heute noch immer etwas vormachte. Natürlich hätte es genügend Möglichkeiten gegeben. Er wollte bloß nicht. Er war zum Egoist geworden, als er zuließ, dass die junge Frau bei ihm blieb. Es war einfach so, dass Taekwoon ein normales Leben führen wollte, nicht eingeschränkt sein wollte wegen seiner Krankheit. Das war der Hauptgrund, weswegen er seine Freundin nicht weg geschickt hatte. Dies wollte er sich jedoch bis heute nicht eingestehen. Er verleugnete es einfach vor sich selbst.




Hände schlangen sich von hinten um Taeyons Hals. Erschrocken keuchte die junge Frau auf. Sofort griff sie mit ihren Händen nach denen des Fremden. Der Druck an ihrem Hals verstärkte sich. Die Luft wurde ihr abgeschnürt. Panik machte sich in Taeyon breit. Ihr Atem wurde schnappartiger. Vor ihren Augen fing es an zu flimmern.
„Deine Liebe zu mir ist eine Lüge. Du kennst mich nicht!"
Die Stimme war vertraut. Zu vertraut.
Taeyons Augen weiteten sich. Sie spürte, wie sie anfingen zu brennen. Ihr Blick verschwamm. Angst mischte sich zu ihrer Panik, sorgte dafür, dass ihr Körper zu zittern begann. Ihr Mund öffnete sich. Die junge Frau wollte schreien, doch nur ein leises Krächzen kam heraus. Sie fing an zu strampeln, wollte sich befreien. Taeyon wurde immer panischer
.




Ein leiser Schrei ließ Taekwoon zusammen zucken. Hektisch rannte er aus der Küche ins Schlafzimmer. Seine Augen weiteten sich, als er dort seine Freundin sah. Sie zitterte und weinte. Sofort setzte sich der junge Mann zu ihr.
„Was ist los?", fragte er. Die Antwort bestand nur aus mehreren Schluchzern. Vorsichtig hob Taekwoon die Hand und strich die Tränen seiner Freundin weg.
„Ich habe Angst."
Es erschreckte den jungen Mann, dass ihre Stimme so zerbrechlich klang. Sorge überkam ihn. Zwar konnte er sich denken, dass Taeyon einen Albtraum gehabt hatte, aber dass sie so fertig war, erschrak ihn. Er rückte ein Stück näher an sie heran, umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht.
„Wovor?", flüsterte er leise und beruhigend. Einen kurzen Augenblick sah seine Freundin ihn an. Instinktiv wusste Taekwoon, dass die Antwort, die nun kommen würde, ihm nicht gefallen würde.




„Dass ich mich, falls es nochmal passiert, nicht wehren kann..."
Taeyon wich dem Blick vom Taekwoon aus. Fest kniff sie ihre Augen zusammen. Mit dieser Antwort brockte sie ihm nur Schuldgefühle ein und das wollte sie eigentlich nicht. Doch er hatte eine ehrliche Antwort verdient. Zudem merkte der junge Mann es, wenn man ihn anlog. Taeyon wollte ihn nicht anlügen, sondern ehrlich zu ihm sein.
Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah ihn direkt an. Regungslos und ein wenig geschockt sah ihr Freund sie an. Er schluckte hart. Dann ließ er langsam seine Hände sinken.
Es war, als würde man Taeyon ein Messer ins Herz rammen, als Taekwoon von ihr zurückwich. Hätte die junge Frau nicht so schnell reagiert, wäre er wohl ganz aus dem Raum gegangen.
Sie sprang auf, schlang ihre Arme um seinen Hals und vergrub dass Gesicht in seinem Oberteil. Es tat ihr doch selbst weh, ihm das zu gestehen. Am liebsten würde sie ihm die Wahrheit verschweigen. Doch es ging nicht. Taekwoon hasste Lügen. Würde er den wahren Grund herausfinden, wäre die Stimmung zwischen ihnen viel schlimmer als jetzt.
Weitere Tränen liefen Taeyons Wangen hinab. Vereinzelnd schluchzte sie auf.




Dem jungen Mann stockte der Atem, als seine Freundin sich an ihn krallte. Ihre Worte hatten ihm einen Stich verpasst. Er wusste ja, dass auch sie es belastete, dass er krank war. Doch dass sie Angst hatte, hätte er nicht gedacht.
Taekwoon war nicht dumm. Er konnte sich denken, weswegen sie so aufgelöst war. In ihrem Albtraum kam wahrscheinlich er selbst vor.
Langsam legte der junge Mann seine Arme um den zitternden Körper. Als sie damals einen seiner Anfälle mitbekommen hatte, war ihr Zustand danach schlimm gewesen. Es war eigentlich verständlich, dass sie Angst hatte.
„Es wird nicht nochmal passieren", murmelte Taekwoon leise. Mit seinen Worten versuchte er, ihr Sicherheit zu geben. Er wollte sie beruhigen. Natürlich wusste er, dass es immer wieder passieren würde. Er konnte nichts dagegen tun.
„Wie kannst du dir da sicher sein?"
Taeyon sah ihn nicht an. Immer noch vergrub sie ihr Gesicht in seinem Oberteil. Deswegen klang auch ihre Stimme gedämpft. Seufzend verstärkte Taekwoon seinen Griff und traf eine Entscheidung. Eine Entscheidung, durch die es beiden besser gehen würde.




„Ich werde mir Hilfe suchen..."
Überrascht hob Taeyon den Kopf. Ihre Augen weiteten sich leicht. Hatte sie ihn gerade richtig verstanden?
Sanft strich der junge Mann ihr über die nassen Wangen. In seinen Augen schimmerte Schmerz sowie Wärme. Augenblicklich kribbelte es im Bauch der jungen Frau. Taekwoon würde sich endlich Hilfe suchen und sie auch annehmen. Neue Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen. Es waren Tränen der Erleichterung. So oft schon hatte Taeyon mit ihrem Freund darüber diskutiert, doch er hatte immer abgeblockt, gesagt, dass er keine Hilfe brauchte.
Taeyon konnte verstehen, wieso er sie nie gewollt hatte. Taekwoon hasste es, diese Krankheit zu haben. Es war schwer für ihn, damit umzugehen.
„Taekwoon...", murmelte die junge Frau, strich mit ihren Fingern über seinen Nacken.
„Ich werde das für dich machen, weil ich möchte, dass du bei mir bleibst", sprach er sanft. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Komischerweise fühlte die junge Frau sich auf einmal schlecht. Sie wollte nicht, dass er etwas tat, was er eigentlich gar nicht wollte. Seine Meinungsänderung kam so plötzlich.
„Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst. Ich will dich zu nichts zwingen", erwiderte sie daher. Sie wollte ihn loslassen, doch Taekwoon umfasste sie fest. Sein Griff war eisern.




Fest sah Taekwoon in die Augen seiner Freundin. Er wusste genau, was in ihrem Kopf gerade vor sich ging. Sie dachte, dass sie ihn zu etwas zwang, was er gar nicht wollte. Doch das stimmte nicht. Der junge Mann hatte eingesehen, dass es so nicht weitergehen konnte.
Er bereitete Taeyon damit Sorgen und das wollte er nicht. Er wollte, dass sie glücklich mit ihm zusammen leben konnte und nicht in der ständigen Angst, dass er wieder die Kontrolle verlor.
„Ich will es auch! Ich will ein normales Leben führen können, ohne ständig Angst zu haben, die Kontrolle zu verlieren!", herrschte er sie laut an. Erschrocken zuckte seine Freundin zusammen, sah ihn mit großen Augen an.
„Taekwoon..."
Wieder murmelte sie seinen Namen, senkte dabei den Blick. Leise seufzte der junge Mann. Mit der Hand hob er langsam ihr Kinn an, kam ihrem Gesicht mit dem seinen näher. Entschlossen sah er ihr in die Augen.
„Ich möchte dich bei mir haben, ohne dass du Angst vor mir hast. Ich liebe dich, okay?"
Das war das erste Mal, dass er ihr diese drei Zauberworte sagte.
Leicht musste er grinsen, als er bemerkte, wie sie stockte. Ihre Augen wurden noch größer. Ein leises Wimmern entfuhr ihr.
„Ich liebe dich auch, Idiot!", kam es brüchig über Taeyons Lippen. Ruckartig zog der junge Mann seine Freundin zu sich heran und küsste sie. Wärme breitete sich in seinem Bauch aus. Glücksgefühle durchströmten ihn, als seine Freundin den Kuss sanft erwiderte.
Taekwoon war sich sicher, dass nun alles besser werden würde. Taeyon war sein Heilmittel. Durch sie hatte sein Leben einen Sinn. Würde sie ihn verlassen, hätte er Angst vor sich selbst.
Er wusste, dass Taeyon ihm beistehen würde. Sie würde bei ihm bleiben. Endlich würden sie glücklich werden, ein halbwegs normales Leben führen können. Ein Hoffnungsschimmer funkelte in seinem Inneren auf.
Es war das erste Mal, dass der junge Mann sich sogar auf die Zukunft freute.




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