22. Türchen - Ray-Sai

Sommer im Winter

[Eden, das]
Wortart: Substantiv, Neutrum (Eigenname)
Der Name Eden (hebräisch עֵדֶן ʿēdæn) geht auf das gleichlautende hebräische Nomen zurück und bedeutet „Wonne" oder „Wonneland".


***

Einer der kältesten Winter seit Menschengedenken traf Korea ohne Kompromisse. Der erste Schnee war bereits gefallen und bedeckte die Hauptstadt in einem unschuldigen Weiß. Die Temperaturen befanden sich schon seit Tagen in den Minusbereichen und laut Wetterbericht sollte sich dies auch nicht so schnell ändern.

Dennoch herrschte auf den Straßen ein reges Treiben. Nicht großartig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Weihnachtszeit mit all ihrer Verschwendungskraft zu beginnen droht und jeder sich daran machte, die „perfekten" Geschenke zu besorgen. Dass man bei all dem Stress zu schnell die eigentliche Schönheit dieser Zeit verpasste war unglücklicherweise vielen nicht bewusst.

Doch in einem gewissen Café, das er seit einiger Zeit besuchte, hatte ein frisch eingestellter Büroangestellter, der den Namen Lee Minho trug, seine Ruhe gefunden. Der Duft von gemahlenen Kaffeebohnen lag in jedem Moment in der Luft und mischte sich mit einer speziellen Note aus Zimt und Vanille. Abgekapselt von dem ganzen Trubel der für diese Zeit im Jahr typisch war, saß er an seinem Stammtisch, trank den frisch aufgesetzten Kaffee auf die Art und Weise, auf die er ihn mochte, schwarz und mit einem Würfel Zucker (auch wenn sein guter Freund Han diese Herangehensweise an das Thema Kaffee für Blasphemie hielt), und befand sich in der Nähe der Person, die ihn auf eine unbeschreibliche Art faszinierte.

Wie eine Motte, die in Richtung Licht flog, fand auch er seinen Platz immer wieder in diesem kleinen, eher mittelmäßigen Café. Es war, als hätte Minho sein persönliches Eden gefunden, denn er fühlte sich, als wäre er angekommen und sollte er sich von diesem Ort entfernen, so ergriff sein Herz die Kontrolle und plagte ihn mit einem Gefühl namens Sehnsucht. In seinem Bauch tobten jedes Mal die Gefühle, sobald er durch die Tür trat, und ein Kribbeln breitete sich in seinem Bauch aus, wenn diese eine Person sich mit der Intention seine Bestellung aufzunehmen auf den Weg zu seinem Tisch begab. Dieser herausragende Mensch machte den Ort erst zu dem, was es in Minhos Augen war; etwas ganz Besonderes.

Es war für ihn überraschend, welche Macht der blonde Eigentümer des Cafés über ihn hatte. Er brauchte nur in seiner blauen Skinny Jeans auf den Braunhaarigen zukommen, mit einem Lächeln auf den verführerisch roten Lippen, das es bereits nach wenigen Wochen geschafft hatte, das Eis seines Herzens zu schmelzen, und schon gehörte er allein ihm. Minho wusste nicht, was er tun sollte, jetzt wo es ungeschützt in seiner Brust verweilte und ihn dazu drängte, regelmäßig an seinen Ort der Ruhe zu gehen. Also machte er, als logische Schlussfolgerung, das Café zu seinem Stammcafé und diesen Mann zu seinem persönlichen Eden.

Und das, obwohl er zu Beginn nicht einmal seinen Namen kannte.

***

Diesen erfuhr er bei seinem dritten Besuch in dem Café, das den Namen Elysium trug.

Es war Anfang Winter, als er das erste Mal seit Tagen rechtzeitig das Büro verlassen konnte und sich auf direktem Weg nach Hause machte, um einen entspannten Abend zu verbringen. Doch es kam anders.

Er wäre fast an dem Laden vorbeigelaufen, doch die ausdrucksvollen Augen des Besitzers, die ihn schon seit dem ersten Augenblick in ihren Bann zogen, ließen Minho seine Pläne vergessen. Er war ohne es abstreiten zu können interessiert an dem schönen Mann, der gerade Blickkontakt mit ihm aufgebaut hatte und darauf zu warten schien, dass der ungefähr Gleichaltrige wie die letzten Tage auch durch die Tür schritt.

Tatsächlich schaffte es dieser Blick, ihn zu überreden, und Minho merkte, wie tief er schon für den Ladenbesitzer gefallen war.

Als er das Elysium betrat, erfasste ihn sogleich eine wohltuende Wärme. Das ganze Café war voll mit vor sich hinwuchernden Grünpflanzen, die viel zu viel Platz der Ladenfläche einnahmen. Das hatte er schon bei seinem ersten Besuch bemerkt, und dennoch gab es dem Laden einen gewissen Charme, denn man sah, mit wie viel Liebe und Hingabe sie gepflegt wurden. Vielleicht lag es auch an der Wärme, die seine Augen zu jeder Zeit ausstrahlten.

Sein Eden lachte hell auf, als er gerade die Bestellungen von einer Frauengruppe aufnahm, die ihn ganz offensichtlich anhimmelte, und strich sich dabei eine seiner blondierten Haarsträhnen hinters Ohr. Vor der Tür herrschte der eiskalte Winter mit fester Hand und dennoch schaffte er es, die Sonne direkt in dieses Café zu bringen. Mit einem einzigen Lachen.

Das war etwas, das Minho mit der Zeit von ihm lernte. Er benutzte sein Lachen nie als soziales Werkzeug, er gab sich nie der Falschheit des höflichen Lachens hin, sondern war ehrlich, und das in einem fast unmöglichen Ausmaß. Vielleicht war das auch der Ursprung der Faszination, die Minho entwickelte.

So traf ihn auch sein wahres Lächeln mit voller Kraft, als der blonde Eigentümer mit bestimmenden Schritten und einem selbstsicheren Blick auf ihn zukam. Um Haltung zu bewahren, lehnte sich Minho so lässig wie möglich an den Tresen und wartete, bis er bei ihm angekommen war. Er hielt genauso wie Minho die gesamte Zeit den intensiven Blickkontakt und wieder einmal war der gutaussehende Büroangestellte beeindruckt von dem Selbstbewusstsein, das sein attraktives Gegenüber aufbringen konnte, wenn es denn wollte. Mit seiner nicht zu vergleichenden Schönheit wusste er, wie er aufzutreten hatte, um jedes Individuum auf diesem Planeten um den Finger zu wickeln. Er schaffte es, die perfekte Balance aus Schüchternheit und Stärke auszustrahlen.

Minho fühlte, wie sich sein Herz bei diesem Anblick verlor, und als er das Café spätabends verließ, war sein Lächeln genauso ehrlich wie das des blonden Mannes, und sein Versprechen wiederzukommen war es ebenfalls.

Vielleicht wollte sein Herz zu sehr daran glauben, doch der Braunhaarige bildete sich ein, der Besitzer würde ihm noch einige Sekunden verträumt hinterhersehen, als er das Café schlussendlich verließ.

In seinem Gehirn brannten sich die Worte ein, welche die roten Lippen des Cafébesitzers vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatten.

„Mein Name ist Hyunjin. Und wie lautet dein Name?"

***

Mit der stetig wachsenden Anzahl an Besuchen, die Minho bei Hyunjin zu verbuchen hatte, wuchs auch ihre Vertrautheit. Man würde von den Zweien, wenn man sie denn beobachtete, nicht vermuten, dass sie sich vor drei Wochen das erste Mal gesehen hatten. Es wirkte so, als wären ihre Seelen schon viel länger verbunden.

Minho fühlte sich, als würde er verrückt werden. Es fing damit an, dass er den Blonden bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, beobachtete. Er fing an es zu mögen, wenn dieser gedankenverloren zu einem Song aus dem Radio mitwippte und dabei in seine eigene Welt abdriftete. Seine Bewegungen begannen für den Büroangestellten einzigartig zu wirken, so elegant und dynamisch, wie er es noch nie gesehen hatte. Der Kleidungsstil von Hyunjin war atemberaubend. Er sah in jedem noch so einfachen Shirt unglaublich gut aus und sein liebenswerter Charakter, der sich bei jeder Interaktion mit seinen Kunden oder sogar mit seinen geliebten Pflanzen zeigte, waren für Minho nicht ertragbar. Sein Herz sehnte sich mit jeder Faser nach dem Beginn einer tiefergehenden Beziehung.

***

Es war spät geworden auf der Arbeit. Die Sonne war schon längst untergegangen, wie es in der dunklen Zeit des Jahres so üblich war. Und obwohl er total fertig war, zog es ihn ohne Gnade in Richtung seines Paradieses. Sein Herz wollte ihn heute noch einmal sehen. Die Chancen standen zwar nicht sehr gut, dass dies gelingen würde, da das Elysium bald schloss, aber das hielt das nutzlose aufgetaute Teil nicht davon ab, es versuchen zu wollen.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt; das war unumstößlich das Motto des heutigen Abends und gegebenenfalls auch das der sternklaren Nacht, die sich mit all ihrer Schönheit zeigen würde.

Das Erste, was er wahrnahm, war die laute Musik, die unverkennbar aus dem Inneren des Cafés schallte. Minho kannte das Lied. Hatte es schon einige Male gehört, während er dem Blonden dabei zusah, wie er sich in den Klängen seines Lieblingsliedes verlor und ohne es zu merken begann mitzuwippen.

Als er näherkam, sah er die gedimmten Lichter und eine Silhouette, die sich anziehend zu der Melodie bewegte. Im schwachen Licht sah er das goldene Haar von Hyunjin aufblitzen und konnte seinen Blick nicht mehr von ihm abwenden. Er bewegte sich nahezu perfekt zu der Musik.

Minhos Gehirn schaltete sich in diesem Moment aus. Er bewegte sich von selbst. Trat mit einer Selbstbewusstheit in den Raum, die er von sich kaum erwartet hatte, und war bereit, alles auf diese eine Karte zu setzen. Vertieft in seine eigenen Bewegungen bemerkte der Besitzer nicht einmal wie Minho den Laden betrat. Jedenfalls zunächst.

Da er sich auf ihn zubewegte, erhielt Minho relativ schnell seine Aufmerksamkeit. In einer kurzen Schockstarre musst sich Hyunjin erst einmal sortieren, doch sobald der Mann, der mittlerweile zu den Stammkunden gehörte, anfing sich zu dem Beat zu bewegen, schlich sich wieder dieses markante Lächeln auf sein Gesicht.

Ihre Blicke verhakten sich miteinander und ließen sich zu keiner Zeit los. In keinem einzigen Moment waren sie unangenehm. Die Spannung zwischen ihnen war immer größer geworden und wie ein längst überfälliges Gewitter entlud sie sich nun in diesem kleinen Raum, der all ihre Treffen und Gespräche ausmachte.

Die verstohlenen Blicke wurden offengelegt und die Faszination am jeweils anderen wurde in diesem Moment bekannt gegeben. Und Minho hätte nicht erleichterter sein können, einmal in seinem Leben auf sein Herz und nicht auf seinen sturen Kopf gehört zu haben.

Als der Braunhaarige den leicht muskulösen Rücken des Cafébesitzers an seiner Brust spüren konnte und dieser seine Hüfte weiterhin im Takt bewegte, blieb ihm die Luft weg. Er ließ seine linke Hand zu seiner Taille wandern und langsam rutschte sie durch ihre gemeinsamen Bewegungen zu seiner Hüfte, an welcher er seinen Griff verstärkte.

„Minho, ich habe mir immer diese Nähe zwischen uns gewünscht, schon seit du das erste Mal dieses Café betreten hast", flüsterte er ihm mit seiner sanften Stimme ins Ohr.

***

Die Sterne und der schwach leuchtende Mond taten ihre Arbeit so still und leise und doch wusste Minho selbst nicht, ob Nacht oder Tag war. Der Büroangestellte verlor sich in dem Anblick, der direkt vor ihm lag, und seiner einnehmenden Wirkung; Minho hätte nicht zufriedener sein können.

Wie sie aus dem Café zu dem Blonden nach Hause gekommen waren, ist ihm im Nachhinein nicht mehr bewusst.

Der Geruch des Schönlings berauschte ihn. Er roch nach frisch gemahlenem Kaffee und süßem Karamell. Als Minho mit seinen kalten Händen seine Haut zum ersten Mal berührte, ging die Wärme auf ihn über. Versengte seine Fingerspitzen und kroch langsam durch seine Adern in die Richtung seines Herzens. Wie eine Droge erreichte sie ihr Ziel und richtete in ihrer Überdosierung Schaden von immensen Größen an. Solange bis die Nacht verging und der Morgen die Wirklichkeit in den Garten Edens brachte.

Der blonde Junge, der immer noch schlafend neben ihm lag, war der pure Sommer. Sein Lächeln ließ jedes Eis schmelzen und seine Berührungen brachten Minhos Körper zum Verglühen. Er hatte sich die Kraft der Dualität so zu eigen gemacht, dass er noch nicht mal den römischen Gott Janus als würdigen Gegner für ihn betrachtete.

Minho liebte Hyunjins Augen, die noch heftiger zu strahlen anfingen, wenn er sein atemberaubendes Lächeln auf ihn richtete. Er wollte seine Lippen auf den seinen spüren, ihn nie wieder gehen lassen.

Doch es nützte nichts. Schwerfällig richtete er sich auf, schob die warme Decke von seinen Beinen, stand auf, sammelte seine auf dem Boden verstreute Kleidung ein und zog sich an.

Er ging hinaus, auch wenn sein Herz sogleich vor Sehnsucht schrie. Aus der warmen sommerlichen Wohnung zurück in die Kälte. Auf den Gehwegen hatte sich das Weiß in eine graue, unansehnliche Masse verwandelt und sein Herz begann, wieder die gewohnte Kälte in sich aufzunehmen. Es war Zeit zurückzukehren.

Denn auch Minho verließ den Garten Eden, so wie es auch den Menschen vor langer Zeit vorbestimmt war. Doch er wusste, er wollte den Sommer im Winter wieder spüren. Koste es was es wolle.

Denn was waren ihm seine Flügel schon wert?

Ray-Sai

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