Kapitel 35
Am Abend spielte ich wie gehabt Klavier in der Bar. Auch heute regte mich die sanfte Melodie, die ich zauberte, zum Nachdenken an. Abigail und Finley... Ich weiß, ich hatte in deren Beziehung nichts zu suchen, aber ihre Pläne machten mich nervös - nicht etwa, weil ich etwas dagegen hatte, sondern weil die Dinge, über die sie nachdachten, so alltäglich waren. Und an was dachte ich? An eine psychich gespaltene Persönlichkeit aus dem Meer, an das geheime Leben meiner großen Schwester, die gar nicht meine Schwester war, und an fünf Jugendliche, die in einer Höhle wohnten. Es war alles so viel. Zu viel für meinen Geschmack.
"Hi." Ich zuckte zusammen, als ich bemerkte, dass Dean neben mir Platz genommen hatte. Die nächsten beiden Töne vermasselte ich mächtig, ehe ich mich wieder fing und mich auf die Noten konzentrierte. Dean kicherte vergnügt. "Warum so schreckhaft, Schwesterchen?" Er nahm einen Schluck von seiner Cola und ich widerstand dem Drang, ihn anzuschauen - ich musste mich darauf konzentrieren, nicht noch mehr Töne in den Sand zu setzen. "Ich hatte nicht mit dir gerechnet", sagte ich nüchtern. Dean stellte sein Glas auf der Oberfläche des Flügels ab, ehe er sich wieder an mich wandte. "Ich habe Neuigkeiten für dich." Ich hob neugierig eine Augenbraue. "Tatsächlich?" "Ja." Dean legte seinen Arm um meine Schulter, sodass ich sein Deo riechen konnte. Es roch nach etwas schwerem, süßem, unverkennbar männlichem. Ein bisschen zu hastig brachte ich die letzten beiden Takte des Stückes hinter mich, dann ließ ich das Klavier verstummen. Das Stimmengewirr der Leute schwoll an. "Drei mal darfst du raten", sagte Dean. Inzwischen war auch Jenson aufgetaucht, der sich links neben mir auf den Hocker quetschte und ebenfalls seinen Arm um mich legte. Ich kam mir vor wie in einer Schlinge aus herrlich duftenden Seilen. "Hast du es ihr schon erzählt?", sagte Jenson zu Dean, der nur den Kopf schüttelte. "Sie darf drei Mal raten." "Kommt schon, Leute. Das ist nicht fair", protestierte ich, aber meine Brüder lachten bloß und machten keine Anstalten, die Katze aus dem Sack zu lassen. "Wir haben im Lotto gewonnen?", legte ich willkürlich los. Dean und Jenson warfen sich einen Blick zu, dann schüttelten sie beide den Kopf. Ich blies resigniert die Backen auf - in letzter Zeit hatte ich wirklich genug Rätsel gehabt. "Äh, keine Ahnung." Ich versuchte, mich im Nacken zu kratzen, aber die Arme meiner Brüder versperrten den Weg dorthin. "Komm schon, Holly", sagte Dean und knuffte mich freundschaftlich in die Seite. "Du bist doch so gut im Knobeln. Das hast du eindeutig von Ruby. Ihr habt beide Rätsel geliebt." Mein Hals wurde eng. Ich konnte es nicht von Ruby haben, höchstens von Poppy. Aber ich schwieg und grübelte weiter, was meine Brüder meinen konnten. "Sind es gute oder schlechte Neuigkeiten?", wollte ich schließlich wissen. "Gute", sagten sie beide aus einem Mund. Okay... "Port Isaac wird zerstört?" Heftiges Kopfschütteln von beiden Seiten. "Sie ist doch völlig durch den Wind", sagte Jenson zu Dean. "So bekommt sie es niemals raus. Lassen wir die Katze aus dem Sack." "Na gut", willigte Dean widerstrebend ein. "Holly, Mum und Dad haben uns angeboten, nächste Woche zu Grandma Catherine und Grandpa Harry nach Gloucestershire zu fahren. Die ganze Woche! Carol, Zoey und Daniel werden auch da sein. Ist das nicht cool?" Ich blinzelte, weil ich nicht ganz mitkam. "Wie jetzt?" Ich nahm mir das Glas vom Flügel, ganz gleich, ob es Dean gehörte, und nahm einen großen Schluck. Wir würden wegfahren? Nach Gloucestershire? Die ganze nächste Woche? Gott möge mich davor bewahren! Ich hatte keine Zeit für ein Cousinentreffen bei unseren Großeltern, ich hatte ein riesiges, dreckiges Geheimnis zu lüften! Ich konnte jetzt nicht weg. "Grandpa hat schon ein Cricketfeld aufgesprüht." Jensons scharf geschnittene Wangen glühten vor Begeisterung, aber ich konnte mich der allgemeinen Freude leider nicht anschließen. "Und... und was habt ihr gesagt?", fragte ich atemlos, obwohl ich die Antwort längst kannte. "Wir haben natürlich 'ja' gesagt, was denkst du denn?", lachte Dean direkt in mein Ohr. Ich schloss für drei Sekunden die Augen, in der Hoffnung, beim Öffnen aus einem Traum zu erwachen, doch es war kein Traum. Ich hatte Grandma Catherine und Grandpa Harry sehr gern und Carol und Zoey waren genau mein Alter und hatten einen herrlichen Sinn für Humor, aber das hieß noch lange nicht, dass ich jetzt weg wollte. Jetzt erst recht nicht. Ich weiß, diese Woche in Gloucestershire war wie ein Geschenk von Mum und Dad - immerhin hatten wir eine Woche Urlaub. Und ich muss offen zugeben, auf das Hotel konnte ich gerne sieben Tage verzichten, aber auf den Rest eben nicht. Mir saß die Zeit ohnehin schon im Nacken, weil ich das Ganze bis zum Schulanfang gerne geklärt hätte, und jetzt sollte ich auch noch Pause machen? Jenson und Dean hatten inzwischen auch bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. "Freust du dich gar nicht?", fragte Jenson mit gerunzelter Stirn. Ich holte scharf Luft. Ich musste lügen, wenn ich mich nicht verdächtig machen wollte. Alles andere wäre auffällig. Sie mussten unbedingt glauben, dass ich mich genauso freute wie sie. "Doch, klar", log ich, ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich wundere mich nur, dass es so plötzlich kam. Normalerweise lassen Mum und Dad uns während der Hochsaison nicht gerne weg." Ich drehte mich zu Jenson um. "Was ist mit deinem Schwimmtraining?" Er zuckte mit den Schultern, während er mit dem Papierschirmchen in seinem Cocktail spielte. "Das kann auch mal eine Woche warten. Ich verpasse auch keinen Wettkampf." "Oh." Das war alles, was mir dazu einfiel. Dean drückte noch einmal meine Schulter, ehe er aufstand und sich durch die Haare fuhr. "Ich muss wieder hinter die Theke. Spiel weiter, Holly. Das hört sich gut an." Er lächelte mir zu und ich lächelte schwach zurück. Jenson erhob sich ebenfalls von dem Hocker. "Na, dann, Kleine. Wir fahren übermorgen. Alles andere klären wir morgen früh mit Mum und Dad." Er zerwuschelte meine Haare, obwohl er genau wusste, dass ich diese Geste hasste, und verschwand dann aus der Bar. Na toll. Übermorgen würde ich weg sein. Das klang ja richtig verlockend.
Übermorgen entpuppte sich allerdings als morgen, als ich kurz vor Mitternacht in unsere Küche schlurfte, um mir ein Glas Wasser zu holen. Mum und Dad saßen mit meinen Brüdern am Tisch und legten eine Liste an, was alles eingepackt werden musste - wie im Kindergarten. Ich konnte meine schlechte Laune wirkich nur sehr schlecht verbergen. "Wir haben uns vertan", grinste Jenson. "Wir fahren morgen schon. Von Mittwoch bis Mittwoch." Alles klar. Im Kopf rechnete ich nach, wie lange mir dann noch bleiben würde, um Rubys Geheimnis zu lüften. Es waren schmerzhaft kurze anderthalb Wochen, die bei meiner Rechnung rauskamen. Ach, scheiße. "Das ist cool", sagte ich matt, während ich mich zum Kühlschrank umdrehte, damit sie mein aufgelöstes Gesicht nicht sehen konnten. "Wir bringen euch um acht zum Zug", sagte Dad. "Du musst also heute noch packen. Willst du auch eine Liste mitnehmen?" Gott, das ging mir alles zu schnell. Erst übermorgen, dann morgen, und jetzt kam es mir vor wie heute. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, danke. Ich schaffe das." Mit den Worten nahm ich mir eine Wasserflasche und machte mich unter dem Vorwand, noch etwas schlafen zu wollen, auf den Weg in mein Zimmer, wo mich erschreckenderweise ein ungebetener Gast erwartete. Ich konnte einen schrillen Aufschrei gerade noch verhindern, als ich Nathan auf meinem Bett liegen sah. Er hatte sich dort ausgebreitet und alle viere von sich gestreckt - das Fenster stand sperrangelweit offen. "Zieh wenigstens deine Schuhe aus, wenn du einfach in mein Bett steigst", sagte ich, während ich rasch das Fenster schloss, um eine Massenattacke von Mücken zu verhindern. Dann wuchtete ich meine beige-farbene Reisetasche mit den braunen Lederhenkeln vom Schrank. Ob ich Besuch hatte oder nicht, die Sachen für Gloucestershire mussten gepackt werden. Außerdem war ich Nathan immer noch wütend gestimmt, er konnte sich also gerne noch ein wenig ignoriert vorkommen. "Ich dachte, ich komme mal vorbei und rede ein bisschen über die Sache mit Ruby", lallte er vom Bett aus. Ich sah verwundert auf. Nathan hatte den Kopf seitlich auf die linke Hand gestützt, um mich ansehen zu können, aber so schlaff wie seine Lider waren, fragte ich mich, ob er überhaupt irgendetwas sah. "Du bist betrunken", stellte ich fest. Nathan hickste bestätigend. "Ich musste mir Mut antrinken." Seine Wörter verschluckten einander so sehr, dass es ein Wunder war, dass ich ihn überhaupt verstand. Seufzend beförderte ich einen Wochensatz Unterwäsche in meine Reisetasche. "Du bist doch bescheuert." Nathans Kopf fiel von seiner Hand, aber er wuchtete ihn gleich wieder drauf. "Sag sowas nicht", nuschelte er in seinen Ärmel. Ich machte mich an meinen Hosen zu schaffen. "Was willst du mir denn sagen?", fragte ich, obwohl ich bezweifelte, dass er mir heute in dem Zustand noch hilfreich werden konnte - zumal ich ja morgen um acht eh im Zug sitzen würde. "Ich weiß, wo Ruby ihre Geheimni - icks! - sse aufbewahrt." Er warf mir einen eigenartigen Blick zu. "Sie hat mit mir nisst über Gehemnsse gesprochen, aber ssie hat gesagt, wo sie sind." Im Laufe des Gespräches wurde seine Aussprache immer undeutlicher, was meine Vermutung, dass er nicht einmal wusste, wovon er sprach, nur bestätigte. Ich tat trotzdem so, als ob ich ihn ernst nehmen würde. Keine Ahnung, wie man sonst mit Betrunkenen umgehen soll. "Und wo?", sagte ich, während ich sieben Paar Socken aus meiner Kommode fischte. Nathan beobachtete jede meiner Bewegungen sehr genau. "In so 'ner Höhle." Er ließ seinen Kopf ins Kissen fallen. Anscheind wurde es ihm zu schwer, ihn die ganze Zeit zu halten. In einer Höhle - bestimmt. Jetzt musste ich ihn nur noch nach der entsprechenden Schatzkarte fragen und mich auf eine abenteuerische Piratenreise begeben. Das wurde doch nie was. Jedenfalls nicht so. "Wofür packssu überhaupt?", lallte Nathan. "Ziehst du aus?" "Psst!" Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Und nein - ich fahre nur eine Woche zu meinen Großeltern auf's Land." "Oh", machte Nathan, dann brach er in hysterisches Kichern aus. Ich ging einfach mal nicht davon aus, dass es etwas mit mir zu tun hatte. "In einer Höhle, sagst du also", unterbrach ich sein Gelächter. Nathan verstummte augenblicklich. "Ja", sagte er voller Inbrunst, so, wie Besoffene eben reden, wenn sie der festen Überzeugung sind, dass das, was sie faseln, einen Sinn ergibt. Ich seufzte abermals. "Nathan - in welcher Höhle?" Ich kroch ans Bett, um Blickkontakt mit ihm aufnehmen zu können - vielleicht brachte das ja was. Er blinzelte verschlafen. Wetten, dass er mich dreifach vor sich sah? Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann rülpste er mir mit Schmackes ins Gesicht, und es kam mir vor, als könnte ich jedes Getränk einzeln in dieser Fahne riechen. Mit rebellierendem Magen sprang ich einen Schritt zurück. "Zier dich nich' sso", nuschelte Nathan gegen mein Laken - ich würde Mum bitten, mein Bett neu zu beziehen. "Aber das ist ekelig", sagte ich zu meiner Verteidigung. Als Nathan nur verständnislos zu mir hoch blickte, schlug ich meinen Baby-Ton an. "Pfui. Ganz Pfui. Verstehst du?" Ehe er jedoch etwas erwidern konnte, klopfte es an meiner Zimmertür. "Holly?" Es war Deans Stimme, die durch das Holz drang. Verdammt. Ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht vor Resignation aufzuschreien, und gab Nathan ein Handzeichen, er solle verschwinden. Doch er blieb einfach liegen. Na toll. Und jetzt? "Ja?", rief ich der Tür hilflos entgegen. Meine Handinnenflächen fingen zu schwitzen an. "Kann ich reinkommen?" Die Türklinke drückte sich bereits nach unten. "Nein!", kreischte ich entsetzt, ehe ich mich zurückhalten konnte. Die Klinke ploppte zurück. "Ich...", stammelte ich, während ich Nathan an den Füßen packte und von meinem Bett zog. Zum Glück fing er sich in letzter Sekunde, sonst hätte es einen ganz schönen Knall gegeben. Mir stieg der Schweiß in die Stirn. Was nun? "Ich ziehe mich gerade um, Dean." Ich wischte mir mit beiden Händen übers Gesicht und schloss für zwei Sekunden meine Augen. Nathan rappelte sich mehr schlecht als recht vom Boden auf; er hatte jegliche Orientierung verloren. "Wo bin-", setzte er an, doch ich drückte ihm meine Hand auf den Mund. Gott, der Junge war so hirnlos, wenn er getrunken hatte! "Jetzt nicht, Dean", versuchte ich, die Lage zu retten. Aber mein Bruder ließ nicht locker. "Ich hab dich schon so oft so gesehen, wie Gott dich schuf. Außerdem - was war das für ein Geräusch?" Ich hielt die Luft an, dann täuschte ich ein Husten vor. "Hab mich verschluckt!" Ich packte Nathan, der sich gerade im Nacken kratzen wollte, beim Kragen, und zerrte ihn zum Fenster. Ich bewergstelligte es irgendwie, es mit dem Ellbogen aufzustemmen, sodass ich ihn bäuchlings über das Sims schieben konnte. Er protestierte zwar, aber meine Hand verschluckte jeden seiner Laute. Zum Glück konnte er sich nicht wehren. "Holly, ich komm jetzt rein", verkündete Dean von der anderen Seite der Tür aus. Ich biss die Zähne zusammen, als ich Nathan den letzten Hieb gab. Genau in dem Moment, in dem mein Bruder hereinspaziert kam, hörte ich draußen einen dumpfen Aufprall gefolgt von Nathans Fluchen. Aufatmend schloss ich mein Fenster und zog die Gardinen zu. Wenigstens ein Timing war perfekt. "Du bist ja noch angezogen." Dean kratzte sich verblüfft hinterm Ohr. "Ja, weißt du, ich hatte gerade das Top aus, als du geklopft hast. Ich hab's einfach schnell wieder übergezogen." Mein Bruder sah mich an, als glaube er mir kein Wort. "Bilde ich mir das ein, oder benimmst du dich eigenartig?" Ich winkte ab. "Das ist ganz normal." "Das beantwortet jetzt zwar meine Frage nicht - aber gut zu wissen." Dean machte einen Schritt auf mich zu, um mich nicht gerade sanft am Arm zu packen. "Was ist los mit dir?" "Nichts", sagte ich, während ich mich aus seinem Griff befreite. Dann ging ich zu meiner Reisetasche, um weiterzupacken, als sei nichts gewesen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Du verheimlichst mir doch was." "Hör auf zu spinnen und geh packen", ging ich seinen Andeutungen aus dem Weg. Dean schnaubte nur verächtlich. "Meine Klamotten können warten." "Es ist schon spät." Ich schenkte ihm ein knappes Lächeln. "Du solltest schlafen gehen." "Ich bin kein Kleinkind mehr", entgegnete Dean, dem es mächtig gegen den Strich zu gehen schien, dass ich nicht im Ansatz auf ihn einging. Ich konnte es mir trotzdem nicht verkneifen, spöttisch eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen. "Bist du dir da sicher? Die Liste, die du zum packen brauchst, sagt da was ganz anderes." Der hatte gesessen. Mein Bruder verdrehte die Augen und ich hatte die Lorbeeren eingesackt. Nicht dass ich stolz darauf wäre, jeden hier mit meinen gereizten Nerven zu belasten - aber bitte, er hatte angefangen. "War noch was?", fragte ich, als von ihm nichts mehr kam. Dean schüttelte nachdenklich mit dem Kopf. "Das kann warten."
Ich träumte dasvon, dass ich mit Carol, Zoey und Grandma Catherine Limonade machte, während die Jungs mit einer Armee an Wassermädchen Cricket auf dem großen Rasen hinterm Haus spielten. Mitten in der Küche stand Rubys Grabstein mit dem bemossten Mamorengel - warum auch immer - und die kleine Kirby lief mit wütenden Schritten darum herum. "Ich will Isabel", schrie sie immer wieder. Grandma Catherine gab ihr zur Beruhigung ein Glas Limo, doch als Kirby es ausgetrunken hatte, fiel sie tot um. Kreischend stürzte ich auf sie zu. "Grandma!" Ich sah zu Catherine auf, doch Tränen versperrten meine Sicht. "Was hast du getan?" Ich nahm Kirbys Handgelenk ziwschen die Finger, um ihren Puls zu spüren - es war keiner da. Ich keuchte auf. "Das, was sie in Port Isaac immer mit solchen Fällen machen", sagte Grandma Catherine schulterzuckend, während sie eine große Kanne Limonade für die Jungs einschüttete. Sie drückte die Karaffe Carol in die Hand und trug ihr auf, sie nach draußen zu bringen. "Nein!" Ich streckte die Hand nach meiner jüngeren Cousine aus, aber sie tat, als würde sie mich nicht hören. "Das wird sie alle umbringen!", schrie ich ihr hinterher und wollte aufstehen, aber ich klebte am Boden fest. Meine Füße waren an den Fliesen festgewachsen. Mein Atem ging immer flacher, mein Herz zersprang beinahe in meiner Brust. Zoey füllte ein kleines Glas mit der tödlichen Limonade und kam auf mich zu. Obwohl ich nicht einmal genau wusste, was sie damit vorhatte, schüttelte ich instinktiv den Kopf. Meine Cousine lachte nur, ehe sie ihre orangefarbene Haarpracht zurückwarf. "Grandma?" Sie sah sich zu unserer Großmutter um, die nun auf mich zukam, um meine Arme festzuhalten. Ich blickte panisch zwischen den beiden hin und her. Wo führte das hin? Dann klappte im Hintergrund eine Tür auf - wo war sie plötzlich hergekommen? - und Ruby wurde von Poppy hinaus geführt. Sie trug das rosa Hemdchen und den kurzen Jeansrock und sah haargenau so aus, wie die vielen Wassermädchen im Garten. Ich schnappte nach Luft. Poppy stieß sie vor meinen Füßen zu Boden und zog einen Dolch hervor, den sie Ruby in den Nacken legte. Ihre Hand war ganz ruhig, aber meiner Schwester liefen Tränen übers Gesicht. Grandma Catherine nickte Zoey stumm zu und meine Cousine baute sich mit dem Glas vor mir auf. "Du wirst diese Limonade entweder trinken oder Ruby sterben sehen - such's dir aus." Das Lächeln, das sich nun auf ihren Lippen bildete, war heimtückisch und fies. Angstschweiß rann meinen Rücken hinunter. "Wo habt ihr sie her?" Ich nickte mit dem Kopf in die Richtung, in der Ruby schluchzend auf dem Boden kniete. Poppy und Zoey sahen einander an, dann kicherten sie, als hätte ich etwas furchtbar komisches gesagt. Ein Insider? "Sie war die ganze Zeit hier", sagte Poppy mit üblicher melodischer Stimme. "Und jetzt will ich mir meine kleine Schwester nicht mehr teilen müssen. Entweder du gehst oder sie." Sie schenkte mir eines ihrer unglaublichen Grinsen, nur dass diesmal ihre Eckzähne so spitz waren wie die eines Vampirs. Sie wedelte mit dem Dolch in ihrer Hand und zuckte mit den Augenbrauen. "Trink", sagte Zoey mit klarer Stimme, während sie mir das Glas entgegen hielt. Ich zögerte. "Tu es nicht", sagte Ruby zu mir, als ich nach der Limonade greifen wollte. Ich schniefte. "Ich tue es doch für dich." Doch meine Schwester schüttelte bloß mit dem Kopf. "Nein, Holly. Es gibt immer eine andere Lösung. Tu's nicht." Zoeys Züge verzogen sich vor Wut, als ich meine Hand wieder zurückzog und herausfordernd blinzelte. "Jenson!", schrie ich aus voller Kehle. "Dean! Grandpa!" Die Wut in Zoeys Gesicht verwandelte sich in Schadenfreude, als sie auf das bodentiefe Fenster zeigte, das zum Garten ging. Ich folgte ihrem Blick und brüllte augenblicklich los: Meine Brüder, Grandpa Harry und all die vielen Wassermädchen, die sich dort versammelt hatten, lagen regungslos am Boden. Inmitten dieser Leichen stand Carol mit einer leeren Karaffe Limonade in der Hand, der Wind zerrte an ihren Kleidern, ein Blitz erhellte ihr zufriedenes Gesicht. "Sie können dir nicht mehr helfen", sagte Grandma Catherine mit einem leichten Lächeln. Ich schmeckte Galle, aber ich schluckte sie mühselig hinunter. Mich übergeben war das Letzte, das ich nun wollte. "Und jetzt sagen wir dir ein letztes Mal, dass du dieses Glas leer trinken musst, um deine Schwester vor dem Tod zu bewahren." Zoey schwenkte gewichtig die Limonade in ihren Händen. "Ansonsten stirbt sie." Ich warf Ruby einen vielsagenden Blick zu, als ich das kleine Glas an mich nahm; es war warm von Zoeys Händen. Die Flüssigkeit darin war tief rot. Ich blickte hinein und dachte, dass es das letzte war, das ich sehen wollte, ehe ich starb - mit Rubys Anblick könnte ich nicht leben. "Nein", sagte meine Schwester ruhig, als ich das Glas an die Lippen hob, im Begriff zu trinken. Meine eiskalten Hände zitterten so sehr, dass das Getränk bedenklich hin und her schwappte. Gegen all meine Vorsätze sah ich Ruby an - ihr Gesicht war nun nicht mehr tränennass, sondern ruhig und geduldig. Sie lächelte mich an. "Jetzt." Und dann sprang sie vom Boden auf, riss Poppy den Dolch aus den Händen und rammte ihn in deren Magengrub, immer wieder. Der rote Fleck auf Poppys weißer Bluse entfaltete sich wie eine blühende Rose, bis er auseinander lief und so hässlich wurde, dass man ihn nicht mehr mit einer Blume vergleichen konnte. Poppy riss überrascht die Augen auf, ehe sie an sich herunter sah. Obwohl sie so gut wie tot war, wollte Ruby nicht aufhören, auf sie einzustechen. Sie traf sie nun nicht mehr nur am Bauch, sondern überall: Am Arm, am Schlüsselbein, in der Halsbeuge. Das Blut spritzte nur so, Knochen krachten und Poppy gab entsetzliche Laute von sich. Grandma sollte mich loslassen und ihr zur Hilfe eilen, aber sie hielt mich noch immer fest. Zoey sank stumm zu Boden, ich wusste nicht, ob sie noch bei Bewusstsein war. Es war auch egal, denn alles was zählte, war, hier weg zu kommen. Mit einem Ruck befreite ich mich aus Grandmas Griff und landete auf dem Teppich neben meinem Bett.
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Was haltet ihr davon? Sorry für die Verspätung, aber ich war krank. :-( Jetzt zähle ich auf eure Kommis! ♛
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