4. Die Beerdigung

Der Tod veränderst Augenscheinlich nichts und doch so viel,
Was der Prinzessin sehr missfiel.


Ganz in Schwarz gekleidet und einem Schleier vor ihrem Gesicht, saß Athena nun in der ersten Reihe auf der kalten schlichten Kirchenbank. Ihr Blick war auf ihre Hände gerichtet. In diesem befand sich ein weißes Taschentuch mit ihren Initialen, welches zitterte. Leicht biss sie sich auf ihre Unterlippe, nur um ein Schluchzen zu vermeiden. Doch ihre Tränen konnte sie nicht Einhalt gebieten. Diese konnte dank des Schleiers niemand sehen.

Sie lauschte den Worten des Pastors und schloss die Augen bei den Liedern. Mitsingen war ihr nicht möglich. Zu sehr schnürte es ihr die Kehle zu. Ihr war bewusst, sie würde ihn, so Gott will, im Himmel wiedersehen und diese Tatsache sollte sie trösten. Sie tat es nicht. Es mag an den Umständen liegen. Denn durch seinen Tod wurde ihr die Freiheit endgültig genommen. Einen Fremden musste sie akzeptieren und wohl oder übel heiraten. Ihr Biss auf ihre Unterlippe wurde fester und ein metallischer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie wollte, dass es endlich vorbei war. Ihr Gemach wäre ein viel besserer Ort. Dort könnte sie einfach nur weinen oder noch besser zu Darius hin, denn dieser würde sie verstehen.

Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Sie spürte den Blick von Dante und hätte gerne seine Hand gespürt. Seine Berührung hätte sie wenigstens ein wenig getröstet. Doch der Anstand untersagte es ihm. Schön, gar nicht in der absoluten Öffentlichkeit. Es würde nur Gerüchte geben und damit dem neuen König Schaden. Sie seufzte leise.

Der neue König … wäre Dante es, so müsste er sich nicht so von ihr fernhalten. Sie selbst empfand zwar nichts für ihn und sah ihn nur als ihren Bruder an. Doch sie kannte ihn wenigstens. Es stand jedoch nicht mehr zur Debatte. Der neue König würde Lance Rosella werden. Dieser saß neben der Prinzessin und beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Sein Blick zeigte keine Anzeichen von Schwäche. Keine Tränen. Kein Zittern seiner Hände. Er sah erhaben und in ausgerichteter Haltung nach vorne. Doch auch er trauerte um den alten König, auch wenn nicht so in dem Ausmaß wie die Prinzessin. Allerdings verdankte er ihm sein Leben. Es war ein Grund mehr über sein Reich zu wachen, seine Tochter zu beschützen und den wertvollsten Schatz zu bewahren.

Als er ihr Seufzen hörte, sah er zu ihr. Schweigend sah er sie an und bemerkte ihre Tränen. Auch das Zittern ihrer Hände blieben nicht unbemerkt. Für einen Moment schien er über seine nächste Handlung zu überlegen. Seine Hand legte er auf ihrer. Sofort sah sie überrascht und verwirrt zu ihm. Ihre erste Reaktion, ihre Hände wegzuziehen, unterdrückte sie sofort. Es wäre im höchsten Maße unhöflich. Wieso machte er dies in aller Öffentlichkeit? Er zeigte damit allen, dass sie sich nahestehen oder Athena zumindest zu ihm gehöre. Doch sie wollte nicht von ihm beansprucht werden oder seine Frau werden. Sie kannte ihn ja nicht einmal und er trauerte nicht um den alten König. So als würde er es sogar gutheißen, dass er nun tot war, denn so könnte er endlich König sein. Sie wollte ihren Vater zurück.

Dennoch taten seine Berührungen gut, auch wenn sie es anders lieber hätte.  Seine Hände waren warm und minderten ein wenig das Zittern ihrer kalten Hände. Als sich die Blicke, der beiden trafen, schien für einen Moment die Zeit stillzustehen. Sie sah die Trauer in seinen Augen. Beschämt wandte sie ihren Blick ab zu ihren Händen und nun auch seiner Hand. Sie hatte ihn zu Unrecht beschuldigt, auch wenn dies nur in ihren Gedanken geschah. Lance drückte leicht ihre Hände. So als würde er damit sagen wollen, dass es in Ordnung war.

Er konnte sich ansatzweise vorstellen, wie schwer das Ganze für sie war. Er war zwar noch nicht lange hier. Durch Berichte von Bediensteten wusste er um ihren Zusammenbruch nach der Bekanntgabe vom Tod ihres Vaters und der Tatsache, dass der Herzog nicht das Erbe antrat. Für Lance selbst war es ein wenig überraschend gewesen, auch wenn er sich nicht beschwerte. Immerhin gab es sonst Kämpfe um die Thronfolge. So war es ihm viel angenehmer.

Sein Blick ging wieder nach vorne. Der Pastor war mit seiner Predigt fertig und forderte die Anwesenden auf, sich zu erheben. So erhob Lance sich zuerst und ließ dabei die Hand der Prinzessin los, ehe er seine Hände vor sich faltete. Die Prinzessin war ebenfalls aufgestanden. Ihre Atmung ging stoßweise und wirkte zunehmend flacher. Lance und auch Dante griffen gleichzeitig um ihre Hüfte, um sie zu stützen, als sie drohte, in sich zusammen zu sacken. Zum Glück hatten die meisten ihre Augen geschlossen und den anderen Adligen war der Blick von den hohen Beamten versperrt. So brach keine unnötige Unruhe aus.

Beide Männer hielten sie schweigend, während sie verzweifelt versuchte, ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch ihre Brust fühlte sich zu eng an. Nun, da der Trauergottesdienst zu Ende ging, war der Tod ihres Vaters für sie mit einmal so klar geworden, dass sie in Panik geriet. Die beiden Männer könnten kaum das Gebiet von dem Pastor folgen, der gerade das Vater unser betete.

"Versucht das Gebet laut mit zu beten, dabei bewusst einatmen und ausatmen." hauchte der zukünftige König an ihrem Ohr.

Sie nickte nur.

"Ich helfe Euch. Einatmen." Flüsterte er weiter. "Unser tägliches Brot gib uns heute."

Er atmete wieder bewusst ein und übte leichten Druck an ihrer Hüfte aus. Dante tat es ihm gleich. Athena bemühte sich, die beiden nachzumachen. Nach und nach beruhigte sich ihr Atem und die Enge in ihrer Brust löste sich ein wenig. "Und vergib uns unsre Schuld." Alle drei atmen gleichzeitig, ehe sie fortfuhren.
"Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Amen."

Lance sowie auch Dante nahmen sogleich den Arm von ihr, nachdem das Gebet beendet war. Athena sah jeden einmal kurz an und nickte als Zeichen ihrer Dankbarkeit. Ihrer Stimme traute sie noch immer nicht so ganz. Sie hatte Angst, dass sie brechen würde oder dass erst gar kein Ton herauskäme. Der Pastor ging vor, gefolgt von den Sargträgern  mit  dem, mit Gold kunstvollen verzierten Sag ihres Vaters.

Danach setzte sich Lance in Bewegung. Für einen Moment hielt er inne und bot Athena seinen Arm an. Athena zögerte und spürte die vielen Blicke, welche nun auf ihr lagen. Den König jetzt abzuweisen, wäre wohl nicht so klug. Außerdem fühlten sich ihre Beine noch immer an wie Wackelpudding. Es käme ihr sogar zugute, denn so könnte er sie unauffällig stützen, ohne dass sie nach außen hin schwach wirkte. So atmete sie tief ein und harkte sich bei ihm ein. Seite an Seite gingen sie den Mittelgang nach draußen. Dante und Ferro gingen direkt hinter ihnen. Wobei Dante die beiden und besonders Lance genau im Auge behielt. Auch wenn er ihn als König akzeptierte, war ihm seine Cousine bei weitem wichtiger. Er würde sich nie verzeihen, wenn sie verletzt werden würde.

Athena versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet. Sie sah nur die Sargträger und den Sag. Eine Schwere legte sich wieder um ihr Herz und breitete sich wie ein Feuer aus. Instinktiv hielt sie sich mehr an den Arm des neuen Königs fest. "Sei meine Kraft, meine Stärke …", murmelte sie immer wieder leise vor sich hin. Es war wichtig, in diesem Moment Stärke zu beweisen. Sie biss sich leicht auf ihre Unterlippe und kam von dem Grab zu stehen. In dessen der Sarg nun versank.

Lance, welcher sie die gesamte Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, blickte sie nun abwartend an. "Wollt Ihr alleine vor oder sollen wir zusammen?" Flüsterte er, nachdem Athena noch immer keine Anstalten machte nach vorne zu treten und ein letztes Mal Abschied zu nehmen. Kurz richteten sich ihre Augen auf ihn, ehe sie wieder zum Grab glitten. Sie hatte Angst und alles weigerte sich in ihr. Einzig ihr Verstand ermahnte sie, nicht zurückzuweichen und zu verdrängen. Es war nicht mehr zu ändern. Jetzt war es an der Zeit, den Tod zu akzeptieren und nach vorne zu blicken. Doch es war so schwer.

Langsam glitt ihr Arm aus seinem. Alles lief für sie in Zeitlupe ab. Mit zittriger Hand ergriff sie die Erde und schmiss sie hinein; danach ließ sie noch eine Rose hineinfallen. Sie bekreuzigte sich und faltete für einen Moment ihre Hände. "Ruhe in Frieden, Vater, Du hast es Dir verdient." Nur mit Mühe trat sie nach diesen Worten zur Seite. Jetzt hieß es nur noch, die Beileidsbekundungen zu überstehen.

Erst als Dante sich auf ihre Seite stellte, wurde sie ein wenig ruhiger. Den Arm von Lance wollte sie vorerst nicht wieder nehmen. Sie fühlte sich, solange sie stand, sicher auf ihren Beinen. Stumm nickte sie jeden einzelnen zu, welcher sich vor ihr und den anderen verbeugte und sein Mitgefühl ausdrückte. Kein einziges Gesicht war zu erkennen, alles war verschwommen.

Erst als ein gewisser Mann vorsprach, hob sie ihren Blick und sah diesen direkt. Diese Stimmte würde sie überall wiedererkennen. Ihr bester Freund Darius. "Eure Hoheiten, mein aufrichtiges Beileid für Euren Verlust." Flüssigkeit bildete sich wieder in ihren Augen. Doch diesmal war es nicht alleine die Trauer, auch Dankbarkeit darüber, dass Darius gekommen war. Der Mann, mit der markanten Narbe im Gesicht, mit den warmen grauen Augen, war nur ihr zuliebe erschienen. Alleinig für die Beerdigung wäre er nicht gekommen; zu groß war sein Unbehagen bei Menschenansammlungen.

Deswegen bedeutete es der Prinzessin sehr viel. Um das Geheimnis zu bewahren, dass sich beide kennen, nickte sie auch ihm nur zu. Doch Darius konnte es trotz des Schleiers deutlich ihre Dankbarkeit sehen. Schon alleine daran, dass sie ihn direkt angesehen hatte. Die anderen schienen es nicht direkt mitbekommen zu haben. So ging Darius weiter und verschwand schlussendlich in den Massen. Nach einer gefühlten Ewigkeit war es vorbei. Athena und die anderen waren erlöst vom Stehen und konnten sich zurück in das Schloss begeben.

Dort angekommen, wollte Athena sogleich auf ihr Zimmer. Raus aus der engen Korsage und sich einfach nur der Trauer hingeben. Sie hatte neben Dante das Schloss betreten und wollte gerade ohne ein Wort die große dunkle Flügeltreppe hinauf. Ihre Hand lag gerade auf dem mit Rosen verzierten Handlauf, als eine bestimmende Stimme sie zum Anhalten zwang.

"Halt! Einen Moment noch, Prinzessin. Denkt an das Bankett in ein paar Stunden zum Gedenken an Euren Vater."

Ihre Augen weiteten sich. Das hatte sie komplett verdrängt. Sie konnte nicht noch eine Veranstaltung überstehen und schon gar nicht ein Bankett mit all den scheinheiligen Adligen. Selbst mit nur normalen Menschen wäre es immer noch eine Zumutung für die junge Frau. Erst recht in ihrem jetzigen emotionalen Zustand.

"Ich werde nicht kommen."

Ehe sie auch nur nachdenken konnte, verließen diese Worte ihren Mund. Im Nachhinein bereute sie es sofort, so direkt zu sein. Erst recht bei dem verärgerten Blick von Lance. Sein Kiefer war angespannt. Seine Schulter straffte sich. Dadurch wirkte er noch beängstigender.  Nun zeichneten sich deutlich seine Muskeln durch seinen pechschwarzen Herrenrock aus Seide ab. Er atmete tief ein und aus. Die Anspannung verschwand nicht.

"Ihr werdet erscheinen. Es ist Eure Pflicht. Immerhin werdet ihr zukünftig als Königin an meiner Seite stehen."

"Nein", erwiderte Athena schlagartig und hielt seinen ermahnenden Blick stand. Er hatte kein Recht, sie so herum zu kommandieren. Alle von ihren Leuten würden es verstehen, wenn sie fernblieb. Nur er hatte sich da so. Lance könnte dieses Nein nicht akzeptieren. Auch wenn er ihren Mut, ihm so entgegenzutreten, bewunderte. Sonst tat dies nur Ferro. Dies ändert aber nichts an seiner Meinung, dass sie dort erscheinen musste.

"Ihr werdet erscheinen. Keine Widerrede mehr!"

"Tzz …"

Mit einer eleganten Bewegung drehte sie sich um und verschwand stampfend die Treppe hinauf in ihren Gemächern.  Nicht mit der Absicht, heute nochmal herunterzukommen. Zumindest zu keinem Menschen überfüllten Bankett. Da konnte Lance noch so einen Aufstand machen. Dieser sah ihr nach und schnaufte.

"Sorge dafür, dass sie erscheint", wies er sogleich Dante an. Dieser nickte und verbeugte sich leicht. "Wie ihr wünscht. Doch jetzt entschuldigt mich." Lance nickte und entließ ihn so, in der Hoffnung, der Herzog würde Wort halten. Er selbst und seine rechte Hand gingen in das Arbeitszimmer des damaligen Königs, um die Unterlagen durchzustehen.

(2027 Wörter)

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