Zehntes Kapitel
Ich saß auf einem bemoosten Baumstumpf und betrachtete nachdenklich Saphira. Sie hatte das Gesicht in den Händen verborgen. Ein Bach plätscherte unermüdlich in den grünen Schatten der Bäume. Wir hatten uns eine Lichtung als Rückzugsort gesucht. Anscheinend stand hier einmal ein Bauerngehöft, belebt und voller Tiere, doch nun waren nur noch tote Ruinen übrig. Auch hatte es wohl einen Brunnen gegeben, denn meine Schwester saß auf einer sehr regelmäßigen, kreisförmigen Mauer aus aufeinandergesetzten Steinen. Das Gehöft selber verwahrloste einsam vor sich hin. Offensichtlich hatte dort einmal ein Feuer gewütet. Die Bretter, die gewiss in der Vergangenheit den Dachstuhl gebildet hatten, hingen verkohlt von der Decke und dieselbe war halb eingestürzt. Inzwischen bahnten sich Birken- und Buchenschösslinge einen Weg durch die Trümmer ans Licht. Die Natur holte sich bereits zurück, was ihr einst genommen wurde.
Zögernd erhob ich meine Stimme: „Was hast du dir nur dabei gedacht? Klar, ich wäre auch schockiert gewesen, wenn mein Geliebter plötzlich entführt..."
„Du hättest genauso gehandelt!", unterbrach mich Saphira aufbrausend. „Und das weißt du auch." Sie setzte sich und ein Schluchzer entfloh ihrer Kehle.
Abrupt hielt ich inne. Sie kannte mich ja so gut. „Und wenn schon, lass' dann wenigstens die Finger von dieser Sache." Ich ging zu ihr hin und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Blitzschnell beugte ich mich zu ihr hinab. „Du bist hier nicht sicher, solange Caleb noch festgehalten wird", zischte ich bedrohlich in ihr Ohr. „Und wenn du es nicht bist, dann ist es auch Korelan nicht."
Für die Nacht blieben wir im schützenden Dunkel des Waldes. Saphira war noch immer sehr aufgewühlt, aber vor ein paar Minuten endlich eingeschlafen. Den Hauptgrund, warum ich noch hier wartete, hätte ich nicht zu nennen gewusst. Wahrscheinlich tat ich es vor allem deswegen, weil ich es als nötig erachtete, zumindest noch die erste Nacht ein Auge auf Saphira zu haben, damit sie keinen Unsinn anstellte. Ich betrachtete meine Zwillingsschwester. Wir hatten keine bemerkenswerten Ähnlichkeiten, aber in Charakter und Temperament glichen wir uns dafür verblüffend sehr. Ihre blonden Haare lagen wie eine Krone um ihren Kopf, und er selbst lehnte an den blass grünen Schuppen von Kyllas Bauch. Ihr Gesicht wirkte so entspannt, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Ihre Haut schimmerte unschuldig und wie Porzellan, als wäre sie zerbrechlich.
Die Drachendame hatte die Augen geschlossen, doch ich spürte, dass sie noch wach war. Ich saß an einem Feuer und bändigte kleine Funken und Kugeln. Luna graste etwas abseits auf der Lichtung, dort, wo die langen Halme abgetrocknet waren.
Mein Blick schweifte wieder zu Kylla. Sie schnaubte zufrieden. Die Außentemperatur war sicher etwas gesunken und der warme Drachenatem wurde als kleine Wolke sichtbar.
Wie geht es ihr?, fragte ich in der elementaren Sprache Wasser. Der türkisfarbene Drache schlug blitzartig die Augen auf. Zum Vorschein kamen schmale, echsenartige Pupillen. Es war nach all den Jahren noch immer ungewohnt.
Ihr geht es gut. Sie braucht nur Ruhe. Liebevoll blickte sie auf das schlafende Mädchen an ihrem Bauch.
Eine kurze Pause entstand. Ich schaute abwesend ins Feuer.
Sie wirkt sehr... aufgebracht. Wie hat sie es erfahren?
Eine Weile schwiegen sogar die Tiere auf ihren nächtlichen Unternehmungen, während Kylla anscheinend noch nachdachte, wie sie es in Worte fassen sollte.
Dann begann sie, zögerlich und unsicher.
Nachdem du gegangen warst, lag Saphira noch eine Weile ohnmächtig auf ihrer Liege. In der Zeit haben sich Aristopholes, Aquina, Taklaros und Akrao darauf geeinigt, ihr nichts über Calebs Entführung zu erzählen. Als sie irgendwann aufwachte, fragte sie sofort, ob alles in Ordnung sei. Aristopholes sicherte ihr dies zu. Saphira war misstrauisch, die ganze Zeit. Sie fuhren fort, ihren Alltag zu gestalten, so normal wie möglich, was gar nicht so einfach war, ohne Caleb und dich. Als „Ausrede" sagten sie immer, sie wollen ihren Fortschritt beobachten und das können sie am besten, wenn sie allein trainieren. Irgendwie haben sie es geschafft, eine Weile durchzuhalten. Doch bald hat sich Aquina verplappert. Saphira war sofort wieder so misstrauisch wie zu Beginn. Sie hat vorsätzlich Fangfragen gestellt, bis sie die Wahrheit herausfand. Sie wurde so zornig, dass sie hintergangen worden war, dass sie die Kontrolle verlor, aber glücklicherweise nicht sehr schlimm. – Ich war auf dem Hinterhof und habe alles gehört. – Daraufhin verzog sie sich für einige Stunden. Als sie wiederkam, holte sie mich und flog dir hinterher. Kylla endete nüchtern und starrte mich kühl an. Unsere Beziehung war noch nie sonderlich gut gewesen.
Tragisch, dass sie es auf so eine Weise erfahren hat. Trotzdem muss sie lernen, ihre Gefühle zu kontrollieren, sonst hätte es fatale Folgen. Hier unten zumindest. Ich bedachte den Drachen mit einem eindringlichen Blick. Morgen werden wir uns eine Bleibe suchen, dann breche ich auf. Ich wollte noch jemanden verfolgen, der möglicherweise Caleb festhält. Bei diesem Namen horchte sie auf. Doch ihr habt mich aufgehalten. Wahrscheinlich werde ich sie nicht mehr einholen. Meine einzige Chance ist, zu dem Ort zu fliegen, den sie vermutlich aufsuchen werden.
Dann tue das. Sie sah mich mit unverhohlener Missbilligung an.
In der Zeit erwarte ich aber von dir, dass du auf sie aufpasst und dafür sorgst, dass sie keine Dummheiten macht. Fast schon apathisch blickte ich ins Feuer. Ich verlasse mich auf dich.
~~~
Es war eine schlaflose Nacht gewesen und ich am nächsten Mittag sogar froh, nicht mehr auf Saphira aufpassen zu müssen. Luna und ich führten sie zu einem verlassenen Haus, das noch recht intakt war. Dort im Stall, der anscheinend einmal Schweine und Schafe beherbergt hatte, ließen wir sie zurück und liefen erst einmal weiter in den Wald. Hier gab es allerhand Tiere und Vögel zwitscherten unablässig in den Kronen hoch über mir. Es war schon fast Abend, als ich mir auf einer Lichtung ein geschütztes Plätzchen suchte und mich niederlegte.
Wecke mich, wenn die Vögel anfangen zu singen, forderte ich Luna auf. Die nickte nur kurz mit dem Kopf als Zeichen, dass sie verstanden hatte. Bald fiel ich in einen tiefen Schlaf und träumte. Ich träumte von Korelan. Lachend jagte ich mit jemandem, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte, um Sacritas. Derjenige ritt auf einem Drachen und ich bildete mir ein, er konnte alle vier Elemente bändigen. Er jonglierte mit Feuerbällen, ließ ringsum sich einen Wasserstrudel entstehen, hielt riesige Erdbrocken links und rechts von ihm in der Luft und schwebte. Seine Augen glühten blau und auf seinem Rücken schimmerten seine Tattos durch den Stoff seines T-Shirts. Wie kann das sein? Ich bin doch die Elementarbändigerin! Nie hat es zwei davon gegeben. Werde ich etwa sterben? Plötzlich schaute mich der Junge an. Das Gesicht hatte verblüffende Ähnlichkeiten mit Caleb und doch war er es nicht. Nur Augenblicke später hatte er mich gepackt und flog mit mir nach oben, immer höher. Irgendwann sah ich nur noch schwarz, doch als ich genauer hinschaute, erkannte ich viele kleine Lichtpunkte. Sie sahen wunderschön aus auf dem schwarzen Grund. Irritiert stellte ich fest, dass ich nie etwas anderes erleben wollte. Ein umfassendes Hochgefühl durchströmte mich und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Ich blickte mich nach dem unbekannten Jungen um, doch sein Körper war nicht mehr als ein heller Schatten vor tausenden pulsierenden Sternen. Und er verblasste immer mehr, bis er verschwunden war. Nach Luft schnappend rief ich: ‚Hey, zeig' mir, wie ich wieder hinunter komme!' Doch ich hörte nur ein leises, spöttisches Lachen. Auf einmal fiel ich, als würde ich von einem Magneten angezogen. Die Sterne rasten an mir vorbei. Ich wurde panisch. Korelan tauchte unter mir auf und kam viel zu schnell näher. Bei dem dumpfen Aufprall spürte ich Knochen zerbrechen in meinem Körper. Eiskalt war der Boden unter mir. Ich hörte meine Mutter und einige Priester zu mir eilen. Sie sanken vor mir auf die Knie, außer Aristopholes und Taklaros. Diese neigten nur ehrfürchtig und traurig den Kopf. Luna kam aus der Menge und stupste mich mit ihrer Nase energisch an. Als ich nicht reagierte, drehte sie mich auf den Bauch und wieder zurück, als könnte sie mich so wieder zum Leben erwecken. Doch ich wusste, dass es vergebens war.
Luna stupste mich in den Nacken. „Hey, ich bin doch schon wach", beschwerte ich mich mit halb geschlossenen Lidern. Verschlafen rieb ich mir die Augen und setzte mich, noch verwirrt von dem Traum, auf.
Allerdings, das sehe ich. Ihr fröhliches Wiehern schallte durch den Wald.
Sofort hatte ich eine Art Stimmungsumschwung. Lunas Gegenwart konnte bei mir Wunder wirken.
„Lass uns aufbrechen. Je eher wir am Ziel sind, desto besser."
Eine gute Idee. Wenn du nicht so lange geschlafen hättest, hätten wir sie auch fast umsetzen können.
Ich knuffte meinen Pegasus in die Seite. „Jetzt bin ich ja wach."
Nach einigen Stunden sahen wir einen Berg am Horizont. Der Polarstern stand hoch am Himmel, die Milchstraße glitzerte über unseren Köpfen und der klare Mond leuchtete uns, und der Wald unter uns wandelte sich zu bergigem Land. Die Spitzen ragten teilweise hoch in den Himmel und waren schneebedeckt. Aber schnell hatten wir die Bergkette überquert. Unter uns tauchte nun das komplette Gegenteil auf, nämlich eine Tiefebene mit verdorrten Gräsern. Wir erkannten nicht viel in der dunklen Nacht, aber ich meinte, fremdartige Tiere zu sehen, die die Steppe mit langen Sprüngen durchstreiften.
Nach einiger Zeit sahen wir weit unter uns die Lichter einer Siedlung. „Flieg runter, Luna", rief ich ihr zu, „Da wir nicht wissen, wo diese andere Festung von Aaron ist, befürchte ich, wir müssen uns durchfragen."
Oh ja, das war schon immer meine Lieblingsbeschäftigung, meinte der Schimmelpegasus ironisch, tat aber, um was ich gebeten hatte.
„Ja, ich bin auch sehr erfreut darüber."
Wir landeten abseits in einem Wäldchen, um unbeobachtet zu sein. Sacht landete Luna in dem dunkelgrünen Waldgras und ich rutschte von ihrem Rücken. Es dämmerte schon.
„Luna?"
Ja?
„Hast du nicht etwas vergessen?"
Nein, nicht, soweit ich mich erinnern kann.
„Du musst dich noch in ein Pferd verwandeln."
Achja, der unschöne Teil dieser Unternehmung.
Geschwind wurde sich der Pegasus in einen Apfelschimmel. Ein leises Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Wenigstens droht uns hier keine Gefahr."
Keine, von der wir wissen, warf sie ein.
Ich wandte mich um und ging in die Richtung, in der das Dorf lag. Wieder einmal hatte sie Recht.
Wenig später trafen wir auf einen Waldweg, und obwohl dieses Dorf scheinbar nur sehr klein war, kam uns schon ein Mann entgegen, der wohl Holz hacken wollte.
Mit grimmiger Miene musterte er uns und marschierte dann weiter. Die Steinchen knirschten unter seinen Schuhen, als er an uns vorbei schlenderte. Kurz darauf stapften uns weitere Waldarbeiter aus Richtung Dorf entgegen. Neugierig durchdrangen ihre Blicke uns, doch ich ließ mir nichts anmerken.
Nach einer Weile lichtete sich der Wald und ein kleines Dorf am Fuße eines Berges kam zum Vorschein. Luna und ich liefen eine Weile auf dem staubigen Schotterweg wortlos nebeneinander her.
Was hoffst du eigentlich hier zu finden?, erkundigte sich mein Schimmel.
Irgendjemanden, der mir sagen kann, wo Aaron lebt. Sicherheitshalber nutzte ich die elementare Sprache, damit niemand, der hier möglicherweise in der Nähe war, dachte, ich führe Selbstgespräche.
Er wird niemandem etwas über sich gesagt haben. Das wäre leichtsinnig von ihm.
Das werden wir ja sehen, meinte ich. Wenn die Frau Recht hatte, werde ich ihn hier finden.
Möglicherweise befindet er sich aber noch in der Feste, von der wir fortgeflogen sind. Vielleicht versteckt er sich vor dir.
Wieso sollte er? Erstens will er sicher Caleb beschützen, denn Wachen allein können auch nur eine Luftbändigerin nicht aufhalten. Zweitens, er weiß nicht um meine wahre Identität. Er wird gegen mich kämpfen wollen, weil er denkt, er habe eine junge Luftbändigerin vor sich.
Du hast Recht, gab Luna etwas mürrisch zu. Aber das kannst du ihm wirklich nicht übel nehmen.
Ich weiß.
Bei jedem Schritt machten die kleinen Steinchen unter meinen Sohlen Geräusche, während das Dorf immer näher kam.
Ich holte tief Luft. Hör zu, du wirst auf der Wiese außerhalb des Dorfes bleiben, während ich um eine Vorlassung bei ihrem Herrn bitte.
Da muss ich leider widersprechen. In diesem fremden Land lasse ich dich nicht alleine umher laufen. Was ist, wenn du Hilfe brauchst?
Ich kann auch gut auf mich selber aufpassen, schnaubte ich erzürnt.
Das glaube ich dir nicht.
Abrupt blieb ich stehen, drehte Lunas Kopf zu mir und schaute ihr eindringlich in die Augen. Es gibt keine andere Möglichkeit, als das du hier bleibst. Im Dorf würdest du auffallen. Und das heißt, die Leute werden aufmerksam. Sie bekommen Angst und wer Angst hat, ist gefährlich. Wir wissen nicht, wozu sie imstande sind.
Stur riss Luna ihren Kopf aus meinen Händen. Es gibt immer eine andere Möglichkeit.
Trotzig und mit widerspenstigem Blick starrte sie vor sich her, als wir langsam weiterliefen. Eine Weile schwiegen wir.
Nimm' mich doch als Lastengaul. Binde mir ein altes Halfter um, schlug Luna plötzlich vor.
Welches Halfter denn?, fragte ich spöttisch, doch mein Widerstand brach schon. Wenn sich meine Pegasusstute etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde sie es auch in die Tat umsetzen. Dein Fell ist außerdem viel zu ordentlich für einen Lastengaul.
Das lässt sich ändern. Entschlossen marschierte Luna zu einer sandigen Stelle in der Wiese und wälzte sich. Wenig später kam sie zu mir zurück und ihre Augen leuchteten triumphierend. Na, was sagst du jetzt?
Ich seufzte auf. Na schön, wenn du unbedingt mitwillst...
Luna neigte ihren Kopf. Dankeschön. Dann deutete sie mit ihren Nüstern auf den Weg vor uns. Da, da liegt ein Seil.
Wo? Irritiert drehte ich mich um meine eigene Achse, doch ich sah keines.
Da drüben.
Tatsächlich, etwas am Rand, verscharrt unter Staub und Steinchen, lag ein altes, hellbraunes Seil, offenbar gerissen. Neugierig hob ich es auf und betrachtete es interessiert. Das sieht aber nicht stabil aus.
Nicht murren, etwas anderes haben wir jetzt nicht. Los, binde es mir um!
Unbeholfen legte ich das Seil um den Hals meines Schimmels. Und wie soll ich es bitteschön festmachen?
Keine Ahnung, denk' dir was aus!
Ich stöhnte. Na toll, das konnte ja heiter werden. Hält das?
Luna zog etwas. Naja, nicht dein bestes Werk, aber es dürfte seinen Zweck erfüllen, sofern weder du noch ich daran ziehen.
Beleidigt wollte ich gerade losgehen, doch mein Pferd hinderte mich. Behandel' mich grob, das ist authentischer, meinte sie.
Entsetzen breitete sich in mir aus. Vergiss' es.
Sie schaute mich warnend an. Wir wollten doch nicht auffliegen?
Erneut stöhnte ich, weil mein Pegasus sich schon wieder durchgesetzt hatte. Von mir aus. Aber das Seil sieht nicht aus, als würde es grobe Behandlung aushalten. Du wirst schauspielern müssen.
Nichts leichter als das, erwiderte sie nur und schüttelte ihren Kopf, sodass ihre Mähne nun in alle Richtungen ab stand.
Aber das nächste Mal machen wir, was ich sage.
Nach zehn Minuten Fußmarsch hatten wir das kleine Dorf erreicht. Die wenigen Menschen auf dem Marktplatz, den wir glücklicherweise schnell gefunden hatten, waren alles andere als müde. Euphorisch tätigten sie ihren Handel und wuselten auf dem Pflastersteinplatz zwischen den vielen Ständen herum, von denen die meisten noch geschlossen waren. Stumm beobachtete ich sie eine Weile und band Luna dann an ein leer stehendes Haus an.
Als ich vorüber lief, spürte ich einige neugierige Augenpaare auf mir, doch keiner sprach mich an. Erst kurz vor einem majestätischen, reich verzierten Metalltor versperrten mir zwei Männer, allem Anschein nach Wachen, mit gekreuzten Hellebarden den Weg. Die metallenen Schneiden blitzten im Licht der jungen Sonne auf. Da ich damit gerechnet hatte, war ich nicht wirklich überrascht.
„Entschuldigung, der Palastgarten darf von Zivilisten nicht betreten werden." Das Gesicht desjenigen, der gesprochen hatte, gab keine Gefühlsregung preis.
„Schade. Ich wollte nur zu Eurem Herrn vorgelassen werden." Unbeeindruckt erwiderte ich seinen Blick.
„Tut mir leid, wir sind nicht befugt, Euch in den Palast zu bringen."
Ich lächelte zynisch. „Ach, ist das so?"
„Wir dürfen niemanden durchlassen, es sei denn, er nennt einen Termin." Als ich keine Antwort von mir gab, fragte er erneut, diesmal nachdrücklicher: „Habt Ihr einen Termin?"
Trotzig hielt ich meinen Kopf hoch erhoben. „Nein."
„Dann können wir Euch leider nicht helfen."
Krampfhaft überlegte ich ein paar Sekunden lang, wie ich mir trotz alledem Zugang zum Palast verschaffen konnte, während die Wachen wieder in ihre anfängliche Starre verfielen und sich nicht regten.
„Ich habe Informationen für euren Herrn. Ich bin eine weite Strecke gereist, um ihm diese mitzuteilen. Ihr wollt doch nicht, dass ich jetzt umkehren muss?"
Der Wachmann schenkte mir nur einen kurzen Seitenblick und unterdrückte ein Lachen. „Um ehrlich zu sein ist mir das herzlich egal."
„Und wenn ich euch sage, es sind dringende Nachrichten?", versuchte ich es weiter.
Er wandte sich wieder mir zu, offensichtlich nervte ihn meine Fragerei. „Das muss Eure Majestät selbst entscheiden. Oder ich, in Vertretung, aber dazu müsste ich besagte Nachricht hören."
Entschieden schüttelte ich den Kopf. „Ich wurde ausdrücklich angewiesen, diese Nachricht niemandem außer Eurem Herrn mitzuteilen."
Ein spöttisches Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben. „Dann kann ich Euch leider nicht helfen."
Ich biss mir auf die Unterlippe. So wie es aussah, würde er mich nicht durchlassen, und langsam gingen mir die Ideen aus. Schließlich kehrte ich mit einem resignierten Seufzen zu Luna zurück. Sie hob interessiert ihren Kopf, als ich kam.
Wie ich dir ansehe, warst du nicht erfolgreich.
Verbittert nickte ich. Es fiel mir nicht leicht, mir eine Niederlage einzugestehen.
Aber wie ich dich kenne, gibst du nicht auf und suchst dir einen anderen Weg.
Nein, Luna, fing ich an und zuckte mit den Schultern. Diesmal habe ich wirklich keine Ahnung, was ich sonst tun könnte und auch keine richtige Lust, noch mehr Energie in diesen scheinbar hoffnungslosen Plan zu stecken.
Luna ließ ein Schnauben hören, und es klang wie ein frustriertes Seufzen. Bis jetzt hast du doch immer einen anderen Weg gefunden, egal, wie verzwickt die Situation auch war.
Ich weiß, aber gerade habe ich keinen Sinn fürs Weitermachen. Geräuschvoll entließ ich die Luft aus der Nase. Lass uns lieber noch etwas umschauen, vielleicht finden wir hier in der Nähe ein hübsches Plätzchen zum Schlafen.
Du denkst schon wieder ans Schlafen? Der Tag ist gerade angebrochen.
Mit erhobenem Zeigefinger drehte ich mich zu Luna. Aber der Abend kommt bestimmt.
Entweder war Luna es leid, vergeblich zu versuchen, mich umzustimmen oder sie erinnerte sich an meine Forderung, das nächste Mal zu bestimmen, jedenfalls folgte sie mir kommentarlos die Straße entlang, die aus dem Dorf hinaus führte. Die Menschen hatten sich inzwischen zu Massen um ein exotisch aussehendes Zelt versammelt, doch ich widmete dem Tumult keine besondere Aufmerksamkeit und lief weiter. Mein Pferd dagegen schien dem Ereignis mehr Wohlwollen entgegen zu bringen, denn sie richtete ihren Blick kaum auf den Weg vor sich.
Lass' uns nachsehen, was sich dort abspielt, vielleicht gibt es Neuigkeiten, die wir brauchen können.
Mit schüttelndem Kopf ließ ich sie meine Verneinung wissen. Ungerührt starrte ich auf den Schotterweg vor mir und verlängerte meine Schritte, bis Luna nicht mehr zurückblickte.
~~~
Schon seit einiger Zeit waren wir niemandem mehr begegnet, außer einem Kutscher auf dem Kutschbock einer sehr edel aussehenden Kutsche, vor die zwei Schimmel mit blütenweißem und ordentlich gebürstetem Fell gespannt waren. Luna hatte dem Gespann mit witternd erhobener Nase nachgeblickt.
Du weißt schon, begann sie nach einer Weile, dass wir nun vermutlich die Ankunft einer sehr wichtigen Person verpassen?
Ja, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Stur schaute ich geradeaus.
Wollen wir nicht umdrehen, um das Spektakel zu beobachten? Immerhin könnte es Aaron sein.
Glaube ich kaum, murrte ich kurz angebunden. Ich hätte seine Präsenz gespürt.
Luna wiegte nachdenklich ihren Kopf. Du hast zwar Recht, aber trotzdem verpassen wir mit großer Wahrscheinlichkeit etwas, was sehr wichtig sein könnte. Denk an das Versprechen, das du Saphira gegeben hast.
Ruckartig blieb ich stehen, sodass die Stute in mich hineinrannte. Stimmt. Wir sollten versuchen, es zu erfüllen.
Wie gesagt, so getan. Schnell sprang ich auf Lunas Rücken und trieb sie in den Galopp, obwohl das nicht nötig war, weil sie von selbst so schnell rannte, wie sie konnte. Schließlich erreichten wir das Dorf wieder und drosselten das Tempo. Die edle Kutsche hatte inzwischen angehalten und die Schimmel standen artig da. Ab und zu klapperte ihr Geschirr, wenn sie mit ihrem Schweif dagegen schlugen.
Langsam rutschte ich von Lunas Rücken. Das Seil war nicht mehr da, also hatten wir es wohl auf dem Weg verloren.
Wir haben das Seil verloren. Was nun?
Das fragst du mich?
Das war deine Idee mit dem Seil!, protestierte ich, besann mich dann aber wieder und sagte zu dem Pferd: Stell' dich doch einfach so hin, dass man dich nicht sieht.
Luna erwiderte nichts mehr, aber ich ging davon aus, dass sie mit meinem Einfall einverstanden war.
Ich mischte mich unter die vielen Leute, die nun die Kutsche umringten und die Köpfe reckten, um einen Blick auf wen-auch-immer erhaschen zu können. Leise lauschte ich ebendiesen Gesprächen.
„Hast du gesehen? Die Mutter ist zurück aus Phoenix und hat die Tochter Emilia mitgebracht! Sie sieht wieder einmal wunderschön aus!"
„Was? Wirklich? Ich dachte, die Tochter studiert dort..."
„Ja, das dachte ich auch!", mischte sich eine andere Frau ein. „Anscheinend hat Quentin sie wieder herbeordert."
„Ziemlich unpassend für einen Vater."
„Ganz meiner Meinung."
„Aber wenigstens sind jetzt alle wieder zusammen!"
Quentin, der Vater der Tochter, für die so einen Auflauf zusammengekommen war, war sicherlich der Adelige vor Ort, der die Verfügungsgewalt besaß. Also konnte ich ja wieder gehen, denn ich hatte die Informationen, die ich wollte. Es war nicht Aarons Adelssitz. Aber jetzt war ich schon neugierig geworden und drängelte mich durch die Menschenmassen nach vorne. Schließlich erspähte ich sie. Sie war hübsch und trug ein lachsfarbenes Ballkleid, das über den Kies schliff, als sie ein paar Schritte von der Kutsche fort trat. Ein Diener in einem ordentlichen Anzug und unbewegter Miene hielt immer noch die Tür offen. Das Mädchen hatte ihre blonden, lockigen und langen Haare mit einer reich verzierten Spange aufgesteckt, von wo sie ihr in sanften Locken auf die Schultern fielen. Die Mutter stand daneben und wirkte dagegen recht unscheinbar. Sie hatte ein bodenlanges, grünes Abendkleid an und ihre kastanienbraunen Haare offen auf ihrem Rücken liegen. Sie winkte den vielen Leuten zu, die ihrer Tochter eine Kusshand entgegen warfen und winkten, und ihre großen, grün-braunen Augen mit dem goldenen Ring um die Pupille nahmen mich geradezu gefangen. Sie hatten die Farbe von Moos im Herbst, auf das ein gelbes Ahornblatt gefallen war. Nach ein paar Sekunden riss ich mich wieder los und schaute zur Tochter Emelia, zu sehen, ob sie die Augen ihrer Mutter hatte. Sie hatte mir den Rücken zugedreht, doch ich drängte mich noch etwas weiter durch die Menge, bis ich ihr ins Gesicht blicken konnte. Ich starrte in Aarons dunkle Augen und einen Moment hielten sie mich gefangen, bis ich bemerkte, dass sie mich wirklich ansah. Schnell schubste ich die Leute beiseite und hastete an den Rand. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, dass Quentin ihr Vater war.
Was hast du in Erfahrung gebracht?, erkundigte sich meine Schimmelstute, doch ich antwortete nicht gleich, ich musste erst einmal tief durchatmen. Aber bevor ich einen Ton herausbrachte, wurde ich schon am Arm gepackt und herumgezerrt. Ich starrte in die wütenden Augen von Emelia. Und sie sprach auch nicht um den heißen Brei, sondern traf gleich den Nagel auf den Kopf.
„Was habt Ihr zu verbergen, dass Ihr so eilig verschwunden seid und Euch jetzt im Unterholz herumtreibt?"
Ertappt starrte ich sie an.
„Schaut mich gefälligst nicht an wie ein ängstliches Eichhörnchen! Ich weiß, dass Ihr etwas verbergt."
„Ich... Ihr... Ich bin nur auf der Durchreise", brachte ich schließlich heraus.
Tadelnd sah mich das Mädchen an und wippte mit dem Fuß. „Soso, nur auf der Durchreise", wiederholte sie skeptisch. „Und wieso wart Ihr dann genau zu meiner Ankunft hier?"
„Ich... ähhh..." Verzweifelt suchte ich nach einer Ausrede vor dieser Frau, die sicher eine ausgezeichnete Agentin abgeben würde. Doch diese wurde mir abgenommen, als hinter mir ein Mann aus der Menge auftauchte.
„Sie gehört zu mir", meinte er schlicht in einem ruhigen Tonfall und sein Gesicht gab keine Gefühlsregung preis. „Eure Gnade, das ist meine Enkelin Maria. Sie ist zu Besuch hier und noch ein bisschen überfordert mit all dem Trubel." Zur Bekräftigung seiner Aussage legte er mir scheinbar tröstend einen Arm um die Schulter.
Mit hochgezogenen Augenbrauen und etwas wütend schaute ich zu dem mir unbekannten Mann hinter mir. Er war alt und grau-weiße Haare fielen auf seine Schultern. Sein Bart war voll und von einer etwas dunkleren Farbe.
Emilia schien sich mit seinem Gesagten abspeisen zu lassen, auch wenn sie mir gegenüber immer noch misstrauisch war, und folgte ihren Bediensteten zurück zu ihrer Mutter.
Puh, das ist ja gerade noch einmal gut gegangen, seufzte Luna auf.
Ich dagegen blieb still und blickte vieldeutig zu dem Greis. „Ich glaube, Ihr seid mir eine Antwort schuldig."
Er atmete geräuschvoll aus. „Ich hatte vermutet", ließ er mich mit einer rauen, aber leisen Stimme wissen, „dass Ihr dies sagen würdet."
Fragend durchbohrte ihn mein Blick.
„Folgt mir. Die Straße ist kein Ort für derartige Gespräche." Er winkte mich hinter sich her, dann wandte er sich zum Wald und folgte dem Weg, den Luna und ich auch gegangen waren.
***
Eigentlich wollte ich mich mit Kommentaren zurückhalten, aber ich muss echt sagen, dass ich von mir selber überrascht bin. Klar, Korelan ist nicht die perfekte Geschichte im Buchladen, aber trotzdem bin ich gerade irgendwie ein bisschen stolz. Und natürlich muss man sagen, dass diese Kontergespräche zwischen Luna und Stella wirklich amüsant sind - auch für die "Autorin".
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