Fünfzehntes Kapitel

Auf dem Rücken und gefährlich nah am Rand des Bettes lag ich kurze Zeit später - ich lief Risiko, hinunterzufallen - und Jahir schlummerte neben mir. Tatsächlich war sein Schlaf ganz schön laut. Er schnarchte leise vor sich hin und wenn das mal aussetzte, hörte ich seine regelmäßigen Atemzüge. Das war aber nicht der einzige Grund, warum ich keinen Schlaf fand. Bereits jetzt zweifelte ich meine Taten und die letzte Konversation zwischen Jahir und mir an. Was, wenn das doch nicht richtig war? Ich kannte diesen Jungen nicht, musste ich mir eingestehen, und doch hatte ich auf sein Drängen hin nachgegeben und ihm Einblick gegeben in das, was ich war. Wieso war ich nur so dumm? Saphira tat dagegen immer das Richtige, traf ihre Entscheidungen überlegt und war ganz und gar rational. Sie hatte noch nie die Kontrolle verloren. Im Gegensatz dazu hatte ich wohl die schwächeren Gene erhalten, die gefühlslastigen, die für mich in meiner Position ganz und gar nicht von Nutzen waren. Ich kam mir vor wie eine Versagerin.
Irgendwann machte mich dieses ganze Nachdenken wohl doch so müde, dass mir meine Augen zufielen und ich am nächsten Tag wieder aufwachte, als die neugeborene Sonne in unser Zimmer schien. Jahir schlief noch, und vorsichtig stand ich auf, um ihm zumindest den erbärmlichen Rest des Schlafens genügend Platz zu gönnen. Ich lief zum Fenster und stützte mich auf das hölzerne Fensterbrett. Draußen fing das Leben schon wieder an, und in dem Moment fragte ich mich wirklich, was gerade die Menschen antrieb, die es von außen betrachtet am schwersten hatten. Jede Nacht fürchteten sie um ihre Existenz und am Tag waren sie, wenn sie kein festes Dach über dem Kopf hatten, den Launen der Natur ausgesetzt. Gedankenverloren beobachtete ich den Kopfsteinpflasterplatz und die Wagen, die einfuhren und frische Waren anlieferten.
Ich hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren, als hinter mir ein Bett knarzte. Es war Saphira, wie ich spürte, die aufstand und zu mir kam. Sie würdigte dem schlafenden Jahir, dessen Körper die Bettdecke wölbte, nur einen kurzen, abschätzigen Blick und wandte sich dann an mich: "Heute wollte Xantor früh aufstehen", bemerkte sie leise, ohne auf den seltsamen Umstand von Jahirs Anwesenheit einzugehen. "Ich werde nun einmal zu ihm gehen."
Ich nickte, streifte ihr Gesicht mit einem flüchtigen Blick. "Mach' das. Er ist schon wach."
Saphiras kleine und schnelle Schritte führten zur Zimmertür und hinaus in den Flur.
Wie aufs Kommando setzte sich Jahir auf. "Ihr wollt schon aufbrechen?"
Wieder nickte ich, ohne ihn anzuschauen.
"Ich hab' es gewusst. Ihr alle drei seid diese Sorte..." Er wedelte mit dem Finger. "... Zauberer."
Abrupt wandte ich mich ihm zu. "Untersteh' dich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren!", warnte ich ihn und hoffte, dass die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme Drohung genug war.
Fast wie ertappt hob er die Hände. "Ich schwöre auf mein Leben, ich erzähle niemandem davon."
"Versprich' nichts, was du nicht einhalten wirst", empfahl ich ihm und drehte mich wieder zum Fenster. Die Sonne war schon höher gestiegen. Ich tippte auf vier Stunden vor Mittag, aber sicher war ich mir nicht.
Urplötzlich stand er dicht hinter mir. Zu dicht, für meinen Geschmack. "Woher willst du wissen, was ich halten werde und was nicht?", wollte er wissen. "Gedanken kannst du aber nicht auch noch lesen, oder?"
Ich lächelte; eine Antwort war hier meiner Meinung nach überflüssig. "Ich muss jetzt los", sagte ich schlicht und ging Richtung Tür, doch er schien das nicht genauso zu sehen.
"Warte,... Maria. Ob auch immer das dein richtiger Name ist", rief er mir zu und ich drehte mich ein letztes Mal zu ihm, und ich wusste nicht, ob die Verzweiflung in seiner Stimme mich dazu brachte oder mein Bestreben, unsere Tarnung aufrecht zu erhalten.
"Was?", fragte ich noch, aber er war schon bei mir. Jahir packte meinen Kopf und presste seine Lippen gegen meine. Zugegeben, für den Bruchteil einer Sekunde gab ich mich tatsächlich der Lust hin, und ich drängte mich gegen ihn; ob es daran lag, dass ich starke Gefühle hatte, die gerne einmal die Kontrolle über meinen Körper übernahmen oder am Überraschungsmoment, konnte ich nicht genau sagen. Im nächsten Augenblick kam ich aber wieder zur Vernunft und machte mich sanft los.
"Auf Wiedersehen, Jahir", verabschiedete ich mich und ließ ihn stehen.

~~~

Xantor legte ein straffes Tempo vor, bis das Dorf sicher eine Meile hinter uns lag. Ich fragte ihn nicht, wieso, auch, wenn es mich interessierte. Er war erzürnt und ich fürchtete, ich war der Grund. Luna lief schweigend neben mir her, während Xantor, Saphira, Ramosch und Kylla ebenso schweigsam vor uns her gingen.
Auf dem Abschnitt der Strecke begegneten wir einigen Händlern mit ihren Karren und den Zugtieren, die wohl das Dorf aufsuchten. Der Weg ging fast ausnahmslos ziemlich steil bergab, und meine Knie begannen wehzutun. Langsam ließen wir die rauen Berge hinter uns. Die Vegetation nahm wieder zu, und neben Gräsern und Blumen mit Blüten, die in allerlei Farben leuchteten, wuchsen viele Bäume hier und auch einige Hasen und Rehe ließen sich ab und zu zwischen dem dichten Unterholz blicken. Eine laue Brise strich über unsere Köpfe und streichelte die Birken und Pappeln an einem kleinen Rinnsal, deren Blätter leise im Wind knisterten.
Auch das Wetter war anders. Zwar huschten einige unschuldig weiße Schönwetterwolken über den hellblauen Himmel und versteckten die Sonne, die mit ihren warmen Strahlen das Land liebkoste. So vergingen die Stunden recht schnell, und auf einmal war schon Mittagszeit und wir setzten uns auf Steine neben dem Wegesrand, um zu essen. Wir aßen etwas Lhosri mit Trockenfrüchten, die Xantor eingepackt hatte. Anfangs hatten mich diese verschrumpelten, klebrigen Stücke angeekelt, doch mittlerweile schmeckten sie mir.
Wir gingen weiter, als wir fertig waren, und nach nur einigen Stunden erreichten wir ein weiteres Dorf. Es war ziemlich belebt, Hühner rannten gackernd durch die geschäftige Menge und Katzen streunten am Rand entlang. Hunde bellten in den Hinterhöfen und Esel riefen klagend, wenn die Händler sie schlugen. Der Markt hier war noch lebhafter als der in den Bergen. Stoffe über Stoffe, bunte Farben und Geräusche wogen sich hin und her. Ich musste wohl etwas kritisch und erschrocken dreingeschaut haben, sodass mich Saphira an der Hand packte und hinter Xantor her zog, der sich einen Weg am Rand entlang bahnte.
"Wir rasten nicht in diesem Dorf", teilte uns Xantor mit, als wir eine ruhigere Gasse betreten hatten. "Nur eine Stunde weiter findet sich eine große Stadt. Dort werden wir nächtigen."
Verstehend nickten wir und strengten uns an, mit ihm Schritt zu halten. Unseren Pferden war der Trubel auch nicht geheuer gewesen.
Das Dorf war nicht sehr groß und nach nur fünf Minuten hatten wir es verlassen. Der Weg wurde weniger steinig und die Erde feuchter. Wir kamen zu einer kleinen Aue, wo zwei Bachläufe aufeinander trafen und ineinander flossen. Hier wuchsen viele gelb-blühende Blumen. Außerdem war das Gras fett, grün und saftig.
Als wir die Stadt eine Weile später erreicht hatten, setzten wir uns noch eine Weile vor die Mauern in den Schatten eines Baumes, damit Luna, Kylla und Ramosch fressen konnten. Allerdings mussten wir demnächst unbedingt Fleisch besorgen. Zwar konnten Drachen sich eine Weile als Pferd tarnen und auch kurzfristig so ernähren, aber wenn die Verwandlung nicht endgültig sein sollte, mussten sie sich regelmäßig zurückverwandeln und Fleisch fressen.
Xantor sprach es an. "Wir müssen Fleisch für Kylla besorgen. Am besten, wir kaufen es gleich morgen früh und dann kann sich Kylla im Dunklen Wald zurückverwandeln", stellte er fest. Wir nickten heftig.
Als sich die drei die Bäuche vollgeschlagen hatten, liefen wir auf dem Weg zu der Stadt. Das Stadttor war zwar offen, aber nicht unbewacht und die Wachen musterten uns skeptisch, als wir vorbeiliefen. Gleich auf der linken Seite sprang uns ein Schild ins Auge, das auf ein Wirtshaus hinwies. Dorthinein gingen wir also und fragten nach einer Bleibe für die Nacht. Die nette, beleibte Frau hinter der Theke aber musste uns vertrösten, sie haben keine Übernachtungsmöglichkeit. Aber drei Straßen weiter sei ein gutes Gasthaus mit Zimmern für die Nacht.
Die Straßen waren ziemlich belebt, obgleich es nach dem Sonnenstand nur noch eine Stunde bis Sonnenuntergang war. Die ohnehin schon breiten Pflasterwege wurden nach einer Weile noch breiter und viele Pferdewagen passierten die Wege, drängelten sich geradezu durch die Menschenmenge.
Als sich die Dämmerung einstellte, hatten wir das Gasthaus erreicht und betraten es durch eine dunkel-lackierte Holztür. Beim Eintreten läuteten einige kleine Glöckchen, und wie aufs Kommando kam eine junge Frau angesprungen, wohl gerade einmal Ende zwanzig mit dunklem, langem Haar. Lächelnd erkundigte sie sich, wie sie uns helfen könne. Xantor bat um ein Zimmer, diesmal für drei Personen. Morgen wollten wir ja früh aufbrechen, da ging das einmal. Dankend nahm er den Schlüssel entgegen und folgte der Frau, die uns zu dem Zimmer brachte.

Noch vor Sonnenaufgang standen wir auf, zogen uns an und verließen das Gasthaus. Es hatte bedauerlicherweise noch kein Metzger auf, aber irgendwann fanden wir den Markt und trafen dort einen älteren Mann, der seinen Stand aufbaute. Er war so nett, uns etwas Rindfleisch zu verkaufen, ein Viertel von dem, was er hatte. So ein Drache brauchte nämlich viel zum Futtern, schmunzelte Saphira, als er es uns gab, eingepackt in Papier. Xantor dankte und wir brachen auf Richtung Wald. Auf der Straße, auf der wir die Stadt betreten hatten, verließen wir sie auch wieder. Das Stadttor war noch geschlossen und als wir näher kamen, öffnete sich eine Tür und zwei Männer traten heraus.
"Was wollt ihr zu so früher Stund'?", fragte der eine misstrauisch.
"Wir wollen nur hinaus. Wir wandern quer durch das Land und da geht man am besten früh los", erwiderte Xantor ruhig.
Der andere umrundete uns und betrachtete uns kritisch von allen Seiten. "Und ihr schmuggelt ganz sicher nichts?", fragte der andere gespielt beiläufig.
Xantor hob die Arme. "Natürlich nicht!"
"Nun, wenn das so ist, können wir euch durchlassen. Das Tor wird sowieso gleich geöffnet", stellte Ersterer fest, während der andere im Turm verschwand und sich kurz darauf das Tor unter ächzendem Lärm auftat.
Xantor neigte den Kopf und lief los. Wir folgten ihm und mir fielen die noch immer misstrauischen Blicke auf, die vor allem auf mir ruhten. Ein bisschen ärgerte ich mich. Dachten etwa alle, ich sei eine Hexe? Luna schritt ruhig neben mir her, berührte mich scheinbar aus Versehen sacht mit der Schnauze und sorgte so dafür, dass ich meine Aufmerksamkeit von den Stadtwärtern abwandte und auf sie konzentrierte. Sie blickte mich vielsagend an. Ja ja, ich würde schon nicht zu wütend werden. Mit der Zeit kannten wir uns wirklich gut und konnten untereinander Gefühle ohne besondere Fähigkeiten erkennen.
Schon nach der Stadt standen die ersten Bäume, aber sie verdichteten sich erst nach einer Stunde. Nun war es kurz vor Sonnenaufgang und die Vögel erwachten aus ihrem Schlaf. Auf einer Lichtung abseits des Weges hielten wir an und packten das Fleisch aus. Der Verwandlungsvorgang von Kylla dauerte einige Minuten, doch schlussendlich saß ein majestätischer, türkiser Drache vor uns. Luna verwandelte sich auch mit und graste etwas. So hatten wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Gierig verschlang Kylla den ganzen Haufen Fleisch mit einem Haps. In dem Moment geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Saphira sackte kraftlos in sich zusammen und ich eilte zu ihr, um sie aufzufangen, Xantor zog sein Schwert und Ramosch stieg und wieherte unwohl, und aus den Bäumen am Rand der Lichtung trat eine dunkle Frauengestalt. Mit großen Augen starrte ich sie an. Auch Luna hielt inne. Kylla schnaubte drohend. Die Gestalt näherte sich bis auf ein paar Schritte und zog dann die Kapuze von ihrem Kopf. Sie war von ausgesprochener Schönheit, ein blondhaariges, feingliedriges Geschöpf. Die so intensiv blauen Augen, dass man dachte, man blicke aufs Meer - und wenn man genau hinsah, erkannte man die Wellen darin - hafteten wie gebannt auf Kylla. Die Gestalt der Frau war milchig, fast durchsichtig, und sie tat anmutig einen letzten Schritt in unsere Richtung.
Zum Glück. Eine Fee. Xantor steckte das schon etwas rostige Schwert weg.
"Nur keine Angst, Wanderer. Ich werde euch nichts tun", erklang die glockenhelle Stimme der Fee, die von den Bäumen wiederhallte. "Es ist erstaunlich, aber ich habe es gewusst, immer daran geglaubt, ich bin nicht die Einzige."
Irritiert schüttelte Xantor seinen Kopf. "Die Einzige was?"
Die Fee wandte ihren wohlgeformten Kopf zu Xantor und blickte ihm offen ins Gesicht, so offen, wie ich es noch nie gesehen hatte. "Die Einzige, die sich versteckt."
Glaubst du ihr?, fragte ich Xantor elementar und betrachtete sie alarmiert.
Warum sollte ich das nicht tun?, antwortete er mit einer Gegenfrage.
Sie könnte lügen, stellte ich trocken fest.
Sie könnten alle lügen, entgegnete er. 
Was, da sind noch mehr? Das... Weiter kam ich nicht, weil Saphira in dem Moment blinzelte. Schnell griff ich mir irgendeinen Stofffetzen, tränkte ihn mit Wasser und wischte ihr damit über die Stirn. 
Allerdings, erwiderte er. Sie werden uns aber nichts tun. 
"Natürlich hast du das gewusst", antwortete der alte Erdbändiger ruhig. 
Woher...?, wollte ich fragen, aber in dem Moment kamen noch mehr der durchsichtigen Gestalten zu uns und musterten uns kritisch. Gegen alle hätten wir auf keinen Fall eine Chance. Xantor...?, sprach ich ihn ängstlich an. 
Keine Angst, gab er reglos von sich.
"Sprecht ihr über mich?", fragte die Frau.
"Wie kommt Ihr darauf?"
"Ich spüre eine Kraft durch die Luft fließen... Elementkraft..." Gedankenverloren starrte sie ins Leere. "Wie ist Euer Name?", fragte Xantor und ging einen Schritt näher, als wenn er glauben müsste, dass die Fee die Antwort flüsterte.
Aber ihre Stimme war hell, klar und kräftig, ein melodischer Singsang. "Ich heiße Irina", antwortete sie auf Xantors Frage. "Und das sind die anderen Hüterinnen dieses Waldes."
Wie wilde Tiere betrachteten sie uns mit schiefgelegtem Kopf und intensiven Blicken. Ich tat es ihnen gleich. Eine fiel mir besonders auf. Sie hatte rote Haare und intensiv gelb-braune Augen. Ihre Gestalt war in einen schwarzen Umhang gehüllt.
"Wer seid ihr?", wollte ich wissen, aber ich bekam keine Antwort. Fast bezweifelte ich, dass sie überhaupt der Sprache mächtig waren. Irina bemerkte die schwache Saphira, ging daraufhin zu Xantor und ergriff seine Hand. "Kommt. In unserer Stadt kann ich dem Mädchen helfen."Ich warf dem grauhaarigen Mann einen verwunderten Blick zu. Seit wann haben Feen ganze Städte?
Aber als Antwort hob er nur die Schultern.

~~~

Staunend weiteten sich unsere Augen. Das war fantastisch! Eine Stadt wuchs vor uns aus dem Boden, als wir durch die Bäume traten. Keine Stadt, wie die Menschenstädte waren. Die Häuser waren in die Bäume geschlagen oder daran gebaut. Dünne Wendeltreppen rankten sich im die Bäume wie eine Schlange um ihre Beute. Die Kronen waren geschmückt mit bunten Lampions, die einen zauberhaften Licht-Schatten-Effekt auf dem Boden erzeugten und die Stadt ein farbenfrohes Licht tauchten. Kein Vergleich zu dem düsteren Wald, der hinter uns lag. Alles war zart und hell, genau so, wie man sich eine Feenstadt vorstellte, wenn man sie sich denn vorstellte. Die Luft glitzerte, war scheinbar voller Magie und lange Lianen hingen bis zum Boden. Wundersame Pflanzen wuchsen auf dem Boden und auf den Bäumen und ihre bunten Blüten konkurrierten mit dem Lichterglanz überall. Von den Balkonen und aus den Fenstern der Hütten beugten sich perfekte, elfengleiche Gestalten und beobachteten uns Neuankömmlinge.
"Das ist Nirdihkelfa, die Stadt der Feen." Sie machte mit dem Arm eine ausholende Geste. "Wir haben sie angelegt, als die ersten Feen von Neidor zur Erde kamen. Wir schützen diesen magischen Ort mit einem Schutzzauber vor fremden Blicken. Ihr seid die ersten Besucher, die kein Feenblut in sich haben."
"Wer lebt hier?", wollte Xantor wissen.
"Ausschließlich Wesen mit dem Blut von Feen dürfen hier leben."
Er runzelte die Stirn. "Das heißt, hier gibt es auch Dunkle Elfen und Hexen?", erkundigte sich Xantor.
Irina bedachte ihn mit einem langen Blick, bevor sie antwortete. "Ja, das schließt alle derartige Wesen ein. Es gibt aber nur wenige. Also keine Angst, ihr werdet einer solchen vermutlich nicht begegnen."
Skeptisch warf ich Xantor einen Blick zu. Saphira war unten bei den Reittieren geblieben. Ein bisschen Misstrauen schien selbst bei Xantor zu verbleiben. Das war gut. "Gibt es in diesem Wald noch andere Wesen von Neidor?", erkundigte er sich.
"Wir wissen von keinen anderen, aber es ist wahrscheinlich", meinte die Fee, ziemlich ehrlich dreinblickend.
Der Erdbändiger gab einen klagenden Laut von sich. Die Frau schien zu verstehen und fügte hinzu: "Deshalb werde ich euch den sichersten Weg durch diesem Wald zeigen."
Ich legte meine Stirn in Falten. Woher...?
Xantor verstand. "Woraus schließt Ihr, dass wir den Wald durchqueren möchten?"
Sie wandte sich um. "Feenartige können die Absichten anderer erspüren."
Alarmiert warf ich Xantor einen Blick zu.
Irina betrat einen Hohlraum am Fuß einer mächtigen Pinie. Dort drinnen befand sich eine weitere Fee in einem feinen, seidenen, blau-grünen Gewand. Vor ihr stand ein Holztisch, offenbar eine gearbeitete Baumwurzel. Ins Holz an den Kanten waren geschwungene Runen geschnitzt. Darauf legten wir Saphira, auf deren Stirn Wasserperlen standen. Ich wusste nicht, ob das von meinem Wasser kam oder ob sie schwitzte.
Die fremde Frau, die von Irina als Sharyn vorgestellt wurde, holte eine Schüssel mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit und stellte sie neben Saphira ab. Dann legte sie ihr eine langfingrige Hand auf und legte den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken. Sie murmelte einige Worte in einer fremden Sprache und öffnete die Augen wieder.
"Ihr seid Bändiger, richtig?" Aber sie wollte keine Antwort. "Sie ist schwach. Ihr wurde ihre andere Hälfte genommen und nun hat ihr Körper langsam keine Energie mehr, die nur aus ihrem Zusammensein entsteht. Ich kann sie fürs Erste wieder stärken, aber bald kann ich es nicht mehr."
Sie streckte die Hände vor und ließ sie über Saphira schweben. Die Flüssigkeit verließ die Schüssel und umkreiste ihre Hände. Nach einiger Zeit drang sie wie pure Energie in Saphiras Körper ein, der ebenfalls anfing, grünlich zu schimmern. Sie schwebte nun über dem Tisch, umgeben von grüner Energie, dann sank sie wieder hinunter und die Fee öffnete ihre Augen.
"Sie ist wieder stark genug für eine Weile, aber ihr müsst euch beeilen", mahnte sie uns.
Saphira setzte sich auf. "Wo bin ich?", fragte sie.
"Keine Sorge, ich bin hier", entgegnete ich ruhig.
Sie warf mir einen anklagenden Blick zu, der sagte, dass ich ihre Frage nicht beantwortet hatte.
Dann erhob Xantor seine Stimme: "Du warst ohnmächtig. Wir müssen uns beeilen."

~~~

Anmutig bewegte sich die Fee durch den Wald, wich geschickt tiefhängenden Zweigen aus und hüpfte elegant über Wurzeln. Seit einer Stunde folgten wir ihr nun schon und sie legte ein ziemlich straffes Tempo an den Tag, etwas, das ich von ihr gar nicht erwartet hätte, denn ihre Bewegungen hatten etwas Tänzerisches an sich. Xantor folgte ihr und so taten wir es ihm gleich.
Saphira ging es schon bedeutend besser, wenn sie auch immer noch etwas geschwächt war. Kylla wich ihr nicht von der Seite. Ebenso wie Luna hatte sie es nicht für nötig gehalten, sich wieder in ein Pferd zu verwandeln, obwohl sie durch ihre Größe wirkliche Schwierigkeiten hatte, voranzukommen. Immer wieder blieb sie mit dem Kopf in den Ästen hängen und ihr Schwanz zwischen den Bäumen klemmen.
Der Wald war unerwartet groß und unheimlich. Allerdings sagte Xantor, dass wir ihn schon am nächsten Tag wieder verlassen würden, wenn wir ihn auf schnellstem Weg durchquerten. Die Bäume schienen sich hinter uns zu biegen, miteinander zu tuscheln. Seltsame Tiergeräusche hörte man hier, Schreie, die ich noch nie vernommen hatte. Sie klangen schmerzverzerrt und klagend. Außerdem hörte ich Vögel, wie ihre Rufe durch das Echo grausig verzerrt wurden.
Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, als wir an einer Lichtung ankamen. Weiches, grünes Moos bildete einen samtenen Teppich und in dem Moment schoss die unschöne Erinnerung an meinen Traum vorbei. Wir ließen uns hier nieder, richteten unsere Nachtlager her.
Es war wohl schon später, und so legten wir uns hin. In dieser Nacht schliefen wir alle besonders tief und ruhig.
Als ich erwachte, fühlte ich mich etwas benebelt und um die Nebel der Nacht zu verscheuchen, setzte ich mich auf. Nach ein paar Sekunden konnte ich wieder klar sehen und ich ließ meinen Blick über die Lichtung schweifen. Nichts Ungewöhnliches, Ramosch und Luna grasten etwas abseits, Xantor und Saphira schliefen noch und Kylla wachte über sie. Aber irgendetwas fehlte... Ich brauchte einige Augenblicke, um zu bemerken, dass Irina fort war. Arlarmiert stand ich auf und weckte den Erdbändiger und meine Schwester.
"Wacht auf! Irina ist weg. Wir sollten so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden!", rief ich aufgewühlt, doch kaum hatte ich geendet, traten drei große Bestien auf die Lichtung. Ihr einziges Horn auf der Stirn glitzerte hell und ihr Fell war reinweiß, doch ich wusste, dass der tödliche Dorn grau war und ihr Fell stumpf und dreckig. Im Schatten sah ich noch eine Gestalt; ich erkannte sie an ihren aufblitzenden gelb-braunen Augen. Über ihr Gesicht huschte, wie ich meinte, ein bösartiges, hämisches Grinsen, ehe sie sich umwandte und verschwand.
Xantor war aufgestanden und hatte sein Schwert gezogen. Saphira hielt ebenfalls mit zitternder Hand den Dolch, richtete die Spitze gegen die Feinde. Ich tat es ihnen gleich, doch ich vermutete, dass sich mit menschlichen Waffen allein nicht viel gegen die Kreaturen ausrichten ließ. Kylla richtete sich auf und breitete ihre Schwingen aus, um noch größer zu wirken. Womöglich würden sie Angst bekommen und die Flucht ergreifen. Doch sie ließen sich nicht abschrecken, kamen sogar noch näher.
"Wie lautet der Plan, Xantor?", fragte ich nervös, ohne den Kopf zu wenden.
Wir wichen zurück und als er nicht gleich antworte, schaute ich zu ihm.
In dem Moment bändigte er eine Erdfontäne aus dem Boden, die die Kreaturen erstmal blind machen sollte.
"Rennt!", rief er uns zu und drehte sich um. Wir taten, was er gesagt hatte und rannten um unser Leben. Wir waren flinker, geschickter und wendiger als die großen, schwerfälligen Tiere. Kylla fiel zurück. Wir wussten, wir konnten sie nicht allein lassen, also stoppten wir und eilten ihr zu Hilfe. Zwischen den Bäumen war schon Einiges los; die Einhörner sandten Blitze aus ihrem Horn auf das Drachenweibchen, das sich mit aller Kraft verteidigte; heißen Wasserdampf spie und  dann und wann einen Schild bändigte. Doch sie hatte nie eine Chance gehabt gegen drei der Bestien. Sie tat mir unglaublich leid, als ein Blitz sie traf und lähmte. Hilflos fiel sie auf die Seite. Ich packte das Schwert in meiner Hand mit beiden Händen und rannte schreiend auf die Tiere zu. Irritiert wichen sie zurück. Unmittelbar vor ihnen bändigte ich einen heißen Feuerstrahl, der sie allerdings verfehlte, und eine Luftwand wuchs vor ihnen auf. Doch sie durchquerten sie ohne zu zögern. Ich wich zurück, sprang hoch und schleuderte eine scharfkantige Wasserschneide auf sie, und als ich landete, sprang ich noch einmal hoch, drehte mich und wiederholte mein Tun. Eines hatte blutige Kratzer an der Brust, aber das schien es nicht weiter zu beeinträchtigen. Dann schickte ich einen Feuerstrahl zu ihnen und dieses Mal traf ich. Verwundet stolperte das vordere Tier zurück und ergriff die Flucht. Xantor und Saphira unterstützten mich tatkräftig. Vollkommen aufgehend im Bändigen ließ ich eine Wasserspirale um die Schwertscheide fließen, um das Tier zu verwirren und stach zu. Die Wunde blutete stark und als Saphira einen Wasserstrahl auf es schoss, flüchtete es zwischen die Bäume. Die letzte Kreatur ließ nicht so einfach von uns ab, obwohl wir alles versuchten. Inzwischen hatte die Lähmung bei Kylla nachgelassen und sie unterstützte uns. Schließlich paarte ich das Element Luft mit dem Element Feuer und erzeugte so eine flammende Schneide, die ich durch die Kehle des Tieres jagte. Es kehrte Ruhe ein, als der Kopf mit dem spitzen, langen Horn auf den Boden plumpste und das Blut nur so heraus sprudelte. Auch das Hinterteil prallte dumpf auf dem Boden auf.
"Die anderen Tiere spüren, wenn einer ihrer Artgenossen getötet wurde", erzählte Xantor fast wie nebenbei. Einen Moment lag Stille über uns und wir starrten auf das tote Einhorn. "Lauft!", schrie der Erdbändiger plötzlich und ich hörte schwere Hufschläge, die immer lauter wurden.

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Während den Sekunden am Ende des Kampfes hatte sich Kylla wohlweislich wieder in ein Pferd verwandelt, ebenso wie Luna, die ihr sowieso fast alles gleichtat. Also sprangen wir auf den Rücken derer und preschten so bis zum Ende des Waldes. Die Luft war schwül-warm, scheinbar angereichert mit der Energie unseres Kampfes. Der Zugwind fühlte sich gut an, pustete die offenen Haare aus meinem Gesicht und ich musste zugeben, fast genoss ich diesen Adrenalin-Kick.
Als wir den Wald verlassen hatten, drosselte Xantor das Tempo. Ramosch schwitzte, ebenso wie Kylla und Luna. Wir taten es ihm gleich, und doch fragte ich nach: "Warum werden wir langsamer? Sie sind immer noch hinter uns."
"Ja, aber Einhörner wollen ihren Aufenthalt möglichst nicht preisgeben. Das ist der Grund, warum sie uns nicht folgen werden", erklärte er. "Allerdings müssen wir uns einen neuen Weg suchen. Durch den Wald können wir nicht, da gibt es zu viele Gefahren. Weiter östlich liegt ein riesiger Sumpf ohne Weg, da können wir nicht so ohne Weiteres lang, es sei denn, wir bändigen oder wir fliegen. Oder wir gehen den Weg entlang, der westlich des Waldes verläuft und verlieren keine Zeit, denn das ist ein Umweg."
"Ist es schneller zu fliegen?"
"Definitiv", nickte er. "Und auch besser für Saphira, falls sie zu schwach ist."
"Dann fliegen wir."
Xantor neigte den Kopf. "Aber dann wird es vor allem bei der Landung schwer werden, ungesehen zu bleiben."
"Und das nächstschnellere ist laufen?"
Er neigte wieder den Kopf. "Wenn wir uns beeilen."
"Dann laufen wir", legte ich fest.

~~~

Es dämmerte schon, als wir am Wald entlang eilten. Wir trauten uns nicht, am Waldrand zu übernachten, weshalb wir uns einen Hain etwas entfernt aufsuchten und dort unser Lager aufschlugen. Die Blätter rauschten laut in der abendlichen Brise und die schwarzen Vögel krächzten, flogen hoch und als die Äste sich beruhigt hatten, setzten sie sich zur Abendruhe nieder. Das alles gefiel mir nicht. Mir war auch der Wald zu nahe, weshalb ich beschloss, Wache zu halten. Ich lehnte mich an den Stamm einer Pappel, war aber ziemlich zerschlagen, weshalb mir bald die Augen zufielen.

Mitten in der Nacht erwachte ich wieder. Es war ruhig. Zu ruhig. Der Wind hatte fast komplett aufgehört zu wehen und die Luft war seltsam dick und schwül. Die grau leuchtenden Wolken am Himmel kündigten Regen an, doch der ließ wohl auf sich warten. Xantor und Saphira schliefen tief und fest, oder zumindest sah es so aus. Die Nacht war dunkel - die Wolken verdeckten die Sterne -, aber sie war erfüllt von seltsamer Intensität, seltsam wirklich. Wachsam erhob ich mich und starrte Richtung Wald. Ein unwirkliches, fast leuchtendes Schwarz waberte zwischen den Stämmen.
Auf einmal kam Wind auf und die Blätter der Pappel über mir rauschten. Luna erschien unerwartet neben mir und stellte die Ohren aufmerksam auf. Aus dem Dunkel der Bäume trat eine Gestalt mit einem dunklen Umhang und schaute zu mir hinüber. Ein Ruck durchlief sie und sie lief ein paar Schritte auf mich zu, aber der intensive Augenkontakt brach dabei nicht ab. Sie schien zu flehen, und ich ging näher, weil sich ihre Lippen bewegten, aber der Wind die Worte wegriss. Am Weg blieb ich stehen, und die Gestalt hielt auch inne. Sie stand mitten auf dem Weg. "Hilf' mir!", flüsterte sie und streckte ihre Hand in meine Richtung. Erst jetzt sah ich, dass sie gebeugt ging und ihren Umhang an eine Stelle an den Bauch drückte. Ihre Augen strahlten eine unendliche Hilflosigkeit aus, doch ich konnte mich nicht rühren.
Plötzlich kam aus dem Nichts ein schwarzer Reiter. Er schien uns nicht zu sehen, oder es kümmerte ihn nicht. Er bremste nicht, jagte einfach durch die Gestalt hindurch und sie zerfiel zu feinem schwarzen Staub. Der Reiter reduzierte nicht sein Tempo. Ich senkte den Blick und starrte auf meine Hände, die nicht geholfen hatten. Eine Welle der Wut fuhr durch mich hindurch und mit geballten Fäusten starrte ich dem Reiter hinterher, der in der Ferne immer kleiner wurde.

Japsend wachte ich auf und schnappte nach Luft. Doch sie war schwül und warm, bot keinerlei Abkühlung, und die dunklen Turmwolken sahen nach Regen aus. Doch noch wehte kein Wind. Xantor erwachte ebenfalls und sein Kopf schnellte in Höhe.
"Was ist los, Stella?", fragte er fast panisch.
Ich starrte stumm ins Leere, und immer noch gepackt von meinem Traum antwortete ich: "Wir müssen weiter. Schnell."

Ich wusste nicht, warum ich so entschieden hatte; ich hatte nicht einmal Lebensformen spüren können. Doch wir waren auf unsere Pferde gesprungen und losgaloppiert, wie vom Teufel gejagt. Vornan ritt ich - der Zugwind legte sich um mein Gesicht wie eine tröstende Hand und peitschte meine Haare - und ich wusste noch nicht einmal genau, ob wir überhaupt in die richtige Richtung galoppierten. Doch die anderen folgten mir wie blind; sie vertrauten mir, und das erhöhte den Druck ungemein. Der Dunkle Wald links von uns wirkte noch schwärzer und bedrohlicher als sonst, und er wollte und wollte nicht weichen, ganz gleich, wie viel Strecke wir zurücklegten. Irgendwann schließlich wandte ich mich nach rechts, querfeldein. Ich wollte nur den Wald hinter mir lassen. Er war eine schwarze, ständige Anwesenheit in meinem Bewusstsein, und ich war es leid, nicht zu wissen, welche neugierigen, feindlich gesinnten Augen uns unbemerkt beobachteten.
Luna sagte nichts, aber ich spürte, dass sie sich um mich sorgte. 'Alles okay, alles okay', dachte ich und presste meine Augen fest zusammen, in der Hoffnung, diese sinnlose Jagd würde sich in Luft auflösen, nur ein böser Traum sein.
Aber dem war nicht so, wie ich bemerkte, als ich meine Augen ängstlich wieder öffnete. Wir preschten noch immer durch einen jungen Wald von Birken, Espen und Pappeln. Spinnenweben klatschten mir ins Gesicht und ich war mir ziemlich sicher, dass es den anderen genauso erging, doch sie beschwerten sich nicht. Schließlich endete der Wald und ein freies Feld tat sich auf, und es war ziemlich sumpfig, wie wahrscheinlich überall hier. Ich sah nun ein, dass es keinen Sinn hatte, weiterzureiten, dass ich nicht vor mir selbst weglaufen konnte, also stoppte ich abrupt und sprang von Luna. Verzweifelt raufte ich mir die Haare, versuchte, die Kontrolle zu behalten. Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen und auf einmal war mir unglaublich heiß. Ich fühlte mich, als würde ich bei lebendigem Leibe verbrennen. Ich spürte, wie mir immer mehr die Kontrolle entglitt. 'Das darf nicht passieren', dachte ich panisch, aber das besserte nichts. Im Gegenteil, und ich war froh, dass ich nur zwei heiße Feuerringe in den Himmel entließ, als ich endgültig die Kontrolle verlor. Ziemlich heftig war der Kontrollverlust des Elementes Luft. Um mich herum tobte ein Tornado, der die Wolken am Himmel ergriff und herumschleuderte. Das brachte sie zum Abregnen, was mein Wasser-Geist-Bändigen reduzierte. Mein Körper begnügte sich mit dem Bändigen des fallenden Regens. Erde war diesmal nicht Teil meines Kontrollverlusts, doch gegen Ende schoss ich einen hell gleisenden Feuerstrahl hoch in die Turmwolken, wahrscheinlich weithin sichtbar, bis ich in mir zusammen sank.

Als ich die Augen öffnete, war es hell. Die Sonne schien fröhlich, nur die nassen Gräser und versengten Bäume verrieten, was vorher geschehen sein musste. Luna war die einzige, die bei mir war. Sie graste genüsslich auf dem Feld vor mir. Xantor und Saphira konnte ich nirgends sehen. Plötzliche Panik ergriff mich. Was, wenn sie mich brauchte? Noch etwas schlaftrunken erhob ich mich, aber viele weiße Sternchen tanzten vor meinen Augen und ich verlor mein Gleichgewichtsgefühl. So taumelte ich noch in den jungen Wald hinein, bevor ich auf den Boden fiel. Ich fühlte mich so schwach wie noch nie zuvor und griff orientierungslos nach Baumstämmen und Ästen, an denen ich mich wieder auf die Beine ziehen konnte. Doch die raue Rinde glitt durch meine Finger hindurch wie Wasser.
Irgendwann gab ich auf und setzte mich hin, hilflos. Saphira kam nicht, anders, als ich es erwartet hatte, und das beruhigte mich nicht unbedingt. Nach ein paar Minuten klarte der Nebel vor meinen Augen auf und ich konnte alles wieder klar sehen. Trotzdem wartete ich noch etwas, bevor ich durch die Bäume wieder zurückstolperte. Oder zumindest meinte ich, dass ich aus der Richtung gekommen war. Als ich den jungen Wald nach ein paar Minuten noch nicht verlassen hatte, wunderte ich mich, wie weit ich hinein gegangen war. Aber schließlich kam ich an dem Feld an, auf das ich zu Anfang geschaut hatte und sah auch Luna, wie sie immer noch graste.
Schon etwas kräftiger lief ich an der Waldesgrenze entlang. Und tatsächlich, auf halber Strecke kamen Xantor und Saphira aus den Bäumen. Ich freute mich wirklich, sie zu sehen. Allerdings war das bei ihnen nicht ganz so, wie ich merkte, als mich Xantor anfuhr: "Was war nur mit dir los? Herzlichen Glückwunsch, du hast uns nicht nur an einen Ort im Nirgendwo geführt, sondern auch noch Aaron Bescheid gegeben, dass wir da sind."
Etwas überrumpelt runzelte ich die Stirn. "Es ist gar nicht gesagt, dass er es gesehen hat."
"Natürlich hat er es gesehen!", protestierte Xantor. "Und wenn er nicht persönlich, hat ihm schon eine Wache davon berichtet. Und rate mal, er kann sicher eins und eins zusammenzählen." Xantor zog heftig die Luft ein und stieß sie wieder aus. Dann straffte er sich. "Aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Beeil' dich jetzt, vielleicht erreichen wir heute noch eine Stadt."

~~~

Gesagt, getan. Wir schwangen uns auf unsere Reittiere und trabten am Waldessaum entlang, bis wir eine Handelsstraße erreichten. Auf der wandten wir uns nach Nordnordosten, wieder in Richtung des Dunklen Waldes, Richtung Aarons Feste. Xantor aber sagte, weiter oben würde der Weg nach Westen abknicken und zu der Stadt führen.
Die Luft war frisch und würzig, und am blauen Himmel zogen nur einige Cirrus-Wolken vorbei, die aber keinen Regen bringen würden. Der kühle Zugwind fühlte sich herrlich frisch an auf meinem Gesicht. Nur eine sanfte Brise strich über das Land und wiegte Bäume und Gräser. Der Weg, den wir bald erreicht hatten, war weitestgehend trocken und mit vielen handtellergroßen Kieselsteinen, über die die Pferde ab und zu stolperten. Bei jedem Mal kratzten die Hufe mit einem ziemlich ungesunden Geräusch darüber, und ich hätte mir am liebsten die Haare ausgerissen, so sehr hasste ich es.
Nach einer Stunde kam der Dunkle Wald in Sicht. Allein bei dem Anblick stellten sich mir alle Nackenhärchen auf. Nervös nagte ich an meinen Lippen, als erwarte ich, dass jeden Moment ein Einhorn durch die Bäume brechen würde. Auch Luna spürte meine Anspannung.
Was ist denn los?, wollte sie wissen.
Ach, nichts. Den Wald in seiner Nähe zu haben, macht einen einfach nervös, tat ich es ab.
Luna neigte den Kopf. Das stimmt allerdings.
Und damit war die Konversation erstmal beendet.
Nach etwas mehr als einer Viertelstunde war der Wald fast komplett aus unserer Sichtweite und damit auch das beengende Gefühl aus unserem Bewusstsein verschwunden. Mir kam es so vor, als könne ich nun etwas freier atmen, und ich holte tief Luft, die all meine angespannten Muskeln erschlaffen ließ. Naja, zumindest fast alle. Ich musste ja auch weiter atmen und wachsam sein, damit ich die anderen im Ernstfall verteidigen könnte. Immerhin war ich unbestreitbar die Stärkste hier. Und der Vorteil war, dass man es mir nicht ansah. Ich setzte mich etwas aufrechter hin.
"In gut einer Stunde sollten wir die Stadt erreicht haben", teilte uns Xantor mit. "Von da aus ist eine weitere in einer zwei-Stunden-Marsch-Entfernung. Dann gilt es noch einen Sumpf zu durchqueren und dann stünden wir vor der Feste."
Saphira und ich hatten beide aufmerksam zugehört.
"Ist es also doch noch so weit?", erkundigte ich mich, wobei das Gesagte eher den Charakter einer Feststellung hatte.
Doch Xantor nickte. "Wir haben Zeit verloren. Durch den Umweg um den Wald brauchen wir viel länger als eingeplant."

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