Vierzehntes Kapitel

Ungefähr eine halbe Stunde, nachdem wir unseren Aufstieg beendet hatten, fing es an zu regnen. Wir liefen noch ein Stück weiter, um nach einer geeigneten Bleibe zu suchen, doch wir fanden wieder nur einen Felsüberhang. Dort setzten wir uns. Erst half ich Xantor, ein Feuer zu entfachen, dann lief ich zum Rand und ließ mich dort nieder. Demonstrativ drehte ich Jahir den Rücken zu, doch der schien dies gar nicht zu bemerken. Ich beobachtete die platschenden Regentropfen, wie sie auf den Steinen zersprangen. Ich war etwas dazu verleitet zu bändigen, doch ich ließ es bleiben, da ich Jahirs Blick spüren konnte. Plötzlich fühlte ich Wut. Jahirs Wut. Aber er hielt sie zurück. Er war geübt in Selbstbeherrschung, im Gegensatz zu mir. Diese Wut war ansteckend. Ich war zornig darüber, dass es regnete und unsere Wanderung um einen Tag hinaus zögerte. Als ich aufsprang, versuchte ich nicht, allzu impulsiv und wütend zu wirken, Doch ich konnte es wohl nicht ganz verbergen.
„Warum gehen wir nicht weiter? Wir haben das Dorf fast erreicht. Und jetzt lassen wir uns von diesem bisschen Regen aufhalten", presste ich hervor.
Wortlos schaute mich Xantor an. „Ich verstehe deine Ungeduld, Maria." Meinen Decknamen betonte er besonders. „Es wäre nicht hilfreich, wenn wir uns erkälten würden."
Fast hätte ich gesagt, dass wir uns nicht erkälten würden, aber dann erinnerte ich mich wieder unserer Tarnung, die es zu erhalten galt.
„Setz' dich, wir gehen weiter, sobald der Regen nachlässt", bestimmte der grauhaarige Mann.
Trotzig schob ich meine Unterlippe vor und war drauf und dran etwas zu sagen, besann mich aber dann eines Besseren und nahm wieder Platz. Ich konnte erkennen, wie die Sonne hinter den Wolken, ein heller Schatten, am Himmel weiter Richtung Westen wanderte. Ein paar Stunden vor Sonnenuntergang hörte der Niederschlag tatsächlich fast vollständig auf und wir setzten unsere Reise fort. Diesmal ging ich voran, mit einem entschlossenen Schritt. Ich spürte noch immer Jahirs Zorn, aber ich konnte mir nicht erklären, wie er zustande kam.

Als es dunkel war, hatten wir eine kleine Höhle gefunden. Es fing wieder an zu regnen und durch die grauen Bindfäden konnte ich schon die Lichter des Dorfes glitzern sehen. Ein Tal lag vor uns, und an der Bergseite uns gegenüber befand sich das Dorf. Es würde, trotz dass es nicht so aussah, eine beschwerliche Strecke werden, und sie würde einige Stunden in Anspruch nehmen, weshalb wir entschieden, jetzt hier zu rasten. Die seltsame Wut, die ich schon seit heute Nachmittag spürte und eindeutig von Jahir ausging, drängte sich nun wieder in den Vordergrund, doch sie wandelte sich und wurde zu meiner eigenen. Ich fühlte Wut gegen Jahir, weil er verhinderte, dass wir das sein konnten, was wir waren. So mussten wir uns die ganze Zeit verstecken. Ohne ihn hätten wir getrost zum Dorf weitergehen können. Als ich spürte, wie stark dieser Zorn wurde und dass ich wohl bald nicht mehr die Kontrolle haben würde, erhob ich mich und rannte weg.
Xantor sprang ebenfalls auf. „Maria!" Doch er kam mir nicht nach, schien zu verstehen, was los war.

Ich ging nicht weit, nur ein Stückchen in Richtung des Dorfes, am Hang eines Berges, in einer geschützten Kuhle, damit Jahir mich nicht gleich fand, falls er mich suchte. Keuchend ließ ich mich nieder, ignorierte den Regen, der mir über das Gesicht rann und meine Kleidung durchnässte. Die Kühle erleichterte mir es, wieder herunter zu kommen und meine Wut zu vertreiben. Ich verlor nicht die Kontrolle, zum Glück nicht, doch ich blieb trotzdem noch eine Weile sitzen. Von hier aus sah ich das Dorf nicht; ein großer Fels verwehrte mir die Sicht darauf. Doch trotzdem schien es, als würde etwas durch den Regen zu mir hinüber blitzen. Ich kniff die Augen zusammen. Der Lichtschein kam von Fackeln. Auf einmal zog ich den Kopf zurück, als hätte ich mich verbrannt. Von hier aus konnte ich die Festung von Aaron sehen! Sie sah ziemlich klein aus, doch ich glaubte, dicke Steinmauern um sie herum zu erkennen. Außerdem war sie nicht schlecht bewacht. Zwar konnte ich das auf die Entfernung nicht sehr genau sagen, aber es war unwahrscheinlich, dass es weniger Lebensformen waren als ich spürte. Vor ihr lag ein dunkler Wald. Den zu durchqueren dürfte noch einmal schwer werden, dachte ich. Wer wusste schon, was in den düsteren Tiefen hauste. Es würde gefährlich werden, dessen war ich mir ziemlich sicher. Die schwarzen Vögel konnten nichts Gutes heißen. Vielleicht waren sie ein Zeichen, ein Omen, dass Schwierigkeiten auf uns zukommen würden.
Die Wolken waren groß und dick, und auf einmal zuckte ein Blitz über den Himmel. Er tauchte das Gebirge in ein kaltes, lila-blaues Licht. Dazu kam, dass meine Aufmerksamkeit in dem Moment von dem regnerischen Himmel weggerissen wurde. Meine Augen hatten eine Bewegung am gegenüberliegenden Berghang ausgemacht. Als ich genauer hinschaute, erkannte ich grau-schwarze Pelze. Sie variierten in Farbe und Form, doch waren sich alle ähnlich. Sie huschten wie diebische Schatten über die steinige Flanke des Berges. Plötzlich blieb einer stehen und hob den Kopf. Ein klagendes, wehleidiges und langgezogenes Heulen schallte über die Bergkette. Als er seinen Kopf senkte, erkannte ich kleine weiße Wölkchen nahe seines Kopfes. Dieses Heulen konnte nur eins bedeuten: Wölfe. Und sie waren auf der Jagd. Ich beobachtete das Rudel, wie es über die Bergseite wanderte, bis es aus meinem Sichtfeld verschwunden war.

Eine Weile später ging ich wieder in die Höhle. Der Regen war in der letzten Stunde stärker geworden. Zusätzlich zu den Blitzen rollte jetzt wie in Wellen tiefer, hohle Donner über die Gebirgslandschaft. Aber das war es nicht, was mich vertrieben hatte. Es war Geschrei gewesen, das der Wind umher geschmissen hatte wie ein trockenes Blatt, leidende Schreie von mehreren Personen. Sie waren aus Richtung des Dorfes gekommen. Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, was vor sich ging. Ohne Kommentar legte ich mich unter meine Decke. Mein Herzschlag beruhigte sich, und der tröstende Rhythmus des knackenden Feuers schläferte mich langsam ein.
Ich träumte. Es war kein normaler Traum. Die Farben waren lebendiger und satter und ich spielte in meinem Film diesmal mit. Ich stand wie auf Wolken. Nach einer Weile erwies sich diese Plattform als sehr kleiner Pendusect, und ich konnte nur einen Schritt nach vorne, einen zurück und einen zur Seite gehen. Um mich herum erschienen plötzlich Leute. Es waren... alle möglichen Leute, es gab scheinbar keinen Zusammenhang, wer mir erschien. Xantor tauchte aus den Wolken auf, Krothanus, Sorham, Aristopholes, Taklaros und Aaron und viele andere, deren Gesicht ich nicht genau zu erkennen vermochte. Sie lachten allesamt, lachten aus vollem Hals, und der Wind trieb die Echos über den Wolken entlang. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht bändigen, und sie lachten. Unbändiger Durst trocknete meine Kehle langsam und doch sicher aus; die Leute aber hatten reichlich, badeten, duschten, ja, schütteten es weg. Ich konnte es nicht erreichen, und Krothanus lachte. Lauter als alle anderen und seltsam hämisch, als würde er mir heimzahlen wollen, dass ich entkommen war, damals aus der Feste. Unter dem dunklen Mantel des schwarzen Magiers stachen seine roten Augen hervor, und seine Hakennase jagte mir einen Schauer über den Rücken. Seine Hände waren leichenblass und knöchrig, als er sie gegen mich richtete und Pfeile mit ihnen erzeugte, Zauberpfeile und Blitze, die mich weiter lähmten und müde werden ließen. Als ich meine Augen erneut öffnete, sah ich nichts als Dunkelheit. Ich lag auf etwas Weichem. Es roch gut, frisch, und ich konnte hören, wie etwas regelmäßig auf den Boden tropfte. Langsam hellte sich meine Sicht auf und ich fand mich in einem dunklen Wald wieder. Es regnete, und Wetterleuchten erhellte den Himmel über den Bäumen. Von fern ertönte auf einmal ein Heulen. Hektisch erhob ich mich und drehte mich um die eigene Achse, doch ich konnte nicht herausfinden, woher es kam. 'Jemand spielt mit mir', dachte ich und als wieder das schaurige Klagen eines Wolfes durch den Wald hallte, rannte ich los. Ich wusste nicht, wohin ich lief, und ob ich überhaupt irgendwo ankam, doch ich sammelte alle meine verbliebene Kraft und hetzte durch die tiefhängenden Tannenzweige. Auf einmal bremste ich. Vor mir lag eine Lichtung. Sie war hell erleuchtet, im Gegensatz zu dem dusteren Wald. Das Moos, welches sie wie ein Teppich bedeckte, war von einem tiefen dunkelgrün, so dunkel, dass es schon fast leuchtete. Die Lichtung war übersät von Baumstümpfen. In einer Kuhle am Fuße eines dieser Baumstümpfe lag ein zusammengerolltes Bündel. Allem Anschein nach ein Menschenkind, dass sich in dieser besonders dunklen Nacht im Wald verlaufen hatte. Seine lumpigen Kleider waren durchnässt. Aber... was war das? Aus dem Schatten am gegenüberliegenden Rand der Lichtung trat ein schwarzer Wolf. Er hatte grüne Augen, oh, so grüne Augen, die mich wissend anfunkelten. Vorsichtig schlich er zu dem Bündel. Seine Beute? Er stupste es mit der Nase an, bis es aufwachte und fürchterlich zu schreien anfing. Plötzliches Mitleid überkam mich. Da ließ der Wolf auf einmal ab und setzte sich mit dem Rücken zu mir einige Schritte weg. Geschwind eilte ich zu dem Kind, wollte es hochnehmen und tröstend im Arm wiegen, als ich es herumdrehte und in ein Wolfsgesicht blickte. Erschrocken japste ich auf und sprang zurück. Leise knurrte es, doch es machte keine Anstalten, näher zu kommen. Der schwarze Wolf, allem Anschein nach seine Mutter, trottete zu ihm und leckte sein Rückenfell trocken, als es aufstand und mich anschaute. Es war fast ein anklagender Blick, ein verletztes Herz, das mich da anschaute, und es hatte etwas sehr Menschliches.
Ein dumpfer Trommelschlag durchfuhr den Wald, sodass ich zusammen zuckte, und aus den Bäumen um mich herum traten viele Wölfe. Anscheinend war es ein ganzes Rudel, und die Lichtung ihr Lager. Ich wich zurück, bis ich bei dem Wolfsjungen angekommen war, und merkte fast nicht, wie die schwarze Wölfin lautlos zwischen den Tannen verschwand. Mit aufgerissenem Mund sah ich zu, wie die Wölfe sich veränderten, wie sich ihre Beine verlängerten, ihr Kopf und ihr ganzer Körper. Sie wurden zu großen Werwölfen mit furchteinflößenden Reißzähnen, wie es sie in Neidor gab. Aber der Anführer veränderte sich weiter; seine Gestalt flimmerte ständig und wurde nie klar und fest. Schließlich richtete er sich auf. Und ich schaute Aaron ins Gesicht. Erschrocken schrie ich auf und stolperte zurück. Stolpern im wahrsten Sinne, denn ich hatte das Wolfsjunge vergessen, das sich hinter mir befand. Jäh riss mein Schrei ab, als ich auf den weichen Waldboden fiel und direkt in das Gesicht von Jahir blickte. Noch geschockter kroch ich rückwärts vom Geschehen weg. Doch auch hinter mir verhüllte Dunkelheit alles Gute. So merkte ich, wie ein weiteres Wesen zwischen den hohen, dunklen Nadelbäumen hervor trat. Zwar sah ich nicht, wer oder was es war, doch ich spürte, dass es sich um einen Bändiger handelte, noch bevor er mir in den Nacken biss und ich fühlte, wie das Blut hervor sprudelte, als er ein Stück Fleisch heraus riss.

Nach Luft schnappend setzte ich mich auf. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich ruhig war. 'Was für ein seltsamer Traum', dachte ich und schüttelte mich. Draußen war es noch dunkel und der Regen prasselte hinab. Das regelmäßige Trommeln regelte meinen Herzschlag herunter. Am östlichen Horizont konnte ich schon einen hellen Schein erahnen.
Noch etwas erschlagen von meinen Traum wischte ich die Nacht aus meinem Gesicht und starrte aus dem Höhleneingang in den Himmel. Ich war noch so schlaftrunken, dass ich nicht bemerkte, wie sich Jahir aufsetzte und zu mir kam.
"Alles gut?" Er berührte meine Schulter.
Erschrocken zuckte ich zusammen. "Ja klar."
Er ließ sich neben mir nieder. "Kannst du wieder nicht schlafen?"
"Nein, nein, ich bin gerade erst aufgewacht", seufzte ich.
Er musterte mich intensiv. "Geht's dir wirklich gut?", fragte er. "Du hast nicht geantwortet, als ich deinen Namen gerufen habe."
"Was?"
"Ich habe vorhin deinen Namen gerufen und du hast nicht reagiert."
"Ach. Hab' ich nicht gehört. Ich schlaf' wohl noch halb", meinte ich müde.
Tatsächlich war die Nacht nur mäßig erholsam gewesen; nicht zuletzt durch den Traum.
„Leg' dich doch wieder hin. Wir werden eh erst in ein paar Stunden aufbrechen", meinte der junge Mann, ging wieder zu seinem Schlafgemach, legte sich hin und platzierte seinen Kopf auf dem Kissen. Ich tat es ihm gleich, aber die Augen schloss ich nicht. Ich konnte, nein, wollte nicht, und als ich dann endlich wegdöste, erhob sich Luna und schüttelte sich. Sie ging hinaus, um das spärliche Gebirgsgras abzuweiden. Regelmäßig schlug ihr Schweif, denn ich konnte das Zischen in der Luft gut hören. Nach einer Weile setzte ich mich auf und schlich, nach einigem Überlegen, hinaus auf einen Felsen, von dem aus ich den Sonnenaufgang im Blick hatte. Die kühle Nachtluft ließ mich frösteln, und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war tatsächlich schon um einiges heller geworden, und die ersten Vögel flogen kreischend über meinen Kopf hinweg. Sie waren nicht schwarz, nein, sie waren winzig und weiß, das dichte Federkleid gegen die Kälte der Nacht aufgeplustert. Wahrscheinlich hatte ich ihren Stammplatz besetzt; deswegen waren sie sauer. Dieser Gedanke legte mir ein Lächeln auf die Lippen. 

Die Pfützen von gestern Abend und der Nacht waren groß und klar. Wie apathisch starrte ich hinein in eine solche, als wäre sie ein Fenster in eine andere Welt. Ich betrachtete den sich im Wasser spiegelnden Himmel und den abnehmenden Mond, der gestochen scharf hoch über mir erschien. Ich fragte mich, ob der Himmel so ein anderer war oder ob man das Bild irgendwie festhalten konnte. Gedankenverloren studierte ich das Abbild, bildete mit meinen Gedanken eine Glaskugel und beobachtete, wie sich der Himmel weiterdrehte.

Ich blickte auf, als es platschte, und es war natürlich kein Geringerer als Luna, die sich mal wieder angeschlichen hatte. Mit ihrem Huf trat sie in die spiegelglatte Oberfläche der Pfütze und scheuchte so das Wasser auf. Erschrocken ließ ich die Kugel fallen und sie zersprang einige Armlängen vor mir auf dem felsigen Boden. Fast anklagend schaute ich Luna an, wartete aber, bis sie etwas sagte.
Du übst wohl deine Fähigkeiten mit dem fünften Element, mhh?
Ja, das hast du ganz richtig gesehen. Ich seufzte. Aber jetzt ist die Kugel kaputt.
Och, das haben wir gleich. Die Schnauze vorstreckend erzeugte Luna einen kleinen Luftstrudel, eine flache Scheibe fast wie aus Wolken, die selbst aussah wie der Himmel. Ein bisschen musste ich lächeln und bändigte noch einen Wassermond hinein. Das Kunstwerk war so perfekt. Schade, dass wir es nicht festhalten können, stellte ich etwas wehleidig fest.
Dafür wirst du dich nun immer an den Himmel erinnern, wenn du einen frühen Morgen siehst.
Ich sagte nichts. Und für eine kleine Weile schwiegen wir beide. Weißt du, ich kann Jahir irgendwie nicht leiden. Ohne ihn hätten wir unsere Reise schon längst beendet.
Luna schnaubte. Ja, in der Tat, mir ist er auch nicht sonderlich sympathisch. Aber wir haben ihn ja bald los.
Ich hielt inne. Was meinst du damit?
Na, er geht doch nur bis zum Dorf mit.
Achso. Aus unerklärlichen Gründen wusste ich, dass ich seine stille Anwesenheit vermissen würde. Plötzlich musste ich lachen, als ich an unsere Konversationen dachte.
Was?, wollte Luna wissen.
Ach, nichts... Ich schlug die Augen nieder, und als ich Lunas neugieren wie mahnenden Blick auffing, fügte ich geheimnisvoll hinzu: Er hält mich für eine Hexe.
Luna wieherte leise. Eine Hexe?
Ja, eine Hexe. Ich habe ihm gesagt, es sei Unsinn, aber...
Aber?
Er hat mir nicht geglaubt. Ich schaute auf.
Luna neigte den Kopf. Er muss dich gern haben.
Verdutzt starrte ich sie an und mein Pferd las mir meine unausgesprochene Frage von den Lippen ab.
Er macht sich Gedanken um dich.
Ich musste lachen. Jetzt mal im Ernst, das sind doch keine vernünftigen Gedanken. Das ist Humbug, und noch dazu eine unwahre Unverschämtheit!
Der Apfelschimmel wiegte den Kopf. Möglich. Aber er will nur etwas über dich wissen. Und mit „Hexe" liegt er ja gar nicht mal so falsch.
Ruckartig wandte ich mich zu ihr um. Doch, natürlich. Sehe ich aus wie eine Hexe? Benehme ich mich so?
Luna tat unbeteiligt. Um ehrlich zu sein, manchmal benimmst du dich seltsam. Und da könnte man durchaus annehmen, dass du nicht von dieser Welt bist.
Aber Hexen sind von...! Ich stöhnte, versuchte mich abzuregen. Na schön, aber selbst wenn es so wäre, ginge ihn das überhaupt nichts an.
Wieder spielte Luna den Unschuldsengel. Das liegt allein bei dir. Übrigens, du bekommst Besuch. Und ich bin dann mal weg.
Nein, warte! Aber Luna war schon verschwunden.

Wortlos setzte sich Jahir neben mich und folgte meinem Blick zum Himmel. Eine Weile saßen wir schweigend beisammen, bis er die Stille brach: „Ich habe vorhin ein leises Lachen gehört. Du weißt nicht zufällig, wo es herkam?"
Ich schüttelte den Kopf und starrte angestrengt geradeaus. „Nein, keine Idee."
Ein Kichern gluckerte in Jahirs Kehle. „Komm' schon, mit wem hast du geredet?"
Immer noch verweigerte ich den Blickkontakt. „Erstens würdest du es nicht ansatzweise verstehen, wenn es so wäre und zweitens wüsste ich nicht, was dich das angeht."
„Also hast du mit jemandem geredet", nickte Jahir und betrachtete interessiert den Himmel.
Stumm stierte ich zum Horizont.
„Tja", seufzte er. „Ich werde deinen Aufenthalt hier sicher nicht verraten, keine Angst."
„Wieso glaubst du, ich müsste Angst haben, verraten zu werden?", fragte ich vielleicht ein kleines bisschen zu schnell und mit einem Anflug von Angst in meiner Stimme.
Von der Seite musterte er mich intensiv. „Also versteckst du dich tatsächlich. Ich hab's gewusst."
„Gar nichts weißt du!", rief ich sofort, aber so leise, dass es Xantor und Saphira nicht hören würden.
Bedeutungsvoll schaute er mich an. „Gibt es denn etwas zu wissen?"
Erst sagte ich nichts, aber dann, weil ich das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen, um nicht verdächtig zu wirken: „Ich bin ein Mädchen mit dem Namen Maria, unterwegs, um ihre Großeltern zu besuchen."
Geräuschvoll stieß Jahir die Luft aus, die er angehalten hatte. „Wie gesagt, ich glaube dir nicht."
„Ich bin nie einer Hexe begegnet."
„Du lenkst vom Thema ab."
„Aber genau darum geht es doch, oder? Ob ich eine Hexe bin oder welche kenne, mhh?" Ich war laut geworden und der Mann mir gegenüber bedeutete mir, leise zu sein.
„Nein, ich will wissen, wer du bist." Scheinbar ungeduldig formte er mit seinem Atem kleine und große Kugelwölkchen. „Ich will dich kennenlernen."
„Nein, du willst nur deine eigene Neugierde...! Warte, was?" Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich sein Gesicht, etwas, das ich bisher noch nie so genau getan hatte.
Dunkle Augenbrauen überschatteten seine grünen Augen, die nicht ganz so grün waren, wie Gras es war. Eher wie eine schattige Lichtung oder ein grünlich schimmernder Stein. Er hatte ein langes, schmales Gesicht. Kurz schloss ich die Augen und holte tief Luft. „Was fasziniert dich an mir, dass du so unglaublich interessiert bist?"
„Vielleicht das Geheimnisvolle, dass du beteuerst, du wärst gewöhnlich, aber du bist es nicht." Sein Blick schweifte an mir hoch und runter. Er bedachte mich mit einem so seltsam intensiven Augenmerk, dass ein Fremder wohl gemeint hätte, wir wären gute Freunde, vielleicht sogar mehr. In seinen Augen lag eine Bewunderung, als betrachtete er einen Mythos, ein wundersames Rätsel, eine aus Magie gesponnene Geschichte. Ja, vielleicht war ich das tatsächlich. Aber konnte und wollte ich denn etwas anderes sein?
Ohne Vorwarnung packte er mich unterm Kinn und drehte meinen Kopf im Licht. „Hast du gewusst, dass, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel in deine Augen fällt, sie aussehen wie das Universum?" Er ließ mir keine Zeit zu antworten; schon als ich Luft holte, sprach er weiter: „Ich finde das Weltall unglaublich faszinierend und würde was drum geben, um all die Sterne in den dunklen Tiefen dort zu erkunden."
Wieder holte ich Luft und klappte meinen Mund erstmal wie ein Fisch ratlos auf und zu, ehe ich antwortete: „Ja, das würde ich auch gern." Den nächsten Satzanfang verschluckte ich nebenbei, wieder hätte ich fast meine Identität verraten.
„Ich glaube nicht, dass du noch davon träumst", meinte er, ließ mein Kinn los und starrte zu dem fernen Horizont; die Sonne kam gerade hinter einigen Berggipfeln hervor. Unbemerkt nahm ich einen Stein in die Hand, nicht irgendeinen, nein, es war ein Kristall. Dort hinein bändigte ich Erde und Wasser so, dass es aussah wie das Universum. Es veränderte sich ständig, und mit jeder Bewegung des Steines sah man mehr. „Ich glaube, du warst schon dort. Oder zumindest sehr nahe. Und vielleicht hast du einen Stern geklaut und behalten."
„Traust du mir das zu?"
„Einer Hexe traue ich alles zu." Jahir würdigte mich eines sehr offenen Blickes. Ich guckte nur auf meine Hände und lächelte; ich würde ihn sowieso nicht vom Gegenteil überzeugen können.
Fast beiläufig erhob ich mich und warf einen Augenmerk in Richtung unseres Lagers. Xantor und Saphira waren gerade aufgewacht und streckten sich. Ich nahm seine Hand in meine Hände, während er mich mit einem fragenden Blick bedachte, und ließ den glatten Stein hineinrutschen. „Dann hoffe ich, dass dir das hier trotzdem gefällt." Kurz lächelte ich ihn noch an, dann ging ich an ihm vorbei zu unserem Lager, um unsere Sachen zusammenzupacken. 

Unsere heutige Wanderung zum Dorf dauerte wie erwartet nicht sehr lang. Während derer spürte ich die ganze Zeit das neugierig-verwirrte Augenmerk Jahirs im Rücken. Ich war nur froh, als wir uns trennten. Vor einem ziemlich fein aussehenden Wirtshaus blieben wir stehen - Jahir hatte es uns empfohlen -; und da war sie auch schon gekommen, die Zeit der Verabschiedung. Ich wusste nicht, ob ich froh oder traurig darüber sein sollte. Jahir warf mir noch einen langen und intensiven Blick zu, dann wünschte er uns eine gute Weiterreise und verdrückte sich zum Marktplatz. Ich konnte ihm nicht lange hinterher blicken, denn die vielen Leute zwischen den Ständen versperrten mir die Sicht. Da zog mich Saphira auch schon hinter sich und Xantor her ins Innere des Wirtshauses.
Wir bekamen zwei Zimmer für die Nacht und eine warme Mahlzeit. 

Nach dem Essen zogen wir uns auf unsere Zimmer zurück. Luna, Kylla und Ramosch standen in Anbindeboxen am Wirtshaus. Vom Fenster aus beobachtete ich die Leute auf dem Marktplatz, der sich langsam leerte. Bestimmt war Jahir schon wieder nach Hause aufgebrochen. Zwar konnte ich von hier den Sonnenuntergang nicht beobachten, was mich etwas traurig stimmte, aber ich hatte dafür eine Panorama-Sicht auf den Marktplatz, die darauf herum wuselnden Menschen und die dahinter liegende Bergkette. Die Gipfel wurden von der sterbenden Sonne rot angemalt und die Menschen warfen lange Schatten. Je dunkler es wurde, desto mehr Menschen entschwanden der Szenerie, und bald wurde das Rot zu einem übermächtigen Grau. Als die Sonne komplett untergegangen war, liefen nur noch zwei Leute hektisch über den Marktplatz; ein Mann und eine Frau mit einem Bündel auf dem Arm. Auf einmal ertönte eine Glocke, und fragend blickte ich mich zu Saphira um. Was war das? Doch diese erwiderte meinen ahnungslosen Blick nur ebenso ahnungslos. In dem Moment kontaktierte mich Xantor elementar. Er schien bemerkt zu haben, dass ich verwirrt war. 
Laut meinen Quellen ist dies die Glocke, die ankündigt, hineinzugehen, denn nachts wird das Dorf von Wölfen heimgesucht.
Ich schluckte. Also doch.
Die Leute eilten nun tatsächlich auf ihre Häuser zu, und die Läden, die teilweise schon vorher geschlossen wurden, wurden spätestens jetzt eilig verlassen. Eine Dame von einem Stand, an dem es frische Eier und Milch gab, ließ vor lauter Eile die Kasse auf der Theke stehen.
Und wie aufs Kommando angelockt kamen sie auch. Dunkle Schatten schlängelten sich durch die Gassen und steckten den Kopf in alles, was nicht niet- und nagelfest gesichert war. Sie hatten Hunger, doch sie würden sich nicht mit Gemüseabfällen zufrieden geben; sie wollten Fleisch. Die hier heimischen Wölfe waren nicht so bedrohlich wie die in Neidor, stellte ich fest, nicht so bedrohlich, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Aber sie waren aggressiv, wahrscheinlich ziemlich hungrig, wie ich feststellte, als sie entschlossen die Frau einkreisten, die es nicht rechtzeitig geschafft hatte, sich in ein festes Haus zu retten. Der Mann in der Nähe rannte los; und ein Apfel fiel ihm runter und kullerte unheilvoll über die dunkle, gewölbte Straße, doch er hob ihn nicht auf. 

Da merkte ich, dass es die Wölfe nicht auf die Frau abgesehen hatten, sondern auf das Kind. Ich begann zu schwitzen – Angstschweiß –, als ich geschwind das Fenster öffnete, dass doppelflügelig war (warum auch immer; ich konnte es mir nicht erklären) und an der Fassade hinunter kletterte. Zwar hätte ich auch springen können, aber vom zweiten Stock wäre das etwas Aufmerksamkeits-erregend gewesen. Glücklicherweise hatte ich mein Schwert dabei, so konnte ich logisch begründen, warum ich mich zu den Wölfen traute. Die Wölfe jaulten, und ich sah, wie sie an dem Bündel zerrten. Schließlich wickelte sich ein Teil des Stoffes ab und die Wölfe rannten mit ihrer Beute davon. Eilig sprintete ich ihnen nach, wollte sie und das Kind nicht verlieren. Ich vernahm, wie hinter mir die Tür geöffnet wurde und allem Anschein nach Saphira und Xantor zu der Frau gingen, die sich in einer verdreckten Ecke zusammenrollte und in das Tuch weinte. Bitterlich weinte sie, und das Echo jagte durch die leeren Gassen hinter mir und den Wölfen her.

Nach nur zwei Minuten Rennen hatte ich das Dörflein hinter mir gelassen und die Wölfe schlugen einen bröckeligen Pfad an der Bergseite ein, wahrscheinlich zu ihrem Lager. Zwar hatte ich mich ihnen nicht genähert – im Gegenteil –, aber ich erkannte, wo sie hin gingen. Vorsichtig betrat ich den Pfad und als ich feststellte, dass mich keiner beobachtete, hopste ich mithilfe des Elements Luft weiter. Dummerweise hatte ich meinen Gleitschirm im Zimmer stehen lassen, aber für Reue war nun keine Zeit.
Der Pfad ging steil abwärts, was mich wunderte, und bald wuchsen hier und da gebeugte Kiefern und andere vom Wind geplagten Büsche. Die Bodendecker wurden auch häufiger, aber durch das wenige Licht konnte ich nur dunkle Schatten auf dem Boden ausmachen. Inmitten eines Hains verschwanden die Wölfe. Ich fluchte leise. Hoffentlich verlor ich sie nicht. Noch schneller als vorher keuchte ich den rutschigen Pfad entlang, bis ich moosigen Untergrund erreicht hatte. Ich nahm mir keine Zeit für eine Verschnaufpause; und obwohl sich meine Augen nur langsam an die Dunkelheit gewöhnten, hetzte ich weiter, durch den Schatten der Bäume, der zum Glück nicht ganz so dunkel war wie der eines tiefen Waldes. So erkannte ich noch das Meiste, doch trotzdem stolperte ich ab und an über eine herausstehende Baumwurzel oder rutschte fast auf einem Zweig aus. Glücklicherweise gab es hier nur wenig Unterholz und ebenso wenig tiefhängende Zweige, weshalb mich die in meiner Geschwindigkeit kaum behinderten.
Schnell war ich wieder aus dem Schutz der Bäume hinaus, und ich hatte vollkommen die Orientierung verloren. Aber das war mir gerade egal und in dem Moment machte ich zwei zitternde Schwanzspitzen aus, die hinter einen Felsen verschwanden. Sie hatten bemerkt, dass sie einen Verfolger hatten! Ich war völlig außer Atem – ich war sonst immer so weite Strecken geflogen –, aber ich verminderte nicht mein Tempo. Warum mir das Kind in dem Moment so wichtig war, hätte ich nicht zu erklären vermocht, aber aus einem unerklärlichen Grund fühlte ich mich verantwortlich. Plötzlich erhob sich vor mir eine steile Bergwand. Die Augen zusammenkneifend blickte ich hinauf und entdeckte ein schwarzes Loch. Darauf steuerten die Wölfe eilig zu, die fast schon aus meinem Blickfeld verschwunden waren. Mit letzter Kraft jagte ich ihnen nach und erklomm die grauen Höhen. Ich brauchte länger, als angenommen; länger, als ich mir selbst zugestanden hätte, und ich dachte schon, ich wäre zu spät, als ich ein Bündel erkannte, das auf einer etwas weiteren Felsterrasse lag. Die Wölfe hatten sich an den Rand der Höhle zurückgezogen, und da das Fell vieler schwarz oder dunkelgrau war, wog ich mich im ersten Moment in Sicherheit. Dann erst entdeckte ich sie und hielt inne. Sie schienen, als warten sie auf etwas. Plötzlich tat sich etwas, eine Bewegung in der Höhle zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein erstaunlich weißer Wolf trat heraus – fast, als wäre er stolz auf sein reines Fell –, und einen Wimpernschlag lang glaubte ich, dass sich der Mond darin versteckte, wenn er nicht am Himmel stand. Der Wolf hatte unheimlich klare blaue Augen und sah mich mit einem eindringlichen Blick an. Ungefähr fünf Sekunden dauerte dieser Blickaustausch, dann wandte er sich dem Bündel zu. Er beschnupperte es, stupste es an und prüfte es anscheinend auf seine Schmackhaftigkeit. Schließlich hatte er wohl entschieden, dass man es essen konnte und er bellte kurz auf. Ein zweiter Wolf erschien, und sein Fell war struppig und grau, aber die Muskeln kräftig und angespannt. Noch bevor sie den Kopf senken und mit ihren kräftigen Kiefern die Knochen des Menschenbabys zersplittern konnten, stampfte ich mit dem Fuß auf. Die Wölfe zuckten zusammen und drehten sich zu mir. Der weiße Wolf und der graue fletschten die Zähne und ließen ein tiefes Knurren hören. Aber ich wich nicht zurück, nein, in dem Moment entschied ich, dass ich furchtlos sein müsste. Ich wusste nicht warum und wieso, aber ich schritt vor und klatschte in die Hände. Das Knurren der Wölfe wurde lauter und sie standen auf. Es hatte etwas Unheimliches, Auge in Auge seinem Feind gegenüber zu stehen, aber ich hatte es mir doch selbst ausgesucht. Also schoss nur Sekunden später ein flammender und unendlich zorniger Feuerstrahl aus meiner Hand und prallte vom Boden ab, um dann im nächtlichen Wind zu verglimmen. Diese Wut war wie ein unheimlich starker Strom, der durch meinen Körper floss, und ich genoss es. Erschrocken wichen die Wölfe zurück. Sie fürchteten Feuer. Lächelnd trat ich weiter vor, mit meiner Hand einen glühend roten Feuerstrahl erzeugend, sodass sie immer weiter zurück liefen, bis sie vor der Schwelle zu ihrem Heim standen. Vor mir lag nun das Kind. Damit sie nicht zurückkamen, bändigte ich eine Feuerwand zwischen sie und mich. Und weil ich so derart Lust verspürte, ließ ich das Feuer hoch in den Himmel schießen. Sollte mich doch Aaron sehen. Ich war hier, eine Bändigerin der Anfänge, und unendlich stark! Ich konnte ihn besiegen, ich konnte alles schaffen, wenn ich wollte. Dann beugte ich mich hinab zu dem Baby und nahm es auf den Arm. Als ich sein Gesichtchen unter den Lagen von Stoff freilegte, war es mir im ersten Augenblick tatsächlich, als blicke ich ins Gesicht von Jahir, wie in meinem Traum. Doch es war nicht Jahir – natürlich nicht –, es war ein wunderhübsches Mädchen mit grünen Augen und dunklen Locken, die sich um ihr rundes Gesicht wickelten. Als sie mich sah, lachte sie, ein unglaublich schönes Kinderlachen, und ich wusste nicht, ob sie wusste, dass ich sie gerettet hatte. In dem Moment hörte ich Flügelschläge und drehte mich um. Schon vorher war mir klar: Das musste Luna sein. Wer sonst würde sich selbst in Gefahr begeben, um mich zu suchen? Elegant landete sie auf dem steinernen Balkon, der eine wunderschöne Aussicht auf das Tal und die angrenzenden Berge bot.
Luna!
Als Antwort schnaubte sie nur und warf ihren Kopf herum.
Ich legte das Mädchen auf ihren Rücken. Warte, ich muss noch 'was erledigen, murmelte ich undeutlich und wandte mich schwungvoll zu den Wölfen um. Im gleichen Moment ließ ich die Feuerwand in sich zusammenfallen, und Funken stoben auf, als sie auf den Boden prallte. Erstaunt starrten die Wölfe das Pegasus an, doch sie bewegten sich sonst nicht. Eilig rief ich Spirit an und bat ihn, die Wölfe zu schützen, und ihnen genug Nahrung zu geben, aber sie sollten nie mehr das Dorf angreifen. Dann ging ich rückwärts, bis der Bann zusammenbrach, und ich sprang auf Luna, bevor die Wölfe mit gefletschten Zähnen nach vorne sprangen und nach mir schnappten. Doch sie erwischten nur einen Stoffzipfel. Ein weiteres Tuch wickelte sich ab und segelte sacht zu Boden. Luna flog hoch und auf schnellstem Wege Richtung Dorf.

~~~

Ich habe das so vermisst!, rief Luna elementar, während sie ziemlich rasante Manöver flog.
Ich auch, aber wir müssen jetzt echt zurück, ermahnte ich sie. Sie wusste, was das bedeutete.
Och manno, murrte Luna, aber sie begab sich in den Sinkflug und landete schließlich auf dem steinigen Bergpfad. Ohne eine Aufforderung meinerseits verwandelte sie sich wieder in ein Pferd. Stumm wanderten wir wieder zurück, und am Dorfeingang hatte sich eine kleine Menschentraube zusammen gefunden, obwohl es Nacht war. Sie begrüßte uns mit Applaus, und einige jubelten sogar leise, als sie das Baby auf meinem Arm sahen.
Als wir näher kamen, erkannte ich Xantor und dahinter Saphira, wie sie sich vor zu mir drängten.
„Maria!", schnaubte Xantor. Was hast du dir nur dabei gedacht? Du verrätst uns alle, wenn du weiter solche Sachen machst!
Wortlos starrte ich ihn an.
„Wieso hast du das gemacht? Wie hast du dich gewehrt?", bedrängte ein Mann mich mit Fragen.
Ich tippte nur schmunzelnd an den Griff meines Schwertes, der unter meinem Umhang hervor lugte und drängte mich an den Menschen vorbei, immer das Kind von den Menschen abschirmend, bis ich vor der Mutter angelangt war.
Glückstrahlend nahm sie es auf den Arm. „Ich... ich bin Euch so... so unendlich dankbar", schniefte sie unter Tränen.
Freundlich lächelte ich sie an. „Gern geschehen. Ich glaube nicht, dass die Wölfe noch einmal in dieses Dorf kommen werden."
Sie wischte sich mit ihrem schmutzigen Ärmel über ihr vor Tränen glänzendes Gesicht, bis jede der Perlen weg war. „Ich schulde Euch etwas."
Ich winkte ab.
„Danke, dass Ihr die Gefahr beendet habt." Ihre Augen waren braun, wie ich bemerkte, als sie mich dankbar anblinzelte. Hellbraun.
„Die Gefahr hört niemals auf", gab ich zurück. „Aber vorerst dürfte es hier einigermaßen sicher sein." Erneut lächelte ich und trat zurück, bevor ich mich umdrehte und zum Wirtshaus lief.

Als ich im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Ich beobachtete die Schatten an der Decke, die die Möbel warfen. Die Nacht war nicht kalt, eher warm, und regenschwere Wolken zogen über den dunklen Himmel. Schließlich stand ich auf und ging zum Fenster. Ich öffnete es und genoss den frischen Luftzug um meine Nase. Die Nacht war ruhig und schwülwarm. Tatsächlich hatten sich die Wölfe heute nicht mehr gezeigt, was aber nicht hieß, dass sie es nie mehr taten. Ich hoffte, dass ich genug getan hatte.
Auf einmal nahm ich eine hastige, kleine Bewegung auf der Straße wahr. Jahir?! Er war noch ein bisschen entfernt, weshalb ich es wagte, vom Fenster auf die Straße zu springen. Auf dem Pflastersteinweg joggte ich ihm ein Stück entgegen.
„Was machst du hier?!", erkundigte ich mich entgeistert. Vielleicht etwas zu entgeistert, denn Jahirs Gesichtszüge froren ein.
„Ich hab' das Feuer gesehen. Ich dachte, das Dorf wurde in Brand gesteckt", antwortete er etwas verblüfft.
„Aber spätestens auf dem Berg gegenüber hast du doch gesehen, dass es nicht so ist. Warum also bist du hier?" Eindringlich sah ich ihm in die grünen Augen. Sie waren denen des Mädchens so ähnlich! Mich drängte die Neugierde, ihn zu fragen, ob er ein Kind hatte, doch die Höflichkeit hielt mich zurück.
„Naja, um ehrlich zu sein wollte ich sehen, dass es dir gut geht", gab er zu und biss sich auf seine Lippe, während er meinen Blick erwiderte.
„Warum?" Fast flüsterte ich meine Frage.
„Weil..." Er unterbrach sich und setzte erneut an. „Hexen werden hierzulande, wenn sie erkannt werden, gerne verführt, um sie an seinen Willen zu binden. Ich wollte..."
Leise lachte ich und senkte schüttelnd meinen Kopf. „Weißt du, Jahir, es ist ja schön und gut, dass du dir Sorgen um mich machst, aber ich bin keine Hexe, und ich habe wirklich keinen Nerv, dir das tausendmal zu erklären", meinte ich ernst.
Er blickte zu Boden. „Okay, vielleicht bist du keine Hexe, aber du bist bestimmt nicht von dieser Welt."
Wieder lachte ich und ein Luftzug zog es mit sich durch die Gassen. „Ich glaube, du verstehst nicht..." Ich konnte nur den Kopf über seine Sturheit schütteln. „Anderes Thema: Hast du eine Unterkunft für die Nacht?"
„Ähh... nein", gestand er fast beschämt.
"Und wo ist überhaupt dein Pony?"
"Das kennt den Weg nach Hause", kam es von ihm.
Ich wiegte den Kopf. „Also dann, komm' mit." Ohne zu zögern ergriff ich seine Hand, die unerwartet warm war, und schleifte ihn hinter mir her zu dem Gasthof. Weil ich ahnte, dass die Tür von außen verschlossen sein würde, entschied ich mich, durchs Fenster zu klettern, was das Risiko barg, dass Jahir meine wahre Identität entdeckte. ‚Aber was soll's, Jahir wird mich schon nicht verraten', dachte ich mir. Dann drehte ich mich zu dem jungen Mann um, der unerwartet verunsichert war.
„Hör' zu", fing ich an. „Ich möchte, dass du das Ereignis, das hiernach eintritt, nicht kommentierst oder Fragen stellst."
Er nickte. „Ich werde es versuchen."
Unmittelbar packte ich ihn um die Taille - er sog scharf die Luft ein - und bändigte in dem Moment einen Luftstrom, der uns durch das offene Fenster ins Zimmer hob. Bevor ich ihn losließ, spürte ich noch, wie sich sein Atem und sein Puls wesentlich verschnellert hatten. Außerdem nahm ich in dem Moment ein Gefühl wahr, das eindeutig von ihm ausging. Zuneigung. ‚Nein, nein, nein, das ist nicht gut.' Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf, während ich das Fenster sorgsam verschloss.
„Wow, du bist also doch eine Hexe", kam es von Jahir. Er war schneller wieder zurechnungsfähig, als ich gedacht hatte.
Etwas entnervt wandte ich mich um. „Ich weiß nicht genau, was an 'nicht kommentieren' so schwer zu verstehen ist. Aber dafür weiß ich genau, dass du mit dieser Aussage bezwecken willst, nämlich dass ich eine Frage stelle, aus Neugierde oder Angst, und ich will dir eigentlich nur sehr ungern diese Befriedigung verschaffen. Aber ich frage jetzt trotzdem: Warum bitte schön soll ich nach dem..." Ich deutete auf das Fenster. „... eine Hexe sein?"
Er schmunzelte. „Naja, du hast uns hier hoch teleportiert, da musst du doch eine Hexe sein."
Kleine Lacher schüttelten mich, während ich den Kopf senkte und mir mit der Hand übers Gesicht wischte. „Wie fange ich am besten an?", meinte ich eher zu mir selbst und starrte zum Himmel. „Alsooooo, erstens sind Hexen nicht die einzigen, die sich und andere teleportieren können. Zweitens, wir haben uns nicht teleportiert."
„Achja?" Er neigte fragend den Kopf, anscheinend glaubte er mir mal wieder nicht. „Und wie sind wir dann so schnell hier hochgekommen?"
Ich bedeutete ihm, leiser zu sprechen, wegen Saphira im Bett am anderen Ende des Zimmers und ging auf mein Schlafgemach zu. „Darüber wollten wir kein Wort verlieren", merkte ich humorlos an.
Eilig schritt er zu mir und stellte sich vor mich, sodass ich anhalten musste. „Du musst mir das aber erklären."
Ich seufzte laut. War ja klar gewesen. „Wir sind gesprungen."
„Gesprungen?" Mit großen Augen blickte er mich an. „Kein Mensch kann so hoch springen. Es sei denn..." Er schien zu überlegen und ich wartete. „Es sei denn, er benutzt Magie."
„Das ist keine Magie, Jahir. Eher..." Ich ging zu dem Bett nur wenige Schritte vor mir und setzte mich. „... eine Art Erdkraft."
„Erdkraft?" Seine Augen wurden immer größer, während ich mit dem Augenrollen kaum mehr hinterher kam.
Ich entschied mich, dass hier eine Demonstration hilfreicher war als eine lange Erklärung. Also entfachte ich eine kleine Flamme in meiner Hand. Staunend betrachtete Jahir sie und setzte sich neben mich. Dann wurde sie zu einer Erdklippe, zu einem Wasserfall und einem Miniatur-Sturm. „Jeder meines Volkes kann eines dieser Elemente beherrschen. Es gibt auch Ausnahmen, die über mehrere herrschen."
„So wie du."
Ich nickte. „Wir kommen von einem anderen Land." Seine Pupillen weiteten sich und sein Mund formte sich zu einem Oh. „Wir können nicht zaubern, aber je nach der Übung und den Fähigkeiten, die wir haben, kann uns diese Elementarkraft von Nutzen sein." Der Tornado sank in sich zusammen und meine Hand glitt aufs Bett. „So, jetzt sollten wir uns aber wirklich hinlegen", bemerkte ich. 

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