Drittes Kapitel
Mit vom Wind zerzausten Haaren traf ich wieder im Tempel ein und ging sogleich zu jenen Stallungen, die am Ende des Tempels waren. Als sich das schwere Eisentor quietschend öffnete, blickte ich in ein paar rubinroter Augen. Es war der Hofdrache, Rubin, auf der, weil sie so brav war, die jungen Wasserbändiger reiten lernten. Sie schnaubte freundlich, als sie mich erkannte. Drachen hatten ein sehr ausgeprägtes Gedächtnis. Ich ging zu ihr und streichelte ihr die weichen, goldenen Schuppen auf der Nase. Dann wandte ich mich ab und lief zu einem hölzernem Tor, dessen Inschrift die Pegasi ankündigte, oder zumindest die, dessen Reiter gerade im Tempel weilten, und öffnete es. Drinnen begrüßte mich ein mir allzu vertrautes Wiehern. Luna, mein anmutiges Pegasusweibchen blickte über die Halbtür. Ich kam sogleich auf sie zu, schlang meine Arme um ihren Hals und atmete ihren Geruch nach Stroh ein. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und ich kuschelte mich an sie. Dann seufzte ich schwer, als ich an Kayas Auftrag dachte. „Morgen werden wir eine riskante Tour unternehmen müssen", teilte ich ihr mit und trat einen Schritt zurück, um ihre Reaktion besser zu sehen. Die Reittiere und ihre Reiter konnten über das jeweilige Element, das sie verband, kommunizieren, doch in der nächsten Nähe bedurfte es keiner elementaren Verbindung. Unwillig schlug sie mit dem Schweif.
Du klingst, als wärst du nicht sehr zufrieden damit. Worum geht's?
Ich seufzte und ließ mich auf die Unterhaltung ein. Kaya hat mich heute zu sich gerufen. Sie hat von mir verlangt, zu den Thorraken zu fliegen und ihre Absichten zu prüfen.
Aber das klingt doch gar nicht so schwer. Luna warf den Kopf hoch und wieherte übermütig.
Freue dich lieber nicht zu früh.
Wieso? In Lunas Blick lag Besorgnis.
Wir werden keine Begleitgarde erhalten oder besser nur bis zu der westlichen Grenze Korelans.
Mhh. Das weiße Pegasus senkte den Kopf und schien nachzudenken. Trotzdem soll dir dies gewiss sein: Ich werde bei dir bleiben und dich beschützen.
Über mein Gesicht huschte ein Lächeln. Und ich auch. Ich beugte mich zu ihr und strich ihr sanft über die Ganasche. Bis morgen, ich muss noch packen.
Überrascht schnaubte Luna und warf mir einen spöttischen Blick zu. Ich dachte eigentlich nicht, dass dies länger als ein Tag dauert.
Tja, man weiß nie, was dazwischen kommt!, meinte ich trocken.
Wenn du wieder mal in Schwierigkeiten gerätst, würde es mich nicht wundern! Belustigt schnaubte sie.
Ich gab ihr einen leichten Klaps auf die Kruppe. Ich hab dich auch lieb.
Als ich den Stall hinter mir ließ, wusste ich, dass Luna mir nachblickte.
~~~
Nach Sonnenuntergang war ich fertig mit Packen, und meine Beine schlugen bei dem abendlichen Spaziergang durch den Tempel unwillkürlich die Richtung des Stalles ein. Luna schaute überrascht von ihrem Heu auf. Ich grinste bei dem Kaugeräusch der vielen, warmen Leiber. Die Fütterung musste wohl gerade vorbei sein.
Was machst du denn hier? Sie schlug mit dem Schweif und verscheuchte so eine lästige Fliege.
Gespielt gekränkt wandte ich mich zum Gehen. Wenn du mich nicht hier haben willst, kann ich auch wieder gehen.
Bleib hier, ich hab es doch nicht so gemeint! Wiehernd trat Luna gegen die Halbtür.
Nicht gleich so stürmisch, mein Pferd!, meinte ich und drehte mich grinsend um.
Du hast mich also reingelegt. Luna schnaubte entrüstet und kehrte mir den Rücken zu.
Eigenwilliges Fräulein, kommentierte ich und wollte nun tatsächlich gehen. Und diesmal hielt mich nicht Luna auf, sondern Taylor, der Stallhelfer. Eigentlich war er ja ein Erdbändiger, doch während seiner Ausbildung hatte er einen Unfall, von dem er zwar soweit genesen, aber noch nicht ganz einsatzbereit war, was das Elemente-bändigen anging. Im Stall zu helfen war also eine prima Beschäftigung und auch noch sinnvoll.
„Stella! Warte!", rief er und rannte durch die Stallgasse. Auch Luna spitzte die Ohren, wenngleich sie noch immer mit dem Rücken zu mir stand. „Ja?", fragte ich und drehte mich um. Keuchend hielt er vor mir an. „Auf Gavrilon ist ein Brief gefunden worden." Gavrilon war der schwebende Felsen, auf dem angehende Luft- und Feuerbändiger unterrichtet wurden. Ich brauchte einen Moment, um das zu verdauen. Also sprach Taylor weiter. „Aristopholes ist schon vor Ort und denkt, dass derjenige, der den Brief dort abgelegt hat, noch nicht weit sein kann, weil bis vor zehn Minuten Victoria dort Unterricht gehabt hat. Du sollst versuchen ihn aufzuspüren oder zumindest herausfinden, wer er ist."
„Und ich soll jetzt den Suchhund spielen und ihn finden?"
„Nein. Du sollst dich, so schnell es geht, dorthin begeben und mit deinen Kräften die Gegend nach Lebensformen abtasten", ordnete er mir an.
„Ich mache mich auf den Weg", erklärte ich ihm und rannte fort, ehe er mir noch mehr Aufgaben erteilen konnte.
Geschwind war ich durch das große Portal nach draußen gelangt und schnappte mir meinen Gleitschirm, der an der massiven Mauer angelehnt war. Mit dem Stab in der Hand warf ich mich in die Lüfte und ließ ihn aufschnappen. Eilig flog ich, so schnell es meine Bändiger-Künste erlaubten, zu Gavrilon. Oben erwartete mich zu meiner Überraschung viele meiner Angehörigen und meiner engsten Freunde. Verblüfft nahm ich die Anwesenheit von meiner Mutter, meinem Bruder, Caleb, Saphira, Angel und Jake wahr. Victoria und Elina hielten sich mit Taklaros, einem Priester, dem man sein Alter nicht ansah, im Hintergrund und beobachteten gespannt das Geschehen. Als Aristopholes mich bemerkte, winkte er mich sogleich heran und ließ mich nach Lebensformen Ausschau halten. Ich bemühte mich, die Gegend in Gedanken abzutasten und spürte am Ende, als ich schon fast aufgeben wollte, einen Schatten, der sich aus meinem Bereich, den ich abzutasten vermochte, verlor. Entmutigt öffnete ich die Augen. „Er hat das Gebiet soeben verlassen. Ich vermochte nicht mehr ihn ausfindig zu machen." Aristopholes war sichtlich enttäuscht. „Es sollte wohl nicht sein...", murmelte er und ging auf einen Felsen zu. Neugierig, oder vielleicht auch, weil ich spürte, dass es wichtig war, folgte ich ihm und sah ein Blatt groben Papiers, an den Rändern etwas verkohlt und braun gefärbt. „So eine Art Papier wird in gesamt Neidor schon lange nicht mehr hergestellt!", rief ich aus. Allesamt schauten verwundert zu mir. „Komm bitte her", forderte Aristopholes. Ich tat, wie mir geheißen, und stellte mich vor das Stück Papier, wie er mir bedeutete. „Sieh genau hin und sag, was du erkennst", hieß es, ohne dass ich wusste, wer gesprochen hatte. Ich schaute genau hin. Die Handschrift war krakelig und ungelenk, vermutlich war das Ganze in großer Eile verfasst worden. Als Stift diente, wie ich vermutete, ein Kohlestift, was Aufschluss darüber gab, woher der Verfasser stammte. Der Aschestaub, nur ganz schwach im Hintergrund zu sehen, ließ darauf schließen, dass das Schriftstück in ein Bergwerk oder in dessen Nähe gelangt war. Und der Inhalt... plötzlich wusste ich, wer der Schreiber war. Doch ich schwieg darob erst einmal. „Ich... ich glaube, dass der Brief mit einem Kohlestift geschrieben wurde, welche es in Neidor ziemlich häufig gibt. Derjenige war mit dem Schriftstück noch bei einem Bergwerk, womit der feine Aschestaub erklärt werden könnte. Diese Handschrift lässt darauf deuten, dass der Verfasser sich beim Schreiben sehr beeilt hat, entweder wurde er verfolgt, was ich allerdings für unwahrscheinlich halte, was aber wahrscheinlicher ist, ist, dass er fürchtete, entdeckt zu werden", erläuterte ich meine Theorie. „Mhh... wahrscheinlich hast du recht mit dem Aschestaub und dem Kohlestift. Aber das Ganze hilft uns nicht wirklich bei der Suche weiter", bemerkte Aristopholes. Ich neigte ehrerbietend den Kopf. „Einzeln mag es ja so aussehen, doch bringen wir alle Hinweise zusammen, erhalten wir ein ziemlich klares Bild vom vermutlichen Wohnort des Täters." Interessiert blickte mir Aristopholes in die Augen. „Das wäre?" Ich seufzte lautlos. „Wir müssen überlegen, welchen Bergarbeitern genügend Geld zur Verfügung steht, um sich einen oder mehrere Kohlestifte leisten zu können", fing ich an. „Soweit ich weiß, ist Neidor nicht der billigste Ort und die Bergarbeiter werden nur jedes halbe Jahr mit zu wenig Geld entlohnt, also halte ich es für wahrscheinlicher, dass dies ein reicher oder zumindest wohlhabender Mann verfasst hat, wohlhabend genug, um sich mehrere Kohlestifte zu kaufen, denn ich kann erkennen, dass dieses Schriftstück nicht durchgängig mit der gleichen Kohle geschrieben wurde. Außerdem würde mehr Aschestaub daran haften, wenn jemand damit einen Tag untertage ist." Taklaros meldete sich zum ersten Mal zu Wort. „Vielleicht hat er es ja nicht mit untertage genommen, sondern ist damit nur in die Nähe gekommen." Ich schüttelte den Kopf. „Auch das halte ich für unwahrscheinlich. An dem Schriftstück haftet zu viel Staub, als dass jemand einfach nach Schichtende am Bergwerk vorbeigelaufen sein könnte, aber auch zu wenig, als dass der Jemand es mit hineingenommen hat." Fröstelnd erinnerte ich mich an jenen Abend...
Aristopholes trat vor. „Du sagst nicht alles, was du weißt", stellte er fest. Er hatte die Gabe die Wahrheit zu erkennen, wenn man sie sagte oder nicht. Ertappt senkte ich den Kopf. „Ich weiß es", murmelte ich leise. „Ich weiß, wer der Schreiber ist..."
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