Home sweet home ...

Der Küchenschrank stand voller Geschirr, das Sabine noch spülen musste, bevor die Kinder aus der Schule kamen. Zuerst musste aber das Mitagessen vorbereitet werden, denn schließlich konnten die Kids sich nicht mit knurrendem Magen an die Hausaufgaben setzen.

Das Telefon klingelte.

Sabine nahm den Hörer ab und sofort tönte ihr das Schluchzen ihrer besten Freundin Maritta entgegen. "Was ist denn los?", fragte sie mit sanfter Stimme. Das Mädel schien total durch den Wind zu sein, wimmerte und schniefte heftig.
"Nun sag schon, ist es wieder wegen Bernd?"
"Ach", kam endlich die Antwort, "wenn es nur das wäre..."
"Ich hab ein bisschen Druck, im Moment. Kannst du vielleicht später..."
"NEIN!", schallte es aus dem Hörer, so laut, dass es beinahe schmerzte.
"Ist ja schon gut, beruhige dich erst einmal und erzähle!", lenkte Sabine schulterzuckend ein.

Maritta war schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit der Pechvogel gewesen, dem immer alles schief ging. Der einzige Versuch, bei einer Klassenarbeit zu spicken flog auf, ebenso wie die erste heimliche Zigarette. Im Trubel des Schulalltages war das nicht so aufgefallen, aber jetzt, fünfzehn Jahre nach dem Abschluss, war längst klar geworden, dass Maritta die geborene Verliererin war.

Ihr Freund Bernd konnte die Finger nicht vom Bier lassen und andere Körperteile nicht aus fremden Damen heraus halten. Dumm eben, dass Maritta dem Kerl verfallen war und immer wieder auf dessen blumenreiche Entschuldigungen und Besserungsgelöbnisse herein fiel.

Und Sabine? Wie sah ihr eigenes Leben aus?

Die erste Schwangerschaft hatte ihre Ausbildung unterbrochen. Viola war ein sehr pflegebedürftiges Kind gewesen, hatte kaum eine Nacht durchgeschlafen. Als sie ein Jahr alt wurde, hatten Mirko, Violas Vater, und Sabine geheiratet. Keine Liebesheirat, eher eine Zweckehe, zugunsten der Kleinen.

Als nächstes kam Paula, verhinderte die Wiederaufnahme der Ausbildung. Auf diese Weise war Sabine zum Hausmütterchen geworden, fest mit ihrem Heim und dem Wohlergehen der Familie verwachsen und immer bemüht, es allen so nett wie möglich zu machen.

Prinzipiell gab es daran für sie nichts auszusetzen, manchmal aber, an Tagen wie heute, wuchs eine Unzufriedenheit in ihr.
Mitunter pfiff oder sang sie dann Lindenberg:
"Sie ist Vierzig - und sie fragt sich: 'War das nun schon alles?'..."

Ihre Gedanken kehrten zu Maritta zurück. So aufgelöst wie heute hatte Sabine die Freundin aber seit Langem nicht mehr erlebt."Die Polizei war eben da", tönte es aus dem Telefonhörer, "sie haben Bernd mitgenommen. Ich muss morgen aufs Revier, zur Vernehmung."

"Autsch", entfuhr es Sabine, "was hat er denn angestellt?"
Erneutes Schluchzen und Schniefen erklang, dann sagte Maritta: "Wie die Polizei sagt, hat er auf meinen Namen eine Scheinfirma gegründet und eine Menge Leute betrogen. Hat Bestellungen und Vorauskasse entgegengenommen, aber dann nichts geliefert."

"Oh shit. Hast du davon nichts bemerkt? Keine Telefonate oder Mails oder was auch immer?"
"Nein. Er hat alles von seiner Arbeit aus gemacht. Hat auf meinen Namen einen GMX-Mailaccount registriert, den ich nie zu sehen bekam. Als Postadresse hat er ein leer stehendes Haus angegeben, an dessen Briefkasten er einen Firmenaufkleber angebracht hatte. Auf dem Weg zur Arbeit hat er die Post abgeholt."

Die Türklingel schellte.

"Warte mal kurz, da ist wer an der Tür." Mit diesen Worten legte Sabine den Hörer beiseite und öffnete. Vor der Tür stand der Paketbote, zu dessen Füßen ein ziemlich gewaltiger Karton prangte. In großen Lettern stand darauf:"EMP - RISE AGAINST - ENDGAME"

Der junge Mann lächelte freundlich und sagte: "Nachnahmesendung für Viola Meier. Ich bekomme 79.45 Euro und eine Unterschrift, bitte."
"Einen Moment", bat Sabine, eilte in die Küche und entnahm der Bargeldschale auf dem Backherd 80 Euro. Die überreichte sie dem Boten, unterzeichnete und nahm das schwere Paket entgegen.

Was sich darin befand wusste sie wohl. Viola, die Älteste, bestellte sich gelegentlich Schnäppchen aus dem Indie-Katalog 'EMP'. Unglücklicherweise hatte die Tochter vergessen, ihr von diesem Kauf zu erzählen. Das hieß, dass Sabine diesen Monat noch mit ihren undichten alten Halbstiefeln hinkommen musste, denn das Geld für neue hatte soeben der Postbote davongetragen.

Als sie den Telefonhörer wieder ergriff, hatte Maritta inzwischen aufgelegt. Sabine konnte ihre beste Freundin unmöglich in dieser Bredouille allein lassen, also schnappte sie sich das Mobilteil und rief zurück.

"Ich muss das Telefon auf Freisprechen stellen", kündigte sie an, "das Essen muss fertig werden, sonst spielen die Kids Revolution." Die folgende Stunde verbrachte Sabine im Total-Multitasking, zwischen Spüle, Küchentisch und Herd rotierend und dabei den Maritta-Fall mit dieser erörternd. Schon bildeten sich kleine Schweißperlen auf der Stirn.

"Autsch!" Zwischen der Wäsche eines Tellers und dem Wenden des Hühnerbrust-Filetshatte sie sich in den Finger geschnitten, durchwühlte das Schubfach nun nach einem Pflaster.

Wieder klingelte es an der Tür.

"Warte bitte", rief sie, hinaus eilend schon, dem Telefon zu. Paula, die jüngere Tochter, stürzte in den Flur, sobald Sabine die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte.
"... muss mal!" Damit verschwand Paula im Badezimmer. Man hörte die schwere Schultasche auf die Fliesen schlagen.

Sabine eilte zurück, um Maritta zu beruhigen, die schon wieder in Tränen ausgebrochen war. Als sie die letzte Gabel aus der Spülschüssel entnahm und zum Abtropfen auf den Rost legte, verließ Paula das Bad und blieb vor dem Paket stehen.

"Cool. Kann ich mir auch mal so'n Zeuch bestellen?" Sabine, die sich eben der schluchzenden Maritta zuwenden wollte, schaute verständnislos drein.
"Na dann eben nicht", schmollte die Kleine und verschwand, den Rucksack mit den Schulsachen am Riemen hinter sich her schleifend, in ihrem Zimmer.

In der Tür blieb sie stehen und rief: "Wann gibt es Essen? Ich fall' gleich auseinander!" "Maritta, hör zu, ich komme heut Abend zu Dir rüber. Jetzt hat das eh keinen Sinn. Bei mir ist Hektik." Damit legte Sabine auf und begann, den Tisch zu decken.

Sie schnappte sich das Geschirrtuch, lief zu Paulas Zimmer und klopfte an.
"Kannst du mir nicht bitte mal abtrocknen?"
"... am Morgen deheer Neheebel aus dem Kohoselbruhuhuch steigt ...", klang es aus dem Raum hinter der Tür.

Damit war alles klar. Paula würde sie nicht hören. Einfach eintreten war tabu, wollte man nicht am Samstagmorgen unerwünschten Besuch im Schlafzimmer riskieren, gerade dann, wenn man es sich zu zweit mal so richtig nett machen wollte, im Schein der aufgehenden Sonne...

Also kehrte Sabine in die Küche zurück, verteilte das Essen auf die Teller und schlug dann den Signalgong. Irgendwer hatte ihnen das Teil einmal vermacht. Mit seinen knapp 40 Zentimetern Durchmesser durchklang es, kräftig angeschlagen, sogar ASPs Kopfhörer-Orgien.

Gleichzeitig mit Paula öffnete am anderen Ende des Flurs die eben heimgekehrte Viola die Wohnungstür und fiel sofort über das Paket her.

"Erst essen!", forderte Sabine. Auf dem Weg zum Mittagstisch vernahm sie aus dem Bad das Piepen der Waschmaschine, die auf diese Weise um Leerung bat.

Endlich saßen alle am Tisch.

"Schmeckt gut", presste Paula zwischen vollgestopften Backentaschen hervor."Mach erst mal den Mund leer", meinte Viola spitz. Paula mampfte beleidigt und Viola füllte sich schweigend den Teller noch einmal mit Kartoffeln und Fleisch.

Sabine genoss die wenigen ruhigen Minuten, bevor die Entscheidung fallen musste: Aufwasch oder Wäscheboden. Dann käme Mirko müde von der Arbeit, würde sich über Kaffee und Kuchen freuen. Die gehörten zum Feierabend, frisch gebacken, wenn es die Zeit zuließ.

Hoffentlich würde es bei Maritta nicht gar so spät werden, denn Sabine musste früh aus den Federn, zum Familienfrühstück - ebenfalls Tradition.

Morgen aber ...

Morgen würde sie endlich den Pflichtenplan für die gesamte Familie erstellen, dessen Anlage sie sich schon so lange vorgenommen hatte. Die gewonnene Zeit würde ihr einen winzigen Winkel nur für sich verschaffen, ohne Kinder, Hausarbeit, müde Männer und unglückliche Freundinnen.

Morgen ...

Aufschreiber ]


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