Niederlage
Lennox wartete auf den Schmerz, doch seltsamerweise blieb er aus. Zumindest in den ersten Sekunden. Danach schlug er urplötzlich wie eine Bombe ein und hüllte Lennox' ganzen Körper in Feuer. Sein Kopf tat unfassbar weh und er zitterte. Das waren die Symptome vom Virus! Was hatte der Doktor ihm da gerade injiziert?
„Das ist eine konzentrierte Form des Meermenschen-Virus, mein Lieber. Wenn ich dieses Mittel perfektioniere, kann wirklich niemand mehr dem Virus entgehen, auch nicht durch Rofus. Dass es bei dir den Schutz zerbricht, ist wunderbar! Das bedeutet, dass es nur noch ein paar Schritte bis zur Vollkommenheit sind! Ich will nicht, dass jemals wieder so etwas passiert, wie mit deiner kleinen Freundin. Immunität! Pah! Nichts und niemand entkommt mir! Auch wenn sie keine Gefahr mehr ist, könnte jemand anderes auftauchen. Und das wollen wir schließlich nicht. Aber dieses kleine Mittelchen ist ja nur ein Nebenprojekt, das hat also Zeit. Erstmal werde ich mich dem Magischen-Virus widmen. Das wird einfach grandios, wenn mir diese lästigen Viecher nicht mehr im Weg stehen!", sagte der Doktor selbstgefällig.
Lennox schloss die Augen und stöhnte genervt. Man merkte dem Mann wirklich an, wie gern er redete. Die Schmerzen ließen nach und Lennox öffnete die Augen wieder. Am liebsten würde er dem Doktor sagen, dass er mal weniger reden sollte, aber der Knebel hinderte ihn daran.
Orion grinst ihn an.
„So, dann lass uns mal deine Selbstheilungskräfte testen, mein Freund!", säuselte der Doktor voller Vorfreude.
Lennox Augen weiteten sich. Sein Zorn wuchs weiter an. Dieser Mörder war bestimmt nicht sein Freund! Orion griff nach einem Skalpell. Bevor Lennox auch nur mit der Wimper zucken konnte, zog sich der Doktor einen Hocker heran, stützte den Ellenbogen auf den Tisch und fuhr beinahe verträumt mit dem Messer über seinen Oberkörper.
„Wieso musst du denn so an deinen Idealen festhalten? Stell dir doch mal vor, wie leicht es wäre, stündest du an meiner Seite. Ich wäre unaufhaltsam.", wagte der Doktor einen erneuten Versuch, Lennox auf seine Seite zu ziehen.
Eigentlich sollte der Mann doch mittlerweile wissen, dass er damit niemals Erfolg haben würde. Aber vielleicht erfreute er sich auch bloß daran, Lennox zu nerven.
Orion wirkte Druck auf das Skalpell aus und hinterließ einen tiefen Schnitt in Lennox Schulter. Der Oblivion knurrte gedämpft als sein Feind weitere blutige Spuren auf seinem Körper erschuf. Allerdings nahm Lennox den Schmerz kaum wahr. Er spürte bloß seinen Hass, der mit jedem Schnitt weiter geschürt wurde. Lennox versuchte an die Zeit zu denken, als alles noch gut gewesen war. Als die Alpha Cru noch vereint am Bug der Crucis gestanden hatte und mit dem Wind im Rücken über die Meere gesegelt war. Doch der Anblick des Doktors und der dumpfe Schmerz der Wunden erinnerten ihn stetig an den Moment, in dem seine Feinde ihm alles genommen hatten.
Der Doktor schmierte eine grüne Substanz auf die Schnitte und holte eine Taschenuhr aus einer Schublade hervor.
„Mal schauen, wie lange es dauert. Du solltest dankbar sein, ich gewähre dir jetzt etwas Schlaf. Also genieße die Zeit, in der ich den Heilungsprozess deiner Wunden beobachte, danach brauche ich deine Mithilfe.", sagte der Doktor und zog eine nahezu durchsichtige Flüssigkeit in eine Spritze.
Er versenkte die Nadel in Lennox Hals. Sofort spürte der Oblivion, wie seine Sinne nachließen und ihm die Realität entglitt. Er sank in die Dunkelheit des Schlafes und war froh, zumindest ein bisschen Erholung zu erhalten.
Ein leises Raunen weckte Lennox und er blinzelte gegen das helle Licht im Raum an. Zunächst fiel ihm auf, dass er nicht länger geknebelt war. Dann registrierte er neben Orion die finster blickende Gestalt von Jinx und eine besorgte Nelani. Lennox' Blick wanderte zu seinen Verletzungen und stellte fest, dass die Heilung bereits weit vorangeschritten war.
„Hast du dir Verstärkung besorgt?", fragte Lennox tonlos und sah den Doktor direkt an.
Ein Grinsen breitete sich auf Orions Gesicht aus.
„Ich kann ja meine Partner nicht außen vor lassen.", säuselte der Doktor und legte Nelani und Jinx geweis eine Hand auf die Schulter.
„Partner. Stimmt, du bist wahrhaftig so ein Gutmensch.", erwiderte Lennox trocken.
Der Mann überspielte seine Verärgerung mit einem Lachen und befahl Jinx, ein Mittel zu holen, dessen unnötig langen Namen Lennox bereits im nächsten Moment wieder vergessen hatte. Lennox seufzte, als er die Spritze sah, die Jinx dem Doktor reichte.
„Jetzt guck doch nicht so genervt, das geschieht alles im Sinne der Wissenschaft!", giggelte Orion und jagte Lennox die Spritze in den Arm.
Ein eigenartiges Prickeln breitete sich in Lennox' Körper aus, das schnell in ein Stecken überging. Lennox keuchte, als er ein Pochen in seinem Kopf spürte, welches sich zu einem unangenehmen Drücken entwickelte. Bilder zuckten vor Lennox' innerem Auge auf und verblassten so schnell, wie sie gekommen waren. Seine Muskeln verkrampften sich und ihm wurde speiübel.
„Langsam werden deine komischen Substanzen langweilig, Orion!", stieß der Oblivion unter Schmerzen hervor.
„Was siehst du, Lennox?", fragte Orion und ignorierte Lennox' Worte.
„Abgesehen vom deiner hässlichen Visage? Ein grässlich eingerichtetes Labor mit schlechter Farbgebung.", knurrte Lennox.
„Du verdammter kleiner Dreckskerl!", faucht Orion und für einen Moment verschwand sein selbstgefälliges Grinsen.
Doch auf einmal verschwamm Orions Gesicht vor Lennox' Augen. Angestrengt blinzelte der Oblivion, doch seine Gedanken waren wie in Watte gehüllt. Dann tauchten skurrile Formen und Farben vor seinen Augen auf. Er schüttelte den Kopf, um die Bilder loszuwerden, die vor seinen Augen auftauchten. Er sah Meermenschen, die verzweifelt an Land flohen und hörte schreiende Kinder. Es war, als würde er die Vergangenheit betrachten.
Im nächsten Moment befand er sich wieder in der Realität. Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Kehle. Lennox schnappte nach Luft und Jinx verstärkte seinen Griff.
„Jetzt hast du aber etwas gesehen! Also erzähl, was für Bilder hat das Serum hervorgerufen?", fragte der Doktor, während Jinx Lennox weiter die Luft abschnürte.
Der Oblivion sah diesmal keinen Grund, nicht zu kooperieren, insbesondere angesichts der Hand, die ihm zunehmend den Sauerstoff verweigerte.
„Fliehende...Meermenschen...", stieß er mühsam hervor.
Orion hob die Hand und Jinx ließ von Lennox ab, welcher gierig nach Luft schnappte. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder.
„Oh, wie interessant, ich hätte nicht gedacht, dass es schon so gut ist. Eigentlich ist das nämlich auch nur ein kleines Nebenprojekt. Dieses Mittel dockt an die Synapsen bestimmter Nervenzellen an und führt letztendlich dazu, dass bestimmte Erinnerungen aus dem Säuglingsalter wiedererweckt werden. Etwas, das nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch nicht möglich was. Aber ich bin nunmal ein Genie. Das ist auch der Grund, warum du und deine kleinen Freunde nie eine Chance gegen mich hatten.", verkündete der Doktor.
„Wenn du meinst. Aber wie erklärst du die Tatsache, dass ich an Land geboren wurde und somit nie gesehen habe, wie die Meermenschen geflohen sind?", fragte Lennox mit spöttischem Unterton.
Kurz huschte ein Ausdruck der Verwirrung über das Gesicht des Doktors und seine Miene verdunkelte sich. Doch im nächsten Moment schien der Doktor eine Erleuchtung zu haben und sein fröhliches Grinsen, hinter dem Lennox einen Hauch von Sadismus erkennen konnte, kehrte zurück.
„Wie kannst du das wissen, wenn der Mensch alles vergisst, was er in den ersten Lebensjahren erfahren hat? Möglicherweise hat Xenia, als sie noch am Leben war, gesehen, wie die Meermenschen ihre Kinder an Land gebracht haben. Nur weil du dir dessen nicht mehr bewusst bist, bedeutet das nicht, dass es nicht so gewesen ist. Da Xenia allerdings selbst von meiner Schöpfung bedauerlicherweise vernichtet wurde und du zu diesem Zeitpunkt noch ausgesprochen jung warst, mein lieber Lennox, ist es unklar, ob sie den Geflohenen überhaupt jemals begegnet ist. Aber zumindest wäre das also eine Möglichkeit. Ebenfalls denkbar wäre, dass zwischen den Meermenschen, oder zumindest zwischen den Mitgliedern eines Stammes eine Verbindung besteht, die das unbewusste Teilen von Erinnerungen ermöglicht. Das wäre jedoch... Ich danke dir, Lennox! Wenn das wirklich in irgendeiner Form der Wahrheit entspricht, könnte mir das völlig neue Chancen bieten. Du wirst mir doch sicher dabei helfen, diese äußerst interessanten Möglichkeit weiter zu erforschen, nicht wahr?", sagte Doktor Aquilius Orion aufgeregt.
Lennox ging nicht auf seine Frage ein. Pures Entsetzen rauschte durch seinen Körper, als er realisierte, was er mit seinen Worten ausgelöst hatte. Wenn der Doktor recht hatte..würde das eine Katastrophe entfesseln. Erinnerungen waren machtvoll. Und die Vergangenheit zu sehen würde Orion noch stärker machen. Denn Wissen bedeutete immer zugleich auch Macht. Allerdings waren die Überlegungen des Doktors und mögliche Folgen nicht der Hauptgedanke, der sich wie ein Parasit in Lennox' Kopf festgesetzt hatte. Nein, etwas anderes beherrschte seinen Geist und erfüllte ihn mit einer wilden Mischung aus Verwirrung, Furcht, Hoffnung und Wut. Der Oblivion stellte die Frage, welche ihm bereits bei Orions zweitem Satz in den Kopf gekommen war und die er nicht mehr loslassen konnte:
„Was weißt du über meine Mutter?"
Der Doktor lachte. Doch es ist weder ein fröhliches noch ein spöttisches Lachen. Pure Grausamkeit lag in dem Geräusch.
„Ich finde es äußerst angenehm, wenn du endlich sprichst und nicht mehr nur alles und jeden anschreist und beleidigst, allerdings genügen mir deine Freagen nun.", sagte Orion mit einer Eiseskälte.
Der Doktor nickte Jinx zu, woraufhin der Mann Lennox erneut mit einem Tuch grob knebelte. Lennox starrte die beiden Verbrecher düster an. Auf einmal ergriff Nelani das Wort:
„Ich unterbreche dieses...Gespräch ja nur äußerst ungern, aber Zeirus hat euch etwas mitzuteilen!", knurrte sie sarkastisch und deutete auf den Darkonerchef, dessen Anwesenheit Lennox erst jetzt wahrnahm.
Bestimmt hatte Zeirus den Raum betreten, als Orion gerade gesprochen hatte.
„Herr, das Schiff ist bereit.", sagte der Darkoner und ließ seinen Blick dann zu Lennox schweifen.
Schnell schaute der Mann wieder Orion an, der freudig nickte.
„Fabelhaft. Ich habe nämlich für diese Nacht auch noch Experimente außerhalb der Basis geplant. Und wenn wir dann schonmal dabei sind, können wir auch gleich ein paar Dinge entsorgen.", gab der Doktor zu verstehen.
„Ist das dein Plan? Lennox so lange zu quälen, bis du seinen Willen gebrochen hast?", stieß Nelani entsetzt hervor, als Orion dem Oblivion auch nach all den Stunden des Leidens keine Pause gewährte.
„Ich bitte dich, werte Kollegin! Natürlich! Nach allem, was er mir angetan hat, habe ich ja wohl das Recht dazu, mich zu revanchieren!", sagte Orion überlegen und lächelte Nelani an.
Der Doktor rückte seine Brille zurecht und gähnte laut.
„Das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch keine Kinder foltern! Du bist doch derjenige, der Lennox und meiner Tochter nur Leid beschert hat!", protestierte Nelani.
Sie zeigte die Entschlossenheit einer Mutter und wirkte für Lennox wie eine Löwin. Nelani sah dem Oblivion tief in die Augen, als der Doktor lachte, anstatt eine Antwort zu geben. Ein stummes Versprechen lag in ihrem Blick. Er spürte die Versicherung von zukünftiger Freiheit. Lennox und Nelani hatten zwar in gewisser Weise einen Plan, jedoch beinhaltete dieser bisher kaum ihre Flucht sondern bestand ausschließlich aus der Sabotage der Forschung des Doktors, welche Nelanis Aufgabe war. Lennox hingegen hatte sich vorgenommen, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Denn nur wenn sie den Feind gut kannten, konnten sie es schaffen, ein Schlupfloch zu finden, durch welches ein Entkommen ermöglicht wurde.
„Bring Lennox und Nelani auf das Schiff!", befahl Orion Zeirus, welcher ein 'jawohl Herr' murmelte und zwei weitere Darkoner zu sich rief.
Einer von ihnen stellte sich neben Nelani und ergriff ihren Arm, doch sie riss sich los und fauchte:
„Danke, aber ich kann sehr gut selbst laufen!"
Zögernd ließ der Mann sie los und wandte den Blick ab. Scheinbar erwarteten sie von Nelani keinen Fluchtversuch, zumindest nicht solange sie Lennox in ihrer Gewalt hatten.
Zeirus trat an Lennox heran und hob die Hand. Dann raubte er dem Oblivion mit einem präzisen Schlag das Bewusstsein.
Als Lennox die Augen wieder aufschlug blickte er auf eine metallene Fläche. Desorientiert drehte er den Kopf und nahm seine Umgebung in Augenschein. Er befand sich auf einem großen Schiff mitten auf dem Meer. Darkoner liefen eilig umher und trugen Fässer zur Reling. Der Wind fegte über das Wasser und erzeugte große Wellen, die das Schiff hin und her warfen. Es war, als wollte das Meer den bedrohlichen Fremdkörper unter allen Umständen vernichten. Seltsamerweise schien trotz allem die Sonne und tauchte die Szene in ein warmes Licht. Es war geradezu ironisch, wie das Schiff inmitten der tobenden See erleuchtet wurde. Die Temperatur war ziemlich hoch, doch die stürmischen Böen ließen Lennox dennoch leicht erzittern.
Der Oblivion lag auf dem aus Metallplatten bestehenden Boden, seine Hände waren - wie sollte es auch anders sein - hinter seinem Rücken mit Handschellen gefesselt.
„Guten Morgen, Lennox!", säuselte Doktor Orion und beugte sich grinsend über seinen Gefangenen.
„Was hast du jetzt schon wieder vor?", fragte Lennox matt. „Was versprichst du dir davon, mich bei deinen widerlichen Müllabladungen zusehen zu lassen?", sprach er weiter.
Allerdings schwankte Lennox Stimme und war voller Wut. Das schien der Doktor mit Genugtuung zu bemerken.
„Du weißt, wieso.", sagte Orion.
Die Darkoner warfen die Fässer ins Wasser. Lennox kämpfte gegen die Fesseln. Es tat ihm in der Seele weh, bei dieser Schandtat zusehen zu müssen. Genau das bezweckte sein Feind. Lennox Seele vollends zu zerstören, damit er aufgab. Aber er wurde nicht umsonst als Krieger bezeichnet.
Auf einmal ruft ein Darkoner irgendetwas auf einer Sprache, die Lennox nicht verstand. Wahrscheinlich war es Isländisch.
„Það er skip að koma. Sennilega vatnalögreglan!", sagte der Mann.
Lennox hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
Ben hätte es verstanden...
Doch die Frage erübrigte sich, als Lennox mit eigenen Augen sah, was das Problem war.
Ein fremdes Schiff steuerte auf sie zu. Lennox erlaubte sich keine Hoffnung. Er wusste, dass Orion seine Männern im Extremfall töten ließ. Aber betrachtete man die Tatsache, dass Lennox anwesend war, befürchtete der Oblivion, dass der Doktor etwas anderes plante, was zugleich Erleichterung und Furcht in ihm auslöste. Keinesfalls wollte er, dass jemand starb. Lennox kämpfte sich auf die Knie. Als er sich vollständig aufrappeln wollte, packte Jinx, welcher neben Orion stand, ihn an den Haaren und hielt ihn so auf den Knien fest.
Vom anderen Schiff, das scheinbar der Wasserschutzpolizei gehörte, sprangen nun einige Männer über die Reling. Einer von ihnen trat vor und sprach den Doktor auf Englisch an.
„Who are you and what are you doing here? Are you aware that dumping toxic waste into the sea is a criminal offense?!"
Die Englische Sprache beherrschte Lennox glücklicherweise. Wer sind Sie und was tun Sie hier. Ist Ihnen bewusst, dass das Entladen von Giftmüll im Meer eine Straftat ist?!
Dann richtete sich der Blick des Mannes, der gesprochen hatte, auf Lennox.
„Wait...is that a child?! What the fuck... boy, are you okay?", brüllte der Mann über das Deck.
Lennox wollte antworten. Er wollte dem Mann alles von Orions Vergehen erzählen. Doch Jinx' Faust, die Lennox' Magengrube kraftvoll traf, trieb ihm die Luft aus den Lungen. Lennox krümmt sich.
Die Männer der Wasserschutzpolizei zogen ihre Waffen. Orions Leute taten es ihnen gleich. Allerdings waren die Darkoner weit in der Überzahl.
„You have to get out of here!", wies Lennox die der Gerechtigkeit dienenden Männer an, zu verschwinden. Würden sie bleiben, hätten sie keine große Überlebenschance.
Orion kicherte. Lennox sah ihn mit Abscheu an. Wie konnte man in so einer Situation lachen? Leben standen auf dem Spiel! Aber...das würde dem Mann, der sein ganzes Volk ausgelöscht hat, wohl kaum etwas bedeuten.
Der Doktor hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. Dann versuchte er die Wasserschutzpolizei zum Ruhigbleiben zu bewegen. Doch bereits im nächsten Satz gab er den Darkonern den Befehl zum Angriff.
„Keep calm. We can do this without any deaths.
Darkoner, disarm them!”, sagte Orion.
Mit überwältigender Geschwindigkeit stürzten die Meermenschen auf die Polizisten zu und entwaffneten diese, bevor es überhaupt zu einem Schuss kommen konnte. Denn gegen die überlegenen Kräfte der Darkoner hatten die Landgänger keine Chance. Sie hielten die Mitglieder der Wasserschutzpolizei fest und stürmten ihr Schiff. Kurz darauf wurden alle Polizisten an Deck geführt.
Orion seufzte zufrieden und wandte sich wieder Lennox zu.
„Also Oblivion, jetzt liegt die Wahl ganz bei dir. Und du willst doch nicht, dass unnötig Blut vergossen wird.", säuselte der Doktor giggelnd, wobei er den Namen von Lennox' Stamm seltsam betonte.
Jinx zerrte Lennox hoch und zog ihn zu den gefangenen Männern.
„Es ist ganz einfach. Fast so, wie bei deinen kleinen Freunden damals. Nur dass dir die Entscheidung diesmal deutlich leichter fallen sollte. Wende deine wunderbare Gäbe an oder sei für ihren Tod verantwortlich!", sagte Orion freudig.
Der Doktor genoss die Situation in vollem Maße, während Lennox Erinnerungen um den Verlust der Alpha Cru schweiften. Es schmerzte. Wenn er sich weigerte, würden Unschuldige sterben. Gute Leute, die sich für den Schutz des Meeres einsetzten. Aber wenn er es tat, würde das Meer hier und jetzt noch mehr Schaden erleiden. Dennoch wusste Lennox sofort, was er tun musste. Die Männer dem Tod zu überlassen, kam nicht in Frage. Das Meer brauchte sie, es brauchte ihren Schutz. Außerdem war es bereits zu spät, um den Doktor aufzuhalten, denn die Darkoner hatten bereits sämtliche Fässer mit Giftmüll entleert. Wenn die Männer der Wasserschutzpolizei nur ihre Erinnerungen verlieren würden, könnten sie vielleicht zumindest noch einige Meeresbewohner vor den Chemikalien retten, auch wenn sie die Ursache nicht bekämpfen könnten.
„Ihr verdammten Monster!", knurrte Lennox zu Orion und Jinx.
Doch dann trat er vor. Er spürte die zufriedenen Blicke dieser Mistkerle im Rücken doch zwang sich, sie für einen Moment auszublenden. Er wollte es einfach nur noch hinter sich bringen. Tief blickte er dem ersten Mann in die Augen.
„Du vergisst, dass du dieses Schiff gesehen hast und was hier passiert ist!", sagte Lennox und der Blick des Mannes trübte sich.
Den selben Vorgang wiederholte er bei den anderen. Die Männer wurden zunehmend panisch, weil sie nicht verstanden, was vor sich ging. Während Lennox einem nach dem anderen die Erinnerungen raubte, musste er ununterbrochen an seine Freunde denken. An seine Yavani.
Als er fertig war, überkam ihn eine plötzliche Schwäche. Er empfand weder Hoffnung noch Verzweiflung. Da war bloß Leere in seinem Herzen. Denn er hatte soeben genau das getan, wozu Orion ihn immer haben wollte. Er hatte verloren. Und das Gefühl der Niederlage zerschmetterte ihn. Er hoffte, dass ihn jemand aus dieser Hölle befreien würde, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte.
Was brachte ihm sämtlicher Widerstand, die ganze Folter, die er ertragen hatte, wenn er jetzt von Orion für dunkle Machenschaften benutzt wurde? Er wollte nicht aufgeben. Aber was konnte er tun, wenn Orion ihn in solche Situationen wie diese brachte?
„Sehr gut, Lennox. Siehst du, wie nützlich du mir bist?", lobte der Doktor.
Zeirus starrte Lennox von der Reling an. Lennox sah weder ihm noch Orion in die Augen. Er konnte es nicht.
„Jetzt sei doch nicht so betrübt, immerhin hast du mir einen großen Diest erwiesen und verhindert, dass diese naiven Menschen den Tod gefunden haben!", sagte Orion lächelnd.
„Sei ruhig! Wie kann dir ein Leben nur so egal sein, du verdammtes Monster?!", fragte Lennox und hob den Blick.
Die Augen des Doktors schienen ihn zu durchbohren.
„Na na na, jetzt werd mal nicht gleich unhöflich, mein Lieber.", tadelte der Doktor.
Orion legte Lennox von hinten die Hände auf die Schultern und umarmte ihn. Lennox knurrte und wollte sich von ihm entfernen. Die Berührung des Doktors fühlte sich an wie Gift auf seiner Haut.
„Zurück zum Lager!", befahl Orion den Darkonern, ohne sich von Lennox zu lösen.
Das Schiff machte kehrt und bewegte sich über die unruhige See zurück nach Korsika. Der Himmel hatte sich verdunkelt und im nächsten Moment wurde die Wolkendecke von einem Blitz durchbrochen. Die Natur schreit und tobt vor Verzweiflung.
Orion zog Lennox unter Deck und stieß ihn in einer Ecke zu Boden. Vier Darkoner postierten sich vor dem Oblivion, um ihn zu bewachen. Lennox lehnte den Kopf gegen die Wand und lauschte dem Donner. Er versuchte nicht einmal, sich gegen die Handschellen zu wehren.
Irgendetwas musste passieren. Wenn er nichts unternahm, würde Orion Wege finden, ihn dazu zu bringen, nach seinem Willen zu handeln.
Als sie zurück auf Korsika waren, wurde Lennox von Zeirus und einem anderen Darkoner in seinen Schuppen gebracht und wieder an die Wand gekettet.
Die beiden Männer verließen den Raum. Doch vorher drehte Zeirus sich noch einmal um.
„Bitte, gib nicht auf!", wisperte er so leise, dass man es kaum hörte.
Dann schloss sich die Tür und Lennox blieb alleine in der Dunkelheit zurück.
Aufgeben...nein. Aufgeben würde er nicht. Aber mit seiner Niederlage am heutigen Tag musste er leben, auch wenn er diesen Moment mit aller Kraft zu verhindern versucht hatte.
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