Siebzehntes Kapitel
Es war Nacht. Nun hieß es warten. Obwohl die Zeit drängte und ich eigentlich weder warten konnte noch wollte, starrten wir zum Himmel, um den Moment des höchsten Sonnenstandes abzupassen. Dann würde Aaron am wenigsten mit einem Angriff rechnen. Und diesmal, da war unser Plan wirklich wasserdicht.
Die Straße war hell und leer. Obwohl es Mittag war, kam kaum ein Händler vorbei. Nur einzelne Leute, meist Wanderer, die die nächste Stadt aufsuchen wollten. Wir hatten uns ebenfalls abgenutzte Umhänge übergeworfen, wollten wir doch so wirken, als seien wir ebenfalls solche Wanderer. Nur dass unser Ziel ein anderes war. Aber das würde niemand erfahren.
Die Luft war drückend und feucht-warm und es regte sich kein Lüftchen. Die Blätter über uns hingen hinunter, lechzten nach Wasser. Aber so schnell würden sie wohl keines bekommen. Die Atmosphäre war angespannt, als ahne man, dass gleich ein Kampf stattfinden würde. Wir beide hatten uns leichte Kleider angezogen.
Die Vögel hielten inne, als wir passierten. Die Hufschläge von Kylla und Luna waren unerwartet laut in meinen Ohren, oder war es mein Herzschlag? 'Verdammt, reiß' dich zusammen, Stella, du bist domitrix initium, du brauchst dich nicht zu fürchten! Keiner ist stärker als du!' Stolz reckte ich wieder mein Kinn nach oben. Ich war die Bändigerin der Anfänge, die Elementarbändigerin, über deren Hilfe man so froh war. Ich war stark - ich atmete ein - stark genug, um Aaron zu bezwingen - und ich atmete aus. Ja, diesmal würde es gelingen. Ich spürte es in der Luft um uns herum, wir würden es schaffen! Wir mussten nur daran glauben!
Noch im Wald blieb ich stehen und ließ Saphira ein bisschen Vorsprung. Ihre langen, blonden Haare lagen glatt auf dem grauen, rauen Stoff des Umhangs, doch ich konnte mir das dunkelblaue Kleid darunter, das mit weißen Blumen und Vögeln verziert war, nur zu gut vorstellen. Am Rand war es von Spitze gesäumt. Es passte unglaublich gut zu Saphira. Ich betrachtete sie ein Weilchen länger. Nervös drehte sie den Kopf zu beiden Seiten, als wolle sie sich versichern, dass wir keine ungewollten Zeugen hatten. Sie runzelte die Stirn und kratzte sich an der Nase. Verständlich, dass sie aufgeregt war.
Auf einmal knickten ihre Beine ein und sie fiel zu Boden. Als ich zur Mauer schielte, sah ich, dass schon ein Wachmann angebissen hatte. Eilig rannte ich zu Saphira und rief scheinbar verzweifelt immer wieder ihren Namen, schüttelte sie und streichelte ihren Kopf, doch sie öffnete nicht die Augen.
Gut so, Saphira, murmelte ich elementar.
Dann sprang ich auf und rief nach Hilfe. Wirklich, nach ein paar Minuten kam ein Wachmann angelaufen. Er erblickte Saphira, wie sie auf dem Boden lag. Ohne zu fragen verstand er. Mit einem Satz war er bei ihr und hatte sie ohne Schwierigkeiten hochgehoben. Ich spielte die Rolle der besorgten Freundin beziehungsweise Schwester oder für was auch immer uns die Soldaten hielten.
"Kennt Ihr einen Arzt?", eilte ich über die Worte.
Der Mann zögerte etwas. "Nun ja, in der Festung gibt es einen Arzt, aber ich weiß nicht, ob unser Herr das gutheißt..."
"Bringt sie schnell zu ihm!", rief ich aufgebracht. "Bitte!", flehte ich noch, und da überwand er sich und brachte Saphira in die Burg. In diesem Moment spürte ich, dass Saphira in ein Koma sank - ein anderes als das gespielte. Das war nicht geplant! Ich wollte hinterher, aber in dem Moment fiel mir anscheinend zufällig ein, dass ich ja noch die Pferde anbinden musste, damit sie nicht wegliefen. Rasch rannte ich zum Wald und stellte sie dort unter die Bäume, dann lief ich wieder zur Feste. Allerdings hatte ich - zufälligerweise - keine Ahnung, wo der Mann mit Saphira hinverschwunden war. Also ging ich auf eigene Faust los, sie zu suchen. Als erstes lief ich dort hin, wo ich die Kerker vermutete. In dem Gang war es dunkel, doch hier waren wir schon einmal gewesen und hatten nichts gesehen. Die Kerker musste weiter unten sein. Nur - das war schon das unterste Geschoss. 'Es sei denn', fiel mir ein und ich schnappte nach Luft, 'es sei denn, es gibt ein Kellergeschoss.'
Die erstbeste Tür, die nach unten führte, wählte ich und stolperte beinahe in meiner Eile die schmutzige Steintreppe hinunter. Die schwarzen, teilweise verrosteten Gitterstäbe erschwerten mir die Sicht in die Zellen, und die Dunkelheit trug ihr Übriges dazu bei. In dem Halbdunkel machte ich dutzende Menschen aus, die hoffnungsvoll zu den Gittertüren kamen, als sie sahen, dass ich niemand vom Hof war. Tatsächlich sah ich einen schwachen Lichtschein an einer Stelle im Mauerwerk. Und das war Calebs Freifahrtsschein nach draußen. Allerdings konnte ich Caleb nirgendwo entdecken. Je weiter ich vordrang, desto schlimmer wurde der modrige Gestank in dem engen Gang. Ich rümpfte die Nase.
Auf einmal knickte der Kerkergang vor mir ab und ich konnte mich gerade rechtzeitig verstecken, bevor mich die Wachen erblickt hatten. Der Teil, der folgte, war von Fackeln erhellt und die Gitter waren dicker. Dort vermutete, nein, spürte ich Caleb. Ich wusste, ich würde die Wachen ausschalten müssen, würde ich Caleb befreien wollen. Kurz schloss ich die Augen und sammelte mich.
Blitzschnell schoss ich um die Ecke und bändigte sogleich einen Wasserstrahl, der die beiden Wachmänner durchbohrte. Gleichzeitig aber erschuf ich ein Feuerband um den Wasserstrahl, damit der gute Boden nicht mit Blut besudelt wurde. Sie hatten nicht einmal mehr Zeit gehabt, ihre Waffen zu ziehen, bemerkte ich bedauernd, als ich über sie zu Calebs Zelle stieg. Natürlich war kein Schlüssel in der Nähe, weshalb ich das Schloss mithilfe des Elements Luft öffnete.
"Wie schön, dich zu sehen, Stella!", begrüßte mich der braunhaarige Junge, als wäre alles in Ordnung. "Ich hoffe, diese Rettungsaktion wird nicht wieder so vereitelt wie die letzte."
"Nein", brachte ich ernst hervor, fast schon wütend, "... nein, diesmal werden wir dich befreien und zurück nach Korelan bringen." Ich stieß seine Zellentür auf.
"Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein", gab er zu und trat heraus.
Ich schob ihn vor mir her. "Los, du musst jetzt schnell durch diese Lücke in der Mauer fliehen."
"Und was ist mit dir?", fragte er und wandte sein Gesicht zu mir.
Ich stutzte. "Ich stelle mich Aaron, weil ich noch Saphira holen muss."
"Sie ist auch hier?", keuchte er, und ich legte ihm meine Hand über seinen Mund, da er ziemlich laut geworden war.
"Ja, sie ist hier. Aber sie ist ohnmächtig..."
"WAS?"
"Am besten, du gehst jetzt. Ich krieg' das schon hin", meinte ich und schob ihn unter Gegenwehr zu der Öffnung. Sie war kleiner als gedacht. Ich passte wahrscheinlich durch, aber Caleb...?
"Ich komm' mit! Ich muss mit und Saphira helfen!" Caleb drehte sich energisch zu mir um.
"Vergiss' es, Caleb, du bist gerade erst befreit worden, jetzt geh' schon!" Unter großer Anstrengung konnte ich ihn zurückhalten und vorwärts schieben.
"Du... Versprich' mir, dass du sie heil wieder mitbringst", forderte Caleb noch flüsternd.
Vertrauensvoll neigte ich meinen Kopf und hob eine Hand. "Ich verspreche es. Bei Spirit." Spirit enttäuschte man nicht.
Der Junge nickte.
"Gehe!", sagte ich zu ihm. "Kylla wird dich zu unserem Lagerplatz bringen."
Er machte den Mund auf, aber bevor er zu einem erneuten Satz ansetzen konnte, hatte ich mich schon umgedreht und ging den Gang hinauf.
Ich war nicht so herzlos, die Gefangenen einfach so in ihrer Zelle vergammeln zu lassen. Beim Herausgehen bändigte ich ein Luftschild um die betreffenden Schlösser. Später würde ich sie öffnen. Wir wollten immerhin nicht vorfrüh auffliegen.
Ich sprang die Treppe wieder hinauf, schloss die Tür sorgfältig und atmete tief durch. Dann setzte ich ein sorgenvoll-entsetztes Gesicht auf, um auch authentisch zu wirken und eilte quasi ahnungs- und orientierungslos umher. An der Treppe begegnete ich einem Wachmann.
Ein panischer Aufschrei entfuhr mir, natürlich absichtlich, und ich packte den mir unbekannten Wachmann. "Wo hat man sie hingebracht?", schrie ich fast.
"W... wen?", stotterte er und mir fiel es nicht schwer, zu begreifen, dass er wirklich keine Ahnung hatte, von wem ich redete.
"Wo ist Euer Arzt?", fragte ich weiter, gespielt verzweifelt und ungeduldig werdend.
"Die... die Trep... Treppe hinauf un... und dann de... den Gang na... nach links wei... weiter", gab er mir die Auskunft, die ich erfragt hatte. Und langsam begriff ich auch, dass das Stottern nicht von der Aufregung oder aus Verlegenheit herrührte, sondern chronisch war.
"Danke!", rief ich, wandte mich mit einem bezaubernd weißen Lächeln zu ihm und drehte mich dann um, um zu Saphira zu gelangen.
Die Treppe zu finden war kein Problem, sie befand sich quasi vor meiner Nase. Nur beim Gang, da war das eine andere Sache. Es zweigten ziemlich viele Gänge ab, weshalb ich sehr irritiert war und ein paar Mal in die falsche Richtung rannte, ehe ich auf eine erneute Wache stieß. Stoßen in seiner wahrsten Bedeutung, denn in meiner Eile rannte ich an einer Ecke in ihn hinein. Verdutzt schaute er mich an. "Was macht jemand wie Ihr hier bei diesem Saal? Seid Ihr ebenfalls für ein Verhör hergebracht worden?"
Irritiert zog ich die Stirn kraus. "Nein, meine..." In letzter Sekunde entschied ich mich um. "... Schwester ist zu Eurem Arzt gebracht worden, weil sie vor den Toren der Feste ohnmächtig geworden ist", antwortete ich ihm brav und lächelte strahlend.
"Ah, das erklärt es..." In dem Moment öffnete sich hinter ihm eine Tür und ein Soldat kam heraus. Vor sich schob er eine Person her - und ich traute meinen Augen kaum - es war Jahir! Sofort stellten sich mir Fragen. Erstens, wie war er hier hergekommen und warum? Und zweitens, was hatte er über mich gesagt? Dass er glaubte, ich sei eine Hexe?
"Das ist die, über die ich erzählt habe. Kann ich jetzt gehen?" Diese Aussage erschreckte mich ungefähr genauso sehr wie die Tatsache, dass er ungewohnt müde und kaputt klang. Ich zuckte merklich zusammen, hielt meine Tarnung aber noch ein Stückchen aufrecht.
"Nein!" Der Wachmann, der ihn festhielt, zog an seinem Kragen, bis Jahir stöhnend die Zähne aufeinander biss und keinen Widerstand mehr leistete. "Es wurde doch klar und deutlich gesagt, du wirst solange festgehalten, wie du nützliche Informationen für unsern Herrn hast."
Jahir blickte mir in die Augen und unbewegt starrte ich zurück. Dann, plötzlich, nach dem ersten Schockmoment und noch ein Moment später rannte ich plötzlich los, in die Richtung, in der ich zwei Bändiger spüren konnte. 'Warum zwei...?', doch die Frage erübrigte sich, als ich den Krankensaal fand und dort Aaron vor Saphiras Bett auf und ab ging. Er schien etwas mit den Soldaten zu besprechen, doch als ich erschien, ward er augenblicklich still. Wartend schaute er mich an. Als ich aber keinen Ton sagte, sondern die Szenerie nur intensiv musterte, ergriff er das Wort.
"Du brauchst dich nicht zu verstellen", fing er an. "Ich weiß längst, wer du bist."
Neugierig kniff ich die Augen zusammen und trat einige Schritte in den Raum. "Ach ja?" Ich stemmte die Arme in die Hüften. "Wie heiße ich denn?"
Diesen Kommentar überging er geflissentlich und lächelte zynisch. "Ich weiß, zu welchem Zweck du und die Halbbändigerin hier sind."
"Gar nichts wisst Ihr", fauchte ich bedrohlich und sank in eine Kauerhaltung. Eigentlich wurde diese Haltung als Verteidigungshaltung gelehrt, weil man damit besser und schneller einen Schild um sich bändigen konnte. Aber es wäre doch durch und durch ironisch und clever, dies und den daraus folgenden Überraschungseffekt für einen Angriff zu nutzen.
"Oh doch, unterschätzt mich nicht, Liebes." Er fixierte mich mit den Augen und schritt langsam und beherrscht zu mir und um mich herum, als wäre da ein zauberhafter Kreis um mich, den man nicht betreten konnte. Durch der Tür kam plötzlich noch eine Wache herein, die von vorhin. Er flüsterte dem schwarzhaarigem Feuerbändiger etwas ins Ohr, nickte und verschwand wortlos wieder. "Also, Stella, wenn wir schon einmal das Vergnügen haben, uns gegenüberzustehen, was habe ich deiner Meinung nach übersehen?" Fragend blickte er mich an. "Was weiß ich noch nicht über dich? Erzähl' es mir!"
"Eher würde ich sterben!", keifte ich und beobachtete wachsam jede seiner Bewegungen.
Er grinste hämisch. "Das ließe sich einrichten." Ohne Vorwarnung schoss er plötzlich ein, nein, zwei Feuerstrahlen hintereinander auf mich ab und verfehlte meinen Körper - das erste Mal den Kopf und beim zweiten Mal meinen Bauch - nur knapp.
Ich schickte erst einmal ein paar harmlose Luftstrudel zu ihm. Er sollte mich für schwach halten.
Er lachte nur. "Ist das alles, Mädchen? Warum legst du dich auch mit mir an? Keiner ist stärker als ich."
'Das glaubst auch nur du!', dachte ich, während ich mir ein vielsagendes, böses Lächeln verkniff. Ich hatte einen Plan.
Noch ein paar Mal wirbelte Aaron herum und schleuderte Feuerkugeln und -strahlen auf mich. Ich verteidigte mich, so gut es eben ging, als ein mittelprächtiger Luftbändiger. Ich drehte mich, sprang in die Luft und gestikulierte mit meinen Armen, um Luftwirbel zu erzeugen. Luft war ein ziemlich aufwendiges Element, oder zumindest musste man sehr viel sportliche Aktivität zum Erzeugen eines solchen Lufttornados aufbringen und das Ergebnis war vergleichsweise schwach. Zwar gab es auch einige sehr gute Luftbändiger, die genauso stark waren wie Feuerbändiger, aber das erforderte Übung, Schweiß und Erfahrung. Alles, was ein junger Bändiger nicht hatte oder bereit war, zu investieren.
Als Aaron ungefähr zehn Feuerbälle hintereinander auf mich abfeuerte und mich jedes Mal knapp verfehlte - ich büßte einige Haarsträhnen ein und fügte mir damit auch einige feuerrote Verbrennungen zu - kniete ich mich erschöpft hin und stand nicht mehr auf. Auch nicht dann, als schwere Schritte auf mich zukamen und Aaron unmittelbar vor mir stand. Er lachte, ein schwarzes Lachen. Schwarz wie seine Haare, seine Augen, seine Seele. "Na, gibst du etwa auf?"
Scheinbar schwer atmend keuchte ich vor mich hin und hob erst nicht den Kopf. Aaron lachte wieder. Und dann blickte ich auf. Meine Augen glühten blau vor Wut. Ich war nicht wütend, dass er mich scheinbar bezwungen hatte oder das Xantor gefangen worden war, ich war wütend auf alles, und dank meiner geübten Selbstkontrolle hatte ich dies alles gesammelt und gab es nun frei. Meine Augen glühten immer, wenn ich die Kontrolle verlor, oder wenn ich mehr als ein Element bändigte. Ich blickte auf, doch ich sah nichts. Nur verschwommen bemerkte ich, wie sich Aaron aufrichtete und sein Lachen verstummte.
"Ich wusste es", rief er erzürnt, "Ich wusste, dass du nur spielst. Niemand legt sich mit mir an, wenn er sich nicht eines gewaltigen Vorteils bewusst ist!"
Ohne zu antworten erhob ich mich, streckte die Hände vor und schloss die Augen. Im Wald hatte ich Saphiras und meinen Gleitschirm in einem Wasserschild verstaut, damit ich sie zu mir bändigen konnte, wenn ich sie brauchte.
Ich öffnete die Augen wieder, in meinen Händen der gewünschte Holzstab. Langsam begann ich ihn zu drehen, dann immer schneller, bis einen Wassertornado auf Aaron schleuderte.
Der wich aus und bändigte wieder Feuerkugeln. Ich wehrte sie mit einer eleganten Drehung ab und lenkte sie zurück zu Aaron. Außerdem schickte ich einen Erd-Luft-Tornado zu ihm. Erstaunt riss er die Augen auf. "Domitrix initium", flüsterte er wissend. Stolz richtete ich mich auf und hielt seinem Blick stand. "Du kannst mich nicht bezwingen!", brüllte er auf einmal in einem unerwarteten Wutanfall. Er schleuderte besonders viele und große Feuerbälle zu mir. Es erforderte meine vollste Konzentration, sie alle abzuwehren. Unmittelbar danach erzeugte ich einen heftigen Feuerzirkel um mich, der sich ausbreitete, und außerdem einen wütenden Wasserstrudel, der auf Aaron zuschoss. Es folgten spitze Erdgeschosse und, mit einem anmutigen Sprung in die Luft schleuderte ich noch einen Lufttornado hinterher. Im letzten Moment wuchs vor Aaron eine Feuerwand in die Höhe, doch ein Geschoss schummelte sich vorbei und verletzte ihn an der linken Schulter. Er schrie auf. "Unverschämte Göre!", brüllte er und schickte mehrere Feuerwände, -kugeln und -strahlen zu mir. Zwar wehrte ich alle Feuerwände ab, aber eine Feuerkugel verletzte mich am Knöchel, und zwar so sehr, dass ich aufschrie, hinfiel und nicht mehr aufstehen konnte. Hämisch leuchteten die Augen von Aaron, als er auf mich zukam. "Ich hätte nie gedacht, einmal einer Elementarbändigerin gegenüberzustehen, geschweige denn sie zu besiegen."
"Ihr... Ihr habt mich nicht besiegt", brachte ich hervor und hustete vor Anstrengung unmittelbar Blut.
"Ach, also willst du kämpfen?" Erstaunt blickte er mich an. "Mädchen", redete er auf mich ein. "Sieh' doch einfach ein, wann du geschlagen bist."
Ich schloss meine Augen. In Gedanken begann ich, Wasser um mich herum zu sammeln. Es floss spiralenförmig meine Arme und Beine hinunter, bis es meine Wunde erreicht hatte und sie sanft zusammenzog. Ein Kribbeln durchzog meine Beine und Hände. Ich spürte den Heilungsprozess, hatte Aquina einmal zu mir gesagt.
Im nächsten Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig, sodass es mir unmöglich war, die Einzelheiten zu erfassen. Aaron rastete aus. "Hör auf!", schrie er und schlug mich mit dem Handrücken ins Gesicht, sodass ich nach vorne fiel und die Heilung gestört wurde. Saphira sprang von ihrer Liege auf - alles ging so schnell, dass ich gar keine Zeit fand, mich zu wundern, warum - und rief: "Kalachne!", was in der Sprache der Elfen auf Tarisla soviel wie "Wage es dir nicht!" hieß, weil Aaron zu einem Tritt in meine Seite ausgeholt hatte, aber entweder verstand er es nicht oder scherte sich wenig um die Drohung, denn er trat mich zweimal, ehe ich Caleb an der Tür bemerkte. Was bei Spirit machte er nur hier? Aber naja, im Moment konnte es mir nur recht sein. Bevor Aaron mich ein drittes Mal treten konnte, hatte Saphira ihn mit einem heftigen Wassertornado nach hinten geschleudert und Caleb versetzte ihm eine Feuerkugel, die er erzürnt in seine Richtung trat. Erstaunlicherweise konnte er diese abwehren und blieb so unverletzt. Ich rappelte mich etwas auf und versuchte erneut eine Heilung. Währenddessen liefen Saphira und Caleb aufeinander zu und fassten sich an den Händen. Ihre Umrisse begannen unecht bläulich zu schimmern, als sie ihre Kräfte vereinten. Aaron stand wieder auf und schüttelte seinen Kopf. Er wollte nicht verlieren! Das spürte ich ganz deutlich. Doch Saphiras und Calebs vereinte Kraft war zu stark für ihn.
Aaron schleuderte einige Feuerbälle auf sie, aber Caleb wehrte sie mit einem Finger ab. Dann drängten die beiden Halbbändiger ihn immer weiter zurück. Plötzlich bekam Aaron einen Wutanfall. Er schrie ohne Vorwarnung los, als würde sein Stolz ernsthaft gekränkt. Was er wahrscheinlich auch tat. Von ihm gingen Feuerwände aus, zu stark für Saphira und Caleb, auch, wenn ihre Macht jetzt vereint war. Doch bei Wut war es etwas anderes. Unter einem schmerzvollen Stöhnen richtete ich mich auf und humpelte so schnell es ging zu den beiden, um das Feuer abzuwehren. Unheilverheißend knisterte das flammende Rot, das das ganze Zimmer in ein orangenes Licht tauchte. Die Flammen kamen immer näher, und mir kam es so vor, als rührte ich mich nicht von der Stelle. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, wie eingefroren. Aber ich erreichte sie nicht mehr rechtzeitig, und das Feuer, das größtenteils von Caleb und seinem Erdschild abgewehrt wurde, warf sie nach hinten. Getroffen stöhnten sie auf, und in dem Moment wurde mir erst richtig bewusst, was auf dem Spiel stand und dass nun der Zeitpunkt gekommen war, Aaron gegenüber zu treten und ihn auszuschalten. Denn er würde nicht aufhören.
Mit zusammenfekniffenen Augen nahm ich ihn ins Visir. Er musterte mich ebenso intensiv, ehe der Sturm losbrach. Fast ununterbrochen bombardierte ich ihn mit Geschossen aller Elemente, doch er konnte ihnen ausweichen. Nach einem Geschwader seinerseits auf mich schoss ich Feuerkugeln auf ihn, von denen ihn eine am Arm verletzte. Er krümmte sich und verzog das Gesicht, als er reflexartig mit der anderen Hand nach dem Blut tastete. Diese Gelegenheit nutzte ich für eine weitere Attacke; ein Feuerstrahl, doch er wich überraschenderweise aus. In dem Moment tauchten Saphira und Caleb hinter mir auf und beschossen Aaron. Ein Wasserstrahl von Saphira durchbohrte Aaron, und er sank geschlagen auf die Knie. Er blickte ungläubig hinunter auf das Blut, das herausschoss. Auf einmal machte er einen sehr zerbrechlichen Eindruck auf mich. Er war alt, und bestimmt auch einsam und traurig. Durften wir ihm einfach sein Leben nehmen? Caleb schleuderte trotzdem weiter seine Feuerbälle auf ihn. Doch ich ergriff seine Hand, senkte sie hinab und schüttelte den Kopf. Er war sowieso schon fast tot. Ich humpelte eilig zu einem Fenster, öffnete es und ergriff meinen Gleitschirm. Dabei öffnete ich mithilfe des Elementes Luft die Schlösser der Zellen. Dann sprang ich hinaus, und Saphira und Caleb taten es mir gleich. Saphira und ich ließen unsere Gleitschirme aufschnappen und ich bändigte Luft um Caleb, dass er nicht hinunter fiel. Elementar rief ich Kylla, die aber erst kam, als ihre Reiterin dies ebenfalls tat. Kylla flog unter Caleb, sodass dieser aufsitzen konnte und wir flogen zu unseren Lager.
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Wir gestanden uns eine kleine Pause zu, in der wir überlegten, was wir als nächstes tun würden.
"Und, wie haben wir vor, Korelan zu finden?", bemerkte Caleb fragend, während er von Kyllas Rücken glitt.
'Guter Punkt', dachte ich, denn darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. "Wir... ich denke, das überlegen wir spontan", sagte ich gefasst.
"Aber möglicherweise verlieren wir in der Luft, wenn wir den Boden nicht mehr sehen, schnell die Orientierung", warf Saphira zögerlich ein und ließ sich an der rauen Felswand zu Boden gleiten.
Das war verständlich. Ja, wahrscheinlich würde es genauso passieren. "Aber was sollen wir sonst machen? Genau die Route zurückfliegen, die wir gekommen sind? Das halte ich für riskant", gab ich zu bedenken.
"Du hast Recht, aber was bleibt uns anderes übrig? Wir würden uns gnadenlos verirren", meinte der dunkelhaarige Junge. Ich betrachtete ihn intensiv. Er war um keinen Tag gealtert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es sollte mich nicht wundern, doch es hatte sich so viel geändert. Und in manchen Momenten schien die Zeit trotz allen Geschehnissen kaum vergangen zu sein.
"Es ist riskant, Stella, aber wir müssen dieses Risiko eingehen", redete nun meine Schwester auf mich ein, beugte sich zu mir und berührte sacht meinen Arm. "Vielleicht spüren wir Xantor auf dem Weg auf." Ihre blonden, gelockten Haare umschlossen sanft ihr zierliches Gesicht und passten zu dem tiefen Blau ihrer Augen. Die untergehende Sonne ließ ihre blonden Wellen golden aufflammen. In diesem Augenblick überrollte mich Dankbarkeit, große Dankbarkeit dafür, sie meine Schwester nennen zu dürfen, und mir wurde bewusst, was ich nicht verloren hatte, obwohl mein Leben auseinanderzufallen schien, hinauszubrechen aus seinem vorgegebenen, durchdachten Rahmen und Formen. Plötzlich wusste ich wieder, wofür wir das alles taten - für Korelan, für Spirit, damit alles wieder in seine vorgesehenen Bahnen gelangte - und das gab mir neue Kraft, erinnerte mich, dass ich jetzt nicht zweifeln durfte, wenn wir Erfolg haben wollten.
Ruckartig richtete ich mich auf. "Ja, das müssen wir. Lasst uns nur schnell aufbrechen, damit wir keine Zeit verlieren."
Saphira atmete scharf ein - ihr wurde wohl klar, dass sie es, trotz dass ich ihre Schwester war, mit einer unkontrollierbaren, starken Elementarbändigerin zutun hatte. In letzter Zeit war mir das öfter aufgefallen; hatte ich mich verändert?
"Lasst uns erstmal essen und trinken, bevor wir aufbrechen", meinte sie lächelnd und wollte unser Proviant auspacken, da meinte ich tonlos: "Essen können wir unterwegs. Wir müssen jetzt los."
Sie hielt inne und ihr Lächeln gefror. "Aber wir haben nun alle Zeit der Welt, da wir Caleb befreit haben. Nichts drängt uns zur Eile."
Abwesend flog mein Blick über die unter uns liegende Landschaft. Es waren Wolken aufgezogen. "Nun, wenn das so ist, tue ich es." Ich drehte meinen Kopf zu ihr und musterte sie ernst.
Ihre geschwungenen Augenbrauen zogen sich sorgenvoll zusammen, wie ein Adler, der wegflog, um Schutz vor dem Sturm zu suchen. "Ist das ein böses Omen?"
Stumm schaute ich sie eine Weile an. "Ich weiß es nicht", fing ich dann an, "Aber mir ist es lieber, nicht mehr Zeit als unbedingt notwendig hier zu verbringen."
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Es fühlte sich gut an, wieder auf dem Rücken von Luna durch die Wolken zu fliegen. Kyllas Schwingen fuhren rhythmisch durch die Luft und gaben meinem Herzschlag den Takt. Der Wind hatte aufgefrischt und fuhr in starken Böen über die Landen. Wir waren nun an dem Wolfsgebirge, wie ich es gedanklich nannte, angekommen und flogen über die Gipfel hinweg. Caleb und Saphira schwiegen, wenngleich sie sichtlich erfreut über des anderen Anwesenheit waren und sich ab und an erleichterte Blicke zuwarfen. Aber der Himmel machte mir Sorgen. Waren die Wolken vorhin nur harmlose Schäfchenwolken gewesen, so hatten sie sich nun gewandelt, in hohe Turmwolken, die sich im Wind bedrohlich aufbäumten. Hatte Xantor uns nicht gewarnt, wie schnell das Wetter in den Bergen umschlagen konnte? Ich schüttelte den Kopf. 'Leichtsinnig, Stella, viel zu leichtsinnig.' Ich trieb die anderen zur Eile, denn die Wolken sahen fast aus wie die vor dem Sturm, als Xantor noch bei uns gewesen war.
"Kommt. Wir sollten uns beeilen, dass uns der Sturm nicht betrifft", kommentierte ich, und Saphira nickte bloß. Dass sie mich verstanden hatte, merkte ich erst, als Kylla anzog und ich beschleunigen musste, um sie einzuholen. Dieses Tempo war auf Dauer anstrengend, aber sicher war es das wert, um nicht in den Sturm zu kommen.
Mehrere Hor flogen wir schnell, und wir erreichten und passierten nun die Grenze der unfreundlichen Wolkendecke. Ein treues Babyblau übernahm die Oberhand über den Himmel und wir vergaßen fast, unseren Kurs etwas nach Osten zu ändern, um den gleichen Weg zu nehmen wie zu Beginn unserer Reise. Die großen Wasser kamen in Sicht und ich wurde etwas melancholisch, bedachte man, wie viel passiert war und wie viel wir erlebt hatten. Fast verspürte ich so eine Art Kummer während eines Abschieds von einer geliebten Person. Immerhin war ich eine nicht unbedeutende Zeit hier gewesen.
So in meine Gedanken vertieft bemerkte ich gar nicht, wie sich der Himmel zuzog, die massigen Turmwolken die tröstenden Strahlen der Sonne verdeckten und ein stetes Rumoren um uns herum vibrierte. Fast panisch riss ich die Augen auf, als ich merkte, dass das Unwetter uns eingekreist hatte. Es gab kein Entkommen, keine andere Möglichkeit, als noch schneller, so schnell wie irgend möglich geradeaus zu fliegen.
"Der Sturm hat uns eingeholt!", rief ich über den Donner hinweg zu Saphira und Caleb. "Wir müssen schneller sein!"
In dem Moment fing es auch noch an zu regnen; große, kalte Tropfen klatschten uns ins Gesicht.
Caleb kniff seine Augen zusammen, gegen den Wind und gegen den Regen. "Warum fliegen wir nicht nach oben?", schrie er zurück.
Ich sah für einen Wimpernschlag nichts, weil mir ein Tropfen direkt ins Auge gefallen war. "Wenn wir höher fliegen, versperren uns die Wolken die Sicht auf das Land!", antwortete ich ihm und daraufhin ward er still. Entweder wusste er darauf nichts zu erwidern, weil ihm bewusst war, dass ich Recht hatte, oder der Sturm verschluckte seine Antwort. Auf einmal durchfuhr ein Blitz die Wolken, und in dem blauen, kalten Licht sah ich, wie Saphira angstvoll die Augen aufriss. Auch Luna spielte unruhig mit den Ohren, aber sie sagte nichts. Zum Schutze aller bändigte ich einen Schild um uns, der uns beruhigte und uns vor dem Regen bewahrte. Und zumindest mich tröstete er, diese gewöhnliche Kraft, die ich verspürte. Wenigstens etwas, das ich kontrollieren konnte.
Im nächsten Augenblick teilten ein, nein, zwei, drei, viele Blitze die Wolken um uns, und unsere Reittiere schrien erschrocken auf. Das blaue Leuchten war gefährlich nah bei uns, überall um uns, und ich starrte direkt in den Abgrund, oder so kam es mir zumindest vor. Ich sah Xantor, wie er gefesselt in einer Zelle saß, Bilder, wie er auf grausamste Weise gefoltert wurde, und mit blutüberströmten Gesicht hob er die Arme gen Himmel und brüllte: "Sieh', Stella, sieh', was du angerichtet hast! Wärst du nur vorsichtiger gewesen." Seine Stimme senkte sich, wurde nur noch ein Flüstern, das in dem Donner unterging: "Oh, Stella, wärst du nur nicht ohne mich gegangen."
Tränen standen mir in den Augen, Tränen, von denen ich nicht gewusst hatte, dass ich sie weinen konnte. Tränen so verletzlich, so emotional, wie sich nur die Schuld anfühlen konnte. Wie konnte ich auch nur so dumm sein? So naiv zu glauben, wir könnten es auch ohne Xantor schaffen? Er brauchte unsere Hilfe! Wie konnte ich sie ihm verwehren? Abrupt bremste ich Luna und wendete sie; flog geradezu auf das Auge des Sturms zu. Aber... vielleicht ging es ja auch gar nicht um das Auge selbst, sondern um das Korn darin, um mich, denn... war ich nicht die Ursache allen Übels? Ging nicht alles Schlechte von mir aus?
"Stella! STELLA!", drangen die verzweifelten Schreie von Caleb und Saphira zu mir und rissen mich so zurück in die Realität.
Stella!, rief auch Luna. Verdammt, Stellla, was machst du?
"Dieser Sturm", brüllte Saphira über den Regen hinweg und ihre blonden Haare klebten ihr dunkel und schwer an den Schläfen. "Er ist nicht natürlichen Ursprungs."
Meine Gedanken rasten, doch ich konnte keinen Sinn darin finden; alles schien so verwirrend, so falsch. Ohne Vorwarnung fand ich mich in der Spirale der Verzweiflung wieder und sah, wie alles schwankte. Saphira schien so weit weg. Ich streckte die Hand aus, doch ich konnte sie nicht berühren.
Ich weiß es nicht, gestand ich und ich verlor mich in dem panischen Blick meiner Schwester.
Ich war zu nichts mehr zu gebrauchen, klammerte mich nur ängstlich an den pitschnassen Hals von Luna. Sie versuchte, wieder aus der Spirale hinauszukommen, dem Griff des Sturmes zu entfliehen, doch es wollte nicht gelingen. Wir waren zu weit drin. Wir wurden durch die Lüfte gewirbelt, umhergeworfen, als wären wir machtlos. Als wären wir nichts weiter als ein Blatt im Wind, mit dem er spielte. Ich war mir sicher, dass Krothanus Rache wollte, dass er uns gefolgt war und dass er mich bestrafen wollte. Ja, denn ich hatte mich wie ein Kind benommen, stur, dickköpfig und unartig, und jetzt musste ich dafür bezahlen. Wer wusste es schon, vielleicht hatte ich es verdient, vielleicht...
Stella!
Fast lächelte ich. Wir sind verdammt, Luna, wir werden bestraft. Ich werde bestraft, und der Sturm wird seinen Griff um uns nicht lockern, bevor er hat, was er will.
Der Regen peitschte uns und der Wind warf uns so umher, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war, nicht wusste, wo ich Kylla zuletzt gesehen hatte. Alles war grau, nass und kalt. Alles war hoffnungslos. Wir hatten aufgehört, uns zu wehren. Zu wehren gegen etwas, dem man nicht entkommen konnte. Ich bändigte einen Schild um uns, der uns einigermaßen schützte. Trotzdem würden wir landen müssen. Wir mussten Land finden, Schutz vor dem Sturm, denn wir würden keinen Frieden finden. Nicht hier.
Das Land war verhangen von den grauen Bindfäden, sah trist und grau aus. Der Fluss unter uns schäumte und gurgelte wie ein Ertrinkender unter dem heftigen Regen. Im kniehohen, nassen Gras, das wohl einmal die Farbe von sehr weichem Sommergrün hatte, setzten wir auf den Boden auf und ich war erfreut über das vertraute Gefühl, etwas Stabiles unter mir zu spüren. Die Achterbahnfahrt hatte nun ein Ende, und wir suchten uns schnell ein halbwegs trockenes Plätzchen, um zur Ruhe zu kommen. In diesem Fall war es ein Felsüberhang am Rand des Flusses.
Seufzend ließ ich mich nieder, umklammerte mit den Armen meine Knie, als müsste ich fürchten, jederzeit auseinanderzufallen. Luna stand mit hängendem Kopf da, und von ihren schönen Flügeln, ihrer Mähne und ihrem Schweif troff das Wasser nur so. Es bildete eine Pfütze um sie, und ich betrachtete ihr Spiegelbild. Sie war so schön, oh, so wertvoll, doch in all ihrer Schönheit war sie doch alleine. Vielleicht hatten wir in der Hinsicht viel gemeinsam. Oh ja, vielleicht, vielleicht. Ich starrte in den Regen, konnte nichts erkennen außer dem triefenden Gras. Ein Sonnenstrahl erhellte den dunklen Sturm für einen Augenblick und es war so warm, dass die Wiesen dampften. Oh, ich war allein, so allein. Der Regen ließ nach und wich einem steten Tröpfeln von den großen Bäumen. Die Vögel erhoben wieder ihre Stimmchen und sangen die Spuren des Sturms hinfort. Ich legte meinen Kopf auf die Knie. 'Wer so mächtig ist, muss vielleicht auch allein sein. Es ist besser so.'
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Nach einer halben Hor hörte der Regen endgültig auf. Wir hatten uns schon längst getrocknet, und die Sonne war wieder hervor gekommen. Sie wärmte uns, streichelte uns mit ihren liebevollen Strahlen, wie um uns zu trösten, uns zu sagen, dass alles okay würde.
Ich saß nur da und wartete. Falls uns Krothanus wirklich suchte, würde er uns nicht gehen lassen; er würde uns finden. Luna stand mit hängendem Kopf da und wusste scheinbar nicht recht, was zu tun war.
Als niemand auftauchte, liefen wir los, immer an der kleinen Felswand entlang, um ein noch geschützteres Plätzchen zu finden als den Überhang. Und - Überraschung! - auf dem Weg begegnete uns ebenfalls niemand. Unglücklicherweise auch kein Unterschlupf. Also drehten wir wieder um, als die Wand im Nichts endete und wollten zurück zu dem Überhang gehen, da kam aus Richtung Wald eine Gestalt mit dunklem Kapuzenumhang, natürlich die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, sodass ich nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Aber ich nahm an, dass es Krothanus war. Wer sonst konnte schon etwas von mir wollen? Es war mir etwas unheimlich, denn jetzt stand offensichtlich der finale Kampf an, und der entschied, ob ich nach Hause zurückkehrte. Während die Gestalt immer näherkam, erhöhte sich die Spannung in der Luft.
Doch es war nicht Krothanus, wie ich bemerkte, als die Person vor mir stand und sich die Kapuze vom Kopf zog. Es war ein helles Wesen, sehr zierlich und zerbrechlich, von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Hierbei musste es sich um eine Fee handeln. Oder das hoffte ich zumindest.
"Hallo", begrüßte sie mich mit einer überraschend weichen und sanften Stimme. "Ich bin Scarlett. Du hast dich wohl verlaufen bei dem Sturm? Ich bringe dich in unsere Stadt. Da kannst du die Nacht über bleiben. Es wird gleich dunkel." Sie packte mich am Ärmel, ohne mich nach meinem Namen gefragt zu haben oder was ich hier machte, und zog mich hinter sich her. Luna folgte uns eilig in einem leichten Jog. Die Frau marschierte zügig in Richtung eines Waldes. 'Oh nein', dachte ich. 'Oh nein, nein, nein, das ist gar nicht gut!' Ich versuchte mich von ihr loszumachen, aber sie drehte sich um. "Wo willst du denn hin, Kindchen? Es wird gleich dunkel und nachts ist es hier gefährlich ohne sicheren Unterschlupf. Und deine beste Möglichkeit nun ist, mir zu folgen, weil ich dir diesen bieten kann." Gegen Ende trat in ihre Augen ein seltsamer Ausdruck von Intensität, Beharrlichkeit, der mir fremd war. Nicht ganz fremd, wohlgemerkt, aber in der Hinsicht fremd, dass ich ihn nicht in den Augen einer Fee erwartet hätte. Ich musste mir aber wohl oder übel eingestehen, dass sie Recht hatte.
Falls ich eine Stadt von dem Ausmaß erwartet hatte, wie wir sie in dem Dunklen Wald gesehen hatten, so hatte ich mich gewaltig getäuscht. Es waren nur einige Hütten, gedrängt an die Stämme der Fichten, aber allesamt wieder erleuchtet von demselben, farbigen Licht. Ein paar Leute standen draußen und redeten angeregt, aber sie senkten ihre Stimmen, als sie mich sahen. Scarlett brachte mich in eine der Hütten im Herzen des Dorfes. Luna durfte überraschenderweise mit hinein, obwohl alles ziemlich eng und niedrig war. "Sie darf mit hinein", sagte Scarlett in einem bestimmerischen Tonfall und zeigte auf Luna. "Unter der Auflage, dass ich sie in einen Hund verwandle."
Luna und ich wechselten einen Blick. Ich sah ihr an, dass ihr das alles andere als recht war, aber alleine wollte sie die Nacht nicht draußen verbringen. "Na schön", nickte ich. "Wenn es denn sein muss." Scarlett neigte den Kopf und ein grünlicher Schimmer erschien um Luna. Dieser Nebel wurde immer dichter und umhüllte sie, bis statt eines Pegasus ein Hund nach vorne trat. Erstaunt riss ich die Augen auf.
"Wir können sie doch wieder zurückverwandeln, oder?", fragte ich die Gestalt, die nun eiligen Schrittes voran in das Haus hinein lief. Sie schien ihre ganze Konzentration zu benötigen, um den Weg zu finden. In ihrem Haus. "Oder?", fragte ich nochmal, weil die Chance bestand, dass sie mich nicht gehört hatte.
Energisch zog sie alle Vorhänge vor die Fenster und zündete eine Kerze an, die wundersamerweise ebenfalls buntes Licht erzeugte. "Sind die Bändiger jetzt auch auf der Erde? Wollt ihr uns wieder vertreiben?"
Etwas überrumpelt starrte ich sie an, dann setzte ich mich auf den Holzstuhl. "Ähh... nein, nein, keine Sorge. Nur ich bin hier."
"Und was machst du hier?", verlangte sie zu wissen.
"Ähm... naja..." Nachdenklich schaute ich sie an. "Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, ob ich dir vertrauen kann. Weißt du, auf der Erde trifft man einen Haufen Leute, denen man nicht vertrauen kann, weil sie so selbstsüchtig sind."
"Ich bin eine Fee. Ich lüge nicht. Ich werde dich nicht verraten."
Skeptisch musterte ich sie.
"Allerdings heißt das nicht, dass Feen nicht wütend werden können", wandte sie ein und ihre grünen Augen funkelten bedrohlich.
Ich war immer noch nicht ganz überzeugt, aber es wäre weitaus schlimmer, nichts zu sagen und zusätzlich zu Krothanus ein Dorf Feen und Hexen sauer zu machen. "Ich habe nur einen entführten Bändiger befreit." Calebs wahre Identität verschwieg ich lieber, ebenso wie Saphiras Anwesenheit.
"Und wo ist er?"
"Wahrscheinlich auf dem Weg nach Korelan", tat ich kund.
"Wahrscheinlich?"
Ich seufzte und plötzlich packte mich die Wut. Meine Faust donnerte auf den Tisch, noch ehe ich mich bremsen konnte, und die Blumen in der Vase wackelten. Scarlett blickte mich entsetzt an. "Ich weiß es nicht, verdammt. Der Sturm hat uns getrennt."
Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände. "Es war kein gewöhnlicher Sturm", fing sie leise an. "Aber ich denke, das weißt du." Sie blickte auf.
"Ja. Ja, ein Magier hat ihn erschaffen. Er heißt Krothanus. Er hat es auf mich abgesehen", erklärte ich fast ein bisschen schuldbewusst wegen meines Wutausbruchs.
"Das kann ich mir vorstellen. Immerhin..." Sie brach den Augenkontakt nicht ab. "Immerhin bist du nicht irgendwer."
"Ich hab' ihn wahrscheinlich etwas verärgert", gab ich zu.
"Wer bist du?", fragte sie mich.
"Das weißt du doch bestimmt sowieso schon."
Unvermittelt ergriff sie meine auf dem Tisch liegende Hand, umfasste sie mit ihren zwein und schloss die Augen. Verwirrt blickte ich sie an und plötzlich schoss ein stechender Schmerz durch meinen Kopf.
Um ihre Pupillen befand sich ein leuchtender, goldener Ring, als sie die Augen öffnete. "Domitrix initium..."
Ich neigte den Kopf. "Es ist nicht immer ehrenvoll..."
Sie unterbrach mich, indem sie vorahnungsvoll ihren Kopf hob und aus dem Fenster blickte. "Er ist hier."
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