Kapitel 11

Im Tanzen war ich schon immer ein hoffnungsloser Fall gewesen, und mit Ruby's Freunden konnte ich schon gar nicht mithalten, aber was konnte es schaden, vor Abigail's Party ein wenig zu üben? Außerdem wollte ich den Kopf frei bekommen. Also ließ ich mir von der Blonden einige Grundschritte beibringen. Im Grunde ging es bei dem Tanz, den die fünf mir letzte Nacht vorgeführt hatten, darum, möglichst kleine und schnelle Schritte zu machen, das Ganze auf Zehenspitzen. Die Arme dazu beliebig in der Luft umherwirbeln - und das war's auch schon. Offensichtlich war leider nur, dass auf Abigail's Party wohl kaum latein-amerikanische Musik laufen würde, sondern Charts, Housemusik und Bassgedröhne, wozu mein neu gelernter Tanz einfach nur albern aussehen würde. Nass geschwitzt ließ ich mich in den Sand sinken, während die fünf weiter um das Feuer tanzten. "Wie heißt ihr eigentlich?", fragte ich, nachdem sich mein Atem wieder etwas beruhigt hatte. "Ach, Entschuldigung!", rief die Dunkelhäutige und plumpste mit unglaublicher Eleganz neben mir in den Sand. Mit einer geschmeidigen Bewegung legte sie mir einen Arm um die Schulter. Ehe ich mich's versah, saß auch die Blonde an mich geschmiegt auf dem Boden, die drei Jungen saßen uns gegenüber. Der Dunkelhaarige machte den Anfang. "Ich bin Keith", sagte er lächelnd, wobei seine grauen Augen im Schein des Feuers blitzten. Ich lächelte zurück, dann lehnte ich mich vor und sah zu dem mit den dunkelblonden Locken. "Vic", sagte er, ebenfalls lächelnd, "ich heiße Vic." "Mein Name ist Nathan", fuhr der Braunhaarige fort. Keith, Vic, Nathan... die Namen waren recht selten, ich konnte sie mir gut merken. "Und ihr?", fragte ich die Mädchen. Die Dunkelhäutige lachte ein kehliges, perlendes Lachen und warf dabei den Kopf in den Nacken. Als sie sich beruhigt hatte, sah sie mich ernst an. "Sorry." Sie zuckte entschuldigend die Schultern. "Ich bin Lilith." "Poppy", beendete die Blonde. Poppy und Lilith... jetzt, da ich ihre Namen kannte, kamen mir die fünf gleich vertrauter vor.  Was natürlich totaler Blödsinn war, schließlich war mir ihr elegantes, freundliches Auftreten verbunden mit dem schlechten Ruf noch immer ein Rätsel. Ich beschloss, mehr über sie herauszufinden. "Wo geht ihr zur Schule?", fragte ich mit ehrlicher Neugier. "Wir gehen nicht zur Schule", meinte Poppy und ich konnte mich noch immer nicht an den melodischen, klingelnden Klang ihrer Stimme gewöhnen. Überrascht blinzelnd lehnte ich mich zurück. Jedoch glaubte ich nicht, dass es mich weiterbrachte, wenn ich weiter über Schulen fragte. Ich brauchte persönlicheres. "Wo wohnt ihr denn? Was tut ihr so den ganzen Tag?" "Dort drüben", sagte Keith, während er mit der Hand in die Ferne zu ein paar Felsen deutete. Ich runzelte ungläubig die Stirn? "Habt ihr da ein Glashaus, oder was?", scherzte ich. "Nö", entgegnete Nathan und zeichnete mit dem Zeigefinger kleine Wirbel in den Sand. "Da gibt's so eine Höhle." "Ihr wohnt in einer Höhle?" Meine Stimme war eine Oktave nach oben geschossen, mindestens. "Ja", sang Poppy, als sei es das normalste der Welt, "ist ganz nett dort." "Okay", stammelte ich, dann versuchte ich irgendwie, diese Information zu verarbeiten. "Und was tut ihr dort; wovon ernährt man sich? Und habt ihr überhaupt Geld?" Lilith legte ihren Kopf auf meine Schulter. "Geld? Nein, woher auch. Wir ernähren uns vom Boden, vom Meer. Aus einer kleinen Quelle nehmen wir Wasser. Es macht Spaß, so zu leben, weißt du?" Ich schüttelte vehement den Kopf. Es war doch nicht möglich, so zu leben, dabei so überirdisch schön auszusehen, und, im Falle von Poppy, so schmerzlich süß zu riechen, dass es einem den Verstand lahmlegte! Würde ich die fünf jemals verstehen lernen? Sie saßen neben mir, und doch kam es mir vor, als seien sie meilenweit von mir entfernt. Sie waren so anders. "Okay, ihr wohnt also in einer Höhle." Ich bemühte mich darum, meine Stimme gleichgültig klingen zu lassen. "Habt ihr denn keine Eltern?", bohrte ich schließlich weiter. "Ich bin ausgerissen, nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich adoptiert war. Das war mit vierzehn", sagte Lilith. "Ich bin weg von Zuhause, aus Nordengland, wollte ans Meer", erklärte Vic danach. Ausziehen, abhauen. Ich merkte mir beides, dann sah ich Keith auffordernd an. "Und du?" "Ich komme eigentlich aus Schottland", lächelte er, "aber dann starb meine Mum und ich bin hierher 'zurückgekehrt'. Sie hat hier gewohnt, als sie jung war, also ist Cornwall auch meine Heimat." "Aber was ist mit deinem Vater?", wollte ich wissen. "Nie kennengelernt." Ich hörte dem Ton seiner Stimme an, dass er nicht darüber reden wollte. Poppy schien die brenzlige Lage zu spüren, und beeilte sich daher, ihre Geschichte zu erzählen. "Ich war hier als Kind mal in einem Ferienlager und fand es großartig. Später kam ich noch einmal her, hab ein Musikinternat besucht, weil sie meine Stimme toll fanden, aber es war schrecklich. Hab mich abgemeldet und bin raus, bin schließlich achtzehn und meine Eltern sind beide früh gestorben." Fehlte nur noch Nathan. "Ich", begann er, "ich war der erste hier. Ich wollte aus Spaß einen Sommer in einer Höhle leben, aber irgendwie fand ich es dann besser als erwartet. Ich fahre immer an Weihnachten und an Ostern zu meinen Eltern nach Chelsea."

Wir plauederten noch eine Weile; ich erfuhr, wie die fünf zusammengefunden hatten und am Ende versprachen sie mir sogar, mich mal mit in ihre Höhle zu nehmen. Poppy's Geruch hüllte mich komplett ein und ihre klingelnde Stimme holte mich aus meinem Leben. Umso mehr erschrak ich, als ich von zwei starken Händen hochgerissen wurde. "Habt ihr sie noch alle?" Es war Jenson. "Lasst meine Schwester in Ruhe!" "Jenson!", rief ich und wandt mich in seinen Armen, doch sein Griff wurde nur noch fester. "Jenson, lass mich los! Jenson! Du tust mir weh!" Er ignorierte mich jedoch und sah meine neuen Freunde hasserfüllt an. "Wollt ihr sie verführen? An euch reißen und irgendwann ertränken, wie ihr es mit Ruby gemacht habt?" Keith, Nathan und Vic sprangen auf, aber selbst zisammen hatten sie keine Chance gegen meinen Bruder. Er überragte jeden von ihnen um einen Kopf und hatte die eisernen Muskeln  eines Schwimmers. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. "Wir haben Ruby nicht verführt", sagte Poppy ruhig; bei ihrer zarten Stimme prickelte es in meinem Herzen. "Wir haben sie auch nicht ertränkt. Sie war unsere Freundin." Jenson schnaubte verächtlich, aber ich merkte, dass ihre Stimme ihn aus der Fassung brachte. Strahlend grün waren ihre Augen, die ihn fixierten. Fast glaubte ich, Poppy wolle ihn hypnotisieren. Doch dann schrie Jenson mich an: "Was treibst du hier, Holly? Es ist nach zwölf Uhr in der Nacht! Was meinst du, was Zuhause los war? Mum ist fast umgekommen vor Sorge." Das schlechte Gewissen mischte sich unter meine Wut. "Wir haben Holly gebeten, hier zu bleiben", sagte Lilith und lächelte dabei ihr schönes, atemberaubendes Lächeln. Durch die dunkle Haut schienen ihre Zähne umso weißer. "Du kommst jetzt mit nach Hause", zischte Jenson. "Aber", hob ich an, doch er schnitt mir das Wort ab. "Kein Aber!"

*

"Ich verbiete dir den Umgang mit ihnen!" "Dad!", schrie ich. Tränen der Verzweiflung liefen über mein erhitztes Gesicht. "Bitte, Dad, sie sind meine Freunde!" Er umrundete den Küchentisch, bis er direkt vor mir stand. "Ab jetzt wirst du diese Leute nicht mehr treffen, Holly Spencer", zischte er. "Sie sind gefährlich! Haben wir uns verstanden?" Schluchzend nickte ich mit dem Kopf - was blieb mir auch anderes übrig? Sehnsüchtig blickte ich dann zum Fenster. Irgendwo dort draußen saßen sie nun, in ihrer Höhle, tranken wirres Zeug und sangen miteinander. Hatten sie nicht recht? War es nicht viel schöner, in den Tag hineinzuleben? "Du hast Hausarrest", riss mich Dad's Stimme aus den Gedanken. "Die nächsten drei Wochen. Dann kannst du deine Schichten im Hotel wieder etwas ernster nehmen." Ich war zu müde und ich weinte zu sehr, um in irgeneiner Art Widerstand leisten zu können. "Dad", weinte ich, vom Schluchzen geschüttelt. Mum lehnte an der Anrichte und sah mich aus ihren kühlen, blauen Augen ausdruckslos an. Ihre Züge schienen mir diese Nacht besonders markant. "Mum", schniefte ich, "Mum, tu etwas!" Doch ihr Blick blieb leer, bis sie sich irgendwann umdrehte und aus dem Raum ging. Es schmerzte sehr, ihr so gleichgültig zu sein. "Ihr habt mich doch überhaupt nicht lieb!", schrie ich, trotzig wie ein kleines Kind. "Auf dein Zimmer", kommandierte Dad, was ich mir natürlich nicht zweimal sagen ließ. Wütend und traurig zugleich stampfte ich aus dem Raum und rannte in mein Zimmer, wo ich mich schluchzend auf's Bett schmiss. Eine gute Stunde lang weinte ich weiter, schrie in mein Kissen, prügelte auf die Matratze ein, bis die Wut aus mir heraussickerte und mehr Platz für die Trauer ließ, die mich nun vollstandig ausfüllte. Ich konnte meine Ferien vergessen. Meine Eltern würden es sicher nicht verbieten, wenn Abigail mich im Hotel besuchen kam, aber das wollte ich meiner besten Freundin nicht antun. Sie sollte nicht mit mir vor der Scheibe hocken und den Sommer vorbeiziehen lassen, nein, sie sollte ihre Zeit besser mit Finley verbringen. Aber ihre Party konnte ich vergessen. Nicht dass ich jemals große Lust hatte, hinzugehen, aber doch machte es mich umso trauriger, dass ich sie nun verpasste. Ich konnte auch nicht mit Matthew nach Cardiff fahren, meine neuen Freunde blieben fern. Keine Besuche bei Ruby, keine kitzelnden Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Der Strand, der mich sonst immer glücklich gemacht hatte, wurde mir genommen. Sicher würde ich in den nächsten drei Wochen noch mehr abnehmen. Aber was soll's? Meine Eltern hatten die schrecklichen Schmerzen verdient, die sie haben würde, wenn ihre Tochter an gebrochenem Herzen starb.

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Hey ♥ Mich hat heute wieder das Schreibefieber gepackt- und hier ist das neue Kapitel! ♥ Dramatische Wendung, was? :D Na ja, egal, ihr könnt ja in die Kommis schreiben, wie es euch gefallen hat. ♡

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