Neuntes Kapitel
Achtung, pass doch auf!, fuhr ich Luna an, weil sie mir beim Bau von einem Unterschlupf versehentlich einen Zweig ins Gesicht gehauen hatte. 'tschuldigung, nuschelte sie durch ein Maul voller Blätter. Angestrengt hievten wir die Äste zu ihrem Zielplatz in der Höhle. Als sie an der richtigen Stelle waren, ließ ich erleichtert die Luft hinaus. Luna seufzte theatralisch. Wir brauchen noch einen, erinnerte ich sie und lief wieder hinaus. Wir machten noch einen ab und schleiften ihn in die Höhle. Wir flochten ihn in die Wand aus Ästen und traten dann einen Schritt zurück, um unser Werk zu betrachten. Der Paravent, den wir gebaut hatten, schützte uns in der Nacht vor Zugluft und vor neugierigen Blicken. Außerdem wollte ich es etwas mit Staub und Erde verkleiden, um es noch ein bisschen besser zu tarnen.
Gegen Morgen waren wir fertig und hatten uns auf unserem Schlafgemach niedergelegt. Luna besaß natürlich ein eigenes, sie hatte darauf bestanden, etwas Moos zum Schlafen zu bekommen. So konnten wir beide ein bequemes Bett unser Eigen nennen. Den Tag wollten wir zum Schlafen nutzen. Wir hatten dringend Nachholbedarf und diese Zeit, da wir ja nichts vorhatten, kam uns ziemlich gelegen. Erschöpft legte ich meinen Kopf auf das Moospolster und schlief gleich darauf ein.
Als ich wieder erwachte, ging die Sonne schon unter. Luna graste vor dem Berg unter einigen Bäumen. Heute wollten wir einen Rettungsversuch starten. Es war noch ziemlich früh für eine Rettungsaktion, also würden wir vielleicht nicht erwartet. Wenn also unser Entschluss klappen würde, könnten wir schnell wieder nach Korelan zurück und Saphira würde sich nicht in Gefahr begeben. Ohne lange zu überlegen rief ich Luna zu mir und wir flogen los. Unter uns waren in den meisten Häusern die Lichter gelöscht und ich spürte, dass viele schon schliefen. An der Festung waren allerdings noch alle Fackeln entzündet und noch die meisten, wenn nicht alle wach. Allerdings konnte ich nicht feststellen, um welche Lebensformen es sich handelte. Das war ein Nachteil, aber wenn unser Erscheinen überraschend genug kam, reichte schon der Joker des Überraschungsmoments. Leise flogen wir zum hinteren Teil der Festung. Dort waren tatsächlich weniger Wachen postiert. Vorsichtig landeten wir und ich gebot Luna, draußen zu warten. Eine Hintertür stand offen und ich schlich hindurch. Viele Korridore öffneten sich vor mir und ich wählte einfach einen auf gut Glück. Ich folgte ihm und erstarrte. Vor mir befand sich eine Tür zu einem Thronsaal, ähnlich der in der Feste von Sorham. Die Wachen waren anscheinend gut ausgebildet und hatten gehört, wie ich vor Erstaunen die Luft eingesogen hatte. Sie blickten in meine Richtung. Eilig schob ich mich an die Wand gepresst von dem Tor weg. Eigentlich hatte ich das alles völlig falsch geplant, fiel mir gerade auf. Ich hätte erst suchen müssen, in welchem Teil der Feste sich Caleb befand. Wenn die Festung kleiner wäre, würde es vielleicht auch so klappen, doch diese hier war so riesig, dass ich Caleb noch nachträglich suchen musste. Am geeignetsten wäre ein versteckter, geschlossener, kleiner Raum, doch hier durfte ich nicht wählerisch sein. Am besten ging ich in die Richtung, aus der am wenigsten Lärm kam, wo ich die wenigsten Lebensformen spürte. Schließlich gelangte ich in den verlassenen Teil der Feste. So groß war sie, dass sie nicht vollständig erhalten werden konnte oder gebraucht wurde. Hier hingen nur noch spärlich die Kerzenhalter, um den Weg zu beleuchten und irgendwann fehlten sie ganz. Die meisten Kerzen waren schon heruntergebrannt und das Wachs tropfte auf den Boden. Hin und wieder schallten die Schritte der Wachen durch die leeren Gänge. Viele kleine Zimmer waren hier, allesamt verlassen. Wie gemacht für meinen Plan. Leise verschwand ich in einem leeren Raum und schloss die schwere, mit Metall verstärkte Eichentür. Dort drinnen gab es einige einfache Einrichtungsgegenstände. Ein bisschen Deckung konnte ich ganz gut brauchen, also kniete ich mich hinter einen dieser Polstersitze. Ich konzentrierte mich und tastete die Umgebung mit meinem Geist ab. Die Gegenwart verschiedener anderer Lebensformen war ja nichts Neues, die hatte ich von Anfang an gespürt. Wenn ich jemanden explizit aufspüren wollte, musste ich schon ein bisschen Zeit einplanen, und nach einigen Minuten hatte ich Caleb ausgemacht. Die mächtige Anwesenheit eines Bändigers war nicht zu verfehlen. Seufzend erhob ich mich wieder. Anscheinend befand er sich in einem gesicherten Raum, an dem immer viele Leute vorbeikamen. Die beste Zelle, die es gab. Immerhin hatten die Thorraken sicher im Auftrag von jemandem gehandelt, als sie Caleb entführt hatten, also wussten sie um seine Macht. Das hieß wiederum, sie behandelten ihn auch dementsprechend. Ohne Tarnung kam ich sicherlich nicht einmal in die Sichtweite von Caleb. Ich brauchte also einen Plan. Vielleicht aber reichte auch einfach nur Anschleichen und Zuschlagen. Immerhin war ich nicht irgendjemand. Einen Versuch war es wert. Aufmerksam öffnete ich wieder die Tür und trat in den Flur. Als ich mich versichert hatte, dass der Gang leer war, huschte ich zurück auf den Flur, von dem ich gekommen war und lief in die Richtung, in der ich Calebs Gegenwart gespürt hatte. Langsam nahm der Betrieb zu und ich musste an jeder Ecke anhalten, um mich zu versichern, dass die Bahn frei war. Je näher ich Calebs Zelle kam, desto mehr Wachen patrouillierten durch die Gänge. ‚Kein Wunder.' Vorsichtig schlich ich weiter. Je weiter ich vordrang, desto mehr Stimmen waren zu vernehmen. Leichtsinnig, denn so konnte ich mich besser nähern. Als ich an eine Ecke kam, presste ich mich an die Wand und spähte in den benachbarten Gang. Sofort schnellte mein Kopf wieder zurück, zu spät jedoch hatte ich die Wachen bemerkt. Schon verstummte das Stimmgewirr und flinke Schritte kamen in meine Richtung. Plötzlich aber hielten sie inne, jemand tuschelte mit jemand anderem. Es war ein angeregtes Gespräch, doch ich war so angespannt, dass ich nur einige Satzfetzen mitbekam. „Aber da... jemand im... Vielleicht versucht... zu befr..." „Beruhig... lass es... andere Art... verschließt..." Ich konnte dieser unverständlichen Unterhaltung keinen Sinn entnehmen, also wartete ich, bis sich ihre Schritte verliefen, und suchte dann weiter Calebs Zelle. Alles in mir schrie, umzukehren, und es zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zu versuchen, doch die Zeit drängte. Saphira würde Caleb suchen wollen, und dann brächte sie Korelan in Gefahr. Ich entschloss mich, weiterzugehen. Ein kleines, wehrloses Kind war ich gewiss nicht mehr. Meine Bewegungen wurden hektischer, doch das merkte ich zunächst nicht. Alles wirkte jetzt irgendwie so leer und es roch verdächtig nach einer Falle, doch ich gab nicht auf, scheute keine Gefahr. Schließlich fand ich Caleb, und schnell hatte ich einen Schlüssel aus Luft gebändigt. Drinnen flüsterte ich Calebs Namen.
„Stella? Bist du das?"
„Ja, aber..."
„Ich hätte nicht gedacht, dass mich jemand finden würde."
„Wir müssen hier weg." Statt eine Antwort abzuwarten, ging ich auf ihn zu und löste ohne jede Schwierigkeit seine Fesseln. ‚Das ist ja schon fast zu einfach.'
„Wo willst du hin?", wollte er wissen.
„Nach Korelan, so schnell wie möglich."
„Und wo sind wir hier?"
„Das..." Ich wirbelte herum, als ich die Tür zufallen hörte. Dann klackerte ein Schlüssel im Schloss. Aaron trat aus dem Schatten und grinste hochmütig. „Wir befinden uns zwischen den großen Wassern auf der Landmasse im Norden mit dem Namen Asien, in einer kleinen Ortschaft genannt Torgul."
~~~
Entsetzt starrte ich den abtrünnigen Feuerbändiger an. Wie konnte er hier rein? Wie hat er sich meiner Gabe entzogen? Wusste er etwa, was...
Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er hatte sich nicht abgeschirmt oder sonst irgendwie verborgen, ich hatte nur die Anwesenheit eines machtvollen Bändigers gespürt, in der Eile nicht darauf geachtet, wer es war. Beschämt senkte ich den Kopf. „Es ist meine Schuld, Caleb." Er betrachtete mich nur kurz von der Seite, bevor Aaron weiterredete.
„Ich kann mein Glück kaum fassen. Zwei junge Bändiger auf einmal, und einer davon ein Halbbändiger. Wer hätte das gedacht." Erleichtert atmete ich lautlos aus. Er wusste nicht, wer ich war. Aaron umrundete uns wie wilde Tiere in einem Käfig mit einem arroganten Gesichtsausdruck. „Ihr könnt nicht entkommen. Alle Eingänge sind abgeriegelt. Ich habe sie blockieren lassen. Sie lassen niemanden hindurch, auch mich nicht. Herzlich willkommen, ihr seid nun offiziell meine Gefangenen."
Etwas fiel mir ein. „Aber wenn ein Feuer ausbrechen würde, wie kämet Ihr hinaus?"
„Ich bin Feuerbändiger. Alle Feuer hören auf mich."
„Aber... wenn Eure Feste belagert werden würde, könntet Ihr nicht flüchten?", fragte ich hinterlistig.
„Auf diese Masche falle ich nicht herein."
'Verdammt. Das wäre ja auch zu schön gewesen.'
„Versucht ja nicht, mich anzugreifen. Ich bin zu stark für euch. Und ich weiß alles über euch, absolut alles."
Ich ging ein paar Schritte zurück und zog Caleb mit mir. „Kämpfe nicht, überlass' das mir. Flüchte, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Ich spüre dich dann auf."
„Kannst du vergessen, Stella, dass ich nicht kämpfe. Irgendjemand muss dir ja den Rücken freihalten."
„Er weiß von deinen Kräften, vergiss das nicht." Gebannt blickte ich ihn an.
Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle. „Und was soll er mir schon Schlimmeres antun als jetzt?"
Ich hielt ich am Arm fest und drückte ihn. „Wenn er meine Kraft gesehen hat, wird er dich foltern, nur um alles aus dir rauszukriegen."
„Dann benutze halt nicht deine ganze Kraft, sondern nur ein Element. Es wird sich ihm das bestätigen, was er schon vorher geglaubt hat."
„Aber mit einem Element kann ich ihn nicht besiegen." Verzweifelt schaute ich Caleb an.
„Du musst ihn auch nicht besiegen. Du musst ihn nur zurückdrängen und dann fliehen. Wenn du noch gefangen genommen wirst, muss Korelan eine Garde zu unserer Befreiung schicken, was auch nicht ungesehen bleibt oder Saphira kommt und bringt alle auf Korelan in Gefahr."
Da musste ich ihm wider Willen zustimmen. Ich musste frei kommen, aber dann konnte Caleb nicht fliehen. „Keine Angst, wenn ich jetzt fliehen kann, werde ich es nochmals versuchen."
Angespannt nickte er. Jetzt wurde es ernst. Es war kein Training, es würde keine Rücksicht genommen werden. Das Schlimmste war ja, dass ich nur ein Element bändigen sollte. Luft.
Schon automatisch ging mein Körper in Abwehrhaltung. ‚Das haben wir so oft zusammen geübt.' Der Gedanke versetzte mir einen Stich. Verärgert schob ich mein unnützes Gedankenwirrwarr beiseite. Konsequent drückte ich Caleb hinter meinen Rücken.
„Du scheinst ja ein mutiges Mädchen zu sein", bemerkte Aaron gespielt anerkennend. „Nicht jedes Mädchen beschützt einen Jungen. Wieso auch? Sollte es nicht eigentlich andersherum sein?"
Ich knirschte wütend mit den Zähnen und verbiss mir einen zornigen Kommentar. ‚Weil du die Kräfte von ihm kennst, aber von meinen hast du nicht mal ansatzweise eine Ahnung. Leider muss ich dich noch einmal täuschen, bevor ich dir sie offenbare. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.'
„Gewöhnungssache", zischte ich erbost.
„Und keck bist du außerdem." Ein fieses Lächeln zierte seine schmalen Lippen. „Doch sind deine Bändiger-Fähigkeiten genauso schnell wie dein loses Mundwerk?" Aus seiner Handfläche löste sich eine Feuerkugel und schoss auf mich zu. Problemlos bändigte ich einen Schild aus Luft und sie zerschellte daran, ebenso wie die Folgenden.
„Ist das schon alles, was du kannst?", rief ich ihm mutig entgegen. Im gleichen Moment bereute ich meine Worte schon wieder. Aaron lächelte nur wissend.
Plötzlich wuchs eine Feuerwand aus dem Boden und hielt auf mich zu. Sofort ging ich rückwärts, bis ich mit dem Rücken an der Wand stand. Ich war einigermaßen verzweifelt, denn mit Luft konnte ich sie weder aufhalten noch durchdringen. Aufhalten könnte ich sie schon, doch das würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. Mir blieb nur eine Wahl, ich musste feuerbändigen, um hier lebend rauszukommen. Wahrscheinlich war es weder im Sinne von Aristopholes noch Akrao, dass ich bei einer überstürzten Rettungsaktion starb, als was auch immer sie mich sahen. Schnell lief ich durch die Wand und hielt das Feuer von mir fern. Ich hörte sofort damit auf, als ich hinaustrat.
„Wie...?!" Aaron keuchte entsetzt und gleichermaßen erstaunt auf.
„Komm!", rief ich Caleb zu, doch plötzlich tauchte eine Feuerwand vor ihm auf.
„Ihn lässt du schön hier!", schrie der schwarzhaarige Feuerbändiger erzürnt. „Mich magst du ausgespielt haben, doch das nützt dir nicht viel! Dein Tod ist so gut wie sicher, selbst wenn du mir entkommen solltest! Meine Wachen warten nur auf dich!"
Mit dem Element Luft zersprengte ich einen Teil der Zimmerwand und rannte hinaus. Blindlings folgte ich den tausend Fluren, ohne zu wissen, wohin sie mich führen würden. Die Wachen, denen ich unterwegs erfreulicherweise begegnete, erkannten in mir nicht sofort eine Gefahr. Anscheinend war es dem Herrscher dieser Feste noch nicht gelungen, jeden einzelnen zu alarmieren. Doch sie waren leicht auszuschalten, als sie sich mir mit wildem Geschrei näherten, ein kleiner Luftstrom genügte - da sie zu meinem Glück in kleinen Grüppchen verteilt in den vielen Korridoren standen - und sie lagen flach auf dem Boden. Wegen ihrer Rüstung kamen sie auch so schnell nicht mehr hoch.
Schließlich spürte ich ganz deutlich, dass die Freiheit nur noch eine durch Wand von mir getrennt war. Sie zerbarst krachend, als die Steine wie von Zauberhand auseinander sprangen und ich war draußen.
Ich rannte und rannte. Luna hatte bestimmt etwas gemerkt, doch sie war noch nicht hier. Keuchend kam ich schließlich bei unserem provisorischen Lager an und schnappte mir meinen Gleitschirm. Aufgeregt öffnete ich ihn schon jetzt und lief wieder hinaus. Dort traf ich auf Luna, die anscheinend gerade gelandet war.
„Ich muss gehen", sagte ich sogleich.
Warum? Sie schien irritiert.
„Ich war in der Feste und... Ach. Es ist einfach ein Missgeschick passiert. Ich erzähl' es dir später. Aaron wird vielleicht nach mir suchen lassen. Ich muss für wenigstens ein paar Tage von der Bildfläche verschwinden. Du kannst ja nachkommen."
Mit diesen Worten sprang ich hoch und flog den Berg hinauf. Dort oben müsste es eine Möglichkeit geben, für einige Zeit unbemerkt zu bleiben, selbst für einen Bändiger.
~~~
Ein eisiger Wind pfiff über die ebene Fläche, auf der nur einige kahle Büsche und karge Gräser wuchsen. Ich lagerte in einer Höhle nahe dem Gipfel. Hier lag kein Schnee, denn der Berg war nicht sehr hoch. Luna war nicht nachgekommen, wahrscheinlich zog sie das wesentlich mildere Klima am Fuße des Berges vor. Schon ein Tag war (fast) vergangen, es hatte sich jedoch angefühlt wie eine Woche. Nun hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Erstens war mir kalt, da ich dummerweise keinen Mantel mitgenommen hatte. Nur provisorisch hielt ich die eisige Luft mit einem Luftschild ab. Zweitens war nun Langeweile unvermeidlich. Genug Zeit, um mir einzureden, dass ich alles falsch machte. Naja, die letzte Aktion war ja wirklich etwas überstürzt gewesen. Aber war es nicht notwendig, dass ich Caleb befreite, bevor es Saphira mitbekam und ihn retten wollte? Egal, wie oft ich die Sache drehte und wendete, immer kam ich zu dem Schluss, dass Saphira nur Gefahr für Korelan brachte und dass das, was ich begonnen hatte, sinnvoll war und beendet werden musste.
Unruhig wechselte ich meine Sitzhaltung. Diese ganze Zeit machte mich noch wahnsinnig! Ich konnte nicht einfach nur herumsitzen und nichts tun. Irgendetwas musste es doch geben, was sogar ich in meiner Situation erledigen konnte.
Schließlich ging ich hinaus, vor die Höhle und tigerte dort herum. Irgendwann beschloss ich, auf den Gipfel zu klettern. Zwar könnte ich auch hinauf fliegen, was in jedem Fall das Schnellste war, jedoch war es kein Mittel gegen meine Langeweile. Es war ganz schön anstrengend, weil ich es ja bis jetzt noch nie ausprobiert hatte. Nach einer unendlichen Ewigkeit war ich oben angekommen. Etwas erstaunt und gleichermaßen erleichtert realisierte ich, dass man von hier aus die Feste erkannte. Erstaunt, weil ich nicht damit gerechnet hatte und erleichtert, da es nun doch eine Beschäftigung gab. Ich konnte zwar nur Lebewesen spüren, doch gleichzeitig bemerkte ich dann auch, wo die Mauern waren, wenn ich sie eine Weile beobachtete. Und etwas Besseres hatte ich sowieso nicht zu tun.
Einige Stunden später, die Sonne näherte sich schon der Gebirgskette im Westen, wenngleich sie hinter den Wolken verborgen blieb, riss ich mich von meiner Beschäftigung los und kletterte wieder zu meiner Höhle. Dort stand wider Erwarten Luna und schüttelte sich kleine Steinchen und Staub aus dem Fell.
„Was machst du denn hier?", fragte ich entgeistert.
Ich freue mich auch, dich zu sehen, meinte sie und blickte auf. Ihre Augen funkelten amüsiert. Anscheinend hatte sie sich gewälzt, da ihr nach der Verwandlung in ein Pferd immer der Rücken juckte.
„Was machst du hier? Ich dachte nicht, dass du noch kommst."
Erstens dachte ich, dass es hier oben nicht so nass ist wie unten, also gut, wenn man sich wälzen und sein weißes Fell behalten will und zweitens waren bei den Apfelbäumen vor unserem Lager Leute und haben Äpfel aufgelesen. Ich konnte nicht eher kommen.
„Ah ja. Und was genau hoffst du hier oben zu finden? Ich meine, sieh dich um." Ich machte eine weitausholende Bewegung mit dem Arm. „Es gibt hier nichts, außer Steinen. Also, wenn du sie willst, bedien' dich ruhig, es gibt genug davon." Ein amüsiertes Lächeln umspielte meine Lippen.
Sehr witzig. Nein, ich dachte, bevor du vor Langeweile vergammelst, leiste ich dir mal Gesellschaft. Aber ich kann auch gehen, wenn dir das lieber ist.
„Ja - Nein - Aha..." Verzweifelt raufte ich mir die Haare. „Tut mir leid wegen meiner ausgesprochenen Zuvorkommenheit, nur leider tut nichts Tun nicht gerade gut."
Versteh' ich. Aber ab jetzt kann ich dir Gesellschaft leisten.
„Das ist ja nicht das Problem. Ich kann nichts tun in meiner Situation." Seufzend tigerte ich weiter vor der Höhle herum.
Ach komm, so schlimm ist es nicht.
Ein verzweifelter Laut kam aus meiner Kehle und ich stützte gelangweilt den Kopf auf die Hände. „Du hast ja keine Ahnung."
Luna trottete zu mir und rieb ihren Kopf an meiner Schulter. Wohl oder übel musst du noch ein paar Tage aushalten.
„Oh nein." Stöhnend verbarg ich das Gesicht in meinen Händen. „Das stehe ich nicht durch."
Keine Sorge, ich bin doch bei dir. Sie schmiegte sich an mich. Schlaf' doch ein bisschen. Du verpasst ja nichts. Wenn du schon nichts zu tun hast, kannst du dich wenigstens ausruhen.
„Recht hast du." Herzhaft gähnte ich und blickte zum Himmel. „Solange es trocken bleibt, können wir ja unter freiem Himmel schlafen." Luna nickte zustimmend. Ein längeres Schweigen entstand.
„Ich gucke gern die Sterne an. Manchmal sagen sie mir was war, warum es so ist wie es ist, und selten, ganz selten wispern sie mir zu, wie es sein wird", murmelte ich müde und beobachtete, wie nach und nach immer mehr der pulsierenden Lichtpunkte auftauchten. Ihre magische Ausstrahlung machte mich schläfrig und schließlich fielen mir die Augen zu.
Verschlafen blinzelte ich, als sich Luna erhob. Es war dunkelste Nacht. Ein heller Schleier verlief quer über den Himmel. Tausende von Sternen pulsierten in ihm. Doch etwas stimmte nicht. Mit gerunzelter Stirn erhob ich mich und trat neben Luna. Ein dunkler Schatten bewegte sich über ihn hinweg. Er war schnell unterwegs. Ich benutzte meine Gabe und erfühlte, um wen es sich dabei handelte. Sofort schnappte ich nach Luft.
„Es ist Caleb!", flüsterte ich aufgebracht. „Sie bringen ihn weg!"
Sie fliegen schnell, bemerkte Luna. Es ist fast so, als würde sie etwas verfolgen.
„Entweder ist es Aarons Zorn, weil ich bis ins Herz seiner Feste vordringen konnte, oder sie wollen einfach unentdeckt bleiben."
Sie haben dich nicht hier erwartet, stellte Luna fest.
„Ich weiß, was ihr Ziel ist", meinte ich. „Sie wollen die großen Wasser überqueren und zu Aarons anderer Feste."
Möglicherweise.
„Kleine Planänderung. Wir werden sie verfolgen, aber nicht gleich. Sie sollen sich erst einmal in Sicherheit wiegen. Dann werden sie unvorsichtiger und machen vielleicht einen Fehler. Gleich bei den ersten Sonnenstrahlen brechen wir auf", bestimmte ich.
Dann müssen wir uns aber beeilen, argumentierte Luna knapp.
„Du hast es erfasst. Wir müssen schneller sein als sie, wenn wir sie einholen wollen." Ich ging wieder zu meinem Schlafplatz und legte mich hin. „Lass uns noch ruhen, bevor wir aufbrechen."
Am nächsten Morgen, als die Sonne gerade über den Horizont kletterte, erwachten wir. Meine Glieder waren noch wie betäubt von der Kälte der Nacht. Etwas ungelenk dehnte ich langsam Arme und Beine. Dann fiel mir schlagartig ein, dass wir ja noch eine Verfolgung vor uns hatten. Ich errötete, was in dem roten Licht des Sonnenaufgangs hoffentlich nicht allzu sehr auffiel. Flink sprang ich auf Lunas Rücken mit den Worten „Los geht's!" und in dem Moment stieß sich Luna auch schon mit ihren kräftigen Hinterbeinen ab.
Bald wandelten sich die fruchtbaren Wiesen und Felder unter uns zu dichter besiedeltem Land. Schließlich sahen wir sie; die großen Wasser. Bei dem Ort war die Küste zu einer Anlegestelle gebaut worden, anscheinend für die großen, hölzernen Objekte, die überall um den Hafen verteilt schwammen. Schnell verschwanden diese aus unserer Sichtweite und bedrohlich aussehende Wellen aus grau-grünem Wasser walzten sich übereinander. Seit heute Morgen waren Wolken aufgezogen und der Sturm peitschte die Wassermassen. Jedes Mal, wenn sie aufeinander krachten, gab es ein furchtbares Getöse und die Gischt schlug hoch in die Luft. Wir flogen jetzt relativ dicht über der Wasseroberfläche, da ja niemand in der Nähe war. Plötzlich schoss eine riesige Wasserwand aus dem Meer, zu schnell, um zu reagieren, selbst für mich, eine Bändigerin. Für einen kurzen Moment wirkte die Welt still und friedlich, wie in Wasser eingefroren, bevor wir wieder an die Luft kamen. Bis auf die Knochen waren wir durchnässt und der Wind trieb uns die Tropfen des Salzwassers ins Gesicht. Kurz spuckte ich. „Bäh, das ist ja ekelhaft", beschwerte ich mich. Verärgert bändigte ich das Wasser aus meinen Kleidern und Haaren und aus Lunas Fell und gleich ein Luftschild als Vorsichtsmaßnahme. Luna wieherte. Lass uns etwas höher fliegen, um diesem Problem aus dem Weg zu gehen.
„Gute Idee."
Während wir diese umsetzten, erkannte ich vor uns einen schwarzen Punkt in den Wolken. Ohne Frage, dies war die Karawane. Bei so etwas Offensichtlichem hielt ich es natürlich nicht für notwendig, genau zu tasten, ob es auch das war, dass ich meinte zu sehen, zumal dieses Tasten einiges an Anstrengung und Konzentration kostete und zeitaufwendig war. Los Luna!, rief ich in der elementaren Sprache. Flieg schneller, die Karawane ist vor uns!
Sofort zog Luna das Tempo an und wir schossen über die tobenden Wasser. Die dunkle Gestalt kam immer näher und bald sah ich die ledrigen Flügel des Urus. Doch dann nahm ich immer mehr Details wahr, die nicht in mein Bild der Thorraken passten. Beispielsweise die langen, hellen Haare, die im Wind flogen. Außerdem, so viel ich erkennen konnte, handelte es sich um nur eine Person. Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf, dass ich Caleb doch noch befreien könnte. Es wäre gar nicht so abwegig, dass Aaron nur einen Thorraken mit Caleb geschickt hat, und Caleb saß nun so, dass ich ihn nicht sah. Als ich mich unmittelbar hinter den fliegenden „Gefährten" befand, bemerkte ich, dass das Tier viel zu groß für einen Uru war. Zudem schillerten die Schuppen blau-grün. Es war Kylla, Saphiras Drache. Meine Schwester war Caleb suchen gekommen.
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