Kapitel 4

Die Landschaft zieht an mir vorbei. Ich habe meine Stirn an das kühle Glas des Fensters gelehnt, neben mir liegt mein Rucksack. Ich fühle mich super, doch in meinem tiefsten Inneren bleibt hartnäckig ein mulmiges Gefühl zurück. Erschöpft starre ich nach draußen, gerade sausen wir an einer Weide mit grasenden Pferden vorbei. Meine Lider werden immer schwerer, bis ich schließlich ins süße Reich der Träume rutsche. Süß? Ich korrigiere: schrecklich! Selbst in meinen Träumen verfolgt er mich jetzt.
Er rast mit mir die Straße entlang, ich bin ins dreckige Stoff des Autositzes gepresst, ich will schreien, doch ich kann nicht. In Endlosschleife höre ich sein gehässiges Lachen. Dann zischelt er mit bedrohlicher Stimme:„Einmal bist du davongekommen, ein zweites Mal wirst du nicht mehr entfliehen können...!" Im Traum ist meine Stimme wieder da und ich schreie, schreie wie am Spieß.
„Was ist los?", kreischt eine Stimme. Für einen Moment vermischen sich Traum und Realität, dann bin ich wieder da, im echten Leben und der Traum sollte eigentlich nur noch eine ferne Erinnerung sein. Doch das ist nicht so. Ich habe das Gefühl, als sei ich immer noch im Auto des Mannes, habe das Gefühl, ich sei nicht in Sicherheit.
Bist du auch nicht, wirst du nicht mehr sein, nie wieder. Dein Leben lang wird dieses Erlebnis dich verfolgen, du wirst nie wieder ruhig schlafen können, du wirst für immer in Gedanken in jenem verheerenden Auto eingesperrt sein. Und irgendwann, wird alles wieder explodieren. Meine Besserwisser-Stimme, wer denn such sonst. Diesmal nur Besserwisser-Stimme in Horror-Edition.
„Äh, nix, nix, ich hab nur schlecht geträumt...", sage ich entschuldigend.
„Du meine Güte, was hast du mich erschreckt!", keucht Mirella.
„Ups, sorry", entschuldige ich mich.
„Wir sind bald da", verkündet Mirella. Unruhe beschleicht mich. Wo werde ich bloß landen? War dieser verrückte, waghalsige Plan wirklich gut, oder einfach nur lebensmüde? „Was soll da schon schiefgehen, ich übernachte einfach dort und rebelliere gegen die Regeln meines Ex-Gefängnisses, habe etwas Spaß und vergesse wenigstens einmal, ein einziges Mal alles. Einmal einfach nur leben, ohne Rücksicht auf andere, nur wie es mir gefällt", rede ich mir im Stillen gut zu.
„So, hier sind wir auch schon. Da vorne ist das Hotel! Wenn du irgendwelche Fragen hast, du hast ja meine Handynummer. Viel Spaß!", flötet Mirella. Ich schrecke auf. Was? Schon angekommen?!
„Danke für alles Mirella! Das werde ich dir niemals vergessen! Tschüss!", sage ich leicht traurig. Meine Retterin, ob ich sie wohl je wieder sehen werde? Ich schnappe mir meinen Rucksack und öffne die Autotür. Ich schlüpfe heraus.
Etwas verloren stehe ich auf dem Parkplatz. Ich höre, wie Mirella davonfährt und fühle mich plötzlich schrecklich alleine. Ich bin hier irgendwo, ich Dummkopf habe Mirella ja nicht mal gefragt, wo dieser Ort hier liegt oder wie er heißt. Ich betrachte das Hotel. Es sieht freundlich aus. Zögernd nähere ich mich der klobigen, hölzernen Eingangstür. Mit goldenen Lettern steht auf der Tür Hotel Sunshine. Langsam drücke ich die Klinke herunter und wage einen Schritt herein. Ich befinde mich in einer kleinen Eingangshalle. Klein, aber gemütlich. Links von der Tür steht ein Tresen, dahinter steht eine freundlich aussehende Frau mit knallrotem Lippenstift, braunen, schulterlangen Haaren und stechend grünen Augen. „Hallo, möchten Sie ein Zimmer buchen?", fragt sie mich mit einem netten Lächeln. „Äh...ja", stottere ich und nähere mich dem Tresen.
„Wir haben noch einige Zimmer frei, möchten Sie eine Suite, ein Einzelzimmer oder ein Doppelzimmer?"

Wenig später gehe ich mit einem zufriedenen Grinsen die alte Holztreppe hinauf. In meiner Hand halte ich den Schlüssel mit der Zimmernummer 9. Ich habe mir ein Einzelzimmer gebucht und habe mir auch schon einige "Aktivitäten" ausgesucht. Dieses Hotel bietet einen Fitness-Raum, Sauna, kleine Schifffahrten, Segelboot-Kurse, Surf-Kurse und Kletter-Kurse an. Ich hab mir bereits für morgen eine Schifffahrt, für übermorgen einen Segelboot-Kurs,  für in drei Tagen einen Surf-Kurs und für in vier Tagen einen Kletter-Kurs. Die nächsten Tage wären dann schon mal geplant.
Mit einem Hüpfer bewältige ich die letzte Treppenstufe und befinde mich jetzt in einem Gang. „Zimmer 9, wo ist Zimmer 9?", murmele ich. Zimmer 1, Zimmer 2, Zimmer 3...4...5...6...7...8...9!!! Da ist es ja! Eilig schließe ich die Tür auf. Ich blicke in ein kleines, aber feines Zimmer. Großes Doppelbett mit einer hellgelben Decke, ein Kleiderschrank, je ein Nachttisch mit einer großen Nachttischlampe, ein kleines Sofa, ein Mini-Tischchen und ein Fernseher. Direkt bei der Eingangstür ist noch eine Tür, die bestimmt ins Bad führt. Ich schmeiße meinen Rucksack auf das Bett und mich gleich daneben. So ein schönes, kuscheliges Bett, perfekt geeignet für ein kleines Schläfchen... Ich kuschele mich in das weiche Kissen, dass einen leichten Lavendelduft verströmt. Mit dem Gedanken an einen prächtigen Blumengarten drifte ich langsam davon...
Autsch. Irgendetwas ist da ziemlich unbequem. Ich liege auf irgendetwas. Widerwillig öffne ich die Augen. Ups, kein Wunder, ich liege auf dem Rucksack, der übrigens nicht gerade meiner Vorstellung von gemütlich entspricht. Ich rapple mich hoch und angele nach meinem Handy. Es ist bereits 17:53, bald kann ich schon zu Abend essen gehen. Ich schwinge mich aus dem Bett und gehe erst Mal aufs Klo. Das Badezimmer ist auch ziemlich edel. Danach mache ich mich auch schon auf dem Weg nach unten, wo ich das Restaurant des Hotels bereits gesichtet hab. Ich rausche hinein und lasse mich dann auf den Stuhl des erstbesten Tisches fallen.
Ich schnappe mir die Menükarte und suche mir Hähnchen süß-sauer raus.
Ein noch ziemlich junger, vielleicht 18 Jahre alter Kellner kommt angerauscht. Er hat braune Haare, die anormal zu Stacheln gegelt sind und wirkt ziemlich durchtrainiert. Seine Augen sind hellblau und klar. Sie bohren sich in meine.
Er hebt seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Nein, keinem netten Lächeln, wie man es von Kellnern erwarten würde, sondern einem spöttischen Lächeln, als wäre ich ein Stück Dreck, das mal dringend vom Asphalt abgekratzt werden müsste.
„Süße", meinte er und schaute mich herablassend an. „Du sitzt an einem reservierten Tisch. In 20 Minuten kommen die Leute, die den Tisch reserviert haben, also wäre es sehr lieb von dir, wenn du dich an einen Tisch setzen würdest, wo kein Schildchen mit dem Aufdruck 'Reserviert' steht." Verdammt! Ich merke, wie mein Gesicht sich langsam, aber sicher, in das Visage einer Tomate verwandelt. Ich versuche mich zusammenzureißen und suche nach meiner eisigen Stimme, die ich doch sonst immer so zuverlässig benutzen kann! So ein Mist aber auch, alles, was ich jetzt herausbringe, wird heilloses Gestotter sein. Ok, versuchen wir es einfach mit dem majestätischen Abgang. Ich erhebe mich, werfe meine Haare nach hinten und stolziere in Richtung des nächsten Tisches.
Brust raus, Kopf nach oben, Schultern straff, ein Bein vor das andere...
Siegessicher lasse ich mich auf den Stuhl fallen. Wollte ich mich auf den Stuhl fallen lassen, besser gesagt. Mit einem lauten Rumms! lande ich nicht so ganz elegant auf dem harten Boden. Ich Dummkopf war tatsächlich so blöd, mich nicht auf den Stuhl fallen zu lassen, sondern NEBEN den Stuhl! Kann ich jetzt wenigstens nicht elegant in Ohnmacht fallen, wie die Divas in Filmen? Aber nein, natürlich falle ich NICHT in Ohnmacht. „Na, na, Prinzessin, nicht so stürmisch! Da ist der Stuhl, siehst du?", grinst dieser blöde Kellner, der sich köstlich über mich zu amüsieren scheint. „Haha, sehr witzig!", fauche ich kratzbürstig. Applaus, Pippa, wenigstens über deine Stimme bist du wieder Meister!
Mister Herzlos hält mir seine Hand hin, die ich allerdings wegschlage. Den Rest meiner Würde zusammenkratzend, springe ich auf und renne aus dem Restaurant, renne die Treppe hinauf. Ich würde am liebsten vor mir selbst wegrennen. Aber das geht nicht. Leider. Ich fühle mich so dumm, dumm und tollpatschig.
Ich will die Türklinke herunterdrücken, doch da fällt mir siedend heiß ein, dass ich meinen Schlüssel nicht dabei habe.

So, für dieses Kapitel hat sich Pippa definitiv genug blamiert. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Ich würde mich total über einen Kommi oder Vote freuen!❤️<3 Nochmal sorry, dass so lange kein neues Kapitel mehr kam... Deshalb dieses Mal auch ein etwas längeres.😘 1342 Wörter 💖

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