Kapitel 21 (Teil 1)

Kapitel 21

Erschöpft seufzte Killian kurz, als er auf den Rücken des Mannes, der den Thronsaal gerade verließ, blickte.

Seit der Krönung waren nun ein paar Tage vergangen und die meiste Zeit verbrachte er seither mit Audienzen. Andere von seinen Aufgaben, kamen derzeit zu kurz und auch wenn ihm bewusst war, dass es offensichtlich großen Bedarf an Audienzen gab, so blieben die anderen wichtigen Dinge liegen, um die er sich zu einem späteren Zeitpunkt kümmern dürfte. Hinzu kam, dass er seit dem Fest mit Aidan kaum ein Wort gewechselt hatte. Dieser wich ihm ständig aus und schien sich mehr und mehr zu distanzieren. Sobald er ihn ansprach, hatte er einen Vorwand, warum er sich nicht lange mit ihm unterhalten konnte. Den Grund für dieses Verhalten wusste Killian nicht und ebenso wenig hatte er eine Vermutung, woran es liegen könnte.

Leider musste der junge König dieses Verhalten akzeptieren, ohne etwas dagegen zu unternehmen, so sehr er sich auch nach ein wenig mehr Nähe zu seinem Liebsten sehnte. Auch wenn sie sich beide meist bei den Audienzen sahen, so konnte Killian ihn nie rechtzeitig davon abhalten, sofort nach Beendigung dieser aus dem Raum zu eilen. In den Nächten hingegen wollte er Amalia nach den Unruhen noch immer nicht alleine lassen. Nach Aidan in solchen Momenten schicken zu lassen erschien ihm ebenso falsch, immerhin wollte er ihn zu nichts zwingen oder zu aufdringlich sein und vielleicht brauchte sein Liebster ja auch nur ein klein wenig Abstand nach den Unruhen. Auch er würde sich sicherlich mehr Gedanken darum machen und dies wollte er womöglich lieber alleine tun.

Killian atmete noch einmal tief durch, bevor er einer der Wachen deutete, dass der nächste aus dem Volk in den Saal treten durfte, um sein Anliegen zu erläutern.

Er war froh, dass er nun auch das kleine Volk anhören konnte. Die ersten Tage hatte er ausschließlich mit Adeligen gesprochen, so hatten es die alten Berater bereits im Vorfeld besprochen. Natürlich nahm Killian auch deren Anliegen ernst, jedoch empfand er viele Probleme der einfachen Leute doch als dringender, weshalb er nun eher das Gefühl hatte etwas Wichtiges zu tun und vor allem auch bewirken zu können.

Schließlich betrat ein junges Mädchen ein wenig eingeschüchtert den Saal und trat auf den Thron zu, auf welchem Killian bereits am Morgen Platz genommen hatte. Sie trug ein schlichtes braunes Kleid aus grobem Stoff, ihr Haar hatte sie zurückgebunden und trotzdem fielen ihr so einige Strähnen wirr ins Gesicht. Vielleicht mochte sie gerade mal um die 12 Jahre alt sein.

Als sie vor ihm zum Stehen kam, schwieg sie und sah nur ihre Füße an, weshalb Toran, der während der Audienzen stets an Killians Seite stand, sie ruhig darum bat zu sprechen.

Unsicher sah sie auf und blickte den anwesenden ins Gesicht, bis ihr scheinbar bewusst wurde, dass auch der König unter ihnen war. Ein wenig stolpernd machte sie einen ungeübten Knicks und begann leise zu sprechen. „Mein König, ich möchte im Namen meiner Familie um Unterstützung auf unserem Hof bitten." Nach diesen Worten zog sie auch bereits ihre Schultern hoch und ihr Blick ging wieder gen Boden. Sie schien offensichtlich mit einer Ablehnung ihrer Bitte zu rechnen, wenn nicht sogar schlimmerem.

Beruhigend lächelnd lehnte Killian sich ein wenig vor. Diese Reaktion der Menschen war ihm inzwischen nicht mehr fremd. Es musste den Leuten wirklich schwerfallen ihn aufzusuchen, da sie alle Angst vor der Reaktion des Königs hatten. Vielmehr war es wohl die Reaktion des alten Königs, der lieber Strafen statt Hilfe ausgeteilt hatte.

„Erzähl, weshalb ihr Hilfe braucht", forderte Killian das Mädchen auf, weshalb sie aufzuhorchen schien und ihre Schultern langsam wieder sinken ließ.

„Mein... mein Vater ist hingerichtet worden und meine Mutter erkrankt", begann sie vorsichtig und als sie bemerkte, dass Killian nach wie vor zuhörte, ohne wütend auszusehen, sprach sie weiter. „In diesem Jahr war die Ernte schlecht und einen Teil konnten wir nicht rechtzeitig abernten, weshalb er noch auf dem Feld vergammelte. Wir bereiten nun alles für den Winter vor, liegen damit aber weit zurück. Meine Geschwister und ich schaffen es nicht alleine rechtzeitig fertig zu werden."

Killian nickte verstehend. Das Mädchen war längst nicht die Erste, die mit diesem oder einem ähnlichen Anliegen zu ihm kam.

„Ihr werdet Unterstützung auf dem Hof erhalten", sicherte er ihr zu und sah sich nach einem der Bediensteten um, der sich um solche Angelegenheiten kümmerte. Dieser trat auch sofort einen Schritt vor und Killian deutete mit seiner Hand auf ihn. „Er wird mit dir alles Weitere besprechen."

Das Mädchen sah ihn kurz sprachlos an, bevor sie sich mehr als glücklich bei ihm bedankte und erneut in einen ungelenken Knicks fiel. Dann eilte sie dem Bediensteten bereits entgegen, welcher sie hinausführt, um dort mit ihre die Angelegenheit zu besprechen.

Es gefiel Killian natürlich den Menschen auf diese Art und Weise eine Freude machen zu können, jedoch fand er es traurig, dass es überhaupt erst zu solchen Situationen kommen musste. „Wie viele Bauernfamilien gibt es, deren Familienoberhaupt hingerichtet worden ist?", fragte er daher und wandte sein Gesicht langsam Travis zu.

Dieser räusperte sich kurz, als er verstand, dass die Frage ihm galt. „Es war die gängigste Methode des verstorbenen Königs die Menschen hinzurichten, sollten sie eine Steuerschuld aufgebaut haben."

Es erschreckte den jungen König nicht einmal richtig dies zu hören, denn es schien so, dass die Hinrichtung nicht nur für solche Vergehen gerne eingesetzt worden war, sondern für fast jedes. „Wie hoch musste die Schuld dafür gewesen sein?", fragte er weiter und wusste von vornherein, dass ihm die Antwort wohl kaum gefallen würde.

„Ein Kupferstück reichte bereits", sagte der ehemalige Stellvertreter des Königs und verzog dabei keine Miene. Entweder dies war ein weiterer Punkt, indem sich ein gewisses Desinteresse entwickelt hatte oder aber er war es schon viel zu lange gewöhnt gewesen, als dass es ihn selbst noch nennenswert berührt hätte.

Killian versuchte nicht weiter auf das Gehörte in Gedanken einzugehen. Er würde wohl nicht so schnell verstehen, was in dem ehemaligen König vor sich ging. „Und zudem Zeitpunkt der Hinrichtung ist der komplette Besitz des Schuldners bereits verpfändet worden?"

„Auf den Besitz wurde fast nie zurückgegriffen. Zumindest war dies so in den letzten Jahren. Bevor die Hinrichtung vermehrt eingesetzt worden war, wurde mehr verpfändet, allerdings begann der König die Menschen härter zu bestrafen, damit sie als abschreckendes Beispiel für andere galten."

Killian überraschte die Antwort. Nicht ihr Inhalt, viel mehr, dass Travis so viel preisgab. Er war es inzwischen gewohnt, dass er dem Berater viele Informationen einzeln entlocken musste. Nichtsdestotrotz realisierte er nun immer mehr, das gehörte, auch wenn er zunächst versucht hatte nicht genau darüber nachzudenken. Er war schlichtweg schockiert, immer wieder aufs Neue. Wie hatte der ehemalige König so gnadenlos regieren können, ohne dass ihm Einhalt geboten worden war?

Zudem war es ihm schleierhaft, wie man die Anwärter derart hat abschirmen können, von dem was im Königreich passierte. Hätten sie schon vorher von derart vielen Hinrichtungen und der kompromisslosen Art des Königs gehört, dann hätten sie zwar nichts daran ändern können, doch dann würden er und seine Berater nun nicht ohne dieses Wissen dastehen. Sie hätten sich bereits im Vorfeld Gedanken machen können, wie nun mit der Situation, mit dem unzufriedenen Volk, richtig umgegangen werden könnte.

Kurzerhand gab er der Wache ein Zeichen, dass die nächste Person mit einem Anliegen eintreten sollte. Für den Moment hatte er erst einmal wieder genug von den Handlungen des alten Königs gehört. Stattdessen konzentrierte er sich nun auf einen älteren Mann, der vor ihn getreten war. Sein äußeres Erscheinungsbild war wesentlich schlechter als das, von dem Mädchen eben. Seine Kleidung war teilweise zerrissen und verdreckt. Außerdem schien er nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Jedoch blieb dieser Mann nicht einfach nur vor ihm stehen und verbeugte sich respektvoll, so wie es bereits zahlreiche Menschen zuvor getan hatten, nein, er ging direkt auf die Knie.

„Bitte verzeiht mir mein König!", jammerte er direkt und senkte seinen Kopf, um Killian nicht ansehen zu müssen. „Ich bitte Euch mein Leben zu verschonen, ich muss mich um meine Enkel kümmern!"

Der junge König atmete kurz durch und straffte seinen Rücken ein wenig. Auch diese Bitte hörte er nicht zum ersten Mal, trotzdem war es für ihn kein angenehmes Gefühl einen Menschen derart in Angst zu versetzen, vor allem dann nicht, wenn er den Grund dafür nicht einmal kannte.

„Aus welchem Grund sollte ich Euch hinrichten lassen wollen?", fragte er daher und hoffte, dass der Mann vor ihm nicht derart an seiner Bitte festhielt, dass er nicht dazu imstande war, auf eine weitere Frage antworten zu können, so, wie er es bereits bei anderen Menschen erlebt hatte. Zu groß war bei ihnen die Angst gewesen, für etwas hingerichtet zu werden, weshalb sie einfach nur bei ihrer anfänglichen Aussage geblieben waren.

„Ich werde die kommenden Steuerzahlungen nicht vollständig leisten können", sprach der alte Mann mit unveränderter Körperhaltung. „Die Ernte... sie ist so schlecht ausgefallen in diesem Jahr."

Innerlich seufzte Killian auf. Wieder war ein Mensch von der geringen Ernte betroffen. Er würde sich schnellstmöglich über die Erträge dieses Jahres informieren müssen, da die alten Berater dies noch nicht von alleine getan hatten. Sollte die Situation so ernst sein, wie er es inzwischen einschätzte, so würden einige Menschen über den Winter Hungerleiden. Wenn sie dies vermeiden wollten, müssten sie womöglich Getreide noch zusätzlich von woanders beziehen. Wie die Ernten andernorts ausgefallen waren, wusste Killian jedoch auch noch nicht.

„Wie hoch wird Eure Schuld voraussichtlich ausfallen?", fragte er schließlich und hoffte eine nicht allzu hohe Zahl zu hören.

„2 Silbertaler, mein König", sprach der alte Mann mit leiser werdender Stimme.

Kurz überlegte Killian, bis er eine Entscheidung getroffen hatte. „Ich weiß um die schlechte Ernte, weshalb ich Euch einen Aufschub gewähre. Ihr werdet Eure Schuld begleichen, sobald Euch dies möglich ist, spätestens jedoch mit der nächsten Ernte."

Sprachlos sah der vor ihm kniende Mann nun auf. Er wollte etwas erwidern, doch kein Wort verließ seinen Mund, bis er schließlich in Tränen ausbrach und sich anfing zu bedanken. Zusätzlich beugte er sich wieder nach vorne, soweit, dass er mit seiner Stirn den Boden berührte.

Als er sich beruhigte, rappelte er sich mit zitternden Knien wieder auf die Füße hoch. Ob dies nun den starken Emotionen oder aber der ungewohnten Haltung in Kombination mit seinem hohen Alter zu verschulden war, wusste Killian nicht, doch er war erleichtert, als der Mann vor ihm schließlich einen halbwegs sicheren Stand hatte und sich unter weiterem bedanken von ihm abwandte und den Saal wieder verließ.

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