8. Türchen - Gerry Moon
Ein Gang nach Canossa
Hier stand ich also, barfuß im eisigen Schnee.
Verdient.
Ich fror nicht.
Warum sollte ich frieren, wenn in mir eine Kälte wohnte, die sich nicht vertreiben ließ?
Ich war das Arschloch dieses Dorfes. Ich hatte es nicht mal verdient zu frieren.
Mein Haus hob sich von den anderen ab. Es lang dunkel zwischen all dem Weihnachtsschmuck meiner Nachbarn. Das Haus in meinem Rücken deckte mich, keiner sah mich hier, weil der Schatten, den mein Haus warf, mich vollkommen verschluckte. Da blieb nichts von mir übrig. Weder meine fahle Haut, noch mein ungewaschenes Haar würde man erkennen, selbst wenn man direkt vor meinem Vorgarten stehen würde.
Ich war nichtig. Das Arschloch dieses Dorfes.
Müde hob ich meinen Blick, spürte wie steif mein Nacken schon geworden war, als sich die Tür mir gegenüber öffnete.
"So hab ich das nicht gemeint!"
Das war Taehyung, der gerade aus der Tür stolperte und unsanft im Schnee landete.
Taehyung war ein Mann Anfang zwanzig, mit gelockten blonden Haaren und einem breiten Lächeln. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen. Ich hatte mit ihm aber auch noch nie ein Wort gewechselt. Er wusste, wie er der Gesellschaft folgte und brav die vermied, vor denen er gewarnt wurde. Dabei kannte er nicht mal den Grund, warum ich das Arschloch des Dorfes war. Warum ich gemieden wurde.
"Nicht?!"
Das Gebrüll war halb von der Tür verschluckt, halb von den Klamotten, die der schwarzhaarige Mann trug. Hoseok war Ende vierzig. Seine Haare waren immer raspelkurz. Ich hatte ihn noch nie mit einer anderen Frisur gesehen, nicht dass ich ihn häufig sah. Das war nicht der Fall. Hoseok war zurückgezogen, ein Mann der Arbeit.
Erst seit dem Blondschopf sah man ihn häufiger vor der Tür, ohne dass er sogleich in sein Auto stieg, um zur Arbeit zu fahren. Ich wusste nicht, als was Hoseok arbeitete. Welchem Job er nachging. Ich hatte mich nie darum gekümmert, wer meine Nachbarn waren. So gesehen war ich Hoseok gar nicht mal so unähnlich. Ich verließ mein Haus auch nicht. Nicht mehr.
Ich hatte es nicht verdient.
"Nein, habe ich nicht, verdammt!"
Taehyung rappelte sich auf, während Hoseok sich nun mit verschränkten Armen in den Türrahmen lehnte.
Wenn sie wüssten, dass ich hier war, würden sie ihren Streit gewiss nicht auf der Türschwelle austragen. Da war ich mir sicher. Das tat hier keiner. Alles fand hinter verschlossenen Türen statt.
Hinter der dubiosen, einfallslosen und kitschigen Weihnachtsdeko. Vor allem jetzt. Zur Weihnachtszeit.
Ich hatte nicht vor zu lauschen. Aber weghören konnte ich auch nicht. Nicht wegsehen, nicht bewegen. Das Eis unter der Schneedecke hatte meine Füße schon längst festgefroren, erinnerte mich daran, dass ich nicht mal mehr wusste, warum ich mein Haus verlassen hatte.
Ich sah Hoseok nicken. Er gab dem deutlich Jüngeren eine Gelegenheit, sich zu erklären, die dieser sofort nutzte. Die Worte waren leise. Sanft. Gefasster.
"Ich wollte damit nie ausdrücken, dass wir uns besser ..."
Taehyung schüttelte den Kopf.
Seine Körperhaltung fiel plötzlich. Er war nicht mehr aufgeladen mit der Energie des Streits. Er ruderte zurück, ließ die Wut verrauchen. Es war beneidenswert.
Keiner aus dem Dorf hatte geglaubt, dass die Beziehung der beiden länger als ein paar Monate halten würde, doch nun stand ich hier, den beiden gegenüber, die fast ein Jahr nun zusammen wohnten. Eine Liebe, die ebenso hinter verschlossener Tür stattfand. Die im Dorf zu Klatsch und Tratsch geführt hatte, zum Munkeln und Wispern und doch am Ende das Dorf dazu brachte, umzudenken. Sie wurden unterstützt. Taehyung war mehr Teil dieses Dorfes, als ich es war.
"Ich... tut mir leid, dass ich dich gleich so angeschrien habe. Du hast alles Recht der Welt, endlich meine Familie kennenzulernen und du bist auch kein Geheimnis... nur, ich habe noch immer Angst. Meine Eltern wissen zwar, dass ich schwul bin, aber ich weiß nicht, wie sie reagieren, wenn sie merken, dass du nicht viel jünger bist als sie... Ich habe Angst, dass sie mich wieder von sich stoßen, wie damals und..."
Es fühlte sich an, wie ein Stich ins Herz. Als hätte man einen Eiswürfel darauf gelegt.
Taehyung war schwach. Er war kein Mann. Er hatte Angst. Und er gab sie zu. Und er bat um Verständnis.
Ich spürte mein Herz bis zum Hals schlagen. Ich spürte das Adrenalin und die Panik durch meinen Körper jagen. Wie mein Gehirn sich plötzlich in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte.
Hoseok löste die Arme, sein ernstes Gesicht nahm weiche Züge an. Er lief zu Taehyung herunter und nahm den anderen Vorsichtig in den Arm.
"Sch... alles gut."
Eine Windböe kam auf, ließ das Haar der beiden wehen und durchlief mein eigenes. Frostig, eisig kalt, doch ich spürte nichts davon. Die beiden vor mir schon. Taehyung fröstelte offensichtlich und schmiegte sich eng an seinen Freund, um die benötigte Wärme zu bekommen.
"Verzeihst du mir?"
Der Eiswürfel fraß sich in mein Herz. Hoseok und Taehyung taten, was ich nicht tun konnte. Sie machten nicht den Fehler, den ich getan hatte. Der erste Fehler meinerseits, der dazu geführt hatte... Der zu allem geführt hatte.
"Nur wenn du mir verzeihst."
Das Pärchen stand noch wenige Sekunden da, auf Socken im weichen Schnee, bevor es leicht lachte und sich wieder nach drinnen wandte.
"Wie wäre es, wenn wir erstmal eine Tasse Tee machen und dann nochmal über alles ..."
Die Tür fiel genauso dumpf ins Schloss zurück, wie sie aufgerissen wurde.
Hier stand ich also, barfuß im eisigen Schnee.
Ich hatte es verdient. Ich hatte meinen Titel verdient wegen dem, was ich getan hatte. Meine Gedanken spielten Taehyung und Hoseoks Konversation erneut ab. In Dauerschleife sah ich die beiden aus der Tür stolpern und wieder hineingehen.
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Es tut mir leid.
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Hier saß ich also, nur mit einem dünnen Pullover bekleidet im eisigen Schnee.
Die Kälte spürte ich nicht. Gefühle waren mir so fremd geworden. Ich hatte keine Gefühle verdient, erst recht nicht als das, was ich war: Das Arschloch dieses Dorfes.
Ich saß im Schatten einer Weide. Meine Fußspuren zeigten mir den Weg zurück zu meinem Haus. Es erhob sich wie ein dunkles Omen. So wie die Bank unter dieser Weide. Sie stand außerhalb des Dorfes, nur ein paar Meter hinter meinem Haus. Ich hatte nur fünf Minuten hergebraucht. Meine Finger klammerten sich an das vereiste Holz.
Im Dorf war gerade der Weihnachtsmarkt.
Erinnerungen, die ich nicht brauchte. Nicht wollte. Niemand würde jetzt hier draußen zu finden sein. Niemand. Ich hoffte es. Ich brauchte keine Blicke, kein Weggehen, kein Meiden.
Und doch wurde ich gestört.
Eine Gänsehaut lief über meinen Körper, als ich die Stimme vernahm, die an allem schuld war. Er war Schuld an meiner Situation. Schuld an meinem Status als Arschloch des Dorfes. Schuld an allem.
"Ich habe nicht erwartet, dich hier zu treffen."
Ich wollte ihm nicht antworten, nicht wie er so tun, als wäre alles wie immer. Als wäre alles so wie vorher, denn das war nicht der Fall. Doch ich spürte keine Wut. Da war Leere. Von dem Eiswürfel verschluckt, den Hoseok und Taehyung auf mein Herz gelegt hatten.
Ich spürte, wie er sich neben mich auf die Bank setzte.
Er verschmolz so wie ich im Schatten. Seokjin hatte das Talent dazu. Er verschmolz mit dem Hintergrund, wenn er es wollte, oder war der Mittelpunkt des Raumes. Er steuerte es. Steuerte es immer. Ich sah sein pink gefärbtes Haar aus dem Augenwinkel, seine Ohrringe, wie sie das bisschen Licht reflektierten, das hier herfiel.
Seokjin war mein Freund gewesen. War. Gewesen.
Ich hatte die Freundschaft nicht beendet. Doch das war nicht nötig gewesen. Nicht, nachdem ich mir ein neues Handy zulegte und das Arschloch dieses Dorfes wurde.
Seokjin selbst hatte sich gut aus der Misere gehalten. Er war der Schuldige, der nicht verurteilt worden war. Nicht so wie ich. Es fühlte sich an, als würde sich eine Schnur um mein Herz legen. Ich war festgefroren, obwohl ich wusste, ich konnte jeden Moment meine Beine in die Hand nehmen und flüchten. So wie er damals.
Vier Jahre hatte er sich hier nicht blicken lassen. Vier Jahre, bevor er sich wieder hierhergetraut hatte und uns alle so begrüßte, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte er nicht dafür gesorgt, dass mein Status flöten ging. Weil es seine scheiß Idee gewesen war. Seine scheiß Idee.
"Was willst du?"
Meine Stimme war rau und kratzte in meinem Hals. Ich hatte sie lange nicht verwendet. Sie klang fremd in meinen Ohren, nicht ausgearbeitet, als hätte ich vollkommen verlernt, wie man Wörter bildet. Als sei mir Konversation so fremd geworden, wie die Wärme eines menschlichen Körpers.
Mein Körper war kalt.
"Mich entschuldigen."
Seokjin sprach ehrlich.
Ich kannte seinen unruhigen Fuß, der auf dem Boden Kreise im Schnee zog, nur zu gut. Er war nervös. Er war nervös auf meine Reaktion. Er zeigte Gefühl.
Seokjin war ein Mensch, der genauso Gefühle in der Öffentlichkeit zeigte, wie es angebracht war. Er konnte eine romantische, zu Tränen rührende Szene machen, Wut und Angst auf der anderen Seite perfekt unterdrücken. Er war ein Musterbeispiel für den perfekten Mann, auf den zahlreiche Mädchen in der Vergangenheit herein gefallen waren.
Heute war er Seokjin, ein Mann, den man noch immer nur an seinem Fuß ablesen konnte, wie ehrlich er gerade war. Seine Macke, die nur ich kannte. Er hatte sich nicht viel verändert. Unweigerlich fragte ich mich, ob er seine Masche noch wie damals durchzog. Ob er noch immer unwillige Mädchen mit seinen speziellen Methoden gefügig machte. Ich wusste es nicht. Hatte es bis zu dem damaligen Zeitpunkt nicht mal gewusst.
Ich hasste ihn dafür.
Nein, ich wollte ihn dafür hassen. Aber ich konnte nicht. Weil ich nicht besser war.
"Ich möchte mich für mein Verhalten damals entschuldigen. Ich hätte dich nicht mit reinziehen sollen."
Seokjin stoppte.
Auch sein Fuß bewegte sich keinen Millimeter mehr. Noch immer sah ich ihn nicht direkt an. Ich musste nicht. Wollte nicht. Ich wollte nicht die Erinnerungen zurückhaben, an diese Nacht, die mein Leben ruinierte. Die mich zum Arschloch dieses Dorfes gemacht hatte, zu dem, der ich nun war.
"Ich werde mich stellen."
Seokjins Stimme zitterte. Er hatte Angst. Angst, die er nicht unter der antrainierten Maske unserer Eltern verbergen konnte. Angst, die unser Vater uns sofort aus dem Gesicht geprügelt hätte, hätte er sie bei uns in den Zügen gesehen. Weil wir nicht schwach waren, sondern männlich. Weil wir keine Weicheier sein sollten.
Hinter verschlossener Tür waren Seokjin und ich Brüder gewesen. Brüder, die denselben Vater teilten, während wir uns vor der Tür nicht besser kannten, als beste Freunde. Wir waren andere Menschen als Brüder, nicht mehr wir. Doch ich glaube, wir hatten uns schon vor der Sache als Freunde verloren. Uns verloren. Verloren im Hass.
Er musste mir nicht sagen, warum er sich dazu entschieden hatte. Ich wusste es. Weil er an meiner Tat gesehen hatte, wie es denen erging, die zwischen seine Finger geraten waren. Ich war der Spiegel für ihn, der Ableger, die Realisation.
Der Schnee knirschte, als er sich bückte und eine Hand voll Schnee aufhob und ihn zu einer Kugel formte.
"Erinnerst du dich noch an die Schneeschlacht mit Mama?"
Seokjin war mehr Mann, als ich geglaubt hatte.
Das wurde mir jetzt klar. Er versteckte sich nicht mehr. Versteckte sich nicht mehr hinter Drogen oder im Ausland. Nicht mehr hinter dem geerbten Geld unseres Vaters und nicht dem, das er selbst verdiente.
Seokjin sprach seine Schwachstelle an, unsere. Ein Thema, über das wir stillschweigend ein Tabu gelegt hatten, um nicht zu den Weicheiern zu werden, die unser Vater so gefürchtet hatte.
"Ja."
Meine Antwort ging unter.
Nicht in einem lauten Geräusch, sondern in der Stille. Einer Stille, die das Band noch fester um mein Herz zog, den Eiswürfel tiefer rein drückte. Begann mich zu ersticken.
Seokjin rutschte von der Bank. Er kniete nun vor mir. Wie ein Vater vor seinem kleinen Kind. Wie ein großer Bruder vor seinem jüngeren, den er trösten musste, weil er sich weh getan hatte. Doch meine Wunden waren verheilt und hatten schon lange Narben zurückgelassen.
Ich hatte meine Wunden ausgebrannt.
"Ich glaube, sie wäre auf das, was ich getan habe, nicht stolz. Aber vielleicht ist sie stolz auf das, was ich zukünftig tun werde. Und ich glaube, das trifft auf dich auch zu. Vielleicht ist sie es ja schon jetzt."
Unsere Mutter. Unser Engel im dunklen Zuhause. Zu viel beschäftigt. Zu viel auf der Arbeit. Zu früh gestorben, um uns ihre wichtigen Normen zu vermitteln. Bis auf zwei. Zwei, die wir verbannten, um zu denen zu werden, die unser Vater haben wollte: sei ehrlich und liebevoll.
Seokjin streckte mir ein bisschen seine Hände entgegen. Der Schneeball war noch immer dazwischen. Ich konnte ihn greifen. Die verbundenen Erinnerungen damit hervorrufen. An den letzten Winter, in dem alles okay war, bevor daheim alles den Bach runter ging. An den anderen Winter, in dem ich der Idee meines Bruders zustimmte, ohne die Konsequenzen zu wissen.
"Verzeihst du einem großen Bruder, der nicht auf seinen jüngeren aufpasst hat? Verzeihst du einem so schrecklichen großen Bruder? Verzeihst du mir?"
Mein Blick wanderte vom Schneeball hoch zu seinem Gesicht. Er trug keine Maske, keinen seiner Alter Ego, die er außerhalb unseres Zimmers an die Tagesordnung gelegt hatte. Das war nur er, mein Bruder, mein Freund, mein Verbündeter aus der Kindheit.
Sein pinkes Haar lag nass auf seiner Stirn, seine Ohrringe funkelten einmal mehr.
Wieder wartete er. In seinen Augen Tränen. Tränen, die wir aus unserem Leben verbannt hatten, die gestorben waren mit unserer Mutter. Seokjin fragte mich nicht danach, ihm seine Taten zu verzeihen. Er fragte mich nicht um Verständnis. Fragte mich nicht, zu verstehen, warum er tat, was er tat. Ich wollte es auch nicht wissen. Ich wollte nicht wissen, warum mein Bruder so geworden war.
Er bat mich etwas anderes.
Vorsichtig legte ich meine Hände um seine, ließ zu, dass er mir den Schneeball übergab.
"Danke... Ich bin stolz auf dich."
Seokjin war schneller aufgestanden, als ich etwas sagen konnte.
"Ich bin stolz auf dich, dass du nicht weggerannt bist wie ich. Ich werde es nun auch nicht mehr tun."
Sein Lächeln erreichte sein Herz, kam aus seiner Seele, war voller Hoffnung und Angst auf die Zukunft, die er gewählt hatte.
Ich sah ihm einen Moment nach, bevor mein Blick zurück zum Schneeball wanderte. Er lag kalt und nass in meiner Hand. Der Eiswürfel in meinem Herz war gequetscht mit dem Band, das Seokjin gewoben hatte. Einem Band, das schwer auf mir lag.
Seokjin wusste, dass ich ihm verzieh, kein guter großer Bruder gewesen zu sein. Dass er nicht so auf mich aufpassen konnte, wie er es hätte tun müssen. Dass er feige gewesen war. Er wusste es, ohne dass ich es aussprechen musste.
Ich sah dem Schneeball dabei zu, wie er schmolz. Von dem bisschen Wärme, das Seokjin hinterlassen hatte, denn meine würde dazu nicht ausreichen.
Ich schluckte, doch der Kloß in meinem Hals blieb bestehen. Da gab es nichts, das dafür sorgte, dass das Band verschwand. Nichts, das es von meinem Herzen löste.
Hier saß ich also, nur mit einem dünnen Pullover bekleidet im eisigen Schnee.
Die Kälte spürte ich nicht. Gefühle waren mir so fremd geworden und doch hatte ich jedes Gefühl in Seokjin ablesen können. Ich hatte Gefühle verdient. Es fühlte sich an, als dürfte mein Eis auch schmelzen. In Dauerschleife spürte ich den Schneeball in meiner Hand zu Wasser werden.
Ich hatte es nie gewollt.
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Es tut mir leid. Bitte verzeih mir.
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Jetzt stand ich hier, vor der Haustür, mit einer dünnen Hose im eisigen Schnee.
Ich spürte den kalten Wind gegen mich wehen. Es war, als würde er mich treiben, wie die Unruhe die letzten Tage. Als würde er mich verfolgen wie die Albträume.
Ich hatte nicht viel geschlafen. Das hatte ich seit damals nicht. Es holte mich ein. Mich, das Arschloch dieses Dorfes.
Leicht panisch schloss ich die Augen, als ich spürte, dass ich die Tür hinter mir tatsächlich geschlossen hatte. Ich hatte sie ins Schloss fallen lassen, damit es kein Zurück gab. Weil es im echten Leben auch kein Zurück gab. Ich konnte nicht zurück in den Advent von vor elf Jahren.
Ich konnte mich selbst nicht aufhalten.
Der Eiswürfel in meinem Herzen ließ mich zittern, ohne das mir kalt war. Er ließ mich zittern, je mehr Wärme ich ersuchte. Ich wusste, ich hatte Fehler gemacht.
Er tötete andere Gedanken, fror sie ein.
Er ließ mir keine Ruhe.
Ich wollte weg von ihm, doch er war in mir. Auch das hier war ein erneuter verzweifelter Versuch, dem Eiswürfel Einhalt zu gebieten. Doch nutzlos.
Ich wusste es schon jetzt, ohne versucht zu haben, an das zu denken, was ich an Lebensmittel noch im Haus hatte.
Ich hasste diesen Tag.
Ich hasste mich selbst, damals so weit gegangen zu sein. Ich hatte Grenzen überschritten. Grenzen, die man nie überschreiten sollte, weil es an manchen Punkten ein Nein gab, welches man akzeptieren sollte. Nein, musste.
Ich spürte das Zittern durch meinen Körper laufen, als mein Fuß den ersten Schritt tat. Hinaus aus dem Schatten, der mich noch verborgen hatte.
Ich hatte damals im Rampenlicht gestanden, damals, bevor ich meine zwei Jahre Gefängnis angetreten war, freiwillig.
Damals hatte ich es nicht verstanden. Ich hatte nicht das Ausmaß von dem verstanden, was ich getan hatte. Doch ich war freiwillig gegangen. Weil ich geglaubt hatte, es würde ausreichen. Aber hier ging meine Strafe ungezügelt weiter. Wie sie es sollte.
Ich war das Arschloch dieses Dorfes und ich hatte geschwiegen.
Alles hatte ich angenommen und nichts dazu gesagt. Weil ich es verdient hatte.
Das Band zog sich zu, es fühlte sich an, als könnte ich nicht mehr schweigen. Als würde mir die Kehle zugeschnürt werden, damit ich kein Wort hervorbringen konnte. Und doch wusste ich nicht, was ich sagen wollte. Ich wusste nicht, was mich antrieb, auch meinen anderen Fuß vortreten zu lassen.
Ich fühlte mich entblößt, obwohl niemand auf der Straße war.
Keiner sah mich hier, wie ich die ersten Schritte unternahm.
Keiner wusste davon.
Die Unruhe begann mich zu treiben. Meine nächsten Schritte brannten. Meine nackten Füße beschwerten sich über die Kälte. Sie protestierten, taten weh, doch ich musste. Ich wurde von dem Eiswürfel in meinem Herzen gezwungen. Von den Fehlern meiner Vergangenheit.
Von meinen Gefühlen.
Gefühle, die ich Jahre zurückgedrängt hatte.
Ich hatte mein Gartentor erreicht. Es war zerfleddert, kaputt. Es bot keinen Schutz mehr, war genauso heruntergekommen, wie ich es war.
Meine Kleidung war dünn, ausgefranst. Ich hatte mir seit damals nichts Neues geleistet und lebte von dem bisschen, das ich schon immer besessen hatte oder was mir Seokjin still und heimlich auf die Türschwelle legte.
Ich ließ das Gartentor hinter mir, spürte, wie die Kälte meine Knöchel versteifte, wie die Schritte immer schwerer wurden, doch das war erst der Anfang.
Der Anfang.
Ich stoppte mitten auf der Straße und sah, wie Taehyung überrascht aus dem Fenster zeigte, wahrscheinlich Hoseok davon berichtete, mich hier stehen zu sehen. Doch die Szene blieb nicht in meinem Kopf hängen.
Der Eiswürfel fraß mich auf, die Kälte stach, raubte mir den Atem und ich drehte mich langsam zur Seite. Die nächsten Schritte waren gehetzt, ich rannte den Weg entlang. Ich war verfolgt. Mein Tempo steigerte sich. Ich wusste nicht, wohin ich rannte, ich wusste nicht, wohin mich meine Füße trugen, obgleich ich sie nicht mehr spürte. Ich stolperte und fiel.
Meine Knie und Ellenbogen schmerzen, ich spürte, dass ich mir die Hose und den Pullover kaputt gerissen hatte, doch es konnte mir nicht egaler sein.
Mein kurzer Fluchtinstinkt war so abrupt gestoppt worden, wie er begonnen hatte. Langsam stemmte ich mich auf. Der Schnee fraß sich in meine Hände, die Kälte hatte nun meinen ganzen Körper erfasst. Mein Atem brannte in meiner Lunge und kratzte in meinem Hals.
"Geht es dir gut?"
Mein Kopf ruckte hoch, meine Augen hatten sofort das kleine Mädchen erfasst, das mich mit großen Augen betrachtete. Sie hatte dieselben großen, unschuldigen Augen.
Ich hatte sie noch nie gesehen.
Mein Atem rasselte, während sie einen Schritt auf mich zutrat und den Kopf schief legte. Gerade, als ich ihr antworten konnte, wurde sie am Arm zurückgezogen.
Ich kannte die Frau.
Erinnerungsfetzen zogen in meinem inneren Auge vorbei, übersprudelte mich mit Vergangenheit, die ich versuchte zu verdrängen. Sie war eines der Mädels gewesen, mit denen Seokjin hin und wieder abgehangen hatte, wenn ich nicht mit dabei war.
"Halt dich von meiner Tochter fern!", zischte sie mir fast hysterisch zu, bevor sie ihre Tochter mit sich zog.
Die großen Augen betrachteten mich, fragend, verwirrt.
"Mama? Warum gehen wir?", hörte ich die Kleine fragen.
"Der Mann ist böse."
Noch einmal schaute sie über ihre Schulter. Unschuldig. Nicht verstehend, was an mir böse war.
Ich hatte keine Energie, wütend zu sein, wie ich es früher gewesen war. Ich war aus der Phase raus, wütend über die Menschen zu sein, die nicht wussten, was ich getan hatte, die mir gleich mehrere und andere Verbrechen an den Hals legten, als ich begangen hatte.
Früher hatte ich geglaubt, mit dem Absitzen meiner Strafe sei alles getan. Als sei meine Handlung rückgängig gemacht worden. Doch ich wusste es besser. Jetzt wusste ich es besser.
Das Band um mein Herz zog sich zusammen, pulsierend, schmerzend. Es gab etwas zu sagen. Es gab etwas ganz Dringendes zu sagen, das längst überflüssig geworden war. Ich schluckte trocken und stand auf.
Ich stand am Beginn des Weihnachtsmarktes. An einer Seitenecke, rechts neben mir war der Stand mit Bienenwachskerzen und links ein Stand, der Glasfiguren verkaufte. Erneut prasselten Erinnerungen auf mich nieder.
Ich hörte unser Lachen, spürte mein damaliges Glück, begleitet mit einem unbändigen Schmerz.
Ich brannte.
Mein Herz zerbarst unter dem Druck, zersprang in die Hitze, die die Kälte verursachte. Der Eiswürfel hatte meinen ganzen Körper gepackt, das Band zog mich und die Hitze brannte in mir.
Ich hatte Fehler gemacht.
Schreckliche Fehler. Und ich wusste es. Ich ignorierte es nicht.
Ich trat hinaus auf die Straße des Weihnachtsmarktes. Augenblicklich spürte ich das warme Licht von den Lampions auf mich niederscheinen. Rötlich, golden, weihnachtlich.
Es brannte, es brannte so sehr.
Ich sah die Bommelmütze, die wir zusammen gekauft hatten. Ich sah die Glasfiguren von damals, ich sah, wie wir uns etwas abseits beim Weihnachtschor hinsetzten, um in Ruhe kuscheln zu können. Ich konnte wieder unsere Lippen aufeinander fühlen und die Liebe, die ich empfunden hatte.
Ich brannte, verfolgt von der Vergangenheit.
Meine nächsten Schritte waren fest. Sie waren nicht getrieben, sie waren keine Flucht. Ich tat sie bewusst. Ich spürte sie, obwohl mein Körper taub war.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Menschen vor mir zurückwichen. Ihr Tuscheln bohrte sich in meine Ohren, doch ich konnte es nicht filtern, ich wollte nicht. Noch nicht. Für einen Moment schloss ich die Augen, bevor ich mich ihnen stellte.
Zum ersten Mal ignorierte ich ihr Gerede nicht nur, sondern hörte genau hin, was sie erzählten. Für was sie mich verachteten, für was ich mich verachtete.
Hier war ich entblößt. In der Anwesenheit des ganzen Dorfes war ich mit meiner mickrigen Kleidung entblößt. Entblößt bis auf die Knochen. Sie konnten alle in mein Inneres blicken.
Sie sahen mich brennen.
Meinen Stolz hatte ich damals verloren, meine Würde hatte ich aufgegeben in dem Moment, als ich sie ihm nahm.
Ich wusste, ich hatte die ganzen Jahre auch gebrannt. Ich hatte mich ausgebrannt, meine Wunden ausgebrannt, das Feuer behalten.
Die Reue.
Ich spürte, wie mir die Blicke dieser Menschen folgten, die einst mit mir befreundet gewesen waren. Dieser Menschen, die die Eltern meiner Freunde gewesen waren. Dieser Menschen, die von mir nur gehört, doch mich bisher nie gesehen hatten.
Meine Füße folgten meinem Befehl, brachten mich genau dorthin, an den Ort, an dem meine Anwesenheit für diesen einen Moment längst überflüssig geworden war. An dem Ort, an dem meine Anwesenheit sonst nie wieder erwünscht sein würde.
Mein Herz klopfte wild. Mein Atem ging unkontrolliert und stoßweise, die weißen Wölkchen verrauchten vor mir, während ich meinem Körper verbat zu zittern. Ich sah auf das dunkle Holz. Auf die Fußmatte unter meinen Füßen, die Gäste willkommen hieß. Langsam hob ich den Kopf.
Jetzt stand ich hier, vor der Haustür, mit einer dünnen Hose im eisigen Schnee.
Ich spürte den kalten Wind gegen mich wehen. Er umarmte mich, stärkte mich für das, was mir bevorstand. Ich hatte es geschafft. Ich war einmal durch das ganze Dorf gelaufen, ich stand hier. Zittrig hob ich meine Hand. Mein Blick fiel auf das Klingelschild, während ich meinen Finger auf die Klingel legte: Familie Park.
Dann drückte ich.
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Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich.
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Hier stand ich also, geschlagen im eisigen Schnee.
Ich würde es überstehen, ich musste es schaffen. Ich hatte dennoch keine Hoffnung in mich.
Der Klingelton bimmelte mehrere Sekunden in mir nach, erinnerte mich daran, dass ich diesen Ton selbst bei mir seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Dass es niemanden gab, der sich darum scherte, dass meine Klingel kaputtgegangen war.
Ich hatte keine funktionierende Klingel verdient, keinen Besuch, weil ich das Arschloch dieses Dorfes war. Ich wusste es. Wie alle hier wusste ich es. Aber ich konnte nicht mehr.
Die Tür öffnete sich wie in Zeitlupe. Ich sah die kleine Hand, die Haut, wie sich ein Gesicht hinter der Tür hervorschob. Ich sah das glatte schwarze Haar, dass ich in der Vergangenheit häufig durchstrubbelt hatte. Ich unterdrückte den Drang, es wieder zu tun. Wieder zurück in ein altes Muster zu fallen, weil es das nie wieder geben würde. Ich hatte ihn zerstört.
Dann traf mich sein Blick.
Sprachlos standen wir beide voreinander.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er so schön aussehen konnte. Sein Gesicht war makellos, seine Züge waren nun erwachsen. Mein Herz zog sich zusammen, das Band erstickte mich, ließ nicht zu, dass ich ihm sagen konnte, wie schön ich ihn finde. Nach allem schlug mein Herz noch immer für ihn. Und es wurde Zeit loszulassen.
Ich sah die Angst in seinen Augen flackern und spürte, wie ich unwillkürlich einen Schritt zurück trat.
Ich wollte ihn nicht verschrecken. Nach all den Jahren wollte ich nicht, dass er noch Angst vor mir hatte.
"Wer ist da?"
Die Worte ertönten aus dem Inneren der Wohnung. Sie wirkten stark und liebevoll. Genau das, was er brauchte. Das, was ich vermasselt hatte. Das, was ich ausgenutzt hatte. Ich hatte es gewusst. Ich war nicht blind. Ich sah den Ring an seiner Hand, sah die Hochzeitsfotos hinter ihm und hatte die Anzeige in der Zeitung gelesen.
Er war seinen Weg gegangen, während ich festgesteckt hatte. Nicht anders verdient hatte ich das. Ich, das Arschloch dieses Dorfes.
Ich sah, wie er den Mund öffnen wollte, doch er brachte keinen Ton hervor.
Dann sah ich ihn. Seinen Ehemann. Der Mann, dessen Stelle ich hätte haben können, wenn ich... Nein, es gab nichts daran zu ändern. Ich war nicht dazu gemacht, diese Stelle zu haben, denn ich wusste, der Fehler gehörte zu mir, ich hatte ihn getan und ich würde ihn wohl wieder für richtig halten, wenn ich nicht die Konsequenzen erfahren hätte. Weil es niemanden gegeben hätte, der mich davor bewahrte.
Mein Charakter war darüber definiert.
Ich war darüber definiert. Über den Fehler, den ich gemacht hatte.
"Was willst du?", herrschte mich Namjoon an und griff nach der Tür, um sie und sich jederzeit zwischen mich und die Person zu schieben, deren Leben ich zerstört hatte.
Die Flammen in mir brannten, lösten jeden anderen Gedanken aus, an alles andere. Mein Blick fokussierte sich wieder auf ihn, riss sich von Namjoon los.
Es fühlte sich an wie eine Demütigung, doch ich hatte es nicht anders verdient.
"Ich...", begann ich, wurde jedoch von Namjoon unterbrochen.
„Du hast hier nichts zu suchen. Verschwinde!"
Ich ließ meinen Blick sinken. Namjoon hatte recht. Er hatte Recht damit, dass ich hier nichts zu suchen hatte.
"Lass... lass ihn sprechen... ich möchte wissen, was er möchte..."
Seine sanfte Stimme durchdrang mich und löste den Eiswürfel. Erleichterung durchflutete mich. Ich durfte bleiben. Ich spürte, wie meine zitternden Beine nachgaben und griff nach der Holzsäule des Vordaches.
Das Feuer in meinem Inneren versengte mich, jetzt vor ihm noch schlimmer.
"Es tut mir leid."
Meine Worte waren nur ein Wispern. Ein sanftes Wispern. Es fühlte sich an, als würde das Band meine Stimmbänder zusammenknoten und nur dieses sanfte Wispern hervorbringen.
Ich sah seine Augen, wie sie groß wurden und spürte, wie mein Körper zitterte. Dann gab er nach, ich rutschte auf meine Knie, spürte, wie meine Hände und Füße brannten vor der Kälte. Kälte, die ich nicht anders verdient hatte, als Arschloch, doch ich konnte nur hoffen.
"Es tut mir so leid", diesmal waren meine Worte erstickt. Erstickt von dem Eiswürfel, der sich seinen Weg nach außen bahnte. Ich spürte die warmen Tränen über mein Gesicht laufen, spürte, wie es mir körperlich wehtat, dass die Angst noch immer nicht aus seinen Augen verschwunden war. Sah, wie grimmig und eindringlich mich Namjoon beobachtete.
Mich beobachtete, um eingreifen zu können, sollte ich etwas wagen. Aber ich würde nichts wagen, weil ich wusste, dass ich es nicht verdient hatte, seine Wärme ein weiteres Mal zu spüren.
"Alles, tut mir leid."
Jetzt war meine Stimme gefasster. Ich schluckte, schluckte freier, weil ich nun begonnen hatte zu reden. Weil es nun kein Schweigen mehr gab. Weil das Band begann, sich zu lösen, sich aus meinem Mund zu friemeln. Weil die Flammen in meinem Inneren sich danach anfühlen, als würden sie Hoffnung sehen.
Ich sah die Tränen in seinen Augen schwimmen. Hatte den Drang sie wegzuwischen, doch wusste ich, ich durfte das nicht. Ich hatte nicht das Recht dazu. Ich hoffte, dass Namjoon es tun würde. Es besser machen würde als ich.
"Ich weiß, man kann mir nie verzeihen, was ich dir angetan habe, ich werde es damit nie rückgängig machen können, aber ich möchte, dass du weißt das ich es bereue, dass ich mir wünsche es nicht getan zu haben, dass ich brenne, dass ich leide, dass ich..."
Ich schaute ihm nun direkt in die Augen, sah die schwankenden und undeutbaren Gefühle darin.
"Ich bin das Arschloch dieses Dorfes und ich habe es verdient, mehr als verdient und dennoch... dennoch möchte ich dich um Verzeihung bitten."
Die Worte sprudelten aus mir hervor, meine Gefühle setzten sich frei. Durchströmten mich, ließen mich weinend und zitternd hier vor ihm sitzen, an den Holzbalken geklammert. Ich war erbärmlich.
"Ich habe dich geliebt."
Seine Worte stachen in mein Herz, zerstückelten es, zersprengten es in tausend Einzelteile.
"Ich habe dich geliebt...", wiederholte er und ich hörte, dass auch er weinte.
"Ich habe Jahre darauf gewartet, habe darauf gewartet, dir sagen zu können, was für ein Arsch du bist, dir sagen zu können, dass du nur mehr Geduld mit mir hättest haben müssen..."
Seine Stimme zitterte.
"Ich habe darauf gewartet, dass du angekrochen kommst und mich um Vergebung bettelst, dass du mich darum anflehen zu vergessen, was du getan hast."
Sein Körper zitterte. Erfasst von den Erinnerungen, die ich aufgewühlte. Die ich nicht aufwühlen sollte.
Er holte Luft, Luft, die so wichtig zum Atmen war. Die uns mit allem Möglichen versorgte und doch fühlte es sich gerade an, als würde ich pures Gift einatmen. Die Kälte zermürbte meinen Körper, auf den ich seit damals keine Rücksicht genommen hatte. Weil ich es nicht verdient hatte.
"Ich habe erwartet, dass ich dir nicht verzeihen kann...", sprach er weiter und ich schaute nun auf. Sein Gesicht war verzogen, zu einem schmerzverzerrtem Lächeln.
"Aber ich habe festgestellt, dass ich dir nicht nicht verzeihen kann. Ich kann ebenso wenig rückgängig machen, was damals geschah, aber ich liebe dich noch immer. Ich sehe noch immer den Fürsorglichen vor mir, der, der mir das Glück der Welt schenkte, der mich in andere Welten entführt hat."
Ich schluckte den Kloß herunter, versuchte, unter meinen Tränen und meinen Schluchzen ihm weiter ins Gesicht zu schauen.
Das Feuer legte sich. Legte sich, erlosch unter seinen Worten.
Er heilte meine Wunden, obwohl er nicht dafür zuständig war. Er heilte mich, obwohl ich ihn kaputt gemacht hatte.
"Ich liebe dich auch...", wisperte ich. Ein Teil von mir liebte ihn, würde ihn immer lieben. Nie würde dieser Teil vergessen, was wir hatten, was ein anderer Teil von mir zerstört hatte.
"Ich bin froh, dass du es noch geschafft hast, mich um Verzeihung zu bitten...", meinte Jimin und ich sah, wie er lächelte. Die Angst war aus seinen Augen gewichen und er trat einen Schritt auf mich zu.
"Namjoon und ich haben vor, Kinder zu adoptieren und ziehen deswegen um", erklärte er und ich spürte, wie die Angst mich ergriff. Eine Angst, von der ich wusste, dass sie unberechtigt war. All die Jahre wusste ich, er war hier, wenn ich ihn suchen wollte. Wenn ich ihn sehen wollte. Doch das würde er bald nicht mehr sein.
"Ich bitte dich, leide nicht mehr, nicht wegen dem zwischen uns... Es ist passiert und wir haben beide gelernt... Ich würde mir für dich wünschen, dass du ein neues Leben anfängst, dass du den Rest deines Lebens jemanden glücklich machen kannst und zwar dich selbst. Ich möchte, dass du ein glückliches Leben führen kannst, Yoongi."
Die Tränen liefen nun auch ihm über das Gesicht. So ungehemmt. So, wie ich ihn kannte. So, wie ich ihn liebte.
Schluchzend nickte ich.
"Ich wünsche es dir auch, Jimin", sagte ich, schaffte es zu lächeln. Ein ehrliches Lächeln. Ein Lächeln, dass aus meinem Inneren kam, das mir Hoffnung schenkte. Sein Blick, so liebevoll. Es war meine Hoffnung. Mein Strahl in der Dunkelheit. Mein Strohhalm im Fall.
Vorsichtig zog ich mich auf die Beine.
"Leb wohl."
Jetzt stand ich hier, lächelnd im eisigen Schnee.
Ich wusste, ich war noch nicht bereit. Noch nicht bereit, Jimins Bitte zu erfüllen. Aber ich musste es schaffen. Ich hatte Hoffnung in mich. Er hatte Hoffnung in mich.
Und den ersten Schritt hatte ich getan. Ich spürte den Schnee unter meiner Fußsohle, spürte wie er nachgab. Frischer Schnee, der gerade herabfiel. Zum ersten Mal war die Weihnachtsbeleuchtung friedlich. Erdrückte mich nicht, erfüllte mich.
Das Glück durchströmte mich und ich wischte die letzten Tränen von meinem Gesicht. Ein Schritt nach dem anderen. Ich wusste nicht, wo ich beginnen sollte.
Ich sah den Flocken dabei zu, wie sie fielen. Fing eine auf und ließ sie in meiner Hand schmelzen. Ja, vielleicht war es doch kein allzu schlechter Gedanke, mal auf dem Dachboden nach der Weihnachtsdeko zu suchen.
Licht, um die Dunkelheit zu erhellen.
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Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich. Ich danke dir.
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