Viertes Kapitel
Noch einmal dachte ich darüber nach und hatte das Gefühl, als würde sich alles neu zusammensetzen, als würde erst jetzt alles einen Sinn ergeben. In dem Brief stand:
'Falls du dies finden solltest, Stella, wirst du sicher wissen, wer das geschrieben hat. Ich schreibe dir nicht, um irgendetwas zurückzuverlangen oder etwas zu fordern, ich rufe dich zu einem Treffen auf. Ich erwarte dich in zwei Tagen an der westlichen Grenze Korelans, im Vergessenen Wald auf der Lichtung, bei Sonnenuntergang. Bedingung ist, dass du allein kommst und das Saphira und Caleb während der Zeit im Tempel verweilen. Sonst kannst du dich von allen verabschieden, die du liebst. Und sei dir gewiss: Ich dulde nicht, wenn du dich nicht an meine Forderungen hältst.'
Ich kannte den Namen der Person, und dafür hasste ich mich. Wenn sie wenigstens mir drohen würde, mich umzubringen, aber nein, das würde ja nicht genug Druck erzeugen! Sorham, der Sohn eines Kaufmannes, wohlgemerkt von der Rasse der Elfen, war mir damals begegnet, als ich zwar im Tempel unterrichtet wurde, aber Erholungsferien hatte und in Tarisla, dem Land der Elfen weilte. Aber ich muss gestehen, dass ich dort offiziell eigentlich nur fünf Tage sein sollte, und ich hätte mich auch fast daran gehalten, wenn ich nicht einem hübschen Jungen mit Namen Sorham begegnet wäre. Heute wusste ich ja, dass Jungen mehr Schwierigkeiten bereiteten, als sie wert waren, doch damals war ich noch unwissend, jung und neugierig. Zugegeben war ich vielleicht auch ein kleines bisschen eifersüchtig auf Saphira gewesen, die ja von Anfang an Caleb hatte. Also wollte ich auch einen Freund haben, und er schien mir der Richtige. Damals, wohlgemerkt. Ich ließ mich also auf die Beziehung ein und am Anfang war es wirklich harmlos. Wir verabredeten uns heimlich und trafen uns dann auch nachts, wenn alles ruhig war und ich unbemerkt aus dem Tempel schleichen konnte. Wir kuschelten, redeten und machten alles, was gute Freunde auch machen würden. Doch dann wurde er fordernder. Eines Tages auf genau der Lichtung, auf der er sich in dem Brief mit mir treffen wollte, befanden wir uns eines Nachts und schmusten wieder. Als er mir jedoch mein T-Shirt ausziehen wollte, sprang ich auf und (ich war ja viel stärker als er) verteidigte mich. Er dachte, es sei nur ein Spiel und hat mein ‚Nein!' nicht akzeptiert, also musste es ja früher oder später so kommen, dass ich die Kontrolle verlor. Oder besser, ich war zu jenen Zeiten nur der Luft und der Erde mächtig, ich hatte also nie Kontrolle gehabt über das Feuer. Ich wollte ihn also fernhalten und schoss dabei versehentlich einen Feuerball auf ihn ab. Und da ich das Feuer noch nicht bändigen konnte, sah ich auch keine Möglichkeit zu verhindern, dass Sorham verletzt wurde. Der Feuerball hatte ihn glücklicherweise nur gestreift, weil er noch rechtzeitig etwas ausweichen konnte, doch er trug nun für immer eine Narbe, und das verzieh er mir nie. Ich sah das heute natürlich als Strafe für seine Torheit.
„Wer war es, Stella?", forderte nun Ghadifla, meine Mutter.
„Nun, niemand besonderes, nur..." Ich schluckte wieder.
„Wer?", drängte nun auch Aristopholes.
„Er... er heißt Sorham...", stotterte ich und senkte den Kopf. „Ich bin müde und morgen steht mir eine lange Reise bevor, ich geh besser schlafen", murmelte ich und wollte gehen, als Jake auf mich zusprang und meinen Arm festhielt.
„Nein, Stella, geh nicht!", rief er, „Wir brauchen dich hier!"
Zögernd wandte ich mich um und sah zu Aristopholes, doch auch er nickte. „Wir brauchen dich nun hier."
Als ich an jenem Abend endlich in mein Zimmer entlassen wurde, war es schon spät. Der Vollmond stand schon weit am westlichen Himmel. Bald würde die Sonne aufgehen. Nach dieser Botschaft war es natürlich noch riskanter, mich ohne Begleitung zu den Thorraken zu schicken, zumal einige der Elfen-Clans nicht weit entfernt lagen, doch Kaya und die Priester waren noch immer der Meinung, dass das Risiko steigen würde, wenn mich eine Garde begleiten würde. Natürlich stimmte das, aber zumindest hätte ich bessere Überlebenschancen, wenn ich angegriffen werden würde. Ich legte mich sofort schlafen, wobei ich keinen Gedanken mehr an Luna verschwendete. Sie war ein eitles Pferd – Pegasus – und würde sich schon wieder beruhigen.
~~~
Als mich ein paar Stunden später mein Gedächtnis wachrüttelte – Bändiger hatten einen "eingebauten" Wecker und waren deshalb so gut wie nie unpünktlich –, nahm ich zuerst schlaftrunken einen Schluck eines Gebräus namens Rholynd, eine Erfindung der Bändiger gegen Schlafmangel und Konzentrationsschwäche. Danach kleidete ich mich rasch an und verließ den Wohnteil des Tempels mit meinem Bündel, den ich dann an Lunas Sattel festschnallen würde. Eifrig und erfrischt (von dem Gebräu, nicht von der vermeintlichen Nachtruhe) betrat ich den Stall und lief sogleich Jake in die Arme.
„Guten Morgen", begrüßte er mich und nickte freundlich, wogegen ich nichts einzuwenden hatte.
„Was machst du denn in den Stallungen - noch dazu in jenen der Luftbändiger?", bemerkte ich überrascht. Ich war viel zu verblüfft ob der Tatsache, als dass ich ihn hätte begrüßen können, obgleich das in jedem Fall anständiger gewesen wäre.
„Wie ich sehe, wie immer sehr freundlich und anscheinend putzmunter!", meinte er spitz mit einer sarkastischen Anspielung auf meine Augenringe. „Aber natürlich, wenn du willst, sollst du deine Antwort erhalten: ich wurde von Seth beauftragt, mich um Kharol zu kümmern, da er heute unerwarteten Heilkundeunterricht bekommt."
„Pfff." Spöttisch stieß ich die Luft zwischen den Zähnen heraus. „Du meinst wohl eher, damit er mir zuschauen kann, wie ich gleich aus Korelan ausziehe - ich meine, wann bekommt ein normaler Bändiger jemals eine so große Garde zu Gesicht?"
„Schon möglich." Er zuckte mit den Schultern. „Dafür war es mir wert, weil ich so dir begegnet bin!" Verschmitzt lächelte er mich an.
„Ich würde mich an deiner Stelle eher um Rohil kümmern- sie wird sonst noch grün vor Neid, und das wäre ja schade um ihre roten Flammenfedern!" Rohil war Jakes Phönix. Sie waren liebenswerte Wesen, jedoch war Luna für mich nicht zu ersetzen.
Ich ließ Jake an mir vorbeirennen und ging zu Lunas Box. Sie kaute gerade genüsslich ein paar Karotten, die Taylor wohl erübrigt hat. Als sie mich jedoch kommen sah, drehte sie sich störrisch um. Mit in die Hüfte gestemmten Armen baute ich mich vor ihrer Box auf.
Hör mal, Fräulein, du kannst nicht die ganze Zeit die beleidigte Leberwurst spielen, also krieg dich gefälligst wieder ein! Wir haben einen Auftrag zu erledigen, den ich mir nicht ausgesucht habe! Ich bin einfach auf deine Hilfe angewiesen, auch wenn ich vermeintlich stark bin. Eingeschnappt kannst du später sein! Das gestern Abend war doch nur Spaß!
Nach meiner langen Rede drehte sie sich tatsächlich zu mir um, anscheinend überzeugt. Wenn dir meine Hilfe so wichtig ist, bemühe dich doch darum! Sie wieherte übermütig und warf den Kopf hoch.
Jetzt wurde mir einiges klar. Du hast mich die ganze Zeit nur auf den Arm genommen?, fragte ich erstaunt.
Ich musste mir doch eine Erwiderung auf deine Frechheit einfallen lassen, meinte sie und in ihre Augen trat das spöttische Funkeln, das ich schon vermisst hatte.
Also Frieden?
Klaro. Oder glaubst du, ich würde dich im Stich lassen? Luna kam zu mir und schmiegte sich an mich. Ich schüttelte den Kopf, immer noch ungläubig.
Also, mit euch Pegasi hat man es ja verdammt schwierig, man wird sogar veralbert!, murmelte ich liebevoll an ihren Hals. Sie schnaubte entspannt.
So, jetzt müssen wir uns aber beeilen!, rief ich und holte die Bürsten hervor.
Luna antwortete gar nichts darauf, doch ich merkte, dass sie die Bürstenmassage genoss. Bald war ich fertig und legte ihr das leichte Geschirr zum Reiten an. Geschickt band ich das Bündel daran fest und führte sie aus ihrer Box heraus Richtung Portal. So, jetzt wird's ernst!
Vor dem Portal standen schon Kaya und Aristopholes und die Bändiger, die sich in kleinen Grüppchen verteilt am Rande von Sacritas, dem Felsen, worauf der Tempel erbaut war, unterhielten. Alle hatten ihre Uniformen an, sie waren nicht einheitlich und trotzdem passten sie auf eigenartige Weise zusammen. Als einer der Wachen mich erblickte, rief er kurz etwas, und sofort nahmen alle Haltung an. Kaya blickte säuerlich, wahrscheinlich immer noch gereizt von meinem Benehmen gestern, doch ich konnte mir ehrlich gesagt nichts vorwerfen.
Aristopholes kam auf mich zu und ich knickste höflich. Er beantwortete diese Geste mit einem respektvollen Nicken. „Wir alle sind dir dankbar, dass du diese Aufgabe übernimmst. Es bedeutet uns viel, und wir wissen, wie viel du dafür riskieren musst." Erstaunt schaute ich auf. Er tut ja so, als hätte ich die Aufgabe freiwillig übernommen, flüsterte ich Luna zu.
Vielleicht weiß er es einfach nicht besser, meinte sie. Immerhin war er nicht dabei.
In Gedanken stimmte ich ihr zu. Bei der restlichen Rede von Aristopholes hörte ich nicht so wirklich hin, ich wartete nur, ungeduldig mit dem Fuß wippend, wann ich endlich los könnte; je eher ich wegging, desto eher hatte ich auch diese bescheuerte Aufgabe hinter mir. Endlich war seine Ansprache zu Ende und wir konnten los. Während wir auszogen, spielten Fanfaren, doch mir war das Ganze nicht geheuer. Als wir Sacritas verlassen hatten, verstummten die Fanfarenklänge und die Gestalten der zahllosen Besucher und Schaulustigen verloren sich im Dunst. Nach einer gefühlten Sekunde trennte sich die Garde von uns und wir flogen allein weiter. Wenn nicht der Auftrag gewesen wäre, hätte ich diesen Ausflug vielleicht sogar genossen. Es war ein milder Morgen nach einer klirrend kalten Nacht; der Tau setzte sich auf die zerfurchten Felsen und funkelte wunderschön in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Überall in den Mulden und Spalten der unebenen Gesteinsbrocken hing noch der Nebel und ließ die Welt geheimnisvoll und unecht wirken. Als wir uns der Nordhälfte des Neidorgebietes näherten, fuhr mir ein Schauder über den Rücken. Durch die Wolkenschwaden reckten die kahlen Bäume ihre toten Zweige wie bittende Hände gen Himmel. Zerklüftete Felsen tauchten wie aus dem Nichts vor uns auf, sodass wir unsere Geschwindigkeit sehr verringern mussten.
Wer wohnt hier wohl? Luna drehte irritiert und wie angeekelt ihre hübschen, kleinen Ohren zu allen Seiten. Ich konzentrierte mich und tastete in Gedanken das Gebiet ab.
Niemand, erwiderte ich dann, erst, wenn sich das nördliche Neidor nach Osten und Westen hin aufteilt, kann ich wieder Lebensformen spüren.
Also ist es nicht mehr weit entfernt, mutmaßte Luna.
Ja, war meine knappe Antwort, wir sehen durch die Wolken nur nichts. Vielleicht klart es ja noch auf, das würde uns die Sicht erleichtern.
Hoffe nur nicht auf etwas, dass uns zum Verhängnis werden könnte. Wenn es so trüb bleibt, kommen wir zwar nur langsam voran, dafür schwillt die Gefahr ab, dass uns jemand sieht, also sinkt auch das Risiko.
Aber wenn uns niemand sehen kann, dann bemerken auch wir niemanden, oder erst zu spät.
Was ziemlich unwahrscheinlich ist bei deinen Fähigkeiten, gab Luna zurück. Wenn du die ganze Zeit weiter die Gegend nach Leben absuchst, können wir uns rechtzeitig verstecken, falls jemand kommen sollte.
Damit war das Gespräch beendet und wir verfielen in angestrengtes Schweigen. Nach einer Weile öffneten sich die Wolken etwas und gaben den Blick auf einen großen Wald frei, der sich bis zum Horizont erstreckte, oder besser bis dahin, wo er dann im morgendlichen Dunst verschwand.
Warte, meinte ich aufmerksam und zog die Zügel an. Ich sog tief die frische Luft ein und tastete das Gebiet ab nach Lebensformen. Nur Tiere, sagte ich dann, hoffen wir, dass es in dieser Gegend niemanden gibt, der mit Tieren kommunizieren kann.
Luna schnaubte kurz, so wie als Bestätigung. Gleich glitten wir sacht durch die Wolken Richtung Wald.
Was hast du vor? Luna drehte ihren zierlichen Kopf in meine Richtung.
Wir werden uns dicht über den Bäumen halten, erklärte ich. Sonst wären wir weithin sichtbar und noch dazu in der Schusslinie.
Aha, meinte sie, wäre es nicht sinnvoller, direkt neben dem Wäldchen zu fliegen?
Naja, erwiderte ich, natürlich wäre es einfacher dem Fels zu folgen, aber ich halte es trotzdem für riskanter, gesehen zu werden.
Dein ganzes Leben ist riskant, erinnerte mich Luna.
Ich seufzte. Warum wohl?
Also, ich finde, es wäre ein Kompromiss, wenn wir unten langfliegen würden. Luna schlug mit dem Schweif und ich hielt sie kurz entschlossen an.
Ich bin immer noch für oben. Wenn unter diesem Pendusect (schwebender Fels) noch andere sind, könnten wir beobachten werden.
Genau wie wenn noch andere darüber sind, beharrte die Schimmelstute.
Ich stöhnte. Wenn wir wüssten, wie weit sich diese Ansammlung von Pendusecten in die verschiedenen Richtungen erstreckt, wäre es am sichersten, ganz unten langzufliegen.
Wissen wir aber nicht, also...
Wir fliegen über den Wald, meinte ich in einem Ton, der keine Widerrede zuließ.
Na gut, gab Luna trotzig von sich, aber ich habe dich gewarnt.
Luna, wir gehen ein großes Risiko ein, in dem wir überhaupt wir selbst sind. Wir können nur hoffen, dass uns das Glück lacht.
Letztendlich setzten wir unsere Reise fort, allerdings flog Luna mit durchgedrücktem Unterhals weiter, und ich spürte ihren Widerwillen. Schließlich kamen wir ohne Zwischenfälle zum Dunklen Tor, einer Felsformation, wie sie vor tausenden von Jahren entstand. Je kleiner der Abstand zwischen uns und jenem Tor war, desto mehr wollte eine schattenhafte Macht scheinbar von meinem Geist Besitz ergreifen und drängte sich in mein Bewusstsein. Auch Luna presste die Ohren eng an ihren Kopf und kämpfte weiter gegen den plötzlich eiskalten Wind an. Die Felsen zu beiden Seiten verwandelten sich in Löwen mit schrecklichen, furchterregenden Reißzähnen oder in Drachen mit blutroten Augen und messerscharfen Klauen. Mich fröstelte. Zwar war mir bewusst, dass dies nur Trugbilder waren, die irgendwelche Magiere erschufen, doch das hieße, wir wären nicht allein, doch ich konnte keine Gegenwart anderer Lebensformen wahrnehmen. Das alles irritierte mich sehr, und so gab ich Luna erst die falsche Hilfe zum Anhalten, doch sie wusste, was sie zu tun hatte.
Was ist los?
Es ist so komisch hier, als wolle eine dunkle Macht von mir Besitz ergreifen. Dabei haben ich und mein Volk überhaupt nichts mit irgendwelchem magischen Firlefanz am Hut, wir bedienen uns nur der elementaren Kraft, die in jedem geboren wird und verehren die Elemente, damit sie uns weiter wohlgesonnen sind.
Nun... Luna wiegte ihren Kopf. Das liegt daran, dass hier so viel dunkle Magie verwendet wird. Du musst einfach versuchen, die unbekannte Macht aus deinem Bewusstsein zu verdrängen und dich ganz sehr auf das konzentrieren, was du eigentlich willst. Am besten bleibst du auf meinem Rücken, ich kann dich zusätzlich vor der Macht schützen.
Verbissen nickte ich, meine Konzentration war von meinem Willen eingenommen, der erpicht darauf war, Lebensformen und deren Willen aufzuspüren.
Darf ich dich noch mal unterbrechen? Luna schlug mit dem Schweif und trat unbehaglich einen Schritt zur Seite.
Ungern, gab ich kurz angebunden von mir.
Vielleicht wäre es besser, sich etwas abseits hinzustellen, denn genau hier vermuten uns unsere möglichen Verfolger.
Unsere möglichen Verfolger haben uns schon lange gesehen.
Trotzdem wäre es ratsam, etwas aus der Schusslinie zu treten, beharrte Luna.
Ich seufzte. Na gut.
Hastig suchten wir ein geeignetes Versteck, nicht zu weit, dass ich noch ohne Probleme die Gefühle von Thorraken oder Sonstigem spüren konnte. Als es endlich erledigt war- wir saßen hinter einem Felsen, der von Nebel verhüllt war und Luna hatte sich zum Schutz hingelegt- fuhr ich meine Fühler aus und tastete über die unebenen Schluchten und Höhenzüge. Schließlich entdeckte ich eine kleine Ansammlung von Thorraken, wahrscheinlich hatten sie an diesem Platz ein kleines Dorf errichtet. Allesamt waren recht friedlich und ihre Gefühle waren klar voneinander getrennt, leicht zu erkennen. Keiner hatte rebellische Gefühle, und keiner wies eine Regung wegen einem bevorstehenden Krieg auf. Ich hörte kaltes Wasser plätschern, über unebene Rinnen und Kanäle fließen und einige Ziegen mähten im morgendlichen Tau. Zu unserem Pech lichtete sich die Wolkenwand, als die Sonne den östlichen Himmel erklommen hatte und nun mit ganzer Kraft schien.
Zeit, sich aus dem Staub zu machen, bemerkte ich, schwang mich auf Lunas Rücken und trieb sie an. Es war ruhig, und als wir den großen Wald erreichten, hob sich meine Laune und ich nahm den guten Verlauf unserer Reise als selbstverständlich hin. Dadurch wurde ich leichtsinnig.
Pass auf, es könnte immer noch ein Hinterhalt sein, mahnte mein hübsches Pegasusweibchen mich zur Vorsicht und schwang ihren ausdrucksstarken Kopf unruhig hin und her.
Selbst wenn wir Verfolger hätten, hätten sie uns dann nicht schon lange abgefangen?
Wenn sie clever sind, nicht, um uns in falscher Sicherheit zu wägen. Genau wie du es jetzt machst. Luna riss plötzlich ängstlich den Kopf hoch. Stella, ich rieche etwas! Am besten verstecken wir uns so schnell es geht!
Aufgewühlt trieb ich sie an und wir flogen wie ein Pfeil von der Sehne in den Schatten der Unterseite des Pendusecten. Dort verharrten wir einige nervenaufreibende Sekunden, bis wir einen Schrei hörten. „Schwärmt aus und sucht sie!"
Wie eingepferchte Schweine drängten wir uns noch mehr in die tiefen Schatten und hofften, dass die Dunkelheit nicht nur unsere Gestalten, sondern auch unsere Gerüche mit verschluckte. Was mich zusätzlich irritierte, war, dass ich noch immer keine Lebensformen spürte, obwohl das hier hundertprozentig welche waren. In dieser Situation wagten Luna und ich nicht miteinander zu reden. Also kommunizierten wir über die elementare Verbindung.
Was meinst du, was die von uns wollen? Mit meiner zitternden Hand strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
Kommt darauf an, was sie wissen, gab sie zurück. Wenn sich bis zu den Thorraken herumgesprochen hat, dass du eine Elementar-Bändigerin bist, könnten einsame Unruhen schnell zu einem Krieg ausarten, weil sie sich bedroht fühlen. Und Hauptziel bist natürlich du.
Ja, und wenn sie das vermeiden möchten, versuchen sie mich alleine zu töten, und diese Mission kam ihnen wie gerufen, presste ich hervor. Vielleicht macht Aristopholes ja gemeinsame Sache mit den Thorraken.
Glaubst du das wirklich?
Naja, was soll ich denn jetzt anderes glauben? Das der große Aristopholes einen gewaltigen Fehler begangen hat? Und was überhaupt, wenn ich nicht lebend von seiner tollen Mission zurückkomme? Oder nicht weiter ihr Schutzschild spiele?
Stella, beruhige dich. Wir können uns jetzt keine Fehler aus Unkonzentriertheit leisten.
Ich seufzte. Und wie Recht du hast.
Kannst du nicht den Fels zu einer Höhle bändigen?
Konzentrierte Stille trat ein, in der ich es versuchte. Nein, das würde zu lange dauern.
Luna schlug unwillig mit dem Schweif. Na, dann müssen wir hier weg, bevor sie uns gefunden und eingekreist haben.
In Gedanken stimmte ich ihr zu und trieb sie aus dem Schatten heraus.
Bändige einen Schild um uns!, keuchte Luna.
Sofort tat ich es und verspürte sogleich eine wohlige Wärme, die durch meinen Körper bis in meine Hände floss.
Ein Thorrak, ein breitschultriger Mann, lachte. „Keine Sorge, Schätzchen, wir haben Waffen, die deinen Schild durchdringen können."
Entsetzliche Panik machte sich in mir breit.
Flieg schneller, Luna!
Sofort beschleunigte sie das Tempo und wir rasten zwischen den Thorraken auf einen weiteren Pendusecten zu.
Plötzlich fiel mir etwas ein wie Schuppen von den Augen: Ich konnte von jedem Element einen Schild bändigen. Doch sie hatten nur meinen Luft-Schild gesehen. Außerdem hatte ich ein Pegasus, Reittier der Luftbändiger. Sie mussten denken, sie hatten eine junge Luftbändigerin vor sich. Das verschaffte mir einen gewaltigen Vorteil.
Luna, sie denken, ich sei eine Luftbändigerin!
Und?
Dadurch haben wir einen großen Vorteil.
Na, das kannst du ja gleich demonstrieren, damit ich eine Vorstellung von dem „Vorteil" bekomme! Luna schnaubte höhnisch. Ich biss die Zähne zusammen und Tränen traten in meine Augen ob des frostigen Zugwindes. Wir mussten es schaffen...
Schneller!, rief ich, als schon Pfeile an uns vorbeisausten. Ich habe zwar keine Ahnung von Magie, aber es könnte durchaus sein, dass ein starker Hexer sie unterstützt.
Es geht nicht! Luna wieherte verzweifelt. Ich kann nicht schneller...!
Dann hoffen wir, dass wir schnell genug sind!
Genau in dem Moment, als Lunas Hufe den trockenen Erdboden berührten, schoss mit viel Getöse ein grell-grüner Blitz auf mich zu. Erschrocken sprang ich ab, doch es war bereits zu spät. Der Blitz traf mich und ich sackte hinunter auf die krümelige Erde.
~~~
Nach einer Weile erwachte ich stöhnend. Mein erster Gedanke war, wie kalt es doch hier war, aber auf einmal war mir viel zu heiß. Wenig später, als das Bild vor meinen Augen nicht mehr verschwamm, sah ich, dass kleine, grüne Blitze über meine Arme zuckten. Anfangs schrieb ich das meinem verwirrten Geist zu, aber als ich den Kopf noch weiter drehen wollte, um mich zu vergewissern, dass ich keine Halluzinationen hatte, machten meine Muskeln nicht mit. Einen schrecklichen Moment fühlte ich mich wie in Eis eingefroren, abgeschlossen von der Realität, bewegungslos mit frostigen Gedanken. Schließlich vernahmen meine Ohren doch ein Geräusch, das immer lauter wurde...
Kampfgeschrei drang an mein Ohr und das schrille Angstwiehern von Luna, die sich vor mir aufgebäumt hatte. Ein Pfeil verfehlte zischend ihr Ohr, ein anderer streifte ihre Fessel. Panisch schrie ich auf, doch aus meinem Mund kam kein Laut außer einem heiseren Krächzen. Entschlossen bündelte ich all meine Kräfte und bäumte mich auf. Mir gelang es, aufzustehen, doch spürte ich die Gegenwart des Hexers in meinem Geist. Verbissen kämpfte ich dagegen und sammelte alle Kraft, bis ich schließlich seine Macht aus meinem Geist vertrieben hatte.
Schlagartig öffnete ich die Augen. Die Welt um mich war wieder klar. In der letzten Sekunde nahm ich einen Pfeil war, der auf meinen Kopf zuschoss und duckte mich. Mit neuem Mut besann ich mich zurück auf meinen Plan und schoss Tornados ab auf die Schützen. Doch der Hexer wehrte sie mit einer Fingerbewegung ab. Gegen seine Macht hatte ich mit einem Element keine Chance, vielleicht nicht mal mit vier Elementen.
Und dann sah ich ihn...
Er war in einen schwarzen Umhang gehüllt, der fast bis zum Boden reichte. Sein Kopf war in einer großen Kapuze versteckt, die er sich fast bis in über die Augen gezogen hatte. Der Rest seines Gesichtes lag in ihrem Schatten, trotzdem erkannte ich die aschfarbenen Haare, seine charakteristische Hakennase, die schmalen, aufgesprungenen Lippen die kleinen, roten, unheimlich stechenden Augen. Mit dem Blick durchbohrte er mich und ich wand mich ob der Intensität seines Blickes, seiner fesselnden Wirkung... In dem Moment erkannte ich ihn. Der Freund von Sorham war ein Hexer und dieser Mann war sein Meister Krothanus. Ich hatte ihn zwar nur einmal gesehen, aber ich werde nie seine roten Augen, seine Hakennase und vor allem nicht seine unglaublich große Macht vergessen.
Plötzlich hörte ich, wie ein Pfeil von der Sehne geschossen wurde, wie er an mir vorbeischoss und Luna knapp unter der Kruppe traf. Sie schrie vor Schmerz und ein roter Blutstrom ergoss sich auf den staubtrockenen Boden.
Augenblicklich verspürte ich unendliche Wut und den eisernen Willen, die zu zerstören, die Luna verletzt hatten. Ich ließ einen kleinen Stein aus dem Pendusecten unter dem Hexer hervortreten, sodass dieser ins Schwanken geriet und fiel. Ich stieß eine unendlich heiße, vor Zorn lodernde Flamme auf ihn. Als ich ihn aus der Feuersbrunst entließ und meine Aufmerksamkeit den anderen widmete, fiel er... Auf die anderen schoss ich lediglich einen Wasserpfeil, um sie außer Gefecht zu setzen. Dann bändigte ich um Luna und mich einen Schild aus Feuer und hastete, gefolgt von meinem hinkenden Pegasus, in den Wald.
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