Dreizehntes Kapitel
Nach zwei Tagen erreichten wir Xantor. Die Nacht hatten wir in einer Höhle in den Bergen verbracht. Schon von Weitem erkannte ich unseren Rastplatz, denn Xantor hatte ihn mit einem riesigen Pfeil gekennzeichnet. Aber nicht nur das stach mir ins Auge, auch die verräterische Wölbung der Erde, worunter wir übernachtet hatten, fiel mir auf.
Grober Staub wirbelte auf, als Kylla etwas plump neben uns landete und der Busch in der Nähe von Ramosch erzitterte kurz. Der Falbe hob den Kopf, um Luna zu begrüßen und begutachtete dabei kritisch Kylla. Als sich Luna verwandelte, erhob ich meine Stimme und meinte entschieden: „Den Erdbewohnern sind Drachen unbekannt, Pferde jedoch nicht, weshalb es empfehlenswert wäre, Kylla in ein Pferd zu verwandeln."
Saphira nickte. „Gut." Sie teilte es ihrem Reittier mit, und dieses tat, wie ihm geheißen. Das Verwandeln hatten wir ein oder zwei Mal im Training geübt, für den Fall der Fälle. Der türkis-blaue Drache war nun ein Blue Roan-Weibchen und noch sichtlich unbeholfen. Sie stolperte zu Luna und Ramosch. Die beiden konnten sich inzwischen auf der elementaren Ebene des Geistes kommunizieren. Kylla würde es ebenfalls lernen.
Unterdes setzten Xantor, Saphira und ich uns auf den Lehmboden um ein Lagerfeuer, das ich entfachte. Hier beredeten wir leise unser weiteres Vorhaben.
„Also, zuerst: Gibt es hier Wesen, die uns gefährlich werden können?", fing ich an.
„Ja, in der Tat." Xantor schluckte geräuschvoll den Bissen trockenes Lhosri, eine Art Knäckebrot hinunter. „Von Neidor sind einige magische Wesen auf die Erde gekommen. Es ist oft gefährlich, wenn sich die Arten vermischen. Zuerst müssen wir die Vampire fürchten, die hier auf die Erde gekommen sind, doch anders als bei den meisten anderen Wesen gibt es keine gefährlichen Nachkommen. Vampire mischen sich grundsätzlich nicht mit Menschen, die interessieren sie nur wenig, und falls so etwas doch vorkommen sollte, zeugen sie keine Vampire, sondern nur normale Menschen. Die zweite Art, vor der wir uns hüten sollten, sind Feen. Feen an sich stellen keine Gefahr dar, da – wie bei den Feen in Neidor – ein Fluch sie zwingt, immer die Wahrheit zu sprechen und nur Gutes zu tun. Doch weil sie sich eingeengt fühlen und sehr freiheitsliebend sind, nutzen sie alle Mittel, die ihnen möglich sind, um sich von dem Fluch zu befreien. Aus ihnen können andere Wesen entstehen, und diese haben viele Namen. Man nennt sie Dunkle Feen oder Schwarze Elfen, wobei sie nichts mit Tarisla, dem Volk der Elfen gemein haben. Sie sind nicht immer böse, meist nur mächtiger als Feen. Doch dadurch, dass sie nicht mehr von dem Fluch kontrolliert werden, sind sie unberechenbar und gänzlich unkontrollierbar. Bis hierhin unterscheidet sich nichts von Neidor. Aber ab hier schon: Natürlich können sich Feen mit Menschen einlassen, wobei sie in dem Bezug etwas eingeschränkt sind, eingeschränkter als Schwarze Elfen. Wie auch immer, das Resultat sind Hexen und Hexer. Und sie stellen eine wirklich große Gefahr dar, weil Menschen andere Eigenschaften besitzen als Feen und Schwarze Elfen. Und diese kombiniert mit der beinah unendlich großen Macht von Schwarzen Elfen und Feen, ergibt eine unkontrollierbare, riesige Gefahr. Die Gefahr ist allerdings nicht in erster Linie ihre riesige Macht oder ihre Leichtsinnigkeit, nein, sondern der Faktor, dass man sie fast nicht erkennt. Sie sind sozusagen unsichtbar, erst wenn man sie erzürnt, erkennt man sie, doch dann ist es meistens zu spät."
Eine unheimliche Stille breitete sich am Lagerfeuer aus. Einen Moment lang hörte ich nur das Feuer munter knistern.
Dann erhob der alte Mann wieder seine Stimme. „Es ist gut, Stella, dass dich Ramosch zur Besinnung gebracht und dich deine Schwester hat holen lassen. Er hat teilweise eine, nun ja, recht grobe Art, jemandem zu sagen, dass nicht richtig ist, was er tut, aber ich bin froh, dass er es getan hat. Vielleicht hätte ich es tun sollen, aber irrsinnigerweise wollte ich auf den richtigen Moment warten. Wie auch immer, ich bin froh, dass sie hier ist." Er wandte sich Saphira zu. „Wie heißt du, Mädchen?"
„Ich heiße Saphira." Überrascht von ihrem kühlen und distanzierten Ton blickte ich ihr ins Gesicht. Ich konnte Trotz und Entschlossenheit fühlen. Als ich Xantor ansah, erkannte ich Neugier und ebenso Entschlossenheit und spürte eine seltsame Energie um uns herum fließen. Plötzlich schnappte ich nach Luft, wusste jetzt, was vor sich ging.
Lass' sie in Ruhe Xantor!, schrie ich entsetzt auf elementarer Ebene. Sie wird dir alles erzählen, was du wissen willst, wenn du ihr Zeit lässt. Ich hielt dem alten Mann meinen Unterarm vor die Brust, eine physische Barriere, die so unvermittelt hoffentlich auch psychische Wirkung zeigte.
Verblüfft japste er auf und riss tatsächlich seine Konzentration von Saphira weg. „Ihr seid wahrhaftig sonderbare Geschwister, nicht nur, dass ihr euch sehr umeinander kümmert, euer Spirit ist so stark, dass ihr euch gegenseitig beschützen könnt und so eine geistige Macht sofort bemerkt. Aber eigentlich sollte es mich nicht wundern, schließlich bist du domitrix initium."
Keuchend setzte ich mich wieder und musterte den alten Mann kritisch. Wollte er mich wirklich nur testen oder war da mehr? Saphira hatte Recht gehabt, wie immer. Sie war schon immer die Vernünftigere von uns gewesen. Wie konnte ich ihm nur vertrauen, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte? Bestimmt hatte er mir verschwiegen, weshalb genau er verbannt worden war. Immerhin dachte und sprach er von Aristopholes wie von einem Aufrührer. Vielleicht hatte er eine gewalttätige Revolution anzetteln wollen und sie wurde blutig niedergeschlagen. Zugegebenermaßen hatte ich ihm am Anfang blind vertraut, weil ich auch aufgebracht und wütend auf den Hohepriester war. Ich hatte von ihm die Bestätigung bekommen, die ich wollte, nämlich dass ich mich nicht geirrt hatte in Aristopholes. Aber trotz allem hatte ich ihm vertraut. Er hätte mir wirklich etwas antun können – ich war mir sicher, dass er dazu in der Lage war – und vielleicht hatte er das auch vor, doch die Sache mit Saphira kam ihm dazwischen. Vielleicht wollte er mich auch nur für sich gewinnen, als Kampfmaschine benutzen, um sich zu rächen.
Naja, nun war alles okay, da wir zu zweit waren. Nicht gut, aber okay. Ich würde Saphira von jetzt an nicht von der Seite weichen.
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Nach zwei Tagen hatten wir ein kleines Dorf erreicht und uns in ein Gasthaus eingemietet. Zusammen mit Saphira hatte ich erwirken können, dass wir ein eigenes Zimmer bekamen und Xantor eines. Am vergangenen Nachmittag hatten wir unser Zimmer bezogen. Heute waren wir mit Luna, Kylla und Ramosch auf einer Wiese am nahen Waldessaum gewesen und hatten Bändigen und diverse andere Angriffs-, Verteidigungs- und Heiltechniken geübt. Die Heiltechniken waren für uns besonders nützlich, da wir das im Training kaum geübt hatten. Ungefähr drei Hor standen wir bei dem Wäldchen und waren beschäftigt. Es musste viel passen, man musste feinfühlig im Bändigen sein, und wenn man das nicht war, musste man zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein, um einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Mit Saphira übten wir vor allem Geistbändigen, weil sie das anscheinend nicht ganz so gut beherrschte.
Erst am Abend kehrten wir zurück in das kleine Gasthaus und in unsere Zimmer. Aus dem Fenster mit dem Holzrahmen, dem Wind und Wetter schon ganz schön zugesetzt hatten, beobachtete ich gedankenverloren, wie sich die Sonne dem Horizont näherte und ein leuchtend orange-rotes Farbenspiel entfachte. Wie lange war es her, dass ich in derselben Pose in Sorhams Feste am Fenster gestanden und dasselbe Schauspiel bewundert hatte? Mir kam es vor, als wären die letzten Wochen geradezu vorüber geflogen, obwohl so viel passiert war.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Wasser plätscherte. Ruckartig drehte ich meinen Kopf zur Tür, durch die in dem Moment Saphira kam. Sie hatte sich etwas frisch gemacht. Wir wollten gleich hinunter in die Gaststätte gehen, um etwas zu Abend zu essen.
„Kommst du?", fragte Saphira und lief zur Tür.
„Ja, klar", meinte ich und warf noch einmal einen schnellen Blick aus dem Fenster. Die Sonne war inzwischen fast untergegangen und die Nacht legte sich wie eine kühle, samten blaue Decke über das Land. Die ersten Sterne tauchten auf, während die Häuser langsam einschliefen.
Saphira und ich gingen aus der Tür hinaus. Im Gang trafen wir auf Xantor und gemeinsam liefen wir hinüber in das Wirtshaus. Der Raum war klein und heimelig, doch ich konnte erkennen, dass sich noch ein anderer Raum hinter einer Tür befand.
Wir nahmen an einem Tisch Platz, und da ich keine Ahnung hatte, was ich hier essen sollte, was Xantor aß. Saphira tat es mir gleich.
Als nach einiger Wartezeit das dampfende Essen kam, war ich wirklich hungrig und stürzte mich auf das, was mir der Kellner vor die Nase stellte. Unvermittelt spuckte ich es wieder aus. Abgesehen davon, dass es unfassbar heiß war, schmeckten die Zutaten äußerst seltsam. Xantor prustete los, lachte sein altes, heiseres Lachen. Böse funkelte ich ihn an. „Was ist denn hier so lustig?" Er winkte ab, aber sein Lachen verschwand tatsächlich von seinem Gesicht.
Vorsichtig probierte ich erneut, diesmal nur ein kleines bisschen, dass ich durch sachtes Pusten abkühlte. Mit der Zeit gewöhnte man sich an den Geschmack. Schnell waren unsere Teller leergeputzt und nach der Bezahlung verließen wir die Gaststube. Dort gingen wir gleich ins Bett, da wir am nächsten Tag ein großes Stück an Strecke vor uns hatten. Vor dem Einschlafen dachte ich noch, dass es ziemlich merkwürdig war, dass sich Aarons Leute noch nicht hatten blicken lassen. Aber vielleicht hatten wir zur Abwechslung auch nur Glück und sie uns einfach noch nicht aufgespürt.
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Die ersten Stunden der Nacht schlief ich recht gut und tief, doch die restliche Nacht wälzte ich mich mal auf die eine und auf die andere Seite, fand keine Lage, in der ich entspannen konnte. Dazu kam, dass mich Luna mitten in der Nacht elementar wachrüttelte.
Stella, es wäre wahrscheinlich gut, wenn wir schon jetzt aufbrechen würden.
Sofort saß ich senkrecht im Bett und hoffte im nächsten Moment, dass Saphira davon nicht wach geworden war. Wieso? Was ist los?
Naja, um ehrlich zu sein ist es vielleicht nicht ganz so dringend. Aber hier laufen merkwürdige Tiere herum. Tiere, die mir gänzlich unbekannt sind, und ihr Ruf ist eine Mischung aus dem Heulen eines Wolfes und dem Maunzen eines Catus. Und es gibt hier noch kleine, flugunfähige Vögel, die sehr hektisch sind in ihrer Art. Es treiben auch noch größere Vögel auf dem Hof ihr Unwesen. Sie können fliegen, aber ziehen es vor, sich auf zwei Beinen laufend fortzubewegen. Sie machen einen Heidenlärm bei einem Eindringling und sind sehr aggressiv. Ich weiß nicht, ob diese Tiere gefährlich sind, aber mir sind sie auf jeden Fall ziemlich unheimlich. Kylla ist da meiner Meinung und Ramosch lässt sich mal wieder nicht aus der Ruhe bringen.
Es war eine undankbare Zeit, mitten in der Nacht, wohl ein paar Stunden vor Sonnenaufgang, und ich nicht in bester Laune. Dementsprechend fiel auch meine Antwort aus. Sag' mal, fällt dir nichts Besseres ein, als mich mitten in der Nacht zu wecken? Ich muss für unsere Wanderung ausgeschlafen sein! Die Tiere werden dir schon nichts tun. Reiß' dich noch für ein paar Stunden zusammen und lass' mich schlafen!
Danach folgte erstmal eine lange Pause, und ich dachte erst schon, Luna hätte keine Lust mehr, mit mir zu reden, und hat sich verabschiedet. Doch dann folgte ein genervtes ‚Ist ja gut'.
Ich legte mich wieder hin, hatte aber noch meine Augen offen. Mich schauderte der Gedanke an Wölfe. Wir würden ihnen doch hoffentlich nicht begegnen? Ich drehte mich um und schloss die Augen. Erstmal konnte es mir ja egal sein. Außerdem würden wir schon mit ihnen fertig werden.
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Die weitere Nacht träumte ich allerlei Unsinn und wachte gefühlt alle paar Minuten auf. Als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont kletterten, lag ich schon einige Zeit im Halbschlaf da, und war sofort komplett wach, als der warme Schein seinen Weg ins Zimmer fand. Leise stieg ich aus dem Bett, wollte Saphira nicht wecken, die noch schlief. Ich fühlte Xantor im Nachbarzimmer im Bett liegen, doch anhand seiner Atmung stellte ich fest, dass er schon wach war. Also kontaktierte ich ihn elementar.
Wollen wir jetzt aufbrechen?
Ist Saphira denn schon wach?, entgegnete er seinerseits mit einer Frage.
Nein, aber das ließe sich ändern, stellte ich trocken fest.
Warte doch, bis sie aufwacht.
Müssen wir uns heute nicht beeilen?
Nun ja, es wäre schon nicht schlecht, wenn wir gut und schnell vorankämen und die Berge so schnell wie möglich hinter uns ließen. Aber es ist keine dringende Notwendigkeit.
Gut, dann hätten wir das geklärt, erwiderte ich schlicht.
Warte! Was haben wir geklärt?, fragte er seine Stimme eine Mischung aus genervtem Stöhnen, Verwirrung und Aufregung.
Doch ich antwortete nicht. Stattdessen machte ich mich daran, meine Schwester aus ihrem Puppenschlaf zu wecken. Dazu nutzte ich das Element Wasser. Diese Variante war deutlich „schonender" als physisches Wecken, weil ich sie langsam vom Tiefschlaf ins Bewusstsein holte. Vereinfacht könnte man sagen, ich ging eine geistige Verbindung mit ihr ein, jedoch benötigte es lediglich gut trainierte Fähigkeiten im Wasser- und Geistbändigen.
Nach einer kurzen Weile schlug sie ihre Augen auf. Sie machte einen wirklich verwirrten Eindruck und setzte sich auf. Elementar rief sie: Wo bin ich? Kylla, Kylla, bist du hier?
Ja, antwortete ich von meinem Platz am Fuß des Bettes aus. Ja, sie ist da, und ich auch. Du bist in Sicherheit, keine Angst.
Sie ließ sich zurück in ihre Kissen fallen und schloss scheinbar erschöpft die Augen. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich fühle mich so müde und mein Kopf schmerzt.
Besorgt schaute ich zu ihr. Willst du dich ausruhen?
Nein. Nein, geht schon, meinte sie. Sie drückte sich mit den Armen in eine aufrechte Sitzposition und stand schließlich auf. Als sie meinen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: Es ist bestimmt nichts Schlimmes. Das war nur durch die unbequeme Nacht.
In der Tat waren die Betten nicht sehr gemütlich gewesen.
Elementar kontaktierte ich Xantor. Wir können los.
Gut, war seine knappe Antwort.
Wir schnappten unser Zeug, was sowieso nicht sehr viel war, und ich öffnete zeitgleich mit Xantor die Tür. Zum Abschließen bewegte ich nur meinen kleinen Finger, denn ich sah nicht ganz ein, wieso ich meine Hand mit dem Schlüssel drehen sollte, konnte ich doch Luftbändigen. Und dies würde gewiss niemandem auffallen.
Nach kurzer Zeit hatten wir unsere Pferde gesattelt und getrenst und machten uns auf den Weg Richtung Gebirge. Mit seinen schneebedeckten Gipfeln, die aus der Wolkenbank heraus glänzten, weil es von einem Sonnenstrahl erleuchtet wurde, wirkte es unberührt, und unschuldig, ja, fast schon einladend. Doch Xantor traute dem Schein nicht – seine Augenbrauen zogen sich sorgenvoll zusammen, je näher wir kamen – und so tat ich es auch nicht. Er kannte sich hier auf der Erde besser aus als ich.
Leise stöhnte er auf. „Das hier war das letzte Dorf vor den Bergen. Nun werden wir mindestens drei Tage auf uns selbst gestellt sein. Zwar gibt es in den Bergen, fast am entgegengesetzten Ende, noch ein anderes kleines Dorf, aber es ist nicht dauerhaft bewohnt." Er seufzte erneut, trieb Ramosch an und wir folgten ihm. „Die Berge sind Wolfsland. Von nun an müssen wir auf der Hut sein."
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Wir durchquerten eine weite Ebene, die sich bis zu den Bergen zog. Überall standen einzelne Bäume und Haine aus Espen, Pappeln und Birken. Ihre hellen Stämme leuchteten in der frühmorgendlichen Sonne. An besonders trockenen Stellen standen Kiefern und Sanddornbüsche, die um die Jahreszeit in einem noch schöneren Grün strahlten als das Gras im Innenhof des heiligen Tempels auf Korelan.
Es war ein friedlicher Morgen, die Sonne schien fröhlich vor sich hin, die Bächlein in dem Tiefland plätscherten unbeschwert und ein angenehmer Luftzug strich sanft über die Gräser, die sich hin und her wiegten wie das Meer. Auf der linken Seite vor dem Gebirge begann ein Wald.
Immer wieder kreuzte unser Weg Bachläufe und andere kleinere Rinnsale, die wir überqueren mussten. Wir sahen einen Sprung von sieben Rehen, der sich an dem zarten Auengras gütlich tat. Auch drei Kaninchen begegneten uns, die schnell hoppelnd das Weite suchten, und ihre weiße Blume hüpfte fröhlich.
So in Gedanken dahin schwelgend bemerkten wir kaum, wie wir uns den Bergen näherten. Jäh erwachte ich aus meiner Trance, als die unwirtlich grauen, rauen Gipfel schon ziemlich nah vor uns aufragten. Unterwürfig blinzelte ich in den Himmel. Xantor folgte meinem Blick. „Je näher man ihnen ist, desto eindrucksvoller und riesiger wirken sie." Ich nickte. Wie wahr.
Um einen sehr zerklüfteten Berggipfel kreisten einige schwarze Vögel. Ihr fernes Krächzen hallte über die Tiefebenen.
Langsam wandelte sich das fruchtbare, grünende Land in karge und steinige Hügelseiten. Von jetzt an ging es fast nur noch aufwärts. Auf der ersten Anhöhe stiegen wir ab und ich lief zu dem Abgrund, blickte zurück auf das grüne Land, das wir nun endgültig hinter uns gelassen hatten. Von hier oben sah die Aue noch friedlicher und schöner aus. Die letzten Stunden waren nur so dahin geflogen, dachte ich. Ich wandte mich ab.
An den weiten Geröllhängen wuchsen nur magere Gräser, Moose und Flechten. Auf unserem Weg sahen wir an solch einem Hang einige Tiere mit dunklem Fell und dicken Hörnern; eine Mischung aus den Ziegen und Schafen, die wir im Dorf auf Weiden gesehen hatten.
Kylla fragte mich, ob sie sich wieder in einen Drachen verwandeln durfte, und ich „übersetzte" für Xantor. Ich persönlich hätte wohl Ja gesagt, immerhin waren wir hier oben in den Bergen alleine. Aber Xantor verneinte. Wenn sie sich verwandelte, wäre sie nicht mehr so beweglich. Kylla stöhnte genervt auf, sagte aber nichts gegen diese Entscheidung.
Eine Weile wanderten wir stumm auf einem Grat; zu beiden Seiten fielen die Felswände steil ab und es waren weiße Wolken aufgezogen. Der Wind frischte auf und die Temperaturen fielen. Xantor blickte immer wieder sorgenvoll zum noch blauen Himmel. „Den Wind mag ich nicht. Dann schlägt das Wetter vor allem in den Bergen oft unerwartet um", meinte er, mehr zu sich selbst als zu unserer kleinen Gemeinschaft.
Meinen Gleitschirm trug ich jetzt die ganze Zeit bei mir, da ich selbst ohne dieses Hilfsmittel nicht fliegen konnte. Zwar würde ich mich bei einem Sturz nicht so stark verletzen, aber alleine hinauf käme ich nur mit Lunas Hilfe. Und darauf konnte und wollte ich mich nicht verlassen. Was, wenn ich beispielsweise zurückfiel und stürzte? Das wollte ich mir nicht vorstellen.
Bald brachte der Wind kleine Eiskristalle mit. Es war bereits kalt und hoch genug für Schnee. In dieser Höhe wurde es vor allem bei dem Wetter sehr schnell dunkel und Xantor befürchtete, dass ein Schneesturm hereinbrechen könnte. Also machten wir in der nächsten Höhle Rast, obwohl wir noch nicht einmal ganz oben waren. Doch wir waren geschafft von dem langen Aufstieg und ein unerwartet hereinbrechender Schneesturm würde uns diesen auch nicht gerade erleichtern.
Im Schutz der Höhle entfachten wir ein Feuer, und der flackernde Schein der unruhigen Flammen malte unheimliche Schatten an die graue Steinwand. Luna und Kylla verwandelten sich auf das Zeichen von Xantor hin wieder in ihre normale Gestalt, in welcher sie sich augenscheinlich am wohlsten fühlten. Da wir alle müde und geschafft waren von dem Tag, war die kleine Runde um das Lagerfeuer ziemlich still, und während wir auf dem gegrillten Brot herum kauten, dass Xantor extra für diesen Teil der Reise zuhauf mitgenommen hatte, hingen wir unseren Gedanken nach.
Irgendwann holte Xantor aus dem Gepäck zwei dünne Metallschneiden. Ich hatte sie ganz am Anfang in der Stadt schon einmal gesehen. „Falls ihr euch verteidigen müsst, benutzt ihr die hier. Das sind Schwerter. Im Verlauf der Tage lerne ich euch, damit umzugehen", meinte er lächelnd. Saphira und ich nahmen sie und begutachteten sie mit großen Augen.
„Das ist aber ziemlich schwer", stellte ich fest.
„Ja, in der Tat. Deshalb müsst ihr lernen, damit umzugehen", erwiderte er belehrend.
Draußen wurde es, wie prophezeit, relativ schnell dunkel, und als wir spürten, wie die Temperaturen noch weiter fielen, sahen wir nach, ob Xantor recht behalten hatte. Und tatsächlich, ein unbarmherziger, eiskalter Wind in Kombination mit Schneeflocken, so spitz und hart wie metallene Speerspitzen pfiff um die kahlen Gipfel, deren Umrisse sich hart gegen den dunkler-werdenden Himmel abzeichneten. Ich trat einige Schritte aus dem Windschatten der Felsen und schloss die Augen, fühlte, wie der Wind an meinen Klamotten riss und die Schneekristalle an mir abprallten. Ich stellte mir vor, ich könnte hier stehen und bändigen. Für einen kurzen Moment verdrängte ich die Erinnerung an alles Schlechte und Böse und fühlte mich unbesiegbar, kalt und erhaben. Genau bis zu dem Augenblick, als Saphira mich am Arm berührte, ich ihre Sorge und Liebe spürte, die wie eine Kerze in der Finsternis brannte. Einen Wimpernschlag blickten wir uns in die Augen, und ich meinte, ebenjenen Schein tief in ihr zu erkennen. Sie zog mich mit sich, wieder in das Innere der Höhle. Xantor lächelte schwach. „Gehen wir schlafen und hoffen, dass uns morgen früh wieder die Sonne lacht." Und so breiteten wir die mitgenommenen Decken aus und kuschelten uns darunter, Saphira an Kylla, Xantor an Ramosch, und ich an Luna.
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Als wir am nächsten Morgen die Höhle verließen, hatte es neben dem Pfad mannshohe Schneewehen aufgetürmt. Glücklicherweise schneite es nicht mehr, und auch der Wind hatte nachgelassen. Heute lag eine steinige Anhöhe vor uns, die wir zu bezwingen hatten. Wenn ich den Kopf drehte, sah ich nur schneebedeckte Gipfel in schwindelerregenden Höhen. Allein beim Anblick fror es mich. Dazu kam, dass um weiter entfernte Gipfel schwarze Vögel kreisten, die wir auch schon bei unserer ersten Etappe gesehen hatten, und das beunruhigte mich zutiefst. In der Ferne heulte ab und zu ein einzelner Wolf. Die schaurig verzerrten Echos in der stillen, kargen Landschaft jagten mir Schauer über den Rücken.
Xantor informierte uns etwas über die heute geplante Strecke. Danach herrschte Stille, in der unsere knirschenden Schritte und der pfeifende Wind unglaublich laut in meinen Ohren wurden. Bedauerlich dachte ich daran, dass ich uns ganz einfach durch eine Luftwand vor den heftigen und eisigen Böen schützen könnte, doch Xantor hatte uns, insbesondere mir, untersagt zu bändigen. Er war noch nie selbst in diesem Gebirge gewesen und wusste daher nicht, welche Wesen hier wohnten. Außerdem, meinte er und hob warnend den Zeigefinger, habe Aaron einige Spitzel, und wir wollen ihn ja nicht vorwarnen. Wobei ich das nicht ganz verstand. Mit bloßem Auge war Luftbändigen nämlich nicht zu erkennen. Dazu kam, dass wir uns auf unserer Reise bestimmt noch verteidigen mussten, und da mussten wir so oder so bändigen.
Unter unseren Füßen kullerten Steine den Hang hinunter, als wir hinauf auf den Berggipfel liefen. Außerdem lag hier schon eine dünne Schneeschicht. Kaum Pflanzen wuchsen an den kargen, von Wind heimgesuchten Hängen. Außer ein paar braunen Blättchen sah ich nichts Lebendiges. Die Pferde blieben plötzlich stehen. Sie kamen nicht weiter, sie rutschten immer zurück.
Lass' uns woanders hochgehen, meinte Luna. Hier kommen wir nicht weiter.
Ich stimmte ihr zu und gab Xantor Nachricht, der sich ebenfalls an dem steilen Schotterhang abrackerte.
„Suchen wir uns einen weniger steilen Weg! Gerade für die Pferde ist diese Kletteraktion unmöglich", berichtete ich.
Der alte Mann nickte, für Worte war er anscheinend zu sehr außer Atem.
Also gingen wir nach links um den Gipfel herum. Ständig suchten wir mit den Augen die Steine nach einem Pfad ab. Xantor lief ein paar Meter weiter oben entlang und klopfte den Untergrund mit seinem Stab ab. Ich hatte keine Ahnung, was er damit bezwecken wollte, also ließ ich es unkommentiert zwischen uns stehen.
Nach ein paar Minuten rief er: „Hier! Hier ist ein stabiler Pfad, da sollten wir hochkommen."
Wir folgten seinen Rufen und hatten nach einigen anstrengenden Metern tatsächlich den Grat erreicht, auf dem wir laufen konnten.
Hier blies der Wind noch heftiger und erbarmungsloser als vorher. Wir mussten im Gänsemarsch gehen, weil der Weg so schmal war. Ab und zu stolperte Luna, hielt sich aber tapfer auf den Beinen. Mit der Zeit fing es wieder an zu schneien. Ich stöhnte auf. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Wäre das Wetter ein bisschen besser gewesen, hätte man eine fantastische Aussicht gehabt, und ich wäre eventuell in Verlegenheit geraten, diesen Ausflug doch noch zu genießen. Doch so sah man nur die nächsten Bergspitzen aus dem Nebel aufragen.
Xantor erhob seine Stimme, doch der Wind trug seine Worte teilweise weg, weshalb ich auf sein Zeichen hin doch ein schwaches Luftschild bändigte. „Ich habe heute Rauchsäulen gesehen. Das verwirrt mich einigermaßen, denn das Dorf, das ich erwähnt habe, sollte noch zwei Tagesmärsche entfernt sein, soweit ich es in Erinnerung habe."
„Vielleicht hat sich einiges verändert. Auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben", mutmaßte ich.
„Das schon, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer freiwillig hier oben lebt."
Ich hob die Achseln. „Jemand, der nicht gefunden werden will."
„Wie auch immer, wir sollten das Dorf morgen früh erreichen, wenn wir heute noch gut voran kommen", beendete Xantor den Dialog.
Am Abend fanden wir keine Höhle, in der wir übernachten konnten. Als es schon fast vollständig dunkel war, wollte Xantor sich mit einem Felsüberhang zufriedengeben. Falls es aber wieder stürmen sollte, wären wir ungeschützt. ‚Das wird eine ungemütliche Nacht werden', dachte ich. Ich wollte dies nicht einfach so hinnehmen und lief die Felswände ab. Mit dem Element Erde versuchte ich, Hohlräume aufzuspüren. Ich musste ein ganzes Stück suchen, aber schlussendlich wurde ich fündig. Was wie eine Geröllhalde aussah, war wohl ursprünglich eine Höhle gewesen, die durch eine Gesteinslawine verschüttet wurde. Freudig lief ich zurück zu Xantor, um ihn zu holen und mit ihm gemeinsam den Schutt zu beseitigen. Zwar könnte ich es wohl auch alleine, doch es würde länger dauern und wäre vermutlich lauter. Und die Zeit drängte.
„Xantor! Ich habe eine Höhle gefunden! Sie ist zugeschüttet! Du musst mir helfen!", teilte ich ihm außer Atem mit.
„Mhh, ich weiß ja nicht, ob es nicht besser wäre, hier zu bleiben. Wenn wir es nun nicht schnell genug schaffen und dann Wölfe oder andere nachtaktive Raubtiere kommen... Bleiben wir doch hier. Jetzt haben wir einmal unsere Sachen abgestellt."
Wütend saugte ich die Luft zwischen den ein und bereute es gleich, denn es war empfindlich kalt an meinen Zähnen. Warum sollten wir hier bleiben, wenn keine 200 Meter entfernt eine Höhle war? Ich verstand Xantor nicht. „Aber eine Höhle wäre in jedem Fall angenehmer! Und außerdem wird es zu zweit schon nicht so lange dauern!"
Nachdem ich Xantor überzeugt hatte, luden wir unsere Sachen wieder auf die Pferde und liefen die 16 Schritte bis zu der Halde. Dort angekommen hatte Xantor auch gleich wieder was zu bemängeln.
„Das sieht nicht unbedingt aus wie eine Höhle. Was, wenn das sich doch nur als Schutthang erweist?"
„Dann können wir ja zurückgehen", entgegnete ich ungehalten. „Aber hilf mir bitte erstmal hier."
Dagegen sagte er nichts. Wir stellten uns breitbeinig hin, sodass wir einen festen Stand hatten. Dann bewegten wir die Arme in festen Mustern; fast sah es aus wie ein Tanz. Ich schloss die Augen, genoss die Aura aus purer Energie um uns herum. Ab und zu hörte ich einen Stein kullern. Doch ich ließ mich nicht beirren.
Nach ein paar Minuten war alles weggeräumt und gab den Blick frei auf... eine kahle, graue Wand aus nacktem Fels. Xantor nahm seine Last wieder auf und klopfte mir im Vorbeigehen wortlos auf die Schulter. Luna blieb noch bei mir stehen.
Komm' schon, gehen wir zurück.
Ich bin mir ganz sicher, ich habe hier einen Hohlraum gespürt, beharrte ich.
Dann hast du dich wohl geirrt. Diese Erkenntnis schoss spitz wie ein Eiskristall aus ihrem Mund zu mir und plötzlich füllten Tränen meine Augen. Ich konnte nichts mehr erkennen. ‚Nein. Nein, das darf nicht sein. Ich war mir doch sicher. Eine Elementarbändigerin irrt sich nie.' Statt Trauer kochte nun Wut in mir hoch, als Luna weiter- und den anderen hinterherging. ‚Eine Elementarbändigerin irrt sich nicht. Das ist falsch! Das darf mir nicht passieren! Keiner glaubt mir.' Ich bemerkte nicht, wie meine Tattoos anfingen zu glühen, blau, genau wie meine Augen. Ich bemerkte nicht, dass ich anfing zu bändigen. Unkontrollierbar, ja, dieses Wort beschrieb es wohl am besten. Ich bemerkte auch nicht, wie Xantor und Saphira zu mir gerannt kamen, um mich zu beruhigen. Ich war nicht mehr bei Bewusstsein, obwohl ich noch genauso dastand wie vorher auch. Stabil, doch es fehlte etwas in meinem Inneren. Ich hatte keine Kontrolle mehr. Saphira bändigte in letzter Sekunde ein Wasserschild, als sie mich fast erreicht hatten und dann im wahrsten Sinne des Wortes der Sturm losbrach.
Über das Gebirge brauste ein fürchterlicher Sturm. Wohl eine ganze Weile. Eine Wasserspirale floss um mich, wuchs in den Himmel und regnete von dort hinunter. Um mich herum brannte lichterloh ein Feuerring, der von Zeit zu Zeit aufloderte und in die Höhe schoss. Der Wind kreiste ebenfalls um mich, riss die Wolken mit sich und bildete einen Wolkentornado über den Bergen. Unter mir löste sich eine runde Plattform aus dem Gestein und hob mich in den Himmel. Das Zentrum des Sturms war ich.
Genau so lange, bis ich endgültig bewusstlos und kraftlos zu Boden sank.
Irgendwann wachte ich in einer Höhle wieder auf. Als erstes fiel mein Blick auf eine Feuerstelle, und die Flammen tanzten munter. Als zweites spürte ich den Sturm draußen. Dann nahm ich zwei Gestalten wahr, die sich am Rand in mein Gesichtsfeld beugten. Die eine hielt einen Stofffetzen, vollgesogen mit Wasser, womit sie mir in regelmäßigen Abständen über die Stirn wischte.
„Gott sei Dank", murmelte Saphira, als sie sah, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte. Ich versuchte mich aufzusetzen, doch eine entschiedene Hand drückte mich an der Schulter zurück.
„Du bist schwach. Sehr schwach. Dieser Kontrollverlust hat dir viel Energie gekostet", berichtete mir Xantor. „Du kannst froh sein, dass du noch lebst. Schlafe jetzt etwas, damit du wieder zu Kräften kommst."
Xantor hatte Recht. Ich war schwach. Mir fielen die Augen zu, doch ich spürte, wie Saphira und Xantor mir noch eine Weile Gesellschaft leisteten, bevor sie sich schlafen legten.
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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich schon stärker. Trotzdem blieb ich noch eine Weile liegen und schloss nochmal die Augen.
Ich war tatsächlich wieder eingeschlafen, schoss es mir durch den Kopf, als ich die Augen zum zweiten Mal öffnete und Saphira und Xantor ein bisschen am trockenen Lhosri knabberten. Sie saßen um die fast heruntergebrannte Feuerstelle. Der Holzvorrat, der mir gestern aufgefallen war, war nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte Xantor ihn verbraucht. Etwas steif erhob ich mich, streckte mich einmal richtig und gähnte laut. Hinter mir erhob sich auch Luna und schüttelte sich. Wir waren in einer Höhle. Wie waren wir denn hier reingekommen? Ich lief zu Xantor und Saphira und setzte mich.
„Wir sind in einer Höhle."
„Ja, ob du es glaubst oder nicht, aber das habe ich in der Tat auch schon festgestellt", erwiderte Xantor unberührt. Saphira blickte mich besorgt an.
„Ich meine, wie sind wir hier reingekommen?", fragte ich nun konkreter.
„Durch die Menge an Energie, die bei deinem Kontrollverlust freigesetzt wurden, sind die Höhlenwände eingestürzt. Oder besser gesagt nur der Eingang. Du hast Recht behalten", lächelte Xantor freundlich und nickte mir zu.
Ich musste ebenfalls lächeln und biss in das Lhosri in meiner Hand.
Als wir losliefen, hatte sich der Wind gelegt. Die Sonne wagte sich hinter den Wolken hervor und wärmte das eisige Land auf. Auf unserem Weg erkannten wir tatsächlich schon das Dorf. Es waren nur eine Handvoll Hütten, die an der Seite eines Berges gebaut worden waren. Sie befanden sich in einer kleinen Mulde, die Schutz vor den kalten Winden bot. Der Pfad unter uns war sehr schmal und bröckelig und wir mussten uns anstrengen, um nicht vom Weg abzukommen. Besonders mir fiel es nach einer Weile schwer, ein Fuß vor den anderen zu setzen. Saphira machte ein ziemlich verbissenes Gesicht; und Xantor ging forsch voran, den Kopf gehoben und den Körper aufrecht. Das Dorf verschwand aus unserer Sicht, als sich ein Berggipfel davor schob. Der Wind, nur eine leichte Brise, blies uns die Haare aus dem Gesicht, bis wir ein paar Minuten später das Dorf wieder erkennen konnten. Es war sehr viel näher. Um uns herum erblickte ich karge Wiesen, auf denen die ansässigen Menschen wohl Getreide und anderes Essen anbauten. Das erste Haus des Dorfes war eine Schmiede. Die Glut im Ofen war tiefrot, aber im Moment schien niemand da zu sein. Seltsam. Die nächsten drei Häuser waren Wohnhäuser. Der Weg verbreiterte sich, und ein überdachter Brunnen stand hier, auf einer Art Marktplatz. Es folgten ein Stallgebäude und eine Scheune. Vor dem Stall standen zwei abgemagerte Pferde, die uns neugierig beäugten. In einem Auslauf liefen drei Schweine herum, ein paar meckernde Ziegen und auf einer anderen Weide standen zwei Kühe, ebenfalls sehr ausgemergelt, jedoch anscheinend putzmunter. Außerdem fiel uns oder insbesondere mir auf, dass hier alles eine Nummer kleiner zu sein schien als im Tal. Angefangen bei den verkrüppelten Bäumen und Büschen and den steinigen Hängen bis hin zu den Pferden. Sie waren beide hell, cremefarbenes Fell und dunkle Mähne und Schweif. Sie hatten einen dunklen Strich auf dem Rücken und waren ziemlich schmutzig. Auch Schweine und Kühe waren kleiner. Die Schweine waren dunkel und ziemlich beharrt, die Kühe waren braun mit relativ langem Fell. Die Ziegen schienen normal. An einem der Hänge erspähte ich außerdem eine kleine Herde Schafe. Sie hatten langes Fell und nagten an den Steinen.
Auf einmal öffnete sich eine Tür der Wohnhäuser und zwei Männer kamen heraus, bewaffnet mit einer Heugabel und einem alten Schwert, das anscheinend schon einige Jahre gesehen hatte.
„Wir kommen in guter Absicht!", rief Xantor und drehte sich mit erhobenen Händen zu ihnen.
„Das kann jeder sagen!", antwortete einer der Männer laut und der andere kam vorsichtig auf uns zu.
„Was macht ihr hier?", erkundigte sich der mit dem Schwert misstrauisch.
„Wir sind nur auf der Durchreise", erwiderte Xantor ruhig.
Zweifelnd umkreisten uns die Männer mit einigem Abstand und begutachteten unser Gepäck. „Was treibt so gut betuchte Leute wie euch hier hoch?"
Diesmal meldete ich mich zu Wort. „Das geht nur uns etwas an." Xantor warf mir einen mahnenden Blick zu. „Also, wenn wir hier so offensichtlich allgemeine Missgunst und Misstrauen erwecken, dürften wir dann wenigstens passieren?"
„Maria!" Erstaunt sah ich zu Xantor. Auf seiner Stirn war eine Zornesfalte entstanden und er hatte die buschigen Augenbrauen skeptisch zusammengezogen. Das war das erste Mal, da mein Deckname zum Einsatz kam. Auch hatte ich ihn noch nie so wütend gesehen. Vielleicht war es ja berechtigt. Aber ich hatte nun einmal Recht.
Ist doch die Wahrheit!, schoss ich zurück.
Ehrlichkeit ist in der Tat tugendhaft, doch in Momenten wie diesem sehr unangemessen! Wir starrten einander zornig an.
Schön, aber ich bin einfach nicht du! Ich bin immer und überall tugendhaft, ohne Ausnahme!
Xantor seufzte. Du musst noch viel lernen. In dem Moment sprach aus seinen Augen eine Weisheit, fast eine väterliche Liebe, wie ich sie vorher noch nicht gesehen hatte. Er wandte sich nach vorne.
„Entschuldigt meine Enkelin! Sie ist manchmal etwas vorlaut. Wir wollen meine Schwester besuchen."
„Und warum nehmt ihr nicht den Weg durch das Tal? Die Berge sind gefährlich."
Xantor drehte seinen Kopf in beide Richtung, geradezu als wäre er im Begriff, ein großes Geheimnis zu enthüllen. „Ehrlich gesagt hätten wir das auch. Wir hätten mit einem Dienstmädchen und einem Kutscher den Weg um das Gebirge herum nehmen sollen. Doch ich habe schon länger den Verdacht, dass uns das Dienstmädchen beklaut. Also sind wir alleine los, durch das Gebirge."
Verständnisvoll nickten die Männer. Sie schienen das zu verstehen. Der ältere von den beiden lehnte die Heugabel an den Weidezaun. Der jüngere hatte verfilzte, schulterlange, braune Haare und wirkte immer noch misstrauisch.
„Ich lasse mich nicht so leicht mit dieser Ausrede abspeisen! Sagt uns die Wahrheit, Wanderer!"
Xantor zog die Augenbrauen zusammen. In seinem Gesicht braute sich ein Sturm zusammen. „Hör' auf, Jungchen. Ich sage die Wahrheit. Vielleicht belügen euch einige Wandersleute, aber ich bin keiner davon", redete der grauhaarige Mann, gestützt auf seinen Wanderstab auf den jungen Burschen ein. Er war dünn, aber zäh. Ich sah deutlich die Muskeln unter seinem Hemd. Wenn er ausflippte, hätte Xantor keine Chance. Innerlich bereitete ich mich schon auf einen Kampf vor, suchte den Griff von meinem Schwert unter dem Mantel und wartete angespannt.
Schließlich meldete sich der ältere Mann zu Wort. „Komm' schon, Jahir, dein Mut in allen Ehren, aber höre auf ihn und lege dich nicht mit ihm an. Er ist uns wohlgesonnen."
Jahir ließ das Schwert sinken, betrachtete aber uns, insbesondere mich misstrauisch. Luna schlug nervös mit dem Schweif und hatte den Kopf noch immer hochgerissen.
„Na, kommt erst einmal herein und wärmt euch auf. Eure Pferde könnt ihr am Brunnen anbinden."
Xantor tat, was der alte Einsiedler sagte, und Saphira und ich taten es ihm gleich.
Dann folgte er dem Mann. Jahir wartete und betrat nach uns den schlicht eingerichteten Esszimmerbereich. Er schloss die Tür und stellte sein Schwert daneben. Drinnen an den Herd gedrängt standen noch andere Leute, zwei Frauen und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Die ältere der Frauen lächelte uns an. „Willkommen in unserem bescheidenen Heim. Wollt ihr eine Tasse Tee? Ich habe gerade welchen gekocht", strahlte sie freundlich. Sie hatte ein Tuch auf dem Kopf und eine Schürze um, an dem sie sich die Hände abtrocknete.
„Gerne", meinte Xantor und nickte uns zu, aufmunternd, dass wir dasselbe sagten. Und so taten wir es. Die jüngere Frau zeigte auf eine Eckbank aus Holz. „Setzt euch doch."
Die Kinder betrachteten uns mit großen Augen, wurden dann aber ins Nachbarzimmer geschickt. Jahir nahm auf einem Stuhl Platz, genau wie der bärtige Mann. Die junge Frau murmelte etwas und die ältere nickte. Daraufhin verschwand sie im Nebenzimmer. Während die grauhaarige Frau mit den Lachfalten im Gesicht uns den Tee zubereitete und dann die dampfenden Tassen vor uns auf dem Tisch abstellte, musterte uns der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht uns offen. Jahir dagegen schnitzte an irgendetwas herum und warf uns manchmal einen schiefen Blick zu.
„Entschuldigung für die unhöfliche Begrüßung. In den letzten Tagen kam schon einmal ein Wandersmann vorbei und wollte etwas. Als wir ihm dies nicht geben konnten, wurde er wütend und machte Anstalten, uns anzugreifen. Jahir war gerade auf dem Feld und kam gerade rechtzeitig wieder. Seitdem sind wir misstrauisch gegenüber Fremden.
Xantor nickte. „Verständlich. Wir hätten vermutlich auch so reagiert."
„Pardon, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Benedikt und das ist Helma." Er deutete auf die Frau, die nun lächelnd nickte. „Jahir habt ihr ja schon kennengelernt." Der junge Mann hob nicht einmal den Blick. „Er ist etwas schüchtern, aber durchaus vertrauenswürdig", lachte der alte Mann, und sein Lachen war rau und heiser. „Die Frau im Nebenzimmer heißt Änna und die Kinder Frida und Aleksandar. Wir leben erst seit kurzem hier. Und wie heißt ihr?"
Vorsichtig schlürfte ich an meinem Tee. Er war noch ziemlich heiß.
Xantor blickte nachdenklich zu mir. „Ich bin Mohammed und das meine Enkelinnen Maria und Evalyn. Wir waren noch nie in diesem Gebirge. Das Wetter ist wirklich ungemütlich."
Benedikt nickte heftig. „Vor allem die schnellen Wetterumbrüche. Jahir war gestern auf dem Feld und hat gearbeitet, als plötzlich ein Sturm ohne Vorwarnung hereinbrach und es anfing, wie aus Kübeln zu schütten. Er kam dann völlig durchnässt ins Haus und hat sich erstmal aufgewärmt. Hoffentlich hat sich der arme Junge nichts eingefangen. Wir brauchen doch seine Arbeitskraft."
Schuldbewusst starrte ich auf meine Hände. Ich spürte Jahirs fragenden und Xantors mahnenden Blick. „Ja, das haben wir auch erlebt. Zum Glück haben wir schnell eine Höhle gefunden", meinte er.
Eine Weile herrschte Schweigen über der kleinen Gesellschaft am Tisch und alle tranken nur still ihren Tee.
„Nördlich von diesem Gebirge gibt's eine Festung. Die ist äußerst gut geschützt, dicke Mauern und so. Manche Wanderer, die hier vorbei kommen, gehören wohl dazu. Die sind unfreundlich und gehässig. Aber wir haben noch nie schlechte Erfahrung mit ihnen gemacht. Meist interessieren die sich gar nicht für uns. Aber in der Feste, das sind ganz schlechte Leute. Böse, ja, böse. Ich hab's schon immer gewusst, ja, schon immer", erzählte Benedikt, doch er schien seltsam abwesend, als er das sagte.
„Jetzt übertreib' mal nicht, Bennie. Die sind nur taubstumm und mehr wissen wir nicht über die." Es war Helma, die gesprochen hatte.
„Die führen irgendwas im Schilde", fing Jahir an, das erste Mal, dass er den Blick hob und redete, wobei er fast die ganze Zeit mich anstarrte. „Des Nachts fahren ab und zu schwarze Kutschen hier vorbei. Und Reiter ganz in schwarz gekleidet haben mich schon häufig nach dem Weg ins Tal gefragt, obwohl es hier in diesem Niemandsland ja offensichtlich nur einen Pfad gibt. Das waren seltsame Begegnungen. Und manchmal, auf einem Berggipfel, da sehe ich die Burg. Große Feuer werden dort öfters angezündet, und dann brauen sich da seltsame Stürme zusammen. Ich habe in manchen Momenten das Gefühl, da geht was Übernatürliches vor sich."
Wir alle hatten aufmerksam zugehört. Immerhin bekam man nicht alle Tage die Informationen, die man brauchte, ohne zu fragen. Neugierig blickte ich zu Jahir, der sich nun wieder seinem Stock widmete. Ich war versucht ihn zu fragen, ob er mir den Ort zeigen könnte. Als Jahir meinen Blick bemerkte, bohrten sich seine grünen Augen in meine grauen, bevor ich hastig den Blick auf meine Tasse senkte.
„Aber sicher langweilt das Thema unsere Gäste", lächelte Helma, die sich über den Tisch beugte und uns Tee nachschenkte.
„Nein, nein, das finde ich höchst interessant", wehrte Xantor ab. „Ich habe Ähnliches gehört vom Mann meiner Schwester, als er vor ein paar Wochen geschäftlich bei uns vor Ort war. Aber ich bedaure, ich fürchte, wir müssen los."
Wirklich, man konnte nichts einwenden, Xantor spann eine fabelhafte Geschichte. Hoffentlich verfing er sich nicht irgendwann.
„So so. Schade. Aber naja, vielleicht sehen wir uns ja wieder." Stühle schrammten über die unebenen Holzdielen, als wir uns erhoben. „Jahir wird euch bis zu dem nächsten Dorf begleiten. Wir brauchen sowieso wieder ein paar Nahrungsmittel vom Markt und außerdem kann er euch den schnellsten und sichersten Weg zeigen."
Jahir zog seine Stirn in Falten, anscheinend war er da nicht unbedingt einer Meinung mit ihm. Er beugte sich zu ihm hinunter (er war etwas größer) und flüsterte dem alten Mann etwas ins Ohr. Der winkte aber ab und meinte freundlich zu uns: „Geht doch schon einmal hinaus, wir kommen gleich."
Als ich an Jahir vorbeiging, warf er mir nochmals einen merkwürdigen Blick zu. Seine Gefühle blieben mir aber, wie die ganze Zeit davor, verborgen, was mich sehr irritierte.
Draußen banden wir die Pferde ab und streichelten sie. Diesen Moment nutzte Luna für eine Konversation. Also, dieser Jahir ist mir nicht geheuer. Und jetzt soll der euch auch noch begleiten.
Ach, so schlimm wird das schon nicht, tat ich es mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Mir ist er auch nicht geheuer, aber ich bin ja nicht umsonst domitrix initium.
Ich spürte Lunas Skepsis, als Jahir gefolgt von Benedikt aus der Tür kam. Seine dunklen Augenbrauen hatte er zusammen gezogen und trug jetzt einen langen, braunen Mantel. Außerdem zeichnete sich das Schwert an seinem Bein deutlich ab. Verwundert zog ich die Augenbrauen hoch und wandte mich ab. Jahir ging zur Scheune, zäumte das eine Pony auf und befestigte Säcke auf dem Rücken. Dann band er es ab und zog es hinter sich her, wahrscheinlich in die Richtung des fernen Dorfes. Xantor schloss recht schnell zu ihm auf, dann folgte Saphira und ich bildete das Schlusslicht. Benedikt blickte uns nach, bis wir hinter einer Felsformation verschwunden waren.
Jahir erwies sich als wortkarg und ziemlich brummig während der Wanderung, zumindest in dem, was ich hinten mitbekam. Nach einigen erfolglosen Versuchen, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, gab Xantor es auf und blickte zum Himmel. Bis jetzt war das Wetter noch immer schön, doch laut Benedikt konnte es sehr schnell umschlagen. Außerdem wurde es bald dunkel, wie Xantor uns mitteilte. Jahir erwiderte mürrisch, dass ihm das ebenfalls aufgefallen war, doch ich war mir nicht sicher, ob der grauhaarige Bändiger es gehört hatte.
Diesmal fanden wir wieder keine Höhle, und jetzt konnte ich auch meine Bändigerfähigkeiten nicht einsetzen. Also mussten wir mit einem weiten Felsüberhang Vorlieb nehmen. Xantor meldete sich freiwillig zum Feuer-Machen und ich half ihm dabei. Dann aßen wir schweigend einen Happen, bevor wir uns schlafen legten. Xantor und Saphira drängten sich an die Felswand, um geschützt vor Unwetter zu sein. Jahir legte sich relativ weit an den Rand, er misstraute uns noch immer. Auch ich lag am Rand, um ein Auge auf Jahir haben zu können.
Diese Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Ich sah ein Stückchen des Himmels und beobachtete, wie die Sterne weiter wanderten. Irgendwann hielt ich es im Liegen nicht mehr aus und stand leise auf. Dabei kam ich aber versehentlich an meinen Gleitschirm, der neben mir an die Wand gelehnt war, und er fiel mit einem Knall um. Ich biss die Zähne zusammen, hoffte, dass niemand aufgewacht war. Jahir zuckte im Schlaf, Xantor schnarchte und Saphira drehte sich auf die andere Seite, aber sonst schien alles gut. Vorsichtig, um keinen Stein loszutreten, lief ich nach vorne, wo ein Berghang steil in ein Tal abfiel. In ihm befand sich ein See, der den Himmel spiegelte. Dort gab es einiges grünes Gras, und im Halbdunkel sah ich dort schemenhafte Gestalten. Ich setzte mich auf einen Felsen und blickte nachdenklich in den Himmel. Aarons Feste war gut bewacht, wenn das stimmte, was Benedikt erzählt hatte, und mir war es ein Rätsel, wie wir Caleb befreien sollten. Es war nur zu hoffen, dass Xantor so etwas wie einen Plan hatte. Wenn ich die Festungsanlage doch nur schon einmal sehen könnte, dann ließen sich unsere Chancen besser einschätzen. Ich sah wieder zu dem spiegelglatten Wasser, und hatte auf einmal das Bedürfnis zu bändigen. Mit einer Bewegung meiner Hand spürte ich Wasser unter den Steinen auf und zog es an wie ein Magnet. Ich bändigte es in eine Kugel, indem ich die Hände kreisförmig um das Wasser herum bewegte. Dann blickte ich wie gefesselt in den verzerrten Nachthimmel, den die Kugel widerspiegelte. Das Wasser floss in der Kugel herum, in größeren Strömen, und ich verlor mich in seinem Anblick.
Während ich so gedankenverloren auf dem Felsen saß, bemerkte ich nicht, wie Jahir angelaufen kam.
„Was machst du da?", fragte er etwas vorwurfsvoll und ich warf schuldbewusst die Kugel weg. Mit einem Platsch prallte sie weiter unten auf den Berghang auf und hinterließ dort einen trügerischen, dunklen Fleck.
„Nichts, ich habe nachgedacht. Ich kann nicht schlafen", brachte ich nervös hervor.
Skeptisch betrachtete er mein Gesicht. „Wer bist du?"
Diese Frage erstaunte mich, und ich hätte ihm beinahe meinen richtigen Namen gesagt, entsann mich im selben Moment aber eines Besseren. Ich hörte wieder Xantor, wie er die mahnenden Worte ausgesprach. „Ich heiße Maria. Ich bin die Enkelin von..." Mir fiel auf, dass ich den Decknamen von Xantor nicht mehr wusste und ich stutzte erstmal kurz. „... ihm und bin mit meiner Schwester auf dem Weg zu unserer Großtante." Dabei deutete ich auf die entsprechenden Personen.
Er machte noch immer kein überzeugtes Gesicht. „Ich habe Lichtreflektionen gesehen."
„Ich hab' einen Kristallstein angeguckt, der hier rumlag." Ich zuckte die Schultern und streckte, wie zur Demonstration die Hand zum Boden, um die Steine anzugucken.
Er schüttelte den Kopf und setzte sich in einiger Entfernung hin. „Nein, ein Stein macht nicht solche Lichtreflektionen." Er atmete langsam aus und setzte dann erneut an. „Bist du eine Hexe?"
„Was? Nein!", entgegnete ich entgeistert.
Er musterte mich von der Seite und kniff ein Auge zusammen, weil ihn das Mondlicht blendete. „Ich glaube den ganzen Geschichten über Hexen. Auch wenn du nicht aussiehst, wie ich mir eine Hexe vorstelle." Er senkte den Blick auf seine Hände. „In den Märchen sind sie böse, sie verfluchen und zerstören. Das ist das einzige, was sie gut können."
Leise lachte ich auf. „Kein Wunder, dass sie verbittert sind."
„Wie kommst denn darauf?", fragte er und blickte mich an.
„Wer nur Böses tut, muss verbittert und unzufrieden mit sich und dem Leben sein. Eine normale Person vollbringt auch immer etwas Gutes", erklärte ich.
„Interessante Anschauung", meinte er nur und starrte wieder in den Nachthimmel. Schweigen. „Ich versorge meine Familie. Und was tust du Gutes?"
Verdutzt starrte ich ihn an. Wieder hätte ich fast die Wahrheit gesagt, aber nur, weil ich nichts anderes wusste. Was taten Menschen so Gutes? Ich hob die Achseln. „Keine Ahnung. Ich schätze, ich bin eine schlechte Person."
„Siehst du, das spricht dafür, dass du eine Hexe bist", bemerkte Jahir tadelnd, aber ich hörte sein Grinsen heraus. „Außerdem sagst du immer nur ‚Person', nie ‚Mensch', also bist du kein Mensch. Bestätigt erneut die Hexentheorie."
Wieder lachte ich auf, diesmal ungezwungen und wahrhaftig. „Das ist doch lächerlich." Wie sinnlos dieses Gespräch doch nur war.
„Nein, das ist eine wissenschaftliche Untersuchung." Wichtigtuerisch wedelte er mit dem Zeigefinger durch die Luft.
Ich verdrehte die Augen. „Daran ist nichts wissenschaftlich. Alles basiert lediglich auf meinem Ticks und deinem Aberglaube."
Das Schweigen breitete sich wie ein Schwamm zwischen uns aus. Es wurde immer größer und ich musste mein Gähnen unterdrücken. Die Stille über den Bergen war noch stiller als anderswo, und sie schien noch zerbrechlicher.
„Ich gehe dann mal schlafen", flüsterte ich und schlich wieder zu meinem Nachtlager. Ich sah noch, wie er nachdenklich, fast hilfesuchend zu den Sternen aufschaute, doch nach einiger Zeit stand auch er auf und ging zurück zu seinen Decken. Dann fielen mir die Augen zu.
~~~
Am nächsten Morgen fühlte ich mich sehr müde, wahrscheinlich, weil ich so lange auf gewesen war, doch ich sagte nichts. Jahir musste es ebenso gehen, dachte ich, aber wenn es so war, zeigte er es nicht. Xantor lief sofort los, Ramosch hinterher, dann Jahir und sein Pony, Saphira und Kylla und unmittelbar dahinter Luna und ich. Der alte Mann schlug ein straffes Lauftempo an, bei dem ich nur mit Mühe mithalten konnte. Der Großteil verlief wie gestern schweigend, doch irgendwann begann Jahir ein Gespräch. Keine Ahnung, was er sich dabei dachte oder was seine Hintergedanken waren. Bestimmt hatte er Hintergedanken. Jemand, der so ungesellig war wie Jahir tat dies nur aus einem Grund, nämlich wenn es ihm selbst von Nutzen war.
Schnell schloss ich auf, um noch etwas von dem Gespräch mitzubekommen. Er fragte Xantor über seine Schwester und sonst über alles aus, was uns betraf.
Wir legten eine weite Strecke zurück. Der Weg ging zum Großteil bergab in ein Tal, in dessen Schutz einige Bäume wuchsen. Sogar ein Bächlein plätscherte vor sich hin und an einem Berghang sahen wir ein dunkles Loch klaffen. Eine Höhle. ‚Besser konnte es gar nicht kommen!', dachte ich ausgelassen und reservierte mir schon einen Schlafplatz am Eingang der Höhle, dass ich aufstehen konnte, wenn ich wieder Schwierigkeiten hatte, einzuschlafen, ohne die anderen zu stören. Wir aßen am Lagerfeuer genüsslich, was wir mit hatten, und später stand Xantor auf, um das Wasser aufzufüllen. Jahir schwieg die ganze Zeit eisern. Genau bis dann, als Saphira sich erhob, um etwas zu holen. Ich spürte, dass er seine Neugier nicht unterdrücken konnte. Mit einem abschätzigen Blick musterte ich ihn schnell von der Seite.
„Wer bist du?" Ich hatte das Gefühl, ein Déjà-vu zu haben.
„Willst du unser Gespräch von gestern wirklich nochmal führen?", erkundigte ich mich genervt ohne ihn anzugucken.
Er dagegen starrte mich unverwandt an. „Es beschäftigt mich eben."
Ich verdrehte die Augen. Apathisch starrte ich zur Aue. Es war noch taghell, aber bald würde das Tageslicht schwinden und wir wollten nicht beim Aufstieg rasten. Saphira kam wieder und kurz darauf Xantor. Ich hielt Jahirs unterschwellige Neugier keine Sekunde länger aus, deshalb sprang ich auf und meinte zu Xantor, wenn er mich suche, ich wäre beim Fluss. Damit rannte ich los und spürte Jahirs Blick auf mir.
Als es dunkel wurde, saß ich noch immer am Wasser und starrte Löcher in die Luft. Nebenbei bändigte ich etwas Wasser aus dem Fluss. Ich hatte auf einem kleinen Felsen Platz genommen. Die Steine neben mir sahen aus wie das Gebirge in Kleinformat. Aus Spaß bändigte ich einen winzigen Tornado aus Luft und Wasser. Nach einer Weile wurde es langweilig und ich starrte wieder den Fluss an. Der Tornado fiel in sich zusammen und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem Gestein. Auf einmal kam Jahir zu mir.
„Wir wollen uns schlafen legen, kommst du?", sagte er.
„Ja ja, ich komme gleich."
„Nachts in den Bergen ist es gefährlich", meinte der junge Mann nachdrücklicher.
Ich seufzte. „Ich kann auf mich selbst aufpassen."
„Ein weiteres Argument dafür, dass du eine Hexe bist."
Stöhnend öffnete ich meinen Mantel ein Stück und deutete auf den aufblitzenden Schwertgriff. Dabei schaute ich ihn vielsagend an. „Zufrieden?"
Kritisch flog sein Blick von der Waffe zu meinem Gesicht. „Nein. Komm' mit in die Höhle."
Ich schloss den Mantel wieder und erhob mich. Wahrscheinlich war es einfacher nachzugeben als mit ihm zu diskutieren.
„Was willst du eigentlich hier?", fragte Jahir.
Unberührt starrte ich ihm in die Augen. Er war ein bisschen größer als ich. Dann ging ich wortlos an ihm vorbei.
Er drehte sich stöhnend um. „Ich habe gesehen, wie interessiert du zugehört hast, als es um die Feste ging."
„Ich weiß nicht, wovon du redest", gab ich zurück und marschierte weiter.
Ich hörte, wie Jahir seufzte und mir folgte. „Du bist für mich so lange eine Hexe, bis du mir das Gegenteil beweist."
Abrupt blieb ich stehen. „Und wie stellst du dir das vor?"
Er zuckte die Achseln. „Lass' dir was einfallen!", meinte er und lief in die Höhle.
In der Nacht schlief ich erstaunlich gut, und war am Morgen dementsprechend gut gelaunt und ausgeschlafen. Das Frühstück verlief wieder schweigend, nur Saphira und ich sprachen. Xantor hatte uns irgendwann mitgeteilt, dass sein Deckname Mohammed war und Saphiras Evalyn. Heute hatten wir einen steilen Aufstieg vor uns, und in einem Tagesmarsch fand sich das Dorf, wie Jahir uns mitteilte. Also verlief der Aufstieg keuchend, die Lastentiere traten Steine los, die ins Tal rollten und wir rutschten so manchen Schritt wieder ein Stück zurück auf dem losen Geröll. Aber nach einiger Zeit war auch das geschafft und wir legten die restliche Strecke zum Dorf mit einem lebhaften Gespräch zurück. Jahir schwieg dabei.
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